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Die Bewandtnis mit Atlantis: 3. Der archäologische Befund - Der kupferne Vorhang

Die Bewandtnis mit Atlantis3. Der archäologische Befund
Der kupferne Vorhang: Schnurkeramiker und Glockenbecher- Kultur

Die meisten von uns erinnern sich noch ganz gut an den Kalten Krieg. Europa war geteilt in West und Ost, und zwischen den beiden Blöcken waren die Kontakte eingefroren. Tatsächlich gab es etwas Vergleichbares schon mal in der Menschheitsgeschichte, und zwar am Ende der Jungsteinzeit, im dritten Jahrtausend vor Christus. Sogar die „Grenzlinie“ verlief ähnlich derjenigen zwischen NATO und Warschauer Pakt.

 

Allerdings gehörte der skandinavische Raum zum Osten, und Deutschland und Tschechien stellten eine von beiden Seiten beanspruchte Zone dar. Zu Vermischungen kam es vergleichsweise selten; beizeiten änderte sich die Zugehörigkeit von Dorf zu Dorf. Allerdings bedrohte man sich damals natürlich noch nicht mit Panzern und Mittelstreckenraketen. Der Osten hatte eine Vorliebe für Streitäxte, und der Westen schätzte Pfeil und Bogen.

Die Streitäxte, deren Form im Profil ein wenig an Wasserhähne erinnert, waren das Charakteristikum einer Gruppe von Kulturen, die man die „Schnurkeramiker“ nennt, nach ihrer Eigenart, ihre Tonware mit Abdrücken von Stricken zu verzieren. Sie werden auch zusammen mit einigen anderen Gruppen (so der „Ockergrab- Kultur“) als „Kurgan III“ (früher: „Kurgan IV“) bezeichnet, also als die dritte Stufe der Kurgan- Kultur, die sich von früheren Kulturen aus dem Süden Rußlands herleitet (siehe oben). Ob diese Zuordnung korrekt ist, und wie weit die Kurgan III- Leute vorgedrungen sind, wird immer noch debattiert. Mit Seilmustern verzierte Töpferware kennt man auch aus dem Nordosten Asiens und sogar aus Japan, wohin die Kurgan- Menschen gewiß nie gelangt sind.

Neuerdings gibt es einige miteinander kooperierende Forscher aus Deutschland, die eine Herkunft der Schnurkeramiker eben aus Deutschland propagieren (Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!). Sie leiten sie von den Trichterbecher- Leuten her, einer Kultur an Nord- und Ostsee, die erst durch den megalithischen Einfluß zu Ackerbau und Keramik gefunden hat. In der Tat gibt es ein paar Übereinstimmungen und Entsprechungen im Fundbericht, doch dabei kann es sich genauso gut um das Beibehalten lokaler Eigenheiten bei den ansonsten assimilierten Einheimischen handeln. Auch werden somit sämtliche Gemeinsamkeiten zwischen den Kurgan- Leuten und den Schnurkeramikern übergangen. Die indogermanische Frage ist darüber natürlich ganz von beiden Gruppen losgelöst. Hier tauchen teilweise Modelle auf, die Bandkeramiker und Donau- Kulturen als Proto- oder Para- Indogermanen anzusehen. Oder das Indogermanische als eine Handelssprache aufzufassen, die nach und nach die Idiome der Eingeborenen überprägt haben soll.

Wo sich die Ergebnisse der Ausgräber mehrdeutig auslegen lassen, müssen andere Wissenschaften die Erkenntnis bringen. Da ist zunächst die Anthropologie (Feustel et al., fide Bertram): Bei der Untersuchung von Kurganen und schnurkeramischen Hockergräbern konnte eine überdurchschnittliche Häufigkeit extrem schmaler („hyperdolichokraner“) Schädeltypen festgestellt werden. Die mitteleuropäische Urbevölkerung, zu der auch die Trichterbecher- Menschen gehören, neigte jedoch mehrheitlich zu einer rundlicheren („brachykranen“) Kopfform.

Auch die Humangenetik bestätigt diese Erkenntnis. Die Verbreitungskarte, die Herr Cavalli- Sforza von der Häufigkeit des „indoeuropäischen  Genotyps“ gezeichnet hat (fide Haarmann), belegt im Großen und Ganzen der Ausdehnung der Kurgan- Kulturen, ihre Identität mit den Schnurkeramikern und die Koinzidenz mit dem Auftreten der Indogermanen. Dabei liegt das Zentrum des Genotyps im Bereich der Ost- Ukraine, mit einer primären Erweiterung in Richtung Wolga, Ural und Krim. Dann jedoch ist ein deutlicher West- Trend festzustellen, daß er an den deutschen Küsten und im Süden Skandinaviens etwa so geballt vorkommt wie in Makedonien, und häufiger als in Albanien oder auf der griechischen Halbinsel.

