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Die Bewandtnis mit Atlantis: 3. Der archäologische Befund - Vom Atlantik her, wo Land versank

Die Bewandtnis mit Atlantis3. Der archäologische Befund
Die Megalithiker: Vom Atlantik her, wo Land versank

Es ist der west- keltische Raum, der uns besonders viele Mythen von versunkenen und verwunschenen Inseln überliefert hat. Da haben wir das allseits beliebte Avalon, dazu Ys und natürlich Lyonesse. Allerdings sind die Kelten erst mit der Hallstatt- Kultur archäologisch einigermaßen greifbar; die Vorgängerkultur der Urnenfelder- Leute bezeichnete auch Gruppen, die später als eigene Völkerschaften das Licht der Geschichte betraten (Italiker, Veneter, Illyrer, Daker etc.).

 

Selbst die klassische „Kelten- Kultur“ von La Tène in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends vor Christus beinhaltet auch einige germanische Gruppen. Und erst in dieser Zeit standen die Kelten mit ihren oppida an der Schwelle zur Hochkultur. Zudem haben sie die Britischen Inseln, die mit Zweien der drei Sagen verbunden sind, gerade mal kurz vor den Römern erreicht; sollten sie die Urheber der Legenden sein, können die mitnichten ein hohes Alter haben.

Aber die Kelten waren schließlich nicht die ersten, die sich auf diese Inseln weit im Westen Europas vorwagten. Da gab es nämlich schon die Pikten (Latein für: „die Bemalten“), die vermutlich zur Urbevölkerung der Kymria gehörten. Auch sie konnten ihre Geschichten gehabt haben, die ihren Weg in die Ohren der Einwanderer gefunden haben mochten.

Das eindrucksvollste Zeugnis einer früheren Besiedlung aber stellten die großen Findlinge dar, die von weit her zusammengetragen und zu Ringen, Reihen oder Steintischen (Dolmen) aufgestellt worden waren. Wer immer solche Taten hatte vollbringen können, mußte über große Kraft oder Macht verfügen.

Doch nicht nur auf den Britischen Inseln hat es einmal eine Zeit gegeben, in der man solche Konstruktionen errichtet hat. Die Afrikanische Küste nördlich des Atlas- Gebirges wurde von der Praxis erfaßt, Portugal, der Süden und Norden Spaniens, die Balearen, Malta, Sardinien, Korsika, Apulien, Frankreich westlich der Loire, Irland, der Westen Großbritanniens, der Nordosten Schottlands, Dänemark, Südschweden und Norddeutschland bis nach Polen hinein. Dabei handelte es sich mehr um eine Sitte, denn um eine echte Kultur, denn die betroffenen Gemeinschaften behielten ansonsten ihre lokalen Eigenarten bei. Zusammengefaßt werden sie unter dem Begriff „Großsteingräber“ oder „Megalithiker“. Was sie vereint, ist, daß sie in Regionen mit eher mittelmäßigen oder schlechten Böden lebten, die nicht von den Bandkeramikern erschlossen worden waren. Die für eine primitive Landwirtschaft ohne Kenntnis der Düngung uninteressant waren. Kulturell rückständige Gegenden, in denen das Leben noch so ablief wie kurz nach der Eiszeit. Und die allesamt nahe am Meer lagen.

Ein Ursprungsgebiet läßt sich nicht genau ausmachen; sowohl Megalithgräber in West- Irland, als auch im Süden der Bretagne lassen sich bis ins Jahr 4700 v. Chr. zurück datieren. Vielleicht werden wir es auch nie finden, mag es doch zwischen den britischen Inseln und dem Kontinent gelegen haben. Der Ärmelkanal entstand zwischen 6000 und 4000 v. Chr. durch die Flandrische Transgression, die als Spätfolge der Eiszeit weite Teile des Festlandes zu Meeresboden machte. Mag sein, daß es in diesem Bereich ein Avalon, ein Lyonesse, ein Ys oder ein Atlantis gegeben hat, in dem die Kultur ihren Anfang genommen hat – Doch ihr Ende war der Untergang der hypothetischen Insel nicht. Nahezu zwei Jahrtausende sollte die Zivilisation der Großsteingräber für die Küstenregionen Westeuropas prägend sein, und erst gegen 3000 v. Chr. ihren Höhepunkt erreichen.

