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Die Bewandtnis mit Atlantis: 3. Der archäologische Befund - Vor uns die Sintflut

Die Bewandtnis mit Atlantis3. Der archäologische Befund
Vor uns die Sintflut: Die Kulturen am Schwarzen Meer

„Jenseits der Säulen des Herakles“ liegen auch sie nicht, die neolithischen Kulturen an den Gestaden des Schwarzen Meeres. Doch wenn man bedenkt, daß es die besagten Kommunen erst mit oder nach der Gründung von Gades (1100 v. Chr.) errichtet worden sind, und das westliche Mittelmeer und der Atlantik noch Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christus terra incognita gewesen sind, darf man spekulieren, ob die alten Ägypter vielleicht eine andere Meerenge gemeint haben. Eine, die dann nur durch einen Übersetzungsfehler mit dem Tempel im fernen Westen in Verbindung gebracht worden sind.

 

Freilich stellte auch das Schwarze Meer, jenseits der Dardanellen und jenseits des Bosporus, in der Mitte des zweiten Jahrtausends nicht unbedingt das Zentrum des Weltgeschehens dar. Sowohl die Archive der Hethiter, als auch die griechische Argonauten- Sage, sehen darin mehr eine barbarische Randzone. Aber das ist nicht immer so gewesen...

Gehen wir zurück ins Jahr 9600 v. Chr., so gehört zwar der Süden des Binnenmeeres zu dem Gebiet, in dem ältesten neolithischen Kulturen überhaupt gedeihen (Siehe oben, in dem Kapitel über den Nahen Osten), doch der Westen, Norden und Osten verbleiben zunächst noch auf mesolithischem Niveau.

Das ändert sich jedoch bis zum siebten Jahrtausend, und von Süden her breiten sich westwärts die Bauernkulturen des Orients aus. Dabei brauchen sie noch nicht einmal den Seeweg, denn der Bosporus lag so kurz nach der Eiszeit noch vollständig trocken.

Dann aber, mit dem siebten und sechsten Jahrhundert vor Christus, stellte sich eine Periode gravierender klimatologischer Umbrüche ein.

Die amerikanischen Geologen William Ryan und Walter Pitman bewiesen (fide Haarmann) 1997 die Jahrzehnte alte Annahme, es habe in der Nacheiszeit einen Einbruch des Mittelmeeres ins Schwarze Meer gegeben. Gegen 6700 v. Chr. befand sich der Wasserspiegel im Mittelmeer und im angrenzenden Marmara- Meer etwa 15 Meter unter dem heutigen, während er bei dem abgetrennten Schwarzen Meer noch 70 Meter tiefer lag, Tendenz sinkend. Möglicherweise war sogar die Ebene von Thessalien zeitweilig überflutet, was mit manch griechischer Sintflutlegende (zufällig oder nicht) korrespondieren würde, aber hier sind die geologischen Nachweise noch unklar. In Höhe des heutigen Istanbul wurden Marmara- und Schwarzes Meer durch eine Barriere aus Sandsteinfelsen voneinander abgetrennt. Man konnte also zu Fuß von Kleinasien nach Europa spazieren.

Diese Barriere jedoch brach um circa 6700 v. Chr., vielleicht in Folge eines Erdbebens. Das Mittelmeer strömte mit einer derartigen Wucht nach Norden hindurch, daß mehrere Meter hohe Wellen die Küsten überspülten, und die Uferlinie binnen Wochen um mehrere Kilometer zurückwich. Größere Völkerwanderung zwischen den Kontinenten wurden somit auf dieser Route unmöglich. Zumindest solange, bis man gelernt hatte, ausreichend große Schiffe zu bauen.

Auch in der Gegenwart sind die ökologischen Spätfolgen dieser Katastrophe weiterhin deutlich spürbar. Heute noch dringen Blasen voll Methan- Gas von faulenden Pflanzen nach oben, die vor der Katastrophe an Land gewachsen sind. Salzwasser überlagerte Süßwasser mit einer solchen Geschwindigkeit, daß es zu keiner nennenswerten Vermischung kam, und das Süßwasser heute eine nahezu tote und sauerstoffreie Zone in der Tiefe bildet. Gerade mal Schwefelbakterien fristen hier ihre Existenz, und der Gehalt an Schwefelwasserstoff (H²S) stellt auch heute noch eine todbringende Gefahr dar, wenn Stürme das Meer aufwühlen, und Wasser aus den unteren Bereichen empor strömt.

