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Historische Krimis aus Kanada - The Murdoch Mysteries

The Murdoch MysteriesHistorische Krimis aus Kanada
»The Murdoch Mysteries«

Die Flut der Krimiserien im Fernsehen ist noch immer ungebrochen, das Angebot ist mittlerweile für den durchschnittlichen Zuschauer kaum noch zu überblicken, geschweige denn zu konsumieren. Auch wenn die amerikanischen Dauerbrenner wie "Law&Order:SVU", "Criminal Minds" oder das "NCIS" Franchise mit ihren 22 Folgen im Jahr auf dem Rückzug sind und durch europäische Mini-Serien oder TV-Movies ersetzt werden, gibt es für jede Serie, die auf irgendeinem Nischensender ausgestrahlt wird, noch  weitere, die keine Gnade bei den Einkäufern fand.

The Murdoch MysteriesDazu gehört auch "The Murdoch Mysteries" aus Kanada, das seit 2004 produziert wird und es mittlerweile auf 3 TV-Movies und bis jetzt 12 Staffeln mit 177 Episoden gebracht hat.

Erdacht wurde das Konzept und seine Figuren von der kanadischen Krimiautorin Maureen Jennings. 1997 erschien der erste Roman um den Polizisten William Murdoch aus Totonto. In "Except the Dying" (Das Mädchen im Schnee, Heyne 2000) schreibt man das Jahr 1895. Detective Murdoch, ein Katholik in einer protestantischen Stadt, ist ein junger Mann mit festen Überzeugungen, der sich sehr für die aufstrebende Wissenschaft und so exotische Dinge wie Fingerabdrücke interessiert. Der erste Fall dreht sich um ein junges Mädchen, das in einem Armenviertel nackt und tot im Schnee gefunden wird. Zuerst wird sie für eine ermordete Prostituierte gehalten, aber schnell wird ersichtlich, dass es sich um ein Dienstmädchen handelt, das bei Nacht und Nebel aus einem scheinbar ehrerbietigen Haushalt geflohen ist, da sie geschwängert wurde. Murdoch ermittelt in den besseren Kreisen und bekommt dabei wenig Unterstützung von seinem Vorgesetzen Thomas Brackenreid, der sich mehr mit der Flasche als mit seinen Pflichten beschäftigt und von seinem pflichteifrigen Detective wenig hält. Murdoch arbeitet mit dem stoischen Constable Crabtree, einem Vater von acht Kindern, und in späteren Bänden Dr. Julia Ogden zusammen, der ersten Gerichtsmedizinerin der Stadt.

Als historischer Krimi bietet der Roman solide, wenn auch etwas unspektakuläre Unterhaltung. Allerdings gelingt es der Autorin, interessante Charaktere zu erschaffen und die oftmals erschreckenden Lebensumstände und Verhältnisse der rigiden Klassengesellschaft der Epoche kurz vor der Jahrhundertwende unaufdringlich in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen. Der Roman war erfolgreich genug, um bis 2003 drei Fortsetzungen erscheinen zu lassen.

Auf der Suche nach Material für die Fernsehmaschine stieß die Serie auf das Interesse der kanadischen Produktionsgesellschaft Shaftesbury Film. Die ersten drei Romane dienten als Vorlage für TV-Movies. Die Rolle von Detective Murdoch übernahm Peter Outerbridge, ein kanadischer Schauspieler mit einem beeindruckenden Resumee, der hierzulande aber so gut wie unbekannt sein dürfte. Das gilt nicht für den Iren Colm Meaney, dem Chief O'Brien aus Star Trek: Deep Space Nine, der in zwei Episoden den Revierchef Brackenreid gab. Dr. Julia Ogden wurde von Keely Hawes gespielt, die die Hauptrolle in "Ashes to Ashes" hatte, der Fortsetzung von "Life on Mars".

Die drei Filme waren erfolgreich genug, um daraus eine Serie zu machen. Und so kam "Murdoch Mysteries" im Januar 2008 erneut auf die kanadischen und später auch amerikanischen, australischen und auch französischen Bildschirme. Allerdings gab es gravierende Veränderungen zu den TV-Movies.