Warum aber fing man auf einmal an, Findlinge durch die Gegend zu wuchten, und in Mustern aufzubauen? Schuld daran waren ausgerechnet diejenigen, die nicht dazu gehörten: die Bandkeramiker!

Zwischen 8000 und 3000 v. Chr. herrschte in Westeuropa ein mediterranes Klima, das bis circa 5000 v. Chr. feucht war (Atlantikum), danach aber trockener wurde (Subboreal). Die Bevölkerungsdichte betrug ursprünglich kaum zwei bis drei Personen pro Quadratkilometer, und darum herrschte auch kein Mangel an Nahrung, die im Wald oder am Strand ohne viel Mühe gesammelt werden konnte. Entlang der gesamten Atlantikküste finden sich Abfallhaufen leerer Muschelschalen der mesolithischen Kulturen (Maglemose, Tardenoisien u. a.), und sind in einigen Fällen 50 Meter lang, 20 Meter breit und 5 Meter hoch. Mancherorts war das Überangebot so groß, daß man die nomadische Lebensweise aufgab und seßhaft wurde. Erst, als die Bevölkerung aufgrund der paradiesischen Bedingungen mehr und mehr zunahm, reichte das reine Jagen und Sammeln nicht mehr aus, um die Mägen voll zu bekommen. Zumal eine Verringerung des Salzgehaltes um 4000 v. Chr. (durch die Gletscherschmelze der Flandrischen Transgression) eine Abnahme der Austernpopulation bewirkte.

Zu dieser Zeit, gegen Ende des 6. Jahrtausends v. Chr., hatten die Linearbandkeramiker den Nordosten Frankreichs erreicht, und gerieten in Kontakt mit den Küstenbewohnern. Steinäxte und Keramik wurden in Richtung Meer getauscht, und dort lernte man die Vorteile einer bäuerlichen Lebensweise kennen. Freilich hatte man nicht die fruchtbaren Lößböden Mitteleuropas zur Verfügung, dafür aber immer noch die Kost aus Atlantik, Mittelmeer, Nord- oder Ostsee zur Ergänzung. Es entwickelte sich eine Mischkultur aus mesolithischen und neolithischen Elementen.

Anfängliche Spuren einer bäuerlichen Lebensweise finden sich an der Mittelmeerküste Frankreichs, gegen Ende der mittelsteinzeitlichen Kulturstufe des Tardenoisien. An der Westküste dagegen lassen sich um 4850 v. Chr. die ersten Siedlungen im Verbreitungsgebiet der Megalithiker nachweisen. Man lebte in Blockhäusern, aber auch in Pfostenbauten, Reisighütten und Fellzelten. Frühe Formen von Gerste und Weizen wurden ausgesät, doch es dominierte die Weidewirtschaft. Felder wurden gerodet, aber da die Düngung noch unbekannt war, war der Boden nach zehn bis zwölf Jahren ausgelaugt, und weitere Bäume für neue Koppeln mußten geschlagen werden. In Dänemark und Südschweden wurden um 5000 v. Chr. erste Friedhöfe angelegt, allerdings noch ohne Findlinge über den Gräbern aufzurichten.

Diese Felsbrocken fielen wohl zunächst einfach nur beim Bearbeiten der Scholle an. Sie standen dem Holzpflug im Weg, wie auch dem Grabgerät, um Pfostenlöcher für die Wohnhütten auszuheben. Die Bandkeramiker auf ihren Lößböden hatten das Problem nicht gehabt, wohl aber alle, die auf einstigen Gletschergebieten siedelten. Also mußten die klobigen Steine irgendwo hin. Für den damaligen Haustyp, der ohne Fundament und Keller auskam, waren sie allerdings eher ungeeignet. Ergo ging man zwischen 4800 und 4700 v. Chr. dazu über, sie zum Bau von Dolmen (Steintischen), Gang- und Langhügelgräbern (später auch von Totenhäusern) zu verwenden. Diese enthielten oft mehrere Kammern, wurden also über längere Zeit immer wieder genutzt. So kam es auch zu Um- und Ausbauten, und man machte die Erfahrung, daß solche Steinkonstruktionen ganze Generationen überdauern.