Es sind keine einfachen Jäger und Sammler gewesen, die die Katastrophe überrascht hat. Rund um das Schwarze Meer, insbesondere vor der bulgarischen und der türkischen Küste, sind inzwischen mit Hilfe der Unterwasserarchäologie Siedlungsplätze einer oder mehrerer bäuerlicher Kulturen entdeckt worden, die ein Opfer der Fluten geworden sind. Indogermanisch ist keine von ihnen gewesen. Man lebte bereits in festen, rechteckigen Lehmhütten mit Backöfen und abgeteilten Räumen, und errichtete auch schon Tempelanlagen. Man hielt Rinder, Schafe und Ziegen, und bestellte den Boden.

Natürlich gab es auch mesolithische Nomaden in der Nachbarschaft, mit denen man regen Handel betrieb, denn auch damals schon brauchte es seine Zeit, bis sich Neuerungen durchsetzten.

Die ältesten Spuren religiöser Darstellungen in der Schwarzmeerregion sprechen für die Verehrung von weiblichen Schutzgeistern und Göttinnen. Mit dem Aufkommen des Ackerbaus vom achten bis zum frühen sechsten Jahrtausend vor Christus gewinnt die „Große Göttin“ und „Erdmutter“ zunehmend an Bedeutung (siehe oben im Kapitel über die Religionen der Steinzeit). Zum ersten Mal nachgewiesen ist sie in Çatal Hüyük, und über Kubaba (Kybele), Gaia und Nerthus hat sie möglicherweise noch in den heutigen Marien- Kulturen ihre Spuren hinterlassen.

In der Donauzivilisation wurden die Kult- Zwecken dienenden Statuetten zunächst nicht verziert. Noch vor der „Sintflut“ begann man dann, symmetrische und dekorative Muster hinzuzufügen, die Ende des siebten Jahrtausends geometrischen Ornamenten weichen sollten.

Dann aber bereitete die Katastrophe jener frühen jungsteinzeitlichen Kultur einen Schock, und man sollte zwei volle Jahrhunderte brauchen, um ihn zu verarbeiten. Was nicht ertrank, nahm Reißaus. Die Haupt- Fluchtrichtungen verliefen nach Westen und Südwesten, wo man vielfach auch schon zur Landwirtschaft übergegangen war. Mit sich nahmen sie die Erinnerung an das, was über sie hereingebrochen war. Die biblische Sintflut- Legende ist nur eine Variante des Themas. Freilich ist die Häufung der Landunter- Geschichten in dieser Region kein Beweis dafür, daß sie alle sich auf das Unglück um 6700 v. Chr. beziehen. Schließlich sind Legenden über gewaltige Überschwemmungen über die ganze Welt verbreitet, und weder die Delaware- Indianer mit ihrem Walam Olum, noch die Maya mit ihrem Popol Vuh werden jemals zwischen Balkan und Kaukasus gesiedelt haben. Gerade die Nacheiszeit mit ihrem ansteigenden Meeresspiegel kennt eine ganze Reihe von Beispielen, in denen Land zu Meer geworden ist. Hier in Deutschland brauchen wir uns da nur der Schlagworte „Rungholt“ und „Mandrenke“ zu entsinnen!

Nichtsdestotrotz handelt es sich bei der Sintflut um ein mythologisches Ereignis aus Erzählungen, die möglicherweise über Jahrtausende tradiert worden sind. Nachweislich sind hier andere Legenden beigemischt worden, sei es die des Königs Gilgamesch von Uruk, sei es die des (allerersten?) Weinbauern Noah, so daß heute nicht mehr bestimmt werden kann, ob der Ursprung der Legende tatsächlich mit dem Einbruch des Mittelmeeres ins Schwarze Meer zu tun hat. Schriftlich zum ersten Mal fixiert wurde sie – soweit wir wissen – gegen 2700 v. Chr. (Atrachasis- Mythos), also ganze vier Jahrtausende nach der Katastrophe. Daß die mündliche Überlieferung einen Stoff über eine derart lange Zeit bewahren kann, darf angezweifelt werden. Man braucht sich zum Vergleich bloß vorzustellen, wir würden uns heute noch Sagen erzählen über die Einführung der Bronze (und das ohne Mithilfe der literarischen und archäologischen Quellen). Bewohner der Nordseeküste werden mir beipflichten, daß denkwürdige Flutkatastrophen eher im Rhythmus von Jahrzehnten, denn von Jahrtausenden vorkommen. Dazu gehören auch die Hochwasser von Flüssen, an denen man wohnte; die berühmten Überschwemmungslagen von Ur sind hier nur ein besonders prominentes Beispiel. Ein überspülter Fußboden oder Keller mag ärgerlich sein, und auch die wirtschaftliche Existenz der Betroffenen gefährden, aber ein Weltuntergang sieht anders aus. Von Erzähler zu Erzähler werden die unterschiedlichen Vorkommnisse jedoch immer mehr zu einem verschmolzen sein, während man aus Gründen der Dramatik immer stärker übertrieb.

