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Die Bewandtnis mit Atlantis: 2. Die historische Quellenlage - Die Checkliste

Die Bewandtnis mit Atlantis2. Die historische Quellenlage
Die Checkliste

Wenn wir die beiden vorangegangenen Kapitel ausleuchten, so wartet Plato mit einer ganzen Reihe von Details auf, welche seine Insel charakterisieren. Dabei ist ihm auch an einer geographischen Bestimmung gelegen. Freilich nennt er nur im Zusammenhang mit der Ausdehnung der zentralen Ebene konkrete Maße, aber die Erwähnung der „gadeirischen Gegend“ weist bereits in eine bestimmte Region. Eine, für die auch der Name des Eilandes selbst spricht: „Atlas‘ Insel“, oder eben „Atlantis“.

 

Ur- Athen wird ebenfalls in Einzelheiten geschildert, die zum Teil archäologisch verwertbar sein könnten (zum Beispiel die ursprüngliche Lage der Burg), aber darauf näher einzugehen, würde das Thema dieses Aufsatzes endgültig sprengen. Da es immer mit ein wenig Mühe verbunden ist, Timaios und Kritias nach bestimmten Textstellen abzusuchen, habe ich im Folgenden die kennzeichnenden Kriterien noch einmal aufgelistet. Hier zunächst die Punkte, die in der Timaios zu finden sind:

 

