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Die Bewandtnis mit Atlantis: 2. Die historische Quellenlage - Plato

Die Bewandtnis mit Atlantis2. Die historische Quellenlage
Plato, der philosophierende Höhlenmensch

Sathon, „Pimmelchen“, so nennt Antisthenes eine seiner Schriften, und er veralbert damit seinen „Mitschüler“ Plato(n). Antisthenes begründete die philosophische Richtung der Kyniker, die grundsätzlich alles in Frage stellten, was nicht Teil der subjektiv erlebbaren Realität war. Auch setzten sie das Sein über den Schein, und die Persönlichkeit über den Trieb. Noch heute schimpft man den Welt und Menschen verachtenden Spötter einen „Zyniker“.

 

Was aber hat Antisthenes gehabt gegen jemanden, der einmal sein Gefährte gewesen ist? Wer war dieser Plato überhaupt? Nun, um mit den Eckdaten anzufangen: Er wurde um 428/ 427 v. Chr. unter dem Namen „Aristokles“ geboren, verstarb im Jahre 347 v. Chr. und entstammte einem vornehmen Adelsgeschlecht Athens. Der berühmte Gesetzgeber Solon zählte zu seinen Vorfahren, aber er war auch der Neffe des Kritias, eines der schlimmsten unter den „30 Tyrannen“. Diese waren von den Spartanern als Herrscher eingesetzt worden, nachdem sie die Athener im Peloponnesischen Krieg besiegt hatten.

Auch dem jungen Plato wäre eine Laufbahn in der Politik vorgegeben gewesen, doch nach dem Sturz der Oligarchen hing ihm seine Verwandtschaft und Freundschaft mit Kritias und einigen seiner Mitregenten wie ein Klotz am Bein.

Aber es war eine andere Beziehung, die ihm die erstrebte Karriere letzten Endes vollends verbauen sollte: Als er gerade zwanzig Lenze zählte, lief ein damals schon über sechzig Jahre alter Mann durch die Gassen Athens. Er sprach zum Teil wildfremde Leute an und verwickelte sie in ein Gespräch über scheinbar alltägliche Dinge, denen er dann regelmäßig philosophische Aspekte abgewann. Dieser Mann hieß „Sokrates“, war ein Veteran aus dem Peloponnesischen Krieg und auch sonst nicht gern zuhause: Der Name seiner Gattin Xanthippe gilt heute noch als Synonym für ein zänkisches Weib. Andererseits sind auch die wenigsten Frauen damit einverstanden, wenn ihr lieber Herr Gemahl den ganzen Tag damit verplempert, barfuß und in schmucklosen Kleidern auf der Straße herumzulungern.

Plato aber zog er in seinen Bann, und so wurde der Fürstensohn zu einem seiner Anhänger. Zusammen mit weiteren jungen Kerlen hockten sie auf dem Marktplatz oder sonstwo in der Öffentlichkeit, und ergründeten bis zum Abendrot mittels Fragen, Antworten und skeptischem Nachfragen das Wesen der Dinge. Dabei wurden auch religiöse und gesellschaftliche Tabus kritisch hinterfragt, und das sollte dem nunmehr siebzigjährigen Sokrates zum Verhängnis werden: Er wurde wegen „Volksverhetzung“, „Mißachtung der Staatsgötter“ (bzw. „Gottlosigkeit“) und „Verführung der Jugend“ zum Tode verurteilt und mit dem berühmt- berüchtigten Schierlingsbecher vergiftet.

Damit wäre Plato als einer seiner Schüler für den Staatsdienst untragbar gewesen. Er hat es nie verwunden, und Zeit seines Lebens immer wieder politische Überlegungen und Theorien mit der Philosophie verknüpft. Denn diese Wissenschaft war es, der er sich von nun an vorrangig widmete – Anders als sein aus einfachen Verhältnissen stammender Lehrer, verfügte er auch über das Geld, um es sich leisten zu können. Er ging kurz nach Megara ins Exil, und unternahm alsdann ausgedehnte Reisen nach Unteritalien, Sizilien und wohl auch Ägypten, um die Schriften der dortigen Denker zu studieren. Die Legende besagt, daß er dem Herrscher von Syrakus dabei dermaßen auf die Nerven ging, daß er als Sklave verkauft wurde, und von einem Freund ausgelöst werden mußte.