Aus diesem Grunde werde ich von die „Sintflut“ in Anführungsstriche setzen, wenn ich damit den Einbruch des Mittelmeeres ins Schwarze Meer meine. Denn diese Katastrophe kann mit dem göttlichen Massenmord des Alten Testaments zu tun haben, muß es aber nicht.

Auch nach dieser Katastrophe ging das Leben weiter. Zwei Entwicklungsphasen sind bei der Geschichte der Schwarzmeerregion besonders prominent. Zum einen ist es die Periode um 6500 v. Chr., als sich die Anwohner schließlich von der großen Flut erholt hatten, und endgültig zur bäuerlichen Lebensweise übergingen. Von nun an dehnten sich die Gemeinschaften zunächst nach Westen aus, bis an die Gestade der Adria, und bildeten in der ersten Hälfte des sechsten Jahrtausends vor Christus die Starčevo- Körös- Kultur aus. Von ihr aus zogen die Linearbandkeramiker die Donau aufwärts, aber auch der Süden (Makedonien/ Thessalien) und der Nordosten (Ukraine) wurden in Angriff genommen.

In Folge der vergrößerten Verdunstungsoberfläche des Schwarzen Meeres nach der Flut kam es spätestens ab 6200 v. Chr. zu einer Abkühlung des Klimas, und Mischwälder waren auf dem Vormarsch. Gegen 5800 v. Chr. brachen wieder wärmere Zeiten an, in denen Gras- und Buschland von Neuem größere Verbreitung fanden. Die wiederum lieferten ideale Voraussetzungen für Ackerbau und Weidewirtschaft. All diese verbesserten Lebensbedingungen führten zu einer Bevölkerungszunahme: Zählte man die städtische Bevölkerung bislang in Hunderten, so wurden hier und da bald die Tausende erreicht. Mehr Mäuler waren zu stopfen, also bestellte man nicht mehr nur die fruchtbareren Felder, sondern auch weniger ergiebige Schollen. Der Pflug wurde erfunden, man spezialisierte sich (Brotweizen, Leinsamen, Gerste) und bevorzugte Rind und Schwein gegenüber dem Schaf. Ortschaften und Ackerflächen weiteten sich aus, und man ging dazu über, betrieblich genutzte Räumlichkeiten in Wirtschaftsgebäude auszulagern.

So hatte sich die Gegend um die Donaumündung während der zweiten prominenten Entwicklungsphase gegen 5500 v. Chr. zum kulturellen Zentrum Europas entwickelt. Neue Technologien fanden rasch Verbreitung, vom Kupferguß bis zur möglichen Erfindung einer Schrift. Dabei macht es ganz den Eindruck, als wäre man ohne eine zentrale Autorität ausgekommen. Weder die Grundrisse der Häuser, noch die Grabbeigaben deuten darauf hin, daß es eine nennenswerte Führungsschicht gegeben hätte. Das muß dem kulturellen Fortschritt nicht unbedingt im Wege stehen, wie wir noch bei den Megalithikern und den Tartessern sehen werden. Ja, fern an den Ufern des Indus errichteten die Bauern der Harappa- Kultur im dritten Jahrtausend vor Christus große Städte mit imposanten Gemeinschaftseinrichtungen (Bäder, Kanalisation, planmäßige Anlage der Siedlungen etc.), aber keinerlei herrschaftlichen Prunkbauten. Sie kannten weder Könige (Rajas), noch eine staatliche Organisation, begründeten aber trotzdem eine Hochkultur, wie sie zu ihrer Zeit nur an Nil, Tigris, Euphrat und dem Huang Ho ihresgleichen fand. Ja, es läßt sich noch nicht mal eine gesellschaftliche Schichtung erkennen, auch nicht zwischen reich und arm, zwischen Mann und Frau, zwischen Priester und Laien, oder zwischen Stadt und Land. Dafür kannte man eine eigene Schrift, und baute die Häuser aus Backsteinen. Nach den Anfängen im vierten Jahrtausend erlebte die Kultur ihre Blütezeit zwischen 2550 und 1900 v. Chr. (im Südosten bis 1600 v. Chr.), mußte sich dann aber klimatischen Veränderungen, Verlagerungen des Flußbetts und einfallenden Indogermanen („Arya“) geschlagen geben. Ein ähnliches Gesellschaftssystem mag auch für die meisten Gruppen der Donau- Zivilisation anzunehmen sein.