Dabei hatte sich die Landwirtschaft in der Frühphase noch nicht wirklich durchgesetzt. Das zeigen zum Beispiel die Beigaben, die man in den Gräbern von Carrowmore (Irland) gefunden hat: Sie bestehen aus Muschelproviant, Geweih- und Knochennadeln und aus Schmuck, der aus Pottwalzähnen gefertigt ist.

Einheitliche Bestattungssitten gab es nicht, was ein weiteres Indiz dafür ist, daß es sich bei den Großsteingräbern um keine organisch gewachsene Kultur gehandelt hat. So wurden die Toten in Irland stets verbrannt, was bei den bekannten Fällen Nordeuropas oder der Bretagne nie der Fall gewesen ist. Hier bevorzugte man die Beisetzung des unversehrten Körpers in Bauchlage. Im Norden praktizierte man allerdings auch die von den Bandkeramikern her vertraute Hockerbestattung, bei der dem Toten zum Teil Arme und Beine eng an den Leib gebunden wurden.

Freilich kennt man von hier trotzdem die Überreste verbrannter Personen, die jedoch zumeist außerhalb der Grabkammern im Gangbereich verscharrt worden sind. Dabei mag es sich um Menschenopfer handeln, oder aber um die Überreste ungeliebter Zeitgenossen, für die man keine ehrenvolle Beerdigung abhalten (und die man nach seinem Tod keinesfalls wiedersehen) wollte. Auf jeden Fall setzte in Dänemark die Sitte ein, Menschen im Moor zu ertränken, vielleicht jetzt schon zu Ehren der Mutter Erde, die Jahrtausende später bei den Germanen Nerthus/ Njörd hieß („Jörd“ ist noch heute das schwedische Wort für „Erde“), und selbst in der schon christlich geprägten Beowulf- Saga ihre Spuren hinterlassen hat. Aus Südschweden (Fosie) kennt man aber auch Überreste eines Kannibalenmahls.

Im weiteren Verlauf der Kulturentwicklung verzierte man das Innere der Gräber in Irland und im Westen des Festlands mit Mustern und Darstellungen von menschlichen Figuren. Letztere stellten offenbar Götzen dar, die für die Begräbniszeremonien eine besondere Bedeutung hatten. Dabei dominiert immer wieder eine weibliche Gottheit, bei der es sich wahrscheinlich gleichfalls um Mutter Erde gehandelt hat. In der Endphase der Kultur wird sie oft auf eine Perlenkette und relief- artig hervorgehobene Brüste reduziert. Sie hielt sich aber nicht nur in den Gräbern auf: Auch viele Stelen und Menhire (einzeln aufgestellte Findlinge) sind mit Augen, Nase und angedeutetem Busen versehen worden. Hier und da finden sich auch Halsketten und stilisierte Hände herausgearbeitet. Mit anderen Worten: Obelix‘ Hinkelsteine haben oftmals nackte Frauen dargestellt.

Es ist jedoch nicht nur die mutmaßliche Erdmutter, die wir auf diese Weise personifiziert finden. Mehrere der aufgerichteten Steine scheinen wie die großen Grabanlagen das Andenken der Toten zu wahren, nur daß sie mit weniger Mühe errichtet werden konnten. Spätestens hier läßt sich aber auch erkennen, daß Unterschiede gemacht wurden, was den Aufwand einer Beerdigung anbelangte. Einen Dolmen, ein Gang- oder Langhügelgrab anzulegen, erforderte einen gewissen Aufwand; mehrere Menschen mußten hier über Tage hinweg zusammenarbeiten, die sie vielleicht besser mit der Jagd oder Feldbestellung verbracht hätten. Personen ohne Ansehen oder Familie werden damit wohl eher selten in den Genuß einer solch prunkvollen Beisetzung gekommen sein. Ja, vielleicht spiegelt sich hier schon die Existenz von Häuptlings- oder gar Fürstengeschlechtern wieder.