Zurück in Athen, gründete er eigene Akademie, und sammelte selbst Jünger um sich, zu denen auch der später berühmte Aristoteles gehörte. Aber er unterrichtete nicht nur, er schrieb auch, und das nicht zu knapp. Zu seinen frühesten Werken gehört die Apologie, in der er – leider zu spät – Sokrates und dessen Lehren verteidigt. In die selbe Kerbe schlägt die Kriton, in der er die Gesetzestreue seines Meisters beteuert. Mit dem kritischen Denken, das man ihm gelehrt hat, betrachtet er alsdann auch schon die Frömmigkeit (in der Eutyphron), die Tugenden und die philosophische Tradition der Sophistik (in der Protagoras). Im weiteren Verlauf seines Lebens nimmt er sich Natur und Rhetorik vor (Gorgias), Seele und Erkenntnis (Menon), und entwirft auch den Aufbau eines Staates, den er für den idealen hält (Politeia).
In seiner sogenannten „Reifezeit“ dann widmet er sich der amoenokratischen Verherrlichung des Eros und des Schönen (Symposion), der Ideenlehre und der Dreiteilung der Seele (Phaidros). Außerdem ergänzt er seine Politeia noch einmal um neun Anschlußbände. Doch das letztgenannte Thema läßt ihn auch im Alter noch nicht los, und so taucht es in beiden für diesen Aufsatz relevanten Arbeiten auf, sowohl in seinem Werk über den Kosmos (Timaios), als auch in der direkt auf Atlantis bezogenen Kritias. Sie bilden eine Trilogie zusammen mit der Hermokrates, in der das Eiland jedoch keine Rolle spielt. Alle Drei sind gegen 360 v. Chr. abgefaßt worden. Ansonsten betrachtet er noch mal die Werke der Sophisten (Sophistes). Kurz vor seinem Tod hegt er doch Zweifel daran, daß seine Auffassung vom idealen Staat wirklich realitätsnah ist. Also entwirft er mit den Nomoi die Grundzüge der „Zweitbesten“ aller Verfassungen.

Diese Auflistung stellt nur eine Auswahl seiner Werke dar, und auch sie wiederum enthalten nur einen Teil seiner Lehren. Denn wie meinte er in dem siebten und einzig echten der dreizehn ihm zugeschriebenen Briefe: „Von mir gibt es keine Schrift über diese Thematik, noch wird es je eine geben, denn sie läßt sich nicht, wie andere Lehren, sprachlich mitteilen...“

Zu Anfang spricht aus Plato die Unzufriedenheit mit den herrschenden Zuständen in Wissenschaft und Politik. Sokrates‘ Hinrichtung war gewiß der Auslöser, und jugendliche Aufsässigkeit vielleicht mit beteiligt, aber der Frust über sein unverschuldetes Ausscheiden aus der politischen Laufbahn dürfte die eigentliche Triebfeder gewesen sein. Daraus entwickelt sich die Kritik an den Herrschaftssystemen seiner Zeit, denen er die Politeia entgegensetzt, und an den Sophisten, die den Menschen als Maß aller Dinge sehen, während er die Idee des Wahren, Guten, Schönen ins Zentrum stellt.

Ein Beispiel für Letzteres sind die mathematischen Gesetze, die es ja gibt, obwohl es sich um nichts handelt, was man unmittelbar mit Auge und Ohren erfassen kann. Ein anderes ist das berühmte Höhlengleichnis, in dem der unwissende Mensch durch einen Gefesselten symbolisiert wird. Draußen vor dem Eingang brennt ein Feuer, das die Schatten vorüber Gehender hinein wirft, auf eine Felswand, die der Gefangene als Einziges sehen kann. Da er die Welt in Freiheit nicht kennt, hält er die Abbilder für die einzig wahre Realität. Erst wenn man ihm die Stricke löst, wird er die wahre Natur begreifen, und erst wenn er hinaus tritt, die Welt als Ganzes erkennen. Mit anderen Worten: Unsere alltägliche Realität ist nur das Echo einer echten, ewigen Wirklichkeit, die es durch Befreiung des eigenen Geistes zu entdecken gilt. Diese „echte, ewige Wirklichkeit“ ist für ihn das Reich der Ideen, und zu dessen Erforschung prägt er den Begriff „Dialektik“.

Die Seele fungiert für ihn als Mittler zwischen beiden Welten, wobei auch sie einmal aufgrund eines Gedankens entstanden ist. Einflüsse aus der Alltagsrealität beeinträchtigen jedoch die Erkenntnis. Die Sinne können nur dabei helfen, sich an Vergessenes zu erinnern, nicht aber, neues Wissen hervorrufen. Unverfälscht ist die geistige Sphäre das Schöne an sich, und die Zuneigung zu diesem Ideal ist es, was man ursprünglich unter „Platonischer Liebe“ verstanden hat.
Die Seele selbst sieht er als dreigeteilt an. Nur die Menschen besitzen das unsterbliche vernunftbegabte Drittel (im Kopfbereich), während der Mut (in der Brust) auch bei den Tieren, und die Begierde (im Unterleib) sogar bei den Pflanzen vorkommt. Manche Aspekte dieser Lehre nehmen bereits Siegmund Freuds Arbeiten vorweg, wenn die Vernunft als „Ich“ die Aufgabe hat, den Mut als „Über- Ich“ und den Trieb als „Es“ miteinander in Einklang zu bringen, um nach den vier Kardinaltugenden (Weisheit, Courage, Selbstzucht und ausgleichende Gerechtigkeit) zu streben. Darum sieht er in dem „Guten“ auch nicht das, was Körper oder Pragmatismus als „gut“ empfinden (z. B. leckere Speisen oder das Reparieren eines Loches im Dach), sondern die Höchste aller Ideen. Sie ist noch mehr Wert als die Weisheit, und Ziel allen Strebens.

Plato glaubt auch an die Wiedergeburt, wobei seine von der Philosophenschule der Pythagoreer übernommenen Vorstellungen hier und da recht lustig zu lesen sind. Frauen sind für ihn zum Beispiel wieder zur Welt gekommene Feiglinge. In der selben Tradition stehen auch seine kosmologischen Vorstellungen, in denen ein Schöpfergott, „Demiurg“ genannt, zuerst den Raum kreiert, und dann die Materie nach dem Muster der Ideen gruppiert. Es gibt auch schon eine vage Vorstellungen von kleinsten Bestandteilen, die allerdings noch nicht als atomos gedacht werden, wie bei seinem vielleicht dreißig Jahre älteren Zeitgenossen Demokrit, sondern als regelmäßige Polyeder mit einer Unzahl von Flächen.

Bei alledem wird deutlich, daß Plato eine mystische Ausrichtung der Philosophie verfolgt, die eine Abkehr vom Banalen, Materiellen zugunsten des Idealen, Erdachten und Schönen propagiert. Da ist es klar, daß er in Gegensatz zu den Kynikern geraten muß, die ganz nach Sokrates‘ Skeptizismus im Unmittelbaren ansetzten. Für Antisthenes war real, was er mit seinen Sinnen als real erlebte – Platos abgehobener Überbau kam ihm da wie bloße Spinnerei vor. „Das Pferd sehe ich wohl, nicht aber die Pferdheit,“ lautete sein Kommentar.

Diese Annahme einer metaphysischen Ordnung spiegelt sich auch in Platos Vorstellung von einem perfekten Staatssystem wieder. Daß es in seiner Politeia eine Herrscherkaste gibt, so wie er einer adeligen Familie entstammt, und die Könige allesamt Philosophen sein sollten, läßt seinen Wunsch erkennen, doch noch die alte Karriereleiter wieder erklimmen zu dürfen. So manches, was damals skurril wirkte, ist es heute immer noch. Er teilt die Männer in drei Gesellschaftsschichten ein, die alle ihren Beitrag zum Gemeinwesen zu leisten haben: Die Arbeiter, die Soldaten und die Fürsten. Sklaverei gibt es in der Politeia nicht (oder wird auch einfach nur nicht erwähnt), aber andererseits auch keine Freiheit. Frauen, Kinder und Besitzungen gelten als Gemeinschaftseigentum, das aber dem Stand der Arbeiter verwehrt bleibt. In welche Kaste man gehört, bestimmt nicht die Herkunft, sondern die charakterliche Entwicklung. Paare werden nicht durch Liebe oder wirtschaftliche Interessen zusammengeführt, sondern aufgrund von Zuchtmerkmalen, die es zu vererben gilt. „Ungeplante“ Sprößlinge der Arbeiterschicht sollen umgebracht werden. Auch die Kardinaltugenden tauchen wieder auf, wobei den Führern die Weisheit, den Wächtern die Courage und den übrigen die Selbstzucht auferlegt wird: die Gerechtigkeit entsteht alsdann durch das harmonische Miteinander aller.

Es ist klar, daß bei soviel Utopie Zweifel aufkamen, ob der große Philosoph noch alle Tassen im Schrank hatte. Also braucht es die Realität, um allen Kritikern klarzumachen, daß es sich nicht um bloße Hirngespinste handelt. Aber keine der Staaten zu seiner Zeit verfolgte eine solche Staatsordnung, und seine für Syrakus geschriebene Verfassung wurde aus für ihn vielleicht unerfindlichen Gründen nicht umgesetzt. Was also macht man? Damals erfreuten sich Herodots Werke gerade großer Beliebtheit. Sie erzählten von exotischen Völkern, die nur mancher Seemann je kennengelernt hatte, und von verwunschenen Zeiten, von denen nur die Gelehrten und Priester noch Kenntnis haben. Plato kannte diese Schriften, als er um 360 v. Chr. herum über ein Athen in ferner Vergangenheit schrieb, das nach seinen Vorstellungen regiert worden war. Aber da es nicht mehr bestand, mußte es untergegangen sein – Keine guten Voraussetzungen, um als beste aller Staatsformen durchzugehen. Anders war es jedoch, wenn sie einer Naturkatastrophe zum Opfer gefallen war, und sich zuvor gegen einen übermächtigen Feind behauptet hätte. Einen namens Atlantis...

Freilich wirkt es nicht besonders glaubwürdig, wenn man selbst ein angebliches Faktum aus dem Hut zaubert, nachdem einem zuvor vorgeworfen worden ist, die Bodenhaftung verloren zu haben. Aber Plato hat ohnehin fast immer andere über seine Gedankenränge reden lassen. So auch in der Timaios und der Kritias, in denen es um dieses legendäre Inselreich geht. Bei derartigen Dialogen handelt es sich um ein in der Antike beliebtes Stilmittel. Zum einen ließen sich damit Gedankengänge in dialektischer Tradition darstellen, zum anderen lockerte man die bisweilen trockenen Schilderungen gerne mit wörtlicher Rede auf. Auch bot sich dem Autor so die Möglichkeit, eigene Absichten pointiert zwischen den Zeilen zu plazieren. Es versteht sich also von selbst, daß die Reden und Gespräche, falls sie überhaupt je stattgefunden haben, gewiß nicht in dem Wortlaut geführt worden sind, in dem wir sie bei den Autoren der Ära (oder einer nachfolgenden) wiederfinden.

Ob die Werke den gewünschten Effekt gehabt haben, mag dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall fühlte sich der Philosoph später noch einmal bemüßigt, ein Buch über eine Verfassung zu schreiben, die weniger radikal als die der Politeia, und darum auch nur die „zweitbeste“ war. Bei ihr waren Familie und Privatbesitz wieder erlaubt.

Was die Atlantis- Dialoge anbelangt, so sind die zentralen Figuren darin Sokrates und Kritias, die ich bereits erwähnt habe, sowie ein gewisser Hermokrates und Timaios, ein Pythagoreer aus der lokrischen Kolonie Lokri in Unteritalien. Ersterer ist ein Staatsmann aus Syrakus gewesen. Von dem Letztgenannten ist der Nachwelt leider nichts überliefert worden, was freilich nicht heißen muß, daß es ihn nie gegeben hätte. Ansonsten müßte jeder Schriftsteller, dessen Werke nicht veröffentlicht werden, um sein Existenzrecht bangen. Schließlich hat auch Sokrates nichts zu Papier gebracht, hatte er doch nichts zu lehren gehabt, als das kritische Hinterfragen und das eigenständige Nachdenken. So enorm sein Einfluß auch war, ohne die Schriften Platos wäre er vermutlich in Vergessenheit geraten.

Ähnliches läßt sich wohl auch von seinem versunkenen Inselkönigreich sagen... aber gehen wir zu den Quellen selbst über:

 

Kommentare  

#1 Dolmial 2009-09-28 09:32
Schön, dass das Wesen der Dinge oder Platons Eidos nicht in Vergessenheit geraten ist. Anstatt sich in dem Wesen jedes einzelnen Dinges zu verlieren, schuf er einen Oberbegriff dafür, der bis in unsere Zeit eine Grundlage der Philosophie darstellt. :-)

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