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Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI. - Eine kleine Zeitreise

Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI.Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI.
Eine kleine Zeitreise

Wir befinden uns im Hochmittelalter, oder präziser, in den letzten beiden Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts. Die Landkarte Europas hatte in dieser Epoche noch wenig Ähnlichkeit mit den heutigen Verhältnissen.

Das Königreich Deutschland war fester Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches, eines heterogenen Staatsgebildes.

Grob gesagt Mitteleuropa umfaßte es, inklusive des Osten Frankreichs (Burgund bzw. Arelat), dem überwiegenden Teil der Benelux-Region, Norditalien, Teile von Mittelitalien, Slowenien, die Alpenländer und Tschechien. Pommern und Schlesien waren zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht offiziell Teil des Reiches, standen jedoch bereits in Lehnsabhängigkeit. Das Baltikum von den Pommerellen bis Estland war zu dem Zeitpunkt noch von heidnischen Völkern bewohnte Wildnis. Es sollte in den fol-genden Jahrzehnten nach und nach zum Territorium des Deutschen Ordens werden, der oft als zum Reich gehörig betrachtet wurde, de facto jedoch unabhängig war.

Im Unterschied zu anderen Königreichen gab es im damaligen Deutschland keine Erbdynas-tie, welche das höchste Amt im Staate einnahm, sondern eine Wahlmonarchie. Vorhaben, die Generationen übergriffen, waren unter diesen Bedingungen nur schwer zu verwirklichen, und die mit der Kiesung (der Königswahl) befaßten weltlichen und geistlichen Fürsten kürten nicht so sehr den geeignetsten Kandidaten, als denjenigen, der sie am großzügigsten mit Rechten und Privilegien bestach. Auf diese Weise schrumpfte die Macht des Souveräns mit jeder neuen Ernennung, während die seiner Aristokratie wuchs und wuchs.

Südlich davon, zu dieser Zeit nahezu vollständig auf die Landschaft Latium beschränkt, lag der Kirchenstaat, auch Patrimonium Petri genannt, in dem der Heilige Vater eine territoriale Herrschaft ausübte. Dieses Land verdankte seine Existenz einer Urkundenfälschung, der Kon-stantinischen Schenkung, in der dem römischen Kaiser Konstantin I. (dem Großen) unterstellt wurde, er habe den Papst als seinen Nachfolger als Kaiser des Weströmischen Imperiums (und des gesamten Erdenrunds) bestimmt. Die Pippinsche Schenkung, die jenem staatlichen Gebilde Territorien in Mittel- und Norditalien zusicherte, war gleichfalls auf einer Urkunde festgehalten worden, die in Folge aber nicht mehr auffindbar war. Allerdings beschränkte sich der Herrschaftsanspruch des Heiligen Stuhles ohnehin nicht auf dieses noch verhältnismäßig kleine Gebiet, das zu Beginn des Hochmittelalters zudem noch als Teil des Heiligen Römi-schen Reiches angesehen wurde (Siehe Name!)

Das sizilische Königreich wurde von Normannen regiert, die ihren Ursprung in der Nor-mandie hatten (Deren Vorfahren wiederum sind Wikinger aus dem dänischen Raum gewe-sen). Man beachte dabei den Unterschied zwischen den Worten sizilianisch und sizilisch. Sizi-lianisch bezieht sich allein auf die Insel Sizilien, während sizilisch das Königreich dieses Na-mens bezeichnet, zu dem auch große Teile des unteritalienischen Festlands gehört haben.

Im Westen befand sich das Angevinische Königreich, das im wesentlichen aus den Briti-schen Inseln und dem Westen Frankreichs bestand (wobei Iren, Schotten und Waliser eine gewisse Souveränität genossen). Diesen kontinentalen Anteil hatte das Königsgeschlecht der Plantagenet geerbt; es stand jedoch offiziell unter der Oberhoheit des französischen Königs. Dieser Monarch, der sich auch seine allerchristlichste Majestät nennen ließ, war bis zur Schlacht von Bouvines 1214 freilich ein hoch angesehener, aber ziemlich machtloser Potentat. Nicht nur, daß er eigentlich nur nominell Einfluß auf den angevinischen Bereich hatte, auch gebärdete sich der Süden mit der Grafschaft Toulouse wie ein eigenständiger Staat, und im Norden waren die Flamen nicht immer so gehorsam, wie sie es eigentlich hätten sein sollen. Nichtsdestotrotz galt dieser desolate Staat als kulturell führende Macht, von dem unter ande-rem die Gotik ausging.

