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Die Bewandtnis mit Atlantis: 3. Der archäologische Befund - Die Bandkeramiker

Die Bewandtnis mit Atlantis3. Der archäologische Befund
Die Bandkeramiker: Wohnen im Kalender

Man mag es kaum glauben, aber zu einer bestimmten Zeit in der Vorgeschichte Europas waren Anlagen mit dem Grundriß, wie er für Atlantis beschrieben worden ist, keine Seltenheit. Manche von ihnen waren sogar bewohnte Orte, während sich andere gerade mal in unmittelbarer Nachbarschaft einer Siedlung befanden. Auch waren die Ringe nicht aus Stein, sondern mit Palisaden bestückte Erdwälle, denen je ein Graben vorgelagert war. Sie gehörten in die Spätphase einer Zivilisation, die Wichtiges geleistet, aber weder Städte gegründet, noch den Status einer Hochkultur erlangt hat: Die Bandkeramiker!

 

Immerhin gehören sie jedoch in eine Epoche, die zu Platos Ära bereits fernste Vergangenheit gewesen war. Ihren Ursprung haben die Ersten von ihnen, die Linearbandkeramiker in der Starčevo- Körös- Kultur beiderseits der Donau, die ihre größte Ausdehnung im fünften Jahrtausend v. Chr. erreichte. Schließlich erstreckte sie sich von Makedonien bis Nordrumänien, und vom Plattensee bis nach Thrakien. Bei ihr war die Keramik etwas verschwenderischer mit Linien verziert gewesen, und Obsidian wurde bei der Herstellung steinerner Werkzeuge bevorzugt.

Die Donau aufwärts ziehend, erreichten die Linearbandkeramiker um 5500 v. Chr. den Süden Deutschlands und gegen Ende des Jahrtausends den Nordosten Frankreichs, den Westen der Ukraine und die norddeutsche Tiefebene.

Unterdessen nahm die Bevölkerungszahl dermaßen zu, daß man begann, sich gegenseitig in die Quere zu kommen. Dazu setzte gegen 5000 v. Chr. das Subboreal ein, das für ein trockener werdendes Klima steht. Die Jäger und Sammler sahen sich mit einer allmählichen Verschiebung der Faunen- und Florenprovinzen konfrontiert, die Bauern mit einer Verödung ihrer Felder. Es wurde unruhig in der bislang so friedlichen Welt: Funde von Schlachtkeulen und zeremoniellen Streitäxten häufen sich, und bei Talheim hat man die Überreste einer zur Gänze dahingemetzelten Dorfbevölkerung gefunden. Die Weiler wandelten sich mehr und mehr zu befestigten Siedlungen. Zum ersten Mal wurden Territorien beansprucht, und Findlinge als Grenzsteine eingesetzt. Die vergleichsweise friedlichen Zeiten hatten ein Ende gefunden…

Mehrere Gemeinschaften von zum Teil wohl mesolithischer Herkunft siedelten nun auf dem einstigen Gebiet der Linearbandkeramiker. Sie bildeten eine ganze Reihe kurzlebiger Regionalgruppen heraus (im Westen Deutschlands Hinkelstein, Großgartach, Rössen, Münchshöfen, Bischheim, Michelsberg und Wartberg, dazu in der Nachbarschaft: Baden, Bernburg, Chammer, Horgen, Goldberg etc. etc. pp.). Doch auch die Bandkeramiker im engeren Sinne hielten sich als „Stichbandkeramiker“ noch bis 4400 v. Chr. im Norden und Osten Mitteleuropas. Ihr Auftreten läutet bereits das Mittelneolithikum ein. All diese Gemeinschaften im bandkeramischen Kontext vollbrachten auf dem europäischen Kontinent wahre Pionierleistungen. Sie rodeten flußnahe Wälder, um auf fruchtbaren Lößböden Ackerbau zu betreiben. Ihr Auftreten bedeutet hierzulande das Ende des Meso- und den Anfang des Neolithikums. Sie erst brachten die Landwirtschaft in unsere Breiten. Freilich beherrschten sie noch keine ausreichenden Düngemethoden, so daß sie nach im Schnitt 21 Jahren gezwungen waren, weiter zu ziehen. Ihre nicht selten 20 bis 30 Meter langen Häuser ruhten auf tief in den Boden eingelassenen Pfählen – Die verrotteten natürlich mit der Zeit im feuchten Untergrund, doch da man nach zwei Jahrzehnten ohnehin weiterzog, war das zu verschmerzen. Vorgelagert waren Längsgruben, die den Abfall aufnahmen, und der anfangs rechteckige Grundriß der Hütten erlangte im Laufe der Jahrhunderte annähernd Schiffsform.

Benannt wurden die Menschen nach der für sie typischen Ritzverzierung der Keramik. Bei den Linearbandkeramikern waren durchgezogene Linienbänder charakteristisch, bei den Stichbandkeramikern aber gestichelte, wobei die parallel verlaufenden Schrammen mit Kalkpaste gefüllt wurden.

Die Handelsverbindungen reichten bis nach Nordafrika. Dies bedeutet allerdings nicht, daß sich einzelne Kaufleute auf die weite Reise gemacht haben, sondern daß Ware oder Geschenke mit benachbarten Sippen getauscht wurden, die wiederum Nachbarn gehabt haben, die dann auch wieder Kontakte zu weiteren Stämmen pflegten.

Obwohl die Siedlungen zur Zeit des Mittelneolithikums mehr und mehr den Charakter echter Dörfer annahmen, wurden sie weiterhin regelmäßig aufgelassen. Trotzdem wurden um sie herum, oder doch in ihrer Nähe die erwähnten Wallringe angelegt, die unter dem Namen „Erdwerke“ Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden haben. Welchen Zweck sie erfüllt haben, ist unterschiedlich, und teilweise auch umstritten. Einfache Umfriedungen mögen zum Beispiel als Pferche fürs Vieh gedient haben. Aus mehreren Kreisen bestehende Befestigungen mögen auch zur Verteidigung genutzt worden sein. Allerdings treten oft Aussparungen auf, die als einzelnes Tor vielleicht nötig, als vier Tore aber schwer zu verteidigen waren. Sie waren nicht selten nach den Himmelsrichtungen orientiert, haben also dazu gedient, um die Bahn der Sonne zu messen, und damit den idealen Zeitpunkt für Aussaat und Ernte zu bestimmen. Darüber hinaus konnten damit auch die Termine für Frühlings- und Herbstfestivitäten festgelegt, und eine Art Kalender erstellt werden. In diesem Fall dienten die Bauten astronomisch- landwirtschaftlichen, aber in Folge vor allem auch kultischen Zwecken. Sie werden nach und nach wohl die Funktion von Tempeln oder Heiligen Hainen erfüllt haben, und Stätte jedweder religiöser Handlungen gewesen sein.

Auch als die letzten Überreste der Bandkeramiker zu Beginn des Jungpaläolithikums erloschen, und Kupfer und das Rad (ab 3300 v. Chr. in Deutschland nachgewiesen) Einzug hielten, wurde der Bau von Erdwerken beibehalten. Ja, sie bildeten inzwischen ausgedehnte Kultmittelpunkte (so bei der Michelsberger und der ihr folgenden Wartberg- Kultur). Die vorgelagerten Gräben dienten teilweise als Bestattungsort, nahmen aber auch Abfälle auf.

Allein daran ist zu erkennen, wie wichtig es für die frühen Bauern gewesen sein muß, zu wissen, in welcher Jahreszeit man sich gerade befand. Ursprünglich bediente man sich wohl markanter Punkte im Gelände, um Sonnen- und Mondbahn zu verfolgen. Dies funktionierte aber nur, wenn man relativ seßhaft blieb; für jede neue Heimat mußte man sich neue Orientierungshilfen suchen.

Zu den ersten Hilfsmitteln gehörten Peilstäbe, mit denen man die Position auf- und untergehender Himmelskörper definieren konnte. Sie waren aber nur von Einzelnen, Kundigen zu bedienen. Für die einfache Bevölkerung mußte etwas anderes her, das auch der gewöhnliche Landwirt verstand.