Zu welch kollektivem Wohlstand eine solch desorganisierte Gemeinschaft finden kann, zeigt besonders eindrucksvoll die in Moldawien und der West- Ukraine ansässige Cucuteni- Tripolje- Kultur, die zum Teil von den frühen Bandkeramikern und ihren Verwandten (Boian- Kultur) beeinflußt worden ist. Das Kupfer wurde – wie Marmor und Muscheln – importiert. Es erfreute sich hier einer besonderen Beliebtheit bei der Herstellung von Schmuck (Pailletten, Armreife, runde und röhrenförmige Perlen), aber auch bei Äxten und kultischen Statuetten, die wie bei den Nachbarn im Südwesten zumeist Frauen darstellen. Letztere können auch aus Ton oder Knochen sein, und sind wie die (zunächst ein- bis zweifarbigen) Gefäße mit bandkeramischen Ritz- und Stichlinien verziert. Im Verlauf der Genese kommen dreifarbige Behältnisse vor, sowohl in Birnenform, als auch als Becher, Schalen oder Zwillingsgefäße. Auch hohle Ständer und Schöpfkellen mit langem Stiel sind charakteristisch.

Allein die aufkommende Formenvielfalt macht deutlich, daß es mit der Entwicklung der Kultur aufwärts ging. Die Dörfer wurden größer, schwer zugängliche Höhen besiedelt, und nach 4000 v. Chr. kam es hier sogar zum Aufblühen wahrer Großstädte (die Fundorte „Majdanets‘ke“, „Dobrovody“ und „Tallyanky“) mit 1500 bis 2000 Häusern. Die größte, Tallyanky, erstreckte sich mit einem ovalen Grundriß über 3,5 x 1,5 Kilometer, und beherbergte schätzungsweise 10.000 Einwohner.

In einer Ära, in der man weder die künstliche Bewässerung, noch eine effektive Düngung kannte, konnte das nicht lange gut gehen.

In der zweiten Hälfte des sechsten Jahrtausends vor Christus hatten sich – ausgehend von den Starčevo- Körös- Leuten und ihren Nachbarn (Boian- Kultur etc.) – folgende Zentren herausgebildet (in alphabetischer Reihenfolge): Butmir (Bosnien), Cucuteni (Moldawien/ Ukraine), Danilo- Hvrar (an der Adria) Lengyel (an der mittleren Donau) Petreşti (in Transsylvanien), Tisza (an dem Fluß Tisza = Theiß im Süden Ungarns) und Vinča- Tordos (zentraler Balkan). Sie waren jeweils namengebend für entsprechende Regionalkulturen, die sich allesamt recht ähnlich gewesen sind. Mehrere archäologische Leitformen wie etwa die Konstruktion der Häuser, Form und Verzierung der Keramik und Gebrauch von Statuetten aus Ton unterschieden sich nur unwesentlich voneinander, so daß all diese Gruppen auch manchmal unter den Oberbegriffen „alteuropäische“ und „Donau- Zivilisation“ zusammengefaßt werden. Die Donau stellt dabei nicht nur den geographischen, sondern auch den kulturellen Mittelpunkt der Gemeinschaft dar. Manche Forscher postulieren, daß hier im Bereich von Vinča- Tordos bereits gegen 5500 v. Chr. die Stufe zur Hochkultur beschritten worden ist.