Auf der iberischen Halbinsel suchten mehrere christliche Territorien, mit zeitweiliger Unter-stützung von Kreuzfahrern das Kalifat von Cordoba zurückzudrängen; in der Weltpolitik spielten sie noch nicht wirklich mit. Im Osten befand sich das Polen der Piasten gerade in einem Zustand der nationalen Auflösung, und Rußland war gleichfalls in mehrere Fürstentü-mer zersplittert. Die Ungarn waren die dominierende Macht auf dem Balkan, die auch über Serben, Kroaten und Siebenbürgen geboten, während sich die Bulgaren gerade ihre Unabhän-gigkeit von Byzanz erstritten hatten. Dieses wiederum hatte seine Existenz dereinst als Ost-römisches Imperium begonnen. Inzwischen war es allerdings zusammengeschmolzen auf den Südbalkan (mit Griechenland und Albanien) und den Norden und Westen Kleinasiens, immer im Konflikt mit den Rum- Seldschuken im Zentrum Anatoliens. Hinzu kam noch die Han-delsrepublik Venedig, einst ein byzantinischer Außenposten, sowie die skandinavischen Kö-nigreiche, von denen die Dänen den Deutschen im 13. Jahrhundert noch einige Nadelstiche versetzen sollten. Außerdem gab es noch weitere Mächte wie das serbisch- montenegrinische Raszien und die walachische Wildnis, aber sie sind im Kontext dieses Aufsatzes von eher untergeordneter Bedeutung. Lediglich Klein- Armenien an der heutigen Südküste der Türkei wird gegen Ende noch eine kleine, aber feine Rolle spielen.

Im Nahen Osten fand gerade eine Reconquista der islamischen Mächte unter Sultan Saladin (Sala- Heddin) statt, und der Verlust Jerusalems hatte das gesamte Abendland in Aufruhr ver-setzt. Die Rückgewinnung der heiligen Stätten galt als eine der obersten Christenpflichten.

In einer Epoche, in der die gesellschaftliche Schichtung auf einem Feudalsystem fußte, stand es eigentlich den höchsten Majestäten zu, solche Kampagnen anzuführen. Daß sie es nicht immer taten, hat freilich mit ihren oftmals schwierigen Beziehungen zur Kurie zu tun. Als ihr höchster Monarch galt der Kaiser, wobei es diesen Titel zweimal in Europa gab, quasi als Erben der Cäsaren West- und Ostroms. Sie standen auch für zwei unterschiedliche Konfessio-nen, nämlich der römisch- katholischen im Westen, und der griechisch- orthodoxen im Osten. Ersterer stand nicht per se in Verbindung mit der deutschen Königskrone, doch hatte es sich nach einem lothringisch- oberitalienischen Intermezzo eingebürgert, daß die Deutschen Herr-scher als Nachfolger der Franken als Erben Westroms Anspruch auf den Titel des Kaisers erhoben.

Dieser war dabei nicht einfach nur der eines „Königs der Könige“, es war zugleich ein reli-giöses Amt. So wie der Papst als spirituelles Oberhaupt der Christenheit galt, so sah man im Kaiser das weltliche Äquivalent dazu… zumindest in der Theorie. Tatsächlich gab es jedoch zwischen beiden ein Ringen um Dominanz, das große Bereiche des Mittelalters überschatten sollte. Als das Geschlecht der Salier die Herrschaft über das Heilige Römische Reich antrat, ernannte Konrad II. nach eigenem Ermessen Bischöfe, und sein Sohn Heinrich III. setzte so-gar Päpste ab. Doch auf dessen Tod folgte eine Zeit, in der sein Thronfolger minderjährig und das Opfer einer Entführung war, während der Heilige Stuhl mehr und mehr an Einfluß ge-wann. Als der gleichnamige Sohn Heinrichs III. endlich seine Herrschaft antreten konnte, mußte er lernen, daß die Verhältnisse nicht mehr die zu Zeiten seines Vaters waren. Denn drei Jahre nach dessen Tod, anno 1959, hatte die Kurie eine neue Papstwahlverordnung ange-nommen, die jedweden Einfluß weltlicher Herrscher weitgehend auszuschalten suchte. Es war auch das Jahr, in dem sich das normannische Sizilien dem Papsttum als Lehen unterstellte. Damit wurde der Papst zu einem weltlichen Herrscher über den Kirchenstaat hinaus.