Es läßt sich also konstatieren, daß die originären Träger der schnurkeramischen Kultur zu den Kurgan III- Leuten gehören. Allerdings dürften auch „konvertierte“ Schichten der einheimischen Bevölkerung in nicht geringem Maße zu ihrer Ausbreitung beigetragen haben.

Ob die Schnurkeramiker schon zu Pferde unterwegs waren, ist nicht gesichert. Ihre Vorfahren hatten die Tiere zwar schon in der südrussischen Steppe als Nahrungslieferant domestiziert, und es spricht einiges dafür, daß man ab Kurgan II auch Sattel, Zaumzeug und den Wagen kannte. Aber ob die enorme Ausbreitung zur Kurgan III- Zeit mit Hilfe dieser Tiere erfolgt ist, kann man aufgrund fehlender Nachweise noch nicht sagen.

Wo die Schnurkeramiker aufkreuzten, erloschen die Vorgängerkulturen. Trotzdem geht man davon aus, daß es sich nicht allein um einen Eroberungszug nach Art der späteren Skythen gehandelt hat. Manch Überbleibsel vorangegangener Kulturkreise deutet auch an, daß die Ortsansässigen einfach nur Sitten und Gebräuche übernommen haben. Da es sich bei den Eindringlingen überwiegend um Hirten gehandelt hat, nahmen sie bisher kaum genutzte Areale in Beschlag, so daß die von den Einheimischen betriebene Landwirtschaft vielleicht weniger beeinträchtigt wurde, als man denken mag. Im Herkunftsgebiet wurden die Toten in Hockstellung auf dem Rücken liegend bestattet, aber nun in der Fremde richtete man sie anders aus. Die Männer legte man auf die linke Seite, daß sie nach Westen schauten. Die Frauen dagegen setzte man auf der rechten Seite liegend bei, mit Blick nach Osten oder Nordosten. Ausnahmen kamen nur sehr vereinzelt vor; hier wird spekuliert, ob die betroffenen Personen auch im Leben etwas „anders herum“ gewesen sein mochten.

Wie dem auch sei, bei der Größe des Gebietes, das sie besiedelten, blieb es nicht aus, daß sie sich über die Jahrhunderte mit der eingeborenen Bevölkerung vermischten. Und doch hinterließen sie etwas, das ihre Kultur noch lange überdauern sollte. Denn wo immer sie sich nachweisen lassen, entwickelten sich Völker, deren Sprache indogermanisch war. Selbstredend gehörten auch die Vorfahren der Griechen (ohne die Pelasger), und damit Platos dazu.

Ihren Gegenpart aber bildete eine Kultur, die im heutigen Portugal und Westspanien ihren Ausgang nahm. Im Süden drangen sie bis ins Atlas- Gebirge vor, das für sie mit seinem Reichtum an Lagerstätten besonders wichtig gewesen sein muß. Denn bei ihnen, der sogenannten „Glockenbecher- Kultur“, handelte es sich um eine Gemeinschaft, die neue Techniken des Kupferabbaus entwickelt hatte, und damit auch Minen ausbeuten konnten, die bislang als erschöpft galten. Tatsächlich war der Kupferabbau Mitte des vierten Jahrtausends schon fast zum Erliegen gekommen; nun aber nahm er einen neuen Aufschwung.

Oreichalkos, so nennt Plato das Metall, dessen Verwendung für die Atlanter so charakteristisch gewesen sein soll. Wörtlich übersetzt bedeutet dies: „Bergkupfer“ (wobei Chalkos auch allgemein als „Erz“ gedeutet werden kann; spezifischer wäre die Vokabel Kypros). In der Tat war es eine Spezialität der Glockenbecher- Leute, Kupfer- Lagerstätten ausbeuten zu können, an denen sich andere Kulturen die Zähne ausgebissen hatten. Ja, die Metallverarbeitung nahm bei ihnen auch in gesellschaftlicher Hinsicht einen hohen Stellenwert ein: Sie sind die ersten, von denen den Beigaben zufolge „Schmiedegräber“ bekannt sind.