Diese Kultur wollen wir dann auch ein wenig genauer betrachten. Erstreckt hat sie sich von der polnisch- slowakischen Grenze bis an die makedonische Ägäis, und von Ostkroatien bis in den Westen Rumäniens und Bulgariens. Sie zeichnet sich aus durch eine hochwertige Keramik mit meist geglätteter oder polierter Oberfläche. Riefen und Kanneluren, sowie zwei bis vier Wülste im Bereich des Umbruchs sind typische Verzierungen der im Profil oft bikonischen Gefäße. Auch Ritzmuster kommen vor, wobei rechtwinklige Linienführungen häufiger (und meist auch älter) sind als runde. Daneben kennt man auch Ornamente, die an das Spektrum der mitteleuropäischen Stichbandkeramik gemahnen. Bemalung kommt nur vereinzelt vor (weiße und rote Paste), und gehört dann in der Regel zu den jüngsten Funden. Obsidian und Silex stellten die bevorzugten Steine dar, um Gerätschaften anzufertigen. Besonders charakteristisch sind lange Klingen.

Bekannt geworden ist die Vinča- Tordos- Kultur zum einen wegen der Figurinen. Dies sind die bereits erwähnten Statuetten aus Ton, die anfangs noch mit Ornamenten verziert werden. Ab etwa 5300 v. Chr. wurden diese Muster jedoch zunehmend durch „Schriftzeichen“ ersetzt. Die Bedeutung dieser Objekte nimmt bis dahin erkennbar zu. Von Tieren stammende Eigenschaften, die auf ein Erbe aus der Zeit der Jäger und Schamanen verweisen, wichen dabei mit der Zeit zunehmend menschlichen. Zumeist wurden Frauen dargestellt, zum Teil aber auch Tiere (meist Rinder) mit dem Antlitz einer Frau. Man kennt aber auch Idole aus Knochen, wie sie auch bei den Bandkeramikern Verwendung gefunden haben.

Die Siedlungen der Vinča- Tordos- Leute befanden sich oft, aber nicht immer, auf drei bis zwölf Meter hohen Siedlungshügeln, die von einem Wehrgraben umgeben sein können. Die Häuser waren lang und rechteckig, und dabei in mehrere Zimmer unterteilt. Sie enthielten in der Regel Herdstelle und Backofen. In erster Linie trugen Eckpfosten die Hauptlast des Gebäudes, aber nicht überall sind entsprechende Löcher nachgewiesen, so daß auch Schwellbalken- Konstruktionen denkbar sind. Die Wände bestanden aus mit Lehm verkleistertem Zweigwerk, die Fußböden aus Stämmen mit einer Schicht Estrich.

Den Knochenfunden zufolge wurden Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen und Hunde gehalten. Die einst dominierenden Schafe und Ziegen waren dabei gegenüber den Schweinen und vor allem den Rindern ins Hintertreffen geraten. Allem Anschein nach ist auch der Hund als Nahrungsquelle genutzt worden. Daneben erfreute man sich allerdings auch der Jagd. Die bevorzugte Kulturpflanze war das Einkorn, aber auch Emmer, Spelzgerste, Nacktweizen, Flachs, Erbsen und Linsen sind angebaut worden. Weitere pflanzliche Nahrung wurde im nahen Wald gesammelt.

Was diese an sich eher unspektakuläre Bauernkultur so besonders macht, ist der Gebrauch von Zeichen, die sich als frühe Schrift deuten lassen. Sie sind noch nicht einmal selten, sondern recht weit verbreitet auf Statuetten und Alltagsgegenständen. Zur Zeit sind sie noch Gegenstand der Forschung. Fest steht, daß es sich aufgrund der Unmenge von Glyphen, die sich pro Inschrift noch nicht einmal wiederholen, um keine Buchstabenschrift handeln kann. Andererseits sind sie bereits zu abstrahiert, als daß man sie als Hieroglyphen deuten könnte. Denkbar wäre eine Silbenschrift nach Art des kretischen Linear A, oder aber eine Ansammlung von Piktogrammen. Es ließe sich aber auch vorstellen, daß hier lediglich eine Schrift nachgeahmt worden ist, ohne daß der Graveur des Lesens kundig gewesen ist. Man kennt derlei Imitate von den Germanen und den Luwiern, die jeweils römische bzw. hethitische Vorbilder abgekupfert haben. Hier stellt sich allerdings die Frage, wer denn um 5300 v. Chr. die Vorbilder geliefert haben soll.

Auf jeden Fall sind die Zeichen zu asymmetrisch angeordnet, als daß man sie als bloße Verzierungen deuten könnte. Nach der Art, wie sie auf verschiedenen Kult- und Alltagsgegenständen angebracht sind, stellten sie eventuell eine Art Signatur des Künstlers bzw. Handwerkers dar.

Wieso aber kommt gerade eine einfache Bauernkultur zu einer Schrift? Die Hochkulturen am Nil und im Zweistromland erfinden etwas Derartiges erst zwei Jahrtausende später, und nutzen sie dann entweder zu administrativen, oder zu religiösen Zwecken.

Da keine Führungsschicht oder ein zentraler Verwaltungsapparat nachgewiesen werden konnte, läßt sich Ersteres ausschließen. Doch die Zeichen wurden eben auf irdenen Idolen plaziert (sowie auf Haushaltsutensilien), was eine zeremonielle Funktion nahelegt.

Leider bleiben diese Funde auf die Vinča- Tordos- Kultur beschränkt, sowohl zeitlich, als auch räumlich. Es gibt einige Parallelen zum Linear A der minoischen Kreter, an die dreitausend Jahre später, doch mögen die auch oberflächlicher Natur sein. Beide Schriften sind nicht entziffert, und auch in Bezug auf die dazugehörigen Sprachen tippt man weitgehend im Dunkeln. Weder zu den Silben- Systemen Mesopotamiens, noch zu denen Ägyptens scheint eine Beziehung zu bestehen (geschweige denn zu denen Ugarits, Phöniziens und des antiken Griechenlands). So kann man weiterhin nicht ausschließen, daß es sich bei den Glyphen der Vinča- Tordos- Kultur nicht doch nur um eigenwillige Ornamente gehandelt hat.

Aber das Ende der verhältnismäßig fortschrittlichen Donau- Kulturen war schon gesät. Zum einen kam es im vierten Jahrtausend vor Christus zu einer Erschöpfung der Kupferminen. Zwar stand noch genügend Erz in der Reduktionszone der Lagerstätten zur Verfügung, doch fehlte es an der Technologie, um es zu nutzen.

Zum anderen aber kam es zu einer Klimaverschlechterung, und das traf vor allem die aufgeblähten Städte der Cucuteni- Leute ziemlich direkt. Aber auch anderswo wurden respektable Siedlungen aufgelassen. Und unter den vielen Gruppen, die betroffen wurden, waren auch einige eher rückständige im Raum Ukraine- Südrußland. Solche, die der Hunger in Bewegung versetzte, den vermeintlichen fruchtbaren Böden entgegen...

Schon Mitte des siebten vorchristlichen Jahrtausends lassen sich im nördlichen Osteuropa zwei Kulturen verfolgen, die trotz unterschiedlicher Lebensweisen lange nebeneinander in einer Art wirtschaftlicher Symbiose koexistieren. Im Seengebiet zwischen Wjatka und Kama lebten die Angehörigen der Agidel- Kultur noch als Fischer und Wildbeuter. Ursprünglich hatten sie ihre Jagdgründe wohl am Nordufer des Schwarzen Meeres gehabt, waren dann aber von der „Sintflut“ gegen 6700 v. Chr. vertrieben worden. Sie blieben ihren „neuen“ Wohnsitzen über eine verhältnismäßig lange Zeit treu, und breiteten sich erst im zweiten Jahrtausend vor Christus als „textilkeramische Kultur“ bis zur Ostsee hin aus. Wo immer sie sich nachweisen lassen, traten in geschichtlicher Zeit die uralischen Völker (Finnen, Esten, Magyaren, Uralier) auf den Plan. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß wir es hier mit deren Vorfahren zu tun haben.

Die Agidel- Leute hatten Nachbarn im Süden, die einigen Wandlungen unterworfen gewesen sind, so daß hier für die unterschiedlichen Epochen unterschiedliche Namen verwendet werden. Als Elshan- Kultur kannten sie um 7000 v. Chr. bereits die Keramik, standen also in Kontakt mit den „vorsintflutlichen“ Schwarzmeerkulturen. Der Ackerbau drang allerdings noch nicht zu ihnen vor; er blieb auf die küstennahen Zonen beschränkt. Dafür betrieben sie die Viehzucht, und domestizierten erstmalig sogar schon das Pferd. Den Spuren an Knochen zufolge diente es jedoch zunächst als Fleischlieferant, nicht als Reittier. Mit der unteren Wolga als Zentrum, lebten sie über einen ausgesprochen weiten Raum verstreut, das sie selbst im Westen Sibiriens, möglicherweise sogar in der Kirgisensteppe vorkamen. Die „Sintflut“ im Schwarzen Meer dürfte sie kaum betroffen haben, aber spätestens die Klimaverschlechterung gegen 6200 v. Chr. trieb sie dann in der Region zwischen Schwarzem Meer, Kaspischen See, Don, Wolga und Ural zusammen. Noch deutet nichts darauf hin, daß gerade sie es sein werden, die einmal das Ende der Donau- Kulturen einläuten sollten.

Ein ähnliches Bild bietet auch die nachfolgende Kultur von Samara, die sich über das gesamte sechste Jahrtausend vor Christus erstreckte. Sie hatte bereits die südliche Ukraine erreicht, und von Südwesten her hielt die Kunst der Feldbestellung Einzug.

In der Folgezeit fand eine leichte Regionalisierung statt. Die an der mittleren Wolga verbleibende Bevölkerung entwickelte sich zur Chvalynsk- Kultur weiter, während der nach Westen vorgedrungene Teil am Schwarzen Meer die Kulturen von Mariopol und Tschapli begründete, die um 4500 v. Chr. in diejenige von Srednij Stog übergingen.

Das sind nun ausgesprochen viele exotische Namen, daß man sich zu recht fragen wird, was zum Henker die Elshan-/ Samara-/ Chvalynsk-/ Mariopol-/ Tschapli-/ Srednij Stog- Leute überhaupt mit uns und dem ganzen Kontext zu tun haben. Nun, aus ihren Reihen soll sich einmal die Kurgan- Kultur herausbilden , zu der mit ziemlicher Sicherheit auch die Kultur der Schnurkeramiker gehört. Noch möchte ich nicht zu viel verraten, aber wo immer die Kurgan- Leute bzw. Schnurkeramiker hingelangt sind, lassen sich später indogermanische Völker nachweisen. Ob die Schnurkeramiker (bzw. „Streitaxt- Leute“) mit den Indogermanen identisch gewesen sind, läßt sich vermuten, aber nicht beweisen, da sie keine Schriftstücke hinterlassen haben. Die Schnurkeramiker sind allein mit archäologischen, und die Indogermanen nur mit sprachwissenschaftlichen Methoden definiert; solange es hier kein verbindendes Beweisstück gibt, werden sie sich nicht miteinander korrelieren lassen.

Die Handelsbeziehungen zwischen ihnen und ihren Agidel- Nachbarn blieben auf jeden Fall weiter bestehen. Dies läßt sich nicht nur archäologisch anhand von Fundstücken belegen, die wohl getauscht worden sind, sondern möglicherweise auch sprachwissenschaftlich: Das Indogermanische und das Uralische (bzw. finno- ugrische) sind eng miteinander verwandt. Dies gilt nicht nur für „normale“ Worte, die auf dem Handelsweg Verbreitung gefunden haben mögen, sondern sogar für die Wurzeln „elementarer“ Vokabeln, wie etwas „tragen“, „bringen“ und „machen“.

Erst gegen 4500 v. Chr., als große Teile der mutmaßlichen Indogermanen weiter nach Westen abwanderten, riß dieser Kontakt ab. Die Fortziehenden gründeten an der Westküste des Schwarzen Meeres die von Moldau bis Bulgarien reichende Suvorovo- Kultur. Ihre Blütezeit fällt in etwa zwischen die Jahre 4500 und 4100 v. Chr.. Man erlernte hier die Kunst der Metallverarbeitung: Der älteste Goldschatz der Welt, gefunden in einem Gräberfeld bei Varna, entstammt jener Gruppe. Dieser Fund macht aber auch klar, daß es ab nun eine Führungsschicht gibt, denen man wertvollere Beigaben auf ihre Reise ins Jenseits mitgegeben hat.