Die folgenden Konflikte mit wechselseitigen Exkommunikationen und Absetzungen gipfel-ten in dem berühmten Gang nach Canossa und der Nicht- Teilnahme des Kaisers am ersten Kreuzzug. Das Wormser Konkordat, das ebenfalls ein Heinrich (nun der V.) mit der Kurie schloß, war praktisch ein weitestgehender Verzicht auf die weltliche Einflußnahme auf die Besetzung geistlicher Posten; lediglich die formelle Übertragung der damit verbundenen Pfründe war noch Sache des Kaisers geblieben. Dementsprechend war es halbwegs zu einem Gleichgewicht zwischen Krone und Tiara gekommen. Zur Zeit der Staufer jedoch strebte der Vatikan nach der Oberhoheit, während Barbarossa und seine Abkömmlinge im Gegenzug das Wormser Konkordat nach eigenem Gutdünken auslegten, und bei zwei konkurrierenden Aspi-ranten für ein kirchliches Amt auch schon mal einen dritten, eigenen Kandidaten einsetzten.

Wieso aber kennen wir den Begriff Stauferherrlichkeit? Wenn die Macht der römisch- deut-schen Kaiser bereits im Schwinden begriffen war (nicht zuletzt auch wegen der Geschenke, welche die staufischen Herrscher machten, um gewählt zu werden), warum gilt dann dieses schwäbische Fürstengeschlecht als Inbegriff der Glorie des Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation), und nicht etwa die Ottonen oder die frühen Salier, die sich in mancherlei Hinsicht deutlich mehr herausnehmen konnten?

Nun, da ist zum einen die territoriale Ausdehnung. Gewiß, Otto II. hat dem Imperium Reichsitalien hinzugefügt (aber die slawischen Randgebiete verloren), und Konrad II. das Königreich Burgund (dafür verschenkte er die Mark Schleswig und ein Stück Österreich zwi-schen den Flüssen Fischa und Leitha), aber über den Süden Italiens haben sie nicht geboten. Das hat erst der Stauferkaiser Friedrich I. Barbarossa in die Wege geleitet, indem er seinen Nachfolger Heinrich VI. mit Konstanze verheiratet hat, der Erbin des Königreichs Sizilien. Damit steht eben dieser Heinrich für eine der größten territorialen Ausdehnungen, die ein deutsches (genauer: von einem deutschen Monarchen regiertes) Reich jemals gehabt hat. In seiner Position galt er als weltliches Oberhaupt des Abendlandes, was gewiß so manch nos-talgisch- patriotische Sehnsüchte wecken mag. Freilich sollte man daran erinnern, daß sich die Heilig Römischen Kaiser des Hochmittelalters nicht als Anführer der Deutschen sahen, son-dern als Nachfolger der römischen Cäsaren. Das Heilig Römische Reich, das erst später den Zusatz „Deutscher Nation“ erhielt, bestand nämlich aus drei Königreichen (Burgund [Arelat], Reichsitalien [Norditalien] und eben Deutschland), an die auch noch das Königreich Böhmen (Tschechien) angegliedert war. Später damit assoziiert wurde außerdem noch das Gebiet des Deutschen Ordens, das in seiner Hochzeit das gesamte Baltikum umfaßte. Zwar ist sowohl von Heinrich VI., als auch von dem Welfenkaiser Otto IV. bekannt, daß sie nationalistische Empfindungen geschürt haben, aber dies geschah in Ausnahmesituationen, in denen sie spe-ziell auf die Loyalität deutscher Gefolgsleute angewiesen waren.