The Murdoch MysteriesMurdoch wird nun von Yannick Bisson gespielt. Bisson mag dem einen oder anderen Serienjunkie vielleicht noch aus der nicht besonders eindrucksvollen Action-Krimi-Serie "High Tide – Ein cooles Duo" mit Rick Springfield aus den Mittneunzigern in Erinnerung sein.

Julia Ogden wird von der hierzulande genauso unbekannten australischen Schauspielerin Helene Joy gespielt.

Thomas Brackenreid wird von dem hierzulande ebenfalls unbekannten Engländer Thomas Craig gespielt, der aber wie Joy und Bisson auf eine beträchtliche Fernseherfahrung zurückblicken konnte.

Die Produktion übernahm viel aus der literarischen Vorlage, glättete die Figuren aber und machte das Ganze betont familienfreundlicher. Aus Brackenreid wurde ein jovialer Familienmensch und Ex-Soldat, rau aber herzlich, der in den frühen Staffeln aber auch durchaus bereit ist, die Wahrheit in der Zelle aus einem Verdächtigen rauszuprügeln. Constabler Crabtree ist nun unverheiratet und dient häufig als Comic Relief, ist gelegentlich fasziniert vom Übernatürlichen und hat immer Pech in der Liebe. Dr. Ogden avanciert zu Detective Murdochs Liebesinteresse, nach den üblichen Irrungen und Wirrungen heiratet das Paar in Staffel 8.

Das klingt alles nicht gerade schrecklich interessant und hätte trotz der sympathischen Figuren garantiert nicht für die verblüffende Langlebigkeit der Serie gesorgt, hätten die Produzenten nicht schon in der ersten Folge eine Richtung eingeschlagen, die die Serie amüsant und unterhaltsam macht. In der ersten Folge geht es um die Elektrisierung von Toronto sowie einen Mord durch Starkstrom, und der Verdächtige ist der historische Nikola Tesla.

Der Mordfall der Woche und die unvermeidlichen Soap Opera-Elemente im Hintergrund werden durch zeitgeschichtliche Ereignisse, kanadische Geschichte, historische Figuren und bewusst eingesetzte und mit einem Augenzwinkern in die Handlung eingearbeitete gelegentliche technische Anachronismen aufgewertet. Murdoch, der steife und hyperkorrekte Antialkoholiker, ist ein unermüdlicher Tüftler. Und so erfindet er dann mal eben einen UV-Licht-Projektor für Blutspuren oder in einer Episode den Vorläufer vom Fax, wenn per Telegraf die Pixel eines Fotos von Paris nach Toronto übertragen und in der Art von "Malen nach Zahlen" von den Constablern wieder zusammengesetzt werden. Das ist natürlich völlig abstrus, wird aber so flott und ernsthaft dargestellt, dass es vergnüglich ist. Natürlich gibt es auch Ausrutscher und zu große Übertreibungen. Dass Murdoch 1900 für die Suche nach einem versunkenen Schiff kurzerhand ein funktionierendes Sonar baut, ist dann zugegeben etwas weit hergeholt.

The Murdoch MysteriesAber die Aufbruchstimmung der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist ein wichtiger Bestandteil der Serie. Die Begeisterung für Technik und den Fortschritt ist häufig Teil der Geschichte. Es ist komisch, wenn es um ein Autorennen für Investoren geht, bei dem Henry Ford persönlich gegen ein Elektroauto fährt, und Murdoch hellauf begeistert ist, weil er selbst gerade 50 km/h geschafft hat. Bisson weiß diese oft beinahe kindliche Begeisterung seines Detectives für die Neuerungen der Zeit und der damit einhergehenden Hoffnung auf eine bessere Welt für alle immer wieder überzeugend rüberzubringen – und der Zuschauer erhält einen Einblick in das Leben der Vergangenheit.