Bis 5000 v. Chr. kam es aufgrund der verbesserten Lebensbedingungen zu einer Bevölkerungszunahme. Regional trugen die Überflutungen der Flandrischen Transgression noch dazu bei, daß Flüchtlingswellen die Einwohnerzahl erhöhten. Gleichzeitig aber änderte sich das Klima zu mehr trockenen Verhältnissen (Subboreal) – So wenig entwickelt, wie die Landwirtschaft weiland gewesen ist, mußte es zu Ernteausfällen und Wegziehen des Wildes kommen. Grundbesitz wurde auf einmal wichtig, und man brauchte die Findlinge nun auch als Grenzsteine. Einfallende kämpften gegen Ansässige; die Funde von Waffen und Befestigungen nehmen zu. Schon im dem Kapitel über die Bandkeramiker haben wir gelesen, daß man nicht davor zurückschreckte, ganze Dörfer abzuschlachten.

Größere Menschenmassen vollbringen aber auch größere Taten. Gemeinschaftlich rodete man Wälder, hob Verteidigungswälle aus und errichtete Palisaden. Und spätestens zu dieser Zeit lernte man von den Stichbandkeramikern etwas kennen, das der damaligen Landwirtschaft wichtige Vorteile verschaffte: den Kalender. Das aber war damals noch kein Stapel Papier, den man sich an die Wand hängt, sondern eben die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Erdwerke. Und die kann man nicht mal so eben an einem einzigen Nachmittag errichten.

Die Bauten der Stichbandkeramiker aus Erde und Holz waren freilich genauso kurzlebig wie ihre Pfostenhäuser, die nicht länger halten mußten, als die Fruchtbarkeit ihrer ungedüngten Äcker. Die Megalithiker aber hatten Steine zur Verfügung, um Monumente zu errichten, die für Generationen Bestand haben würden. Und die Bevölkerungszahl war groß genug, um derart gewaltige Aufgaben in Angriff zu nehmen.

Die ersten Anlagen dieses Typs dienten wohl vorrangig zur Verteidigung, und beherbergten manchmal auch eine Siedlung. Daraus entwickelte sich der „Henge“. Das Wort bedeutet eigentlich „hängend“, hat aber mit dem heutigen Wortsinn so wenig zu tun, wie das „hängend“ bei den Gärten der Semiramis. Es ließe sich besser mit „hoch aufragend“ übersetzen. Ein Henge besteht in der Regel aus einem ringförmigen Graben, der ein oder mehrere Kreise aus Holz oder Steinen umgibt. Zur Schutz- und Wohnfunktion tritt nun zunehmend die Verwendung als Sonnen- und Mond- Observatorium zur Bestimmung des Datums in den Vordergrund.

Wie wichtig es für die frühen Bauern gewesen sein muß, den Zeitpunkt für Aussaat und Ernte zu bestimmen, läßt sich nicht nur an der Verbreitung solcher Kalenderbauten erkennen, sondern auch mit dem Aufwand, mit dem mehrere Stämme zusammengearbeitet haben, um so etwas Gewaltiges und für die Ewigkeit Gedachtes zu errichten. Man denke nur an die Felsblöcke, die allein mit Ochsen- und Menschenkraft bewegt werden mußten. Selbst das Rad war hier wohl noch unbekannt (In Mitteleuropa tauchte es in der Horgener Kultur gegen 3300 v. Chr. erstmals auf), und im Falle von Stonehenge wogen einige der Klötze bis zu 50 Tonnen.

Im übrigen wurden nicht nur Henges auf diese Weise eingesetzt; auch Reihen von Hinkelsteinen waren derart angeordnet, daß man sie astronomisch nutzen konnte (so in Carnac). Es gibt sogar Grabanlagen, mit denen sich das Datum der Sommer- oder Wintersonnenwende ermitteln läßt, so etwa der „Sonnentempel“ von Newgrange, der um 3200 v. Chr. in Irland errichtet worden ist. Erst Jahrhunderte später wurden anderen Orts Pyramiden errichtet, die ewige Ruhestätte und Kalender in einer Funktion waren.

