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... Peter Thannisch über May, Austen, Winnetou, Werwölfe und Barrikaden

Peter Thannisch ... Peter Thannisch über May, Austen, Winnetou, Werwölfe und Barrikaden

Peter Thannisch, manchen noch in Erinnerung als Lektor von »Jerry Cotton«, »Trucker King«, »Professor Zmorra« und auch Cheflektor des Bastei Verlages. Er  wurde nach seiner Zeit in Bergisch Gladbach Freelancer, bearbeitete unter anderem Jason Darks »Die drei Helden«und »Don Harris« und ist nun selbst unter die Schriftsteller gegangen. Dabei hat er sich an einem ›nationalen Heiligtum‹ vergriffen: Winnetou. Den  Apachenhäuptling  konfrontierter er netterweise mit Werwölfen. Das schrie förmlich nach einem Interview...
Winnetou unter Werwölfen Zauberspiegel: Peter Thannisch, vorwiegend bekannt als Lektor, geht unter die Schriftsteller. Was hat Dich dazu getrieben?
Peter Thannisch: Der Piper-Fantasy-Cheflektor Carsten Polzin. Er rief mich irgendwann an und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, den Karl-May-Roman „Winnetou I“ als Horrorparodie umzudichten, am besten mit Werwölfen, und da ich ein großer Winnetou-Fan bin, seit ich als Kind die Verfilmungen mit Pierre Brice gesehen habe, und zudem fleißiger Leser von Horror- und Fantasy-Romanen, war ich sofort von der Idee begeistert.
Der Gedanke daran kam Carsten, als er von dem riesigen Erfolg hörte, den Seth Graham-Smith in den USA mit „Pride and Pejudice and Zombies“ nach Jane Austen hatte. Warum, dachte er sich, das nicht auch mit dem bekanntesten deutschen Abenteuerautor versuchen? Ich schrieb ein Exposé, dann die ersten drei Kapitel zur Probe und bekam grünes Licht.

Zauberspiegel: Du hast einen berühmten Co-Autor, nämlich Karl May, und Dein Buch heißt „Winnetou unter Werwölfen“. Wie viel Text stammt denn von Dir und was hat Dein (verstorbener) Co-Autor beigesteuert?
Peter Thannisch: Erst später habe ich „Pride and Pejudice and Zombies“ gelesen und kapiert, warum Carsten Polzin ausgerechnet mich, einen Lektor, fragte: Seth Graham-Smith nahm nämlich den Originaltext von Jane Austen und fügte die Zombiegeschichte hinzu, indem er hier und da etwas umschrieb und mehrere Kampfszenen und Gags einsetzte. Offenbar war Carsten der Meinung, dass ich das bestens hinkriegen würde, weil ich als Lektor ja hauptberuflich in den Werken anderer Autoren herumwüte. Da ich aber Graham-Smith noch nicht kannte, schrieb ich meine eigene Version von Winnetou und orientierte mich nur an der Handlung von Karl May. Als Carsten dann die Probekapitel las, rief er mich an und sagte: „Mensch, das ist ja ein völlig neuer, eigenständiger Roman, aber das gefällt mir sehr gut. Mach weiter so!“
Und so habe ich’s dann auch gemacht. Natürlich habe ich mich dabei nach Möglichkeit an den Handlungsverlauf von „Winnetou I“ gehalten, aber doch einiges abgeändert. So ist der gute Mister Henry, der Old Shatterhand in den Westen schickt, bei mir der verbissene Dämonenhasser und religiöse Fanatiker Bruder Heinrich, Mitglied eines obskuren Ordens, und das Probeschießen in St. Louis mit dem Heinrich-Stutzen findet auf einem nächtlichen Friedhof statt, auf dem Ghoule ihr Unwesen treiben. Das Pferd, das der Held als zweite Prüfung zureiten muss, ist bei mir der Satansgaul eines gespenstischen Phantomreiters, und Klekih-petra der manisch depressive  Klage-Peter, der den Job als „Weißer Lehrer“ der Werwolfs-Apachen nur hat, weil Schwarzseher und Pessimisten bei denen als besonders weise gelten.

Zauberspiegel: Ist es nicht angenehm, wenn der Co-Autor nicht mehr unter den Lebenden weilt und einem nicht reinschwatzen kann?
Peter Thannisch: Nun, hinsichtlich Karl May haben wir den Begriff „Ghostwriter“ neu definiert. Ich hoffe sehr, in seinem Geiste geschrieben zu haben. Was mich an Karl May unter anderem so gut gefällt, sind sein Witz, die vielen skurrilen Figuren und das Augenzwinkern, mit dem er mitunter schreibt. Den sehr gelungenen Sam Hawkin noch zu toppen, der sich in meinem Roman Howlin’ Sam nennt, weil auch er den Werwolfskeim im Blut trägt, war gar nicht so leicht. Karl May war offenbar ein Autor mit viel Sinn für Humor, und ich bin sicher, er hätte an „Winnetou unter Werwölfen“ seinen Spaß.

Zauberspiegel: Der Trend, Klassiker ohne phantastische Elemente mit Zombies und dgl. zu versehen, stammt aus den USA. Nach dem großen Erfolg von »Pride and Prejudice and Zombies« gings weiteren Austen-Romanen an den Kragen, aber auch Abraham Lincoln wurde zum ›Geisterjäger‹.
Wäre es nicht eigentlich folgerichtig gewesen, sich nach dem US-Vorbild an Hedwig Courths-Mahler zu bedienen? Die Rechte dafür liegen ja bei Lübbe, Deinem ehemaligen Arbeitgeber. Müsste doch möglich sein, da heranzukommen oder einen solchen Roman für Lübbe zu schreiben?

Peter Thannisch: Möglich wäre das vielleicht, aber die Idee zu „Winnetou unter Werwölfen“ kam ja von Piper, und Karl May ist sicherlich um einiges bekannter als Courths-Mahler. Aber vielleicht hast Du jetzt die Lübberianer auf eine Idee gebracht.

Zauberspiegel: Werden wir in einem weiteren Roman dann auch noch Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar gegen einen Dschinn oder Ghoul erleben? Oder was kommt als Nächstes?
Peter Thannisch: Der Held meiner Gesichte heißt Mayer Karl, und bevor es ihn in den Westen zog, trieb er sich im Orient herum, wo er an der Seite seines Freundes Hatschi – mit t – unter seinem Kriegsnamen Kara Ben Nimdich gegen Dschinns und Ghoule kämpfte. In meiner ursprünglichen Version gab Mayer Karl auch über seine Heldentaten in der Wüste breitspurig Auskunft, