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Die Bewandtnis mit Atlantis: 3. Der archäologische Befund - Die Dimini- Kultur

Die Bewandtnis mit Atlantis3. Der archäologische Befund -
Die Dimini- Kultur: Fast schon vor den Toren Athens

Ihren Ursprung hatten die (Linear-) Bandkeramiker auf der Balkan- Halbinsel gehabt, also wäre es nur logisch, dort weiter zu suchen. Atlantis soll Kolonien gegründet haben, und es ist recht wahrscheinlich, daß die nach dem Vorbild der Mutterstadt angelegt worden sind. Wenn wir also ein Riesen- Erdwerk suchen, mit Wällen aus Stein, das vielleicht sogar noch auf einer untergegangenen Insel gelegen ist, müßten wir es am ehesten im Südosten Europas vermuten. Platos Erwähnung, Atlantis habe sich mit Ur- Athen gemessen, legt es fast schon nahe, sich bei der Spurensuche zunächst auf die griechische Halbinsel zu konzentrieren.

 

In der Tat sind Kulturimpulse aus dem anatolischen Großraum schon recht früh bis hierher vorgedrungen. Es ist nicht ganz klar, ab wann man im Raum des östlichen Mittelmeeres von Seehandel sprechen kann. In der Franchthi- Höhle im Nordosten der Peloponnes, die seit circa 10.000 v. Chr. bewohnt gewesen ist, hat man Werkzeuge aus Obsidian gefunden. Wichtigster Fundort dieses vulkanischen Glases ist aber die Kykladeninsel Melos.

Gegen 7000 v. Chr. ging man auch hier zum Ackerbau über (Funde in Knossos [Kreta], Argissa [Thessalische Tiefebene] und der Franchthi- Höhle [nordöstliche Peleponnes]); es sollte allerdings noch volle 1500 Jahre dauern, bis sich diese neue Wirtschaftsform vollends durchgesetzt hatte. Dabei scheinen in dieser frühen Epoche noch keine Völkerwanderungen im Spiel gewesen zu sein (lediglich für Thessalien gibt es einen Nachweis; hier haben um 6700 v. Chr. vermutlich Überlebende der „Sintflut“ Zuflucht gesucht), sondern mehr die Verbreitung von Ideen und Techniken, unterstützt von den frühen Formen eines überregionalen Handels (Saatgut, Werkzeuge). Dafür sprechen auch die bekannten Siedlungsfunde im anatolischen und ägäischen Raum, die auf ein kontinuierliches Wachstum schließen lassen, und damit nicht auf die Abwanderung großer Bevölkerungsteile. Auch spricht das Fehlen von Verteidigungsanlagen und Zerstörungsschichten im siebten und sechsten Jahrtausend vor Christus für eine ausnehmend friedliche Ära; Auseinandersetzungen zwischen Kain und Abel, also zwischen Meso- und Neolithikern, scheinen die Ausnahme dargestellt zu haben.

Sesklo in Thessalien stellt einen weiteren Fundort dar, der diese frühe Blüte repräsentiert. Gegen 6500 v. Chr., also gerade mal zwei Jahrhunderte nach der „Sintflut“ im Schwarzen Meer, wurde hier bereits fleißig Keramik produziert, und man kannte auch schon den Webstuhl. Die halb im Boden versenkten Häuser waren mit ornamentalem Dekor geschmückt. Zwei weitere Jahrhunderte darauf dominierte ein viereckiger Gebäudetyp mit Wänden aus Stampflehm. Dem folgte um 6200 v. Chr. ein Hüttentyp mit hölzernen Eckpfeilern und Wänden aus Lehm und Flechtwerk. Ab 6000 v. Chr. setzten sich dann Steinfundament und getrocknete Lehmziegel durch.

An und bei 5700 v. Chr., also während der Klimaerwärmung, setzte der langsame Niedergang der Stadt ein, und es lassen sich für die erste Hälfte des sechsten Jahrtausends vor Christus Wanderungsbewegungen nachweisen, die sowohl vom Nahen Osten her, als auch aus dem nordgriechisch- makedonischen Raum in den Balkan führen. Zwei Jahrhunderte darauf waren andere Kulturen weiter im Norden richtungsweisend geworden, in erster Linie die Starčevo- Körös- Kultur. Nun zogen von dort aus wiederum Siedler aus, sowohl die Donau aufwärts (Linearbandkeramiker), als auch südwärts nach Griechenland. Die Bandkeramiker sollten bald Erdwerke bauen – Waren sie schon in der Heimat erfunden worden, oder kamen sie erst in den unruhigeren Zeiten zur Jahrtausendwende auf? Denn wenn sie schon vor dem Aufbruch bekannt gewesen waren, dürften auch die Einwanderer nach Hellas um sie gewußt haben. Und eben solche befestigten Kalender errichtet haben, um Zeitpunkt für Aussaat und Ernte bestimmen zu können…

Kein real bekanntes Land hängt so eng mit Platos Mythos zusammen wie dieses. Wenn es schon weit entfernt, in den Wäldern des späteren Mitteldeutschland, Bauwerke gab, die nach Atlantis‘ Grundriß angelegt waren, konnte man hier doch erst recht damit rechnen!

Und tatsächlich kennt man aus dem fünften Jahrtausend auch steinerne „Erd“- Werke. Das wohl imposanteste ist Dimini in Thessalien. Es liegt auf einer felsigen Erhebung von etwa 25 Metern Höhe. Heute ist es etwa drei Kilometer von der Küste entfernt, aber zwischen 4800 und 4500 v. Chr., als der Ort bewohnt worden war, hatte die Distanz nur einen Kilometer betragen. Es unterteilte sich in einen „Burgbereich“ („Akropolis“) auf der Erhebung, und eine „Vorsiedlung“, die sich über drei Hektar Umgebung erstreckt. Im Burgbereich finden sich ungefähr 30 bis 40 Bauten, die von 200 bis 300 Menschen bewohnt gewesen sein mochten. Sie waren klein und auf Steinfundamenten aus Lehmziegeln gegründet, dicht gedrängt zwischen den Umfassungsmauern. Im Zentrum findet sich eine unbebaute Stelle, die vielleicht als Markt- oder Versammlungsplatz genutzt worden ist.

Die erwähnten Mauern waren aus Steinplatten, die man mit Mörtel aus Lehm aneinander befestigt hatte. Insgesamt sechs von ihnen hat man nachweisen können, wobei man ihren Verlauf den Vorgaben des Geländes angepaßt hatte. Sie verliefen radial, konzentrisch, und wurden an je vier Stellen von Korridoren durchbrochen. Ihre Höhe betrug vermutlich drei Meter.

Welche Funktion sie innehatten, ist umstritten. Sollten sie zur Verteidigung gedient haben, so verwundert ihre hohe Zahl. Es mag sein, daß sie zur Abtrennung verschiedener Bezirke gedient haben. Eine Theorie besagt sogar, daß es sich bei ihnen lediglich um die Überreste zweier nahe beieinander liegender Bauphasen gehandelt haben soll, so daß demnach nur jeweils drei Mauern den Ort umgeben hätten.

Was die Vorsiedlung anbelangt, so läßt sich nur wenig Gesichertes sagen. Einiges deutet darauf hin, daß eine der Umfassungsmauern durch einen Graben ersetzt worden ist.

Es hätte schön gepaßt, hätte sich hier eine Überflutung nachweisen lassen, die zum Untergang Diminis geführt hätte. Doch stattdessen sind an mehreren Stellen Brandspuren entdeckt worden, die dafür sprechen, daß der Ort ein Raub der Flammen geworden ist.

Nach tausend Jahren war der Platz zu Beginn der Bronzezeit erneut besiedelt worden. Nach der langen Zeit hatte noch genug von den Umfassungsmauern gestanden, um sie ausbessern und verstärken zu können.

Damit gab es im fünften Jahrtausend vor Christus tatsächlich Orte mit dem für Atlantis beschriebenen Grundriß. Und das sogar in Hellas, so daß ein versuchter Übergriff in Richtung Attika durchaus vorstellbar ist. In der Tat kennt man von dort, wie auch von anderen Stellen des griechischen Festlands (u. a. Phokis, Böotien, Korinth und Lerna) Fundplätze, die trotz lokaler Eigenheiten deutlich Einflüsse der Dimini- Kultur erkennen lassen.

Diese ist allerdings keine bandkeramische Kultur. Dies zeigt sich unter anderem daran, daß die Keramik mit Mäander- und Spiralmustern verziert worden ist.

Es gab noch einige Variationen in Ort und Zeit, die für unseren Kontext jedoch ohne Belang sind. Wichtig ist, daß die damaligen Bewohner Griechenlands, die „Pelasger“, zu den sogenannten „alteuropäischen“ Völkern gehört haben, die ein damals weit verbreitetes, heute aber bis auf das Baskische fast ausgestorbenes Idiom gesprochen haben. Gegen 2200 v. Chr. wanderten helladische Stämme von Norden her ein, die zur Sprachfamilie der Indogermanen gehörten. Im Verlauf ihrer weiteren Ausbreitung in den nächsten anderthalb Jahrtausenden trafen sie noch auf andere „alteuropäische“ Völker, so die Minoer Kretas, die „Elymer“ Süditaliens und vermutlich auch die als „Trs“ oder „Tursa“ bekannten Etrusker. Wie sich die Minoer selbst genannt haben, ist unbekannt, aber ihre Insel taucht als „Keftiu“ bei den Ägyptern, und als „Caphtor“ bei den Israeliten auf – Im letzteren Fall als Herkunftsland der „Philister“, was eine Variante von „Pelasger“ sein mag. Das Siedlungsgebiet der Pelasger, Minoer und Elymer entspricht (zusammen mit dem südlichen Balkan und der Westküste Anatoliens) der Zone, in welcher der sogenannte „mediterrane Genotyp“ am stärksten vertreten ist. Er entspricht auch noch dem Kernbereich der griechischen Kultur in der Antike. Was die weitere Verbreitung angeht, weicht er jedoch ab von der Siedlungsgeschichte der Hellenen, und orientiert sich mehr an der westlichen und südlichen Schwarzmeer- Küste, sowie an den Ufern der dort mündenden Flüsse (Eine Häufung gibt es außerdem noch entlang der Adria und der Levante, sowie kurioserweise in Lappland und auf der Halbinsel Kola). Diese Ausdehnung kann nicht auf die Handels- und Siedlungsunternehmungen der Griechen zurückgeführt werden, die an den Gestaden der Donau eher wenig Interesse gehabt haben. Passen aber würde der Befund zur Wanderungsbewegung der Bandkeramiker, die diesen Fluß von der Mündung her aufwärts gezogen sind, und schließlich die Mitte Europas erreicht haben. Auch die Region um die Ukraine, von den weißrussischen Pripjet- Sümpfen im Norden bis auf die Halbinsel Krim im Süden, gehört in diesen genotypisch bestimmten Sektor – Kein antiker Hellene ist jemals bis nach Weißrußland gekommen. Dafür aber gab es bedeutende Kolonien in Gegenden, die nicht mehr von der Anhäufung des Genotyps abgedeckt werden. Massilia, das gesamte Emporion und die Ansiedlungen im Nildelta zum Beispiel fallen aus dem Schema heraus (von den Eroberungen und Gründungen aus hellenistischer Zeit wollen wir da gar nicht erst reden). Dafür entsprechen archäologische Funde, die den Griechen um Jahrtausende vorausgehen, den Befunden im Südosten Europas. Entlang der Gestade des Schwarzen Meeres sind für das sechste und fünfte Jahrtausend vor Christus gleich mehrere Völkchen nachgewiesen, die miteinander in Verbindung gestanden haben. Ja, es macht ganz den Eindruck, als habe diese später so „barbarische“ Region seinerzeit das kulturelle Zentrum der Menschheit dargestellt, so wie es von 3000 v. Chr. bis 1500 n. Chr. das Mittelmeer gewesen ist. So spricht einiges dafür, hier die „Wiege“ des mediterranen Genotyps anzusetzen. Daß die Verbreitung heute nicht mehr so eindeutig ist, wie sie damals gewesen sein mag, kann man natürlich auf die Ausdehnung der Griechen zurückführen, aber auch auf das Eindringen anderer Völker, und gerade Südrußland und die Balkanländer stellten das bevorzugte Durchmarschgebiet für alles dar, was aus Steppe oder Taiga nach Westen drängte. Seien es Kurgan- Leute oder Thraker, Kimmerier oder Skythen, Sarmaten oder Hunnen, Magyaren oder Bulgaren, Chazaren oder Petschenegen, Mongolen oder Turkvölker!

Tatsächlich haben sich nicht nur bei den Hellenen pelasgisch/ minoische Vokabeln gehalten, auch die Völker im Südosten Europas haben aller bewegter Geschichte zum Trotz Sprachgewohnheiten und Benennungen konserviert, die mit den Überbleibseln im Griechischen korrespondieren. Dies gilt insbesondere für Namen mit den Elementen „An-“, „Ok-“, „On-“ und „Obr-“/ „Opr-“.

Die Sitte der konzentrischen Befestigungsanlagen aber stammte nicht von den Pelasgern, sondern aus dem Raum der Starčevo- Körös- Kultur. Und wie es insbesondere die Unterwasser- archäologischen Forschungen von Herrn Dimitrow ergeben haben, hat es hier am Ufer des Schwarzen Meeres tatsächlich einmal eine Hochkultur gegeben, die einer Überschwemmungskatastrophe zum Opfer gefallen ist.

Heißt das, daß wir hier nach Atlantis suchen müssen?

 

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