Selbst in Kenia hat man einen aus neunzehn Basaltblöcken bestehenden Steinkreis entdeckt. „Namoratunga“ heißt er in der Sprache der Eingeborenen. Dieses „älteste Observatorium südlich der Sahara“ hat zwar durchaus Ähnlichkeit mit den megalithischen Henges, gehört aber nicht mehr zu ihnen, denn es wurde erst zu Beginn des dritten Jahrhunderts vor Christus errichtet. Ausgerichtet ist es auf sieben Sterne (Beta Triangularis, Pleiaden, Aldebaran, Bellatrix, Orion, Sirius und Kappa Orionis), die auch heute noch von den in der Nähe lebenden Kuschiten benutzt werden, um einen 354 Tage langes Kalenderjahr zu errechnen.

Wie aber wurden solche Steinbauten genutzt? Als Beispiel dafür habe ich das bekannteste Henge herausgesucht, nämlich Stonehenge. Dabei ist gerade dieses genau genommen schon ein untypisches Spätwerk, fallen doch allein schon seine Anfänge in eine Zeit, in der Megalithkulturen überall sonst bereits ihrem Ende entgegen dämmerten. Es handelt sich hier heute um einen knapp 30 Meter breiten Ring von sechzehn verbliebenen Pfeilern aus Silizium- Sandstein, die jeweils 2,1 Meter breit und 4,1 Meter hoch sind. Manche verbindet ein aufliegender Querstein zu einer Art Tor. Dies ist freilich das, was christliche Eiferer, Hütten bauende Landwirte, Schatzsucher und Souvenirjäger übrig gelassen haben, bevor das architektonische Denkmal 1978 endlich unter Schutz gestellt worden ist.

Um 1500 v. Chr. jedoch hatte Stonehenge folgendermaßen ausgesehen:

Ganz außen lag der runde Graben, aus dem das Kalk- Geröll gebrochen worden war, um den anschließenden Erdwall von zwei Metern Höhe aufzuschichten. Einziger Zugang ist eine Rampe, die von zwei Eingangssäulen (Eine fehlt heute) flankiert wird, und auf dem außerhalb des Monuments der unbehauene „Fersenstein“ liegt.

Innerhalb des Walls befindet sich der äußerste Ring von Löchern im Kalkstein- Untergrund (die „Aubrey- Löcher“), wobei die Zahl hier 56 beträgt. Auf diesem sind in Form eines Rechteckes vier Steine auf Erhöhungen angelegt, die sogenannten „Positionssteine“ 91 – 94. Er umgibt zwei weitere konzentrische Kreise aus jeweils 30 Löchern (die „Y-“ und „Z- Löcher“), in die möglicherweise noch weitere Steinsäulen hatten eingesetzt werden sollen.

Weiter nach innen folgt der auch in der Gegenwart noch dominante Sarsenring, wo 30 rechteckige Pfeiler von 25 Tonnen Gewicht (von denen heute nur noch sechzehn geblieben sind) 30 Quersteine à 7 Tonnen Auflast trugen (von denen nur noch sechs an Ort und Stelle ruhen).

Innerhalb des Sarsenringes gab es 30 (heute 20) kleinere Pfeiler aus sogenanntem „Blaustein“ (nach ihrer Farbschattierung bei Regen), die ebenfalls im Kreis angeordnet waren.

In dessen Zentrum gab es eine Art Hufeisen aus gewaltigen Sarsen- Steinen von bis zu 50 Tonnen Gewicht, das wiederum ein ähnliches Gebilde aus Blaustein flankierte. Ganz im Zentrum befand sich ein schwarzer Altarstein von 4,9 Metern Höhe, einem Meter Breite und 533 Millimetern Dicke.

Das allerdings war nur die Endphase einer 1200 Jahre umfassenden Baugeschichte. Begonnen wurde die Errichtung um 2800 v. Chr., also zu einer Zeit, da Pyramiden in Ägypten noch nicht aus der Mode gekommen waren. Zu der Zeit war es allerdings noch ein reines Erdwerk, daß aus dem umgebenden Graben bestand, dem anschließenden Wall von vielleicht zwei Metern Höhe, sowie vier Positionssteinen, zwei Steinen am Eingang und dem Fersenstein. Erst gegen 2100 v. Chr. wurde im Zentrum der runden Fläche ein doppelter Halbkreis aus zwei Meter hohen Blausteinen errichtet. Die wurden um das Jahr 2000 durch vier bis fünf Meter hohe (und zusätzlich 1,4 bis 1,8 Meter eingegrabene) Sarsensteine ersetzt, die in Form eines Ringes und eines Hufeisens angeordnet wurden.

Doch auch die Blausteine wurden nicht weggeworfen: Um 1500 v. Chr. wurden auch sie innerhalb des Sarsenringes zu einem Ring und einem Hufeisen angeordnet. Manches deutet darauf hin, daß der Großbau auch jetzt noch nicht vollendet war, doch erfolgten keine weiteren Veränderungen mehr.

Und wie „funktionierte“ Stonehenge?

Zur Sommersonnenwende ging die Sonne vom Zentrum aus gesehen genau über dem Fersenstein auf. Aber auch die Positionssteine sind hier von Bedeutung. Stand man am selben Tag auf der Erhöhung 92, erhob sie sich über dem Stein 91. Zur Wintersonnenwende dagegen konnte man sie von der Anhöhe 94 über dem Stein 93 sehen. Der höchste Mondstand in dieser Jahreszeit war von der selben Erhebung über Stein 91 zu sehen, derjenige des Sommers über dem selben Stein, aber von Position 93 aus.

Auch die Gruben waren nicht willkürlich in den Kalkfelsen geschlagen worden. Sonnenfinsternisse gab es, wenn Sonne und Mond über dem selben Aubrey- Loch aufgingen, Mondfinsternisse, wenn sie es an gegenüber liegenden Aubrey- Löchern taten.

Es steht zu erwarten, daß sich zu den Sonnenwenden mehrere ortsansässige Bauern, aber auch Abgesandte entfernterer Sippen bei dem Monument einfanden. Da die Himmelskörper in der Antike bei nahezu allen Völkern Gottheiten personifizierten, läßt sich Ähnliches auch für die Jungsteinzeit annehmen. Damit hätte Stonehenge nicht nur eine landwirtschaftlich- astronomische, sondern auch eine religiöse Funktion gehabt. Kundige, die das steinerne Observatorium zu nutzen verstanden, hätten damit auch den Willen der Götter deuten, und als Priester Abgaben verlangen können. Und wo an bestimmten Tagen viel Volk zusammenkommt, wird die Gelegenheit meist genutzt, um Tauschgeschäfte, Ehen und Bündnisse zu beschließen, und anschließend zu feiern. Der religiöse Festtag war geboren.

In der Tat gibt es gerade im britischen Raum Funde von Opfergaben. Bei Avesbury sind sauber polierte Steinäxte aus ganz Südengland begraben worden, und in Stonehenge hat man Bronzeäxte als Motiv in den Stein graviert.

Wo man aber ein gemeinsames Heiligtum hat, da entwickelt sich auch sonst Verbindendes. „Amphiktionie“ lautet hier der Fachbegriff. In der Antike nannte man so das Bündnis mehrerer Griechischer Völker zum Schutze des Orakels von Delphi. Die Historiker verwenden die selbe Vokabel auch gern, um den Einigungsprozeß der Israeliten rund um ihre heiligen Stätten zu beschreiben.

Solch ein einigendes Element war in der Tat nötig, bestand die Kultur der Megalithiker aus einer Mischgesellschaft von Bauern auf der einen, und Jäger und Sammlern auf der anderen Seite. Da rodeten die einen die Beutegründe der anderen, und da jagten die anderen wiederum das Vieh der einen... Die Landwirte brauchten die Daten über den Sonnenstand. Von heutigen Jagdvölkern wissen wir, daß in solchen Gruppen Mondkulte dominieren. Stonehenge (wie auch diverse andere Henges und Erdwerke) bediente sie beide.