  • 1. Atlantis und Ur- Athen soll es 9000 Jahre vor Solon gegeben haben, also um 9600 v. Chr. herum.
  • 2. Die ägyptische Stadt Saïs soll 1000 Jahre nach Atlantis gegründet worden sein.
  • 3. Atlantis ist eine gewaltige Kriegsmacht gewesen.
  • 4. Atlantis hat vom Atlantik aus „übermütig“ „ganz Europa und Asien“ angegriffen, ist aber von Ur- Athen besiegt worden.
  • 5. Die Insel Atlantis lag vor den Säulen des Herakles.
  • 6. Die Insel Atlantis war größer als Asien und Libyer zusammen.
  • 7. Jenseits von Atlantis gab es weitere Inseln, über die man „auf das ganze gegenüberliegende Festland“ gelangen konnte, das „jenes recht eigentlich so zu nennende Meer umschließt“.
  • 8. Atlantis wurde von Königen beherrscht.
  • 9. Atlantis beherrschte weitere Inseln und Teile des Festlandes, am Mittelmeer bis nach Etrurien und Ägypten (das aber noch nicht erobert war).
  • 10. Anfangs haben alle Einwohner Griechenlands zu den Gegnern gezählt, aber im Verlauf des Krieges ist nur noch Ur- Athen übrig geblieben.
  • 11. Atlantis du Ur- Athen versanken gemeinsam „während eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht“ durch „gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen“.
  • 12. Durch den Untergang von Atlantis ist im Meer „sehr hoch aufgehäufter Schlamm“ übrig geblieben, der „die dortige See... unfahrbar und undurchforschbar“ gemacht hätte.
  • 13. Plato beteuert, seine Atlantis- Erzählung wäre „kein bloß erdichtetes Märchen, sondern eine wahre Geschichte“.
  • 14. Hier ist das Inselkönigreich in großen Zügen umrissen worden. In der Kritias dagegen geht er mehr ins Detail:
  • 15. Es haben zumeist der Schrift Unkundige die Katastrophe überlebt, weshalb es außerhalb Ägyptens keine Aufzeichnungen zu dem Thema gibt.
  • 16. Die Vernichtung der alten Burg Athens durch „Erdbeben und eine gewaltige Wasserflut“ fand als dritte Katastrophe „vor der Zerstörung zu Deukalions Zeit“ statt. Es wird zwar nicht explizit erwähnt, daß dieses Unglück das selbe ist, das Ur- Athen und Atlantis hat untergehen lassen, doch liegt die Vermutung nahe.
  • 17. Die bei Plato überlieferten Namen in Bezug auf Atlantis sind Übertragungen aus dem Ägyptischen. Wie die originalen Bezeichnungen geleitet haben, läßt sich demnach nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren.
  • 18. In der Mitte des Eilands befand sich an der Küste eine Ebene („die schönste und von ganz vorzüglicher Güte [des Bodens]“). An deren Rand befand sich ein „nach allen Seiten niedriger Berg“, der elf Kilometer vom Meer entfernt gelegen haben soll.
  • 19. Poseidon zeugte das Königsgeschlecht seiner Insel mit der Sterblichen Kleito, Tochter von Euenor und Leukippe.
  • 20. Der nach allen Seiten niedrige Berg ist von drei Ringen Wasser und zwei Ringen Erde umgeben gewesen.
  • 21. In der Anfangszeit gab es noch keine „Schiffe und Schiffahrt“.
  • 22. Dem niedrigen Berg entsprangen aus einer gemeinsamen Quelle ein warmer und ein kalter „Wassersprudel“. Sie trugen zur Fruchtbarkeit des Bodens bei.
  • 23. Poseidon hat mit Kleito fünf Zwillingspärchen gezeugt. Der jeweils Erstgeborene eines jeden Paares erhielt „den Wohnsitz seiner Mutter“ und die Königswürde.
  • 24. Der Erstgeborene der zehn Kinder hieß Atlas. Er wurde zum König über die Gesamtheit, und zum Namengeber des Eilands.
  • 25. Atlas‘ Zwillingsbruder hieß „Gadeiros“, was in der griechischen Übersetzung „Eumelos“ bedeuten würde.
  • 26. Gadeiros beherrschte „den äußersten Teil der Insel, von den Säulen des Herakles bis zu der Gegend, welche jetzt die gadeirische heißt“. Die Benennung der Region rührt von seinem Namen her.
  • 27. Die nächsten Paare waren (mit ihren griechischen Namen) Ampheres und Euämon, Mnaseas und Autochthon, Elasippos und Mestor, Azaës und Diaprepes. Sie beherrschten die übrigen Provinzen Atlantis‘ jenseits der Insel.
  • 28. Die Herrschaft der Zwillingspärchen ging auf deren Kinder über.
  • 29. Die Nachfahren des Atlas waren gleichfalls Großkönige des atlantischen Imperiums. Die Macht ging auf den jeweils ältesten Sohn über.
  • 30. Der Reichtum von Atlantis war ohne Beispiel, was auch an den natürlichen Vorkommen auf der Insel lag. „Könige von auswärtigen Ländern“ leisteten dazu ihren Beitrag, entweder aufgrund des Handels, oder aber durch Zahlen von Tributen.
  • 31. Auf Atlantis wurden nahezu alle Arten von Erz gefördert, inklusive des „Goldkupfererzes“ Oreichalkos, das im Wert gleich hinter dem Gold kam.
  • 32. Atlantis war in ausreichendem Maße von Wald bedeckt. Aber auch Sümpfe, Teiche, Flüsse, Berge und Ebenen werden erwähnt.
  • 33. Zu der mannigfaltigen Fauna, die das Eiland beherbergte, gehörten auch Elefanten.
  • 34. Zur genutzten Flora gehören Wurzeln, Gras, Hölzer, „hervorquellende Säfte“, Blumen, Obst und Gemüse. Gesondert erwähnt werden eine „milde“ und eine „trockene“ Frucht, sowie eine „Baumartige“, die „Trank und Speise und Salböl liefert“.
  • 35. Atlantis war „durchweg den Einwirkungen der Sonne zugänglich“, genoß also ein warmes Klima.
  • 36. Es gab eine Reihe von Tempeln, Königshäusern, Häfen und Schiffswerften.
  • 37. Auf dem niedrigen Berg stand eine Königsburg
  • 38. Die Wasser- und Erdringe, die den niedrigen Berg umgeben, sind zu einem System von Stadtmauern und -gräben ausgebaut worden. Ein Kanal von circa 100 Metern Breite, 30 Metern Tiefe und 10 Kilometern Länge verband letztere mit dem Meer. Die Durchbrüche in den Wällen waren groß genug, daß Triremen hindurchfahren konnten. Der äußerste Wasserring war drei Stadien breit, der niedrige Berg fünf Stadien. Eine Brücke von einem Plethron Breite führte über die Gräben.
  • 39. Die Stadtmauern um die Wälle (mit Türmen und Toren zum Meer hin) und einige Gebäude wurden aus weißen, schwarzen und roten Steinen errichtet, die von der Insel selbst stammten.
  • 40. Wir haben es bei den Bollwerken um ein System aus Doppelmauern zu tun, deren Zwischenraum mit Erde (bzw. einem Erdwall) verfüllt ist, oder aus Fels besteht. Die Außenseiten dieser Konstruktionen wurden mit Erz, die Innenseiten mit Zinn überzogen. Der aus Erde oder Stein bestehende Bereich ist breit genug, um Stadtviertel darauf zu errichten, oder Kavernen für Werften heraus zu meißeln.
  • 41. Die Königsburg war mit Oreichalkos überzogen, das einen feuerähnlichen Glanz hatte.
  • 42. In der Königsburg gab es die königliche Wohnung, einen Opfertempel der Kleito und des Poseidon und einen Extra- Tempel nur für Poseidon von „etwas barbarischem Ansehen“. Letzterer war an die 200 Meter lang, 100 Meter breit, und mit silbernen Wänden und goldenen Zinnen versehen. Gold, Silber und Oreichalkos hatten auch bei der Innenausstattung Verwendung gefunden. Aufgestellt war eine Statue Poseidons im Streitwagen, den auf Delphinen reitende Nereiden (Meeresgöttinnen) umgaben, sowie weitere Kunstwerke. Auch die herrschaftlichen Familien waren auf Bildsäulen dargestellt.
  • 43. Die Quellen wässerten einen Hain auf dem niedrigen Berg, aber auch verschiedene Bäder, die teils überdacht, teils unter freiem Himmel waren.
  • 44. Zumindest auf der Königsburg gab es eine Kanalisation.
  • 45. Auf dem niedrigen Berg gab es weitere Heiligtümer, Gärten und Sportplätze.
  • 46. Die Stadt Atlantis hatte eine Pferderennbahn von einem Stadion (ca. 178 Meter) Breite, die komplett um die Größere der beiden ringförmigen Inseln führte, welche den niedrigen Berg umgaben.
  • 47. Die gemeinen Dienstboten und Stadtwachen waren entlang der Rennbahn untergebracht, die „zuverlässigeren“ im Bereich des kleineren, näher an der Burg gelegeneren Wallringes, und die treuesten in der Königsburg selbst.
  • 48. Die Schiffsarsenale waren groß genug, um mehrere Triremen aufnehmen zu können.
  • 49. Die äußerste Stadtmauer, die am Meer begann, war „mit vielen und dichtgedrängten Wohnungen umgeben“.
  • 50. Ein Großteil von Atlantis war sehr hochgelegen und ragte „steil aus dem Meere auf“. Die Hauptstadt dagegen lag in einer Ebene von länglicher Gestalt, die zu drei Seiten von Gebirge umschlossen war. Dieses flache Tiefland maß von West nach Ost circa 534 Kilometer, aber von der Küste im Süden zu den Bergen im Norden nur etwa 356 Kilometer.
  • 51. Ein künstlicher, nahezu rechtwinkliger Kanal von knapp 30 Metern Tiefe, 178 Metern Breite und 1780 Kilometern Gesamtlänge soll um die gesamte Ebene herumgeführt haben. Von seinem oberen Teil zweigten drei Hektarmeter breite Kanäle ab, die in schnurgeradem Verlauf das Land bewässerten.
  • 52. Die Berge hatten Postkarten- Qualität und waren reich an Wild und Wäldern. Das geschlagene Holz wurde auch über die Kanäle transportiert.
  • 53. Die Bergbewohner waren reich an Zahl und lebten in einer Reihe von Marktflecken.
  • 54. Auf Atlantis gab es warme Sommer und regnerische Winter, so daß pro Jahr zwei Ernten eingefahren werden konnten. Dies spricht für ein mediterran bis subtropisch geprägtes Seeklima.
  • 55. In der Ebene lebten sechzigtausend „kriegstüchtige Männer“, und im „übrigen Lande“ eine „unsägliche Menschenmasse“.
  • 56. Streitwagen stellten einen wesentlichen Anteil am Heer von Atlantis.
  • 57. Als weitere Einheiten gab es Schwerbewaffnete, Bogen- und Schleuderschützen, Stein- und Speerwerfer, sowie Seeleute für insgesamt 1200 Schiffe.
  • 58. Gegenüber ihren Untertanen hatten die zehn Könige eine unbeschränkte Gewalt, doch mußten sie ihre Taten und Untaten alle fünf bis sechs Jahre vor den anderen Herrschern rechtfertigen.
  • 59. Das Recht, nachdem die Monarchen übereinander urteilten, war (zusammen mit einer Schwurformel) in einer Säule aus Oreichalkos eingraviert. Damit verfügte man in Atlantis über eine Schrift.
  • 60. Mit dem Treffen der Könige ist ein Stierkult verbunden. Die Herrscher müssen das Tier allein mit Knitteln und Stricken fangen, um es anschließend über der Gesetzesinschrift zu opfern. Auch das Blut des Rindes spielte bei einer anschließenden Trank- Zeremonie eine Rolle.
  • 61. Die Könige durften sich niemals gegeneinander wenden, es sei denn durch Mehrheitsbeschluß.