Diese Notwendigkeit sah man nahezu überall auf der Welt, und dementsprechend mannigfaltig sind die Bauten, die man sich zu diesem Zweck hat einfallen lassen. Es können Türme mit exakt plazierten Fenstern sein, so wie in Kyongju (Korea), aber auch aus Steinen gelegte „Medizin“- Räder mit penibel justierten Speichen (Wyoming), in den Fels gehauene Spiralen (Fajada, New Mexico) und genau ausgerichtete Steinplattformen, so wie die Sockel der Köpfe auf den Osterinseln. Die Hopi bauten ganze Häuser für die Sonne, die allein zur Feststellung ihrer Bahn dienten. Auch die Mayas richteten den Grundriß ihrer Tempel danach aus. Sogar die berühmten Scharrbilder von Nazca (Peru) wurden schon als Meßpunkte für die Jahreszeiten gedeutet.

Aber die Anfangs überwiegend agrarisch orientierten Messungen gewannen mehr und mehr auch eine mythologische Komponente. So ließen die Azteken ihre Priester alle 52 Jahre auf einen heiligen Berg steigen, und voller Sorge die Bahn der Plejaden beobachten. Wenn dieses Sternbild dann um Punkt Mitternacht den Zenit passiert hatte, wußten sie, daß das All noch nicht aus den Fugen geraten war, und die Welt weiterbestehen würde.

Ihre Nachbarn im Süden, die Mayas, führten sogar ganze „Sternenbücher“, in denen sie die Bahnen mehrerer Himmelskörper festhielten, wenn auch von einem geozentrischen Weltbild ausgehend.

Und spätestens gegen 2000 v. Chr. hatten die Ägypter herausbekommen, daß der Stern Sirius alle 1461 Jahre (!) am gleichen Tag zu Sonnenaufgang am selben Ort steht. Wie viele Jahrtausende astronomischer Beobachtung und penibler Dokumentation müssen dieser Erkenntnis vorausgegangen sein? Und das, wo die ältesten bekannten Hieroglyphen erst gegen 3000 v. Chr. nachgewiesen sind?

Die Tradition, Sonnenmessung und Kult miteinander zu kombinieren, hat sich übrigens in abgewandelter Form bis in die heutige Zeit gehalten, wenn man bedenkt, daß viele katholische Kirchen immer noch nach Osten (grob in Richtung Jerusalem) ausgerichtet werden.

Und bei den Stichbandkeramikern und verschiedenen Gruppen derselben oder einer kurz darauf folgenden Epoche (Michelsberger Kultur, Wartberg- Kultur etc.) hatten diese astronomischen Meßwarten eben die Form von einem bis mehreren konzentrischen Graben- und Wallringen, letztere oft mit Palisaden. Manche waren bewohnt, dienten also auch zur Verteidigung, und manche erreichten eine erstaunliche Größe. Trotzdem hätten sie in einem Referat über Atlantis nichts verloren, wenn es nicht eine Besonderheit gäbe: Der Grundriß, den Plato für die Hauptstadt des Inselreiches angibt, ist genau der eines Erdwerkes. Aus Stein gebaut zwar, nicht aus Holz und Erde, aber nichtsdestotrotz ein bewohntes System aus kreisrunden, einander umschließenden Mauern und Kanälen. Mit anderen Worten: Man konnte mit der Metropole nicht nur die Welt beherrschen, sondern auch die Jahreszeit messen. Sie war ein Kalender nach mittelneolithischer, europäischer Bauart.

Damit haben wir zum ersten Mal einen Hinweis darauf, daß es in der Vergangenheit Europas tatsächlich etwas gegeben hat, das der Schilderung des großen griechischen Philosophen entspricht.

Auch die speziell für Atlantis beschriebenen Stierkulte hat es hier schon gegeben, wie Rinder- Plastiken z. B. aus der Münchshofener Kultur zeigen.

Aber die Erdwerke waren nun mal aus Dreck und Palisaden errichtet, nicht aus rotem, weißem und schwarzem Stein. Desweiteren breiteten sich die Bandkeramiker zwar entlang der Donau aus, doch das offene Meer haben sie nie erreicht. Somit können sie auch kein Erdwerk auf einer heute im Atlantik versunkenen Insel errichtet haben. Auch nach Attika sind sie nie gekommen, um mit den Ur- Athenern Krieg zu führen. Und die kulturellen Errungenschaften, die Atlantis so hervorgehoben haben sollen, waren ihnen noch gänzlich unbekannt.

 

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