Damit steht das Monument auch für Frieden. Frieden ist notwendig, damit sich so viele Menschen aus so vielen Stämmen zusammenfinden, um ein solches Bauwerk zu errichten. Und Frieden ist auch nötig, damit die Festtage nicht zur Farce geraten.

Ursprünglich hat man angenommen, daß es eine „starke Hand“, also eines Fürsten bedürfe, der mit Macht und Kriegern dafür sorgt, daß hier alle einträchtig zusammenarbeiten, statt sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen. Doch man kennt auch Kulturen (z. B. Donau- Kultur, Halaf- Kultur in Nordsyrien) und sogar eine unbestrittene Hochkultur (Harappa- Kultur am Indus), in der nichts auf das Wirken einer Führungsschicht hindeutet. Hier könnten benachbarte Stämme oder Völkerschaften einfach aufgrund gemeinsamer Interessen kooperiert haben, so wie sich schon in der Altsteinzeit mehrere Sippen zur Elefantenjagd zusammengefunden haben. Oder wie sich heute Moorbauern zusammentun, einen Drainage- Kanal zu bauen, der ihrer aller Felder entwässert. Haarmann verwendet hierfür den mehr vom kirchlichen Sektor her vertrauten Begriff „Ökumene“.

Freilich finden sich in der Nachbarschaft noch andere Großbauten. Der Steinring von Avenbury, der vom Grundriß her Stonehenge noch übertrifft, mag noch dem Interesse aller dienen, aber für den 40 Meter hohen und 100 Meter durchmessenden Silbury Hill läßt sich das nicht erkennen. Hier ist die Annahme schon begründet, ein lokaler Potentat habe sich selbst ein Denkmal setzen wollen. Daß freilich ein „englischer Pharao“ bzw. eine „englische Pharaonen- Dynastie“ die Errichtung angeordnet hat, wie es R. J. C. Atkinson (fide Strempel) annimmt, erscheint mir übertrieben. Mag sein, daß die Blausteine aus dem 385 Kilometer entfernten Prescelly- Bergen in Süd- Wales stammen, und vielleicht waren sie auch einmal Teil eines dortigen Heiligtums. Sie können aber immer noch auf dem regulären Handelsweg an ihr Ziel gefunden haben, ohne daß hier ein Reich das andere überfallen haben muß.

Noch um 1100 v. Chr. wurden in Stonehenge religiöse Feste abgehalten, aber ein Ausbau hatte seit 1500 v. Chr. nicht mehr stattgefunden. Wie überhaupt der Gebrauch von Henges und Erdwerken aus der Mode gekommen war. Mag sein, daß man inzwischen genug über das Jahr wußte, um sich z. B. an weit weniger aufwendigen „Bauernregeln“ zu orientieren. Daß man es soweit definiert hatte, daß nun jeder wußte, welches Datum man gerade hatte. Damit wären die großen, klobigen und nur mit großer Anstrengung zu errichtenden Erd-, Holz- und Steinbauten dann weitgehend überflüssig geworden.

Was den Untergang der Großsteingräber herbeiführte, ist bis auf den heutigen Tag nicht so recht geklärt. Der Zusammenbruch der Kupferindustrie Mitte des vierten vorchristlichen Jahrtausends kann sie nicht betroffen haben: Erstens kannten sie die Metallverarbeitung mit wenigen Ausnahmen gar nicht, und zweitens ist ihr Höhepunkt erst gegen 3000 v. Chr. anzusetzen.

Gegen 3000 v. Chr. setzte aber auch eine klimatische Abkühlung ein, was sich insbesondere bei der Ausbeute an nicht landwirtschaftlich gewonnener Nahrung auswirkte. Hungersnöte dürften die Folge gewesen sein, und wer noch genug zu beißen hatte, mußte sich vor den Übergriffen der Nachbarn fürchten.