 

Somit haben wir ein 60- Punkte- Programm, das wir bei der Untersuchung alter Schriften und archäologischer Fundstätten anwenden können, um zu überprüfen, wie viele Übereinstimmungen es zwischen ihnen und der Beschreibung Platos gibt. Selbstverständlich muß nicht jeder Punkt im gleichen Maße wie jeder andere gewichtet werden. Aber auch qualitative Unterschiede können eine quantitative Häufung von Koinzidenzen nicht hervorrufen oder beseitigen.

Auf der Konferenz mehrerer Koryphäen im Sommer 2005 auf der griechischen Insel Milos ist ein ähnlicher Plan erstellt worden, der allerdings mit nur 24 Kriterien auskommt. Darunter sind allerdings auch zwei Bedingungen, deren Begründung ich weder in der Timaios, noch in der Kritias habe finden können. Zum einen sollen sich noch Teile des versunkenen Eilands oberhalb des Meeresspiegels befinden. Zum anderen soll auf der Insel ein Nordwind vorherrschen, was ein Beweis dafür wäre, sie auf der Nordhalbkugel zu lokalisieren. Nun ja, das Gebiet vor den „Säulen des Herakles“ wird vom Nordost- Passat erfaßt. Vor der Ostküste Nordamerikas dreht der aber ab, und kommt dann aus Südwest. Gleiches gilt für seinen pazifischen Namensvetter vor dem asiatischen Kontinent. Und der indische Monsun kommt von Süden, weil er einfach über den Äquator hinweg nordwärts bläst. Die Nord- Regel ist also nicht in jedem Fall gültig.

 

 

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