Geschickterweise wird andererseits genauso viel Gewicht auf die politischen Umwälzungen der Zeit gelegt, und da steht oft Dr. Ogden im Mittelpunkt. Ob nun als Suffragette im Kampf für das Frauenwahlrecht oder als selbstbewusste Ärztin, die ihren Patientinnen – illegalerweise – aus gesundheitlichen Gründen die Empfängnisverhütung erklärt, die Pathologin, Ärztin und – in einer Staffel – auch Leiterin einer psychiatrischen Anstalt steht immer an vorderster Front der Frauenbewegung. Vor allem dieser historische Aspekt zieht sich wie ein roter Faden durch die Serie und sorgt sowohl für Wissenswertes – 1900 war Eishockey tatsächlich noch ein Amateursport, und auch in Kanada gab es eine Prohibition - wie auch für das nötige Drama. Wenn Murdoch auf Abstand zu ihr geht, weil er erfährt, dass sie in ihrer Studienzeit eine Abtreibung hatte, was gegen alles verstößt, an das er als strenger Katholik und Gesetzeshüter glaubt, sorgt das für genug Storymaterial für eine ganze Staffel. Insofern scheut die Serie auch vor schwierigen Themen nicht zurück, und es gelingen ihr manchmal recht beeindruckende Folgen. Wenn der Chief Constable – der mehrmalige Gaststar Nigel Bennett - in einen Mordfall verwickelt wird und sich als Homosexueller outen muss, was ihn sofort die Stellung kostet.

Solide Erzählungen sorgen für den den nötigen Gegensatz zu den deutlichen Einschränkungen der Darstellung. Das überschaubare Budget der zwischen 13 und 18 Folgen umfassenden Staffeln sorgt eher für ein helles, sauberes  und freundliches Toronto, dem man (zu) oft die Kulisse ansieht. Da hapert es gewaltig mit der historischen Realität, und gerade in den frühen Staffeln sieht die sporadisch eingesetzte architektonische CGI manchmal erbärmlich schlecht aus. Diesen Mangel an Authentizität versucht man mit den tadellosen Kostümen auszugleichen, trotzdem schneidet "Murdoch Mysteries" verglichen mit anderen, teureren Period Pieces da häufig eher schlecht ab. "Peaky Blinders" oder "Boardwalk Empire" ist das wahrlich nicht.

Dafür fährt man eine Parade von historischen Persönlichkeiten auf. Die Liste erscheint schier endlos. Arthur Conan Doyle, Jack London, Winston Churchill, Thomas Addison, H.P.Lovecraft und Mark Twain (verkörpert immerhin von William Shatner), sie alle schauen im Polizeireiver Nr. 4 vorbei, ob als Helfer oder Mordverdächtige.

The Murdoch Mysteries"Murdoch Mysteries" ist nette und sympathische Krimiserienunterhaltung, und es ist bedauerlich, dass es in Deutschland nicht auf die Bildschirme geschafft hat. Oft ist es sogar ein geradezu wohltuender Gegensatz zu der ewig düsteren zeitgenössischen Krimikost mit ihren gepeinigten Ermittlern und abgründigen Kriminellen. In Kanada ist es zur Institution geworden, selbst der Premierminister war in einer Folge im Kurzauftritt zu sehen, die zwölfte Staffel geht gerade zu Ende. Ob es eine dreizehnte geben wird, ist aber noch ungewiss. Es wäre aber zu wünschen.

Die ersten vier Romane von Maureen Jennings sind von 2000-2005 bei Heyne erschienen. Die Serie liegt im Ausland bis Staffel 11 auf DVD und Blue Ray vor; nur die TV-Movies sind vergriffen. Die Ausstattung ist aber teilweise sehr schlicht; insbesondere bei den frühen Staffeln gibt es keine englischen Untertitel. Auch wenn der Ton deutlich verständlicher als bei vielen amerikanischen Produktionen ist, sind Untertitel doch manchmal recht hilfreich. Die Staffelboxen sind relativ leicht zu beziehen, man sollte sich aber vorher umsehen, wo man sie bezieht, es gibt erhebliche Preisunterschiede.

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