Dies war aber auch die Zeit, in der eine andere, von der Iberischen Halbinsel stammende Kultur auf den Plan trat: Die Glockenbecherleute. Um 3050 v. Chr. fing man in Italien an, die bisher ungenutzten Fahlerze zu verhütten, und wenig später erreichten die neuen Techniken auch Südfrankreich. Die Umwälzungen des dritten vorchristlichen Jahrhunderts begannen, auch Mitteleuropa zu erfassen, und schon gegen 2800 v. Chr., gerade mal zweihundert Jahre nach ihrer Blütezeit, gab es auf dem Kontinent keine megalithischen Kulturen mehr.

Hier ist der Punkt, an dem manche Atlantis- Mystiker ansetzen, indem sie das Verlöschen der Großsteingräber in Verbindung bringen möchten mit dem Untergang einer Insel, auf der ihr König residiert haben soll. In der Tat ist bei ihnen Land im Meer versunken, insbesondere im Bereich des Ärmelkanals. Desweiteren erstreckt sich das Verbreitungsgebiet entlang der Atlantikküste, auch „jenseits der Säulen des Herakles“ und bis hin zum Atlas- Gebirge. Und wenn sie auch nicht Ägypten erreicht haben, so doch (mit Südfrankreich und Apulien) fast Etrurien. Auf jeden Fall läßt sich ihr Einflußbereich nach antiken Maßstäben als „größer als Afrika und Asien zusammen“ definieren. Die Henges mit ihren konzentrischen Holz- und Steinkreisen entsprechen dazu noch dem Grundriß, wie ihn Plato für Atlantis- Stadt beschrieben hat, und manche von ihnen waren sogar bewohnt. Und das Ende der Kultur schließlich fällt in eine Epoche, in der man in Ägypten bereits die Zeitgeschichte dokumentierte, liegt aber noch zwei volle Jahrtausende vor dem Termin, an dem Solon von der Atlantis- Legende erfahren haben soll.

Manch ein Neokelte mag noch weitere Gemeinsamkeiten finden, dabei waren die Megalithiker keine Kelten, ja, noch nicht einmal Indogermanen. Druiden, die inmitten von Steinkreisen echte, neo- oder pseudo- heidnische Zeremonien abhalten, gehören eher in die Gegenwart, denn in die Vorzeit.

Teilweise wird versucht, „jenseits der Säulen des Herakles“ nicht als westlich, sondern als nördlich von Gibraltar zu interpretieren. Dies ergäbe zwar einen gewissen Sinn, da die Megalithkultur vor allem den Westen Europas erfaßt hatte, aber warum sollte dafür ausgerechnet ein Ort im fernen Westen als Orientierungspunkt gewählt werden? Das viel zentraler gelegenere Malta oder die Orte an der spanischen Ostküste hätten eine viel naheliegendere Wahl dargestellt. Das bretonische Carnac wird gerne als Kapitale gedeutet, mit dem in der Nachbarschaft befindlichen Gavrinis als Königsburg.

Aber Atlanter können die Großsteingräber trotzdem nicht gewesen sein. Denn Plato beschreibt uns eindeutig eine Hochkultur, die der antiken Griechischen zumindest ebenbürtig ist. Bei den Magalithikern aber handelt es sich um einfache Bauern, die noch nicht einmal das Jäger- und Sammlertum vollständig abgelegt haben. Die ihre Waffen und Werkzeuge aus scharfkantigem Kieselstein, aus Hirschgeweih, und Rinderknochen fertigten. Die weder zur See fuhren, noch Metall verhütteten oder Städte bauten. Mit den Ureinwohnern Athens hätten sie niemals Krieg führen können. Selbst wenn sie es bis nach Griechenland geschafft hätten, fehlte ihnen doch die staatliche Organisation, um ein schlagkräftiges Invasionsheer in die Ferne zu schicken.

Und doch kannte auch die Jungsteinzeit großräumige Eroberungen. Sie sollten das gesamte dritte Jahrtausend bestimmen, und für Umwälzungen sorgen, ohne die wir heute in einer anderen Welt leben würden. Das heißt, es wären wohl noch nicht einmal wir, die diese andere Welt bevölkern würden.

 

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