Es war wohl auch die Prospektion nach lohnenswerten Erzvorkommen, die sie bis in die Mitte Europas vordringen ließ. Der namengebende Becher in Form einer umgestülpten Glocke ist oft ins Grab mitgegeben worden, so daß ihm eine kultische Funktion zugekommen sein muß. Vermutlich spielte er eine Rolle bei einem Trank- Opfer, wie es Plato auch für die Könige von Atlantis beschreibt. Als weitere Gegenstände wurden dem Verstorbenen auch kupferne Griffzungendolche und steinerne Armschutzplatten mitgegeben. Letztere beugten beim Bogenschießen Verletzungen durch die Sehne vor. Auch hier wurden die Toten in Hockerstellung beigesetzt, doch im Gegensatz zu den Schnurkeramikern zeigte die Blickrichtung hier stets nach Osten. Die Männer wurden auf der linken Körperseite ruhend beigesetzt, mit Kopf im Norden, und die Frauen auf der rechten, mit Kopf im Süden. Es spricht damit alles dafür, daß es in Bezug auf die östlichen Nachbarn nicht nur einen kulturellen, sondern auch einen weltanschaulich- religiösen Gegensatz gab. In der Tat sind die Bereiche, in dem beide Gruppen scharf voneinander abgegrenzt sind, weit größer als die, wo es zur Vermischung gekommen ist. Just als wären sie durch einen jungsteinzeitlichen Vorläufer des Eisernen Vorhangs voneinander getrennt gewesen!

Ob die Glockenbecher- Leute unter einem einzigen Namen bekannt gewesen sind, weiß man heute nicht mehr. Aber sie waren entlang der Atlantik- Küste vertreten, nach Süden bis ins Atlas- Gebirge hinein. Daß sie vielleicht Vorbild für die Atlanter gewesen sein mochten, ist damit nicht auszuschließen. Wenn man all die regionalen Besonderheiten außer Acht läßt, die auf der Verschmelzung mit einheimischen Gruppen beruhen, so könnte man durchaus behaupten, daß sich sowohl die schnurkeramische, als auch die Glockenbecher- Kultur über ein Gebiet erstreckt hat, das größer war als Kleinasien und „Libyen“ zusammen. Eines freilich haben sie beide nicht fertiggebracht: Ein einheitliches Reich mit staatlicher Infrastruktur zu errichten. Mochten es Letztere auch bis Tyrrhenien geschafft haben, sie haben nur einzelnen Stammesherrschaften ihren Stempel aufgedrückt, aber keinem Imperium unterworfen. Ja, es gab noch nicht einmal eine Stadt, geschweige denn eine Hauptstadt, die man mit der von Plato beschriebenen Inselmetropole hätte vergleichen können. Auch ist von ihnen auch keine Schrift bekannt, so daß sie ebenfalls nicht als Hochkultur zu betrachten sind.

Dies alles änderte sich freilich mit dem Anbruch der Bronzezeit, und dies geschah in Europa nicht durch Untergang, sondern durch Weiterentwicklung der beiden Zivilisationen. Auch die Glockenbecher- Leute nicht ohne Nachfahren geblieben. Gerade in ihrem Ursprungsgebiet im Westen der iberischen Halbinsel entwickelten sie sich zu einer Kultur der Bronzezeit weiter. Und nun begannen sie auch damit, Städte zu bauen. Städte, die im Westen Europas damals noch einzigartig waren, und erst im Nahen Osten Ihresgleichen fanden.

Daß auch der Maghreb Teil dieses Kulturkreises gewesen ist, läßt sich deutlich daran erkennen, daß der Wechsel zur Bronzezeit hier nicht nur zur selben Zeit stattfindet, wie nördlich der Meerenge von Gibraltar, sondern auch das selbe Fundspektrum aufweist. Der Rest Westafrikas indes verblieb noch bis zum Anbruch der Eisenzeit auf der Stufe des Meso- oder Neolithikums.

Inzwischen aber befinden wir uns in einer Zeit, in der bereits die ersten Reiche gegründet worden sind, und auch schon nachweislich Keilschrift und Hieroglyphen verwendet wurden. Es gab nun auch ein Ägypten, und somit zumindest theoretisch die Möglichkeit, daß dort jemand war, der etwas über einen Staat namens Atlantis niederschrieb.

Im Nahen Osten und den angrenzenden Bereichen des Mittelmeeres war man in dieser Ära allerdings schon viel weiter. Kam dem sehr viel näher, was Atlantis ausgemacht haben soll.

 

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