Freilich ist auch für die Suvorovo- Gemeinschaften die hierarchische Gliederung eine Neuerung. Schließlich braucht ein Herrscher eine gewisse Anzahl von Untertanen vor Ort, um überhaupt eine Basis zur Ausübung von Macht zu haben – bei einer Vergangenheit als weit verstreut lebende Hirtennomaden hätte eine solche Gesellschaftsform nicht viel Sinn gemacht. Während der Wanderung nach Südwesten müssen sich die einzelnen Sippen und Clans dann zu so etwas wie einem Stamm vereint haben. Menschenmassen brauchen jemanden, der sie koordiniert – Bei den Germanen wurde für solche Fälle ein „Herzog“ gewählt, bei den Suvorovo- Leuten ist etwas Ähnliches vorstellbar. Und als man dann in die neuen Wohnsitze eingezogen war, bot es sich an, diese Oberhoheit beizubehalten, um auch die Eingeborenen zu regieren – Ansonsten hätten sie die Eindringlinge wohl bei der nächstbesten Gelegenheit wieder zurück in die Steppe gejagt.

Ab jetzt werden diese heimatlosen Gesellen auch nach ihrer charakteristischsten Hinterlassenschaft benannt, dem Grabhügel oder „Kurgan“ (Es werden aber auch die Bezeichnungen „Ockergrab-“ und „Grubengrab- Kultur“ verwendet). Die Stufe „Kurgan I“ bezeichnet dabei die erste Wanderungsbewegung zwischen 4500 und 4300 v. Chr., welche die Hirtenstämme an die Donau und die umgebende Schwarzmeerküste gebracht hat. Ihr Auftauchen führte bei den endemischen Völkern umgehend zum Bau befestigter Siedlungen, nicht selten in schwer zugänglichen Höhenlagen. Die meisten sind früher oder später erstürmt und zerstört worden.

Ab 3500 v. Chr. kam es dann zu einem zweiten Schub, „Kurgan II“ genannt, der sie ins Landesinnere vorstoßen ließ, bis an die südwestlichen Ausläufer der Alpen. Damit verbunden war eine neue Einwanderung von Proto- Indogermanen aus dem Bereich der Südukraine gegen 3300 v. Chr.. Die brachten den Wagen (und damit auch das Rad) mit, und durch Vermischung mit den Suvorovo- Leuten kam in Bulgarien die Ezero- Kultur auf. Sie hatte bis 2700 v. Chr. Bestand und fand Verbreitung bis nach Anatolien hinein. Um mit dem Eindringen der Palaer, Luwier oder gar der Proto- Hethiter in Kleinasien zu tun haben zu können, war sie allerdings bei weitem zu früh.

„Kurgan III“, das zwischen 3100 und 2900 v. Chr. angesetzt wird, mündete schließlich in der klassisch schnurkeramischen Expansion, von der halb Europa betroffen war. Siedlungen wurden überrannt und zerstört, und Vorgängerkulturen ausgelöscht oder überprägt. Nicht einmal die teilweise noch mesolithisch geprägte Skandinavische Halbinsel blieb verschont. Diese Ära von Unruhe und Umbruch sollten auch die letzten Reste der Donau- Zivilisation nicht mehr überleben.

Wir haben also eine Flutkatastrophe. Aber anders als bei Plato steht sie am Anfang, nicht am Ende der Schwarzmeer- Kulturen. Die Kurgan- Leute mögen als „Urahnen“ der Athener gelten (sofern man die Ionier als Indogermanen sieht, und nicht als hellenisierte „Kranaer“), und haben zur Vernichtung dieser Gruppen beigetragen – Nur waren sie hier eher Angreifer, als Verteidiger. Auch hatte ihre Gesellschaftsform mehr Ähnlichkeit mit der atlantischen, als diejenige der unterworfenen Gruppen. Und eine Schrift haben sie aller Wahrscheinlichkeit noch nicht gekannt; wo sie die Dominanz erlangten, verschwanden die Glyphen der Vinča- Tordos- Gemeinschaften.

 

Kommentare  

#1 Pisanelli 2009-12-21 14:35
Äh, in der Einleitung meist Du da statt "Kolumnen" vielleicht eher "Kolonien" oder "Kommunen"? Eine Kolumne ist eine Artikelserie... :-*
#2 Harantor 2009-12-21 14:50
Der Fehler geht auf mich bzw. eines Fehlklicks auf die automatische Wortvorschläge der Rechtschreibkorrektur zurück... - Edi trifft keine Schuld

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