Die Stauferzeit aber war auch eine Phase des relativen Wohlstands, in der zahlreiche Städte gegründet, Kathedralen errichtet und ein spürbares Bevölkerungswachstum zu verzeichnen war. Durch die Kreuzzüge kamen exotische Waren und Gewürze ins Land, und eine klimati-sche Warmphase sorgte für relativ gute Ernten. Minnesang und Literatur, aber auch die höfi-sche Kultur als Ganzes erlebten eine Blütezeit.

Es sollte freilich nicht vergessen werden, daß das Heilige Römische Reich keinesfalls der Motor des Fortschritts war. Im Gegenteil, die Gotik und manch andere Innovation verbreitete sich vom Norden Frankreichs aus über den Kontinent, während der Süden jenes Königreichs als das Mekka der Troubadoure galt. Der moderne Verwaltungsapparat war zwar eine Erfin-dung Friedrichs II., aber er setzte sie mit den Konstitutionen von Melfi nur in Sizilien durch (im Jahre 1231), nicht im Heilig- Römischen Reich selbst. Die ersten Universitäten des Impe-riums wurden bezeichnenderweise in Italien gegründet (Bologna 1088, Modena 1175, Padua 1222), und die erste nördlich der Alpen in Prag (1348) – Zu einer Zeit, wo sich ähnliche Ein-richtungen in Frankreich (Paris, Montpellier), England (Oxford, Cambridge) und sogar Spa-nien (Salamanca) längst etabliert hatten.

Aber nicht nur der Aufschwung zwischen 1150 und 1250 sorgte für die Verklärung dieser Epoche, denn bekanntermaßen weiß man das Geliebte erst dann zu schätzen, wenn man es verloren hat. Und auf die Ära der Staufer folgte eine Epoche der Unglücke, die ganz Europa heimsuchen sollte. In Deutschland brach nach dem Tod Konrads IV. das Chaos des Interreg-nums aus, in dem ganze Landstriche von Rechtlosigkeit heimgesucht wurden, und Errungen-schaften der Jahrhunderte zuvor verfielen. Zwar gab es danach wieder Könige und Kaiser, aber sie erlangten niemals mehr die Macht ihrer Vorgänger im Hochmittelalter. Und gegen Ende des 13. Jahrhunderts verschlechterte sich auch noch das Klima, daß immer wieder mal ein Hungerjahr auf das andere folgte (Letzten Endes waren dies die ersten Vorboten der soge-nannten kleinen Eiszeit). Dazu brach im 14. Jahrhundert die Pest über den Kontinent herein, und 1362 riß die „groote Mandrenke“ weite Teile der Nordseeküste ins Meer. Aber nicht nur das Heilige Römische Reich verlor an Größe und Bedeutung: Auch das Angevinische Imperi-um ging unter, und der Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich brachte es nicht zurück. Die Franzosen gingen zwar gestärkt daraus hervor, aber sie mußten durch die Verheerung ihres eigenen Landes einen hohen Preis dafür zahlen. Die päpstliche Autorität litt sehr unter der Gefangenschaft in Avignon und dem späteren Schisma, und letzten Endes wur-de das gesamte Abendland gedemütigt durch das Scheitern der letzten Kreuzzüge.

Wie sehr man sich da zurücksehnte nach der „guten, alten Zeit“, zeigen die Doppelgänger des Stauferkaisers Friedrich II., die spät im 13. Jahrhundert in Deutschland auf den Plan tra-ten, und die Kyffhäuser- Saga. Deren Nachwirkungen sind noch bis in die Gegenwart spürbar, wenn ein Politiker namens Björn Höcke auf einem „Kyffhäuser- Treffen“ nationale Gefühle zu beschwören sucht. Dabei werden sich die staufischen Monarchen vielleicht tatsächlich als Könige der Deutschen verstanden haben, aber als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches waren sie nicht deutscher als Gaius Julius Cäser oder Konstantin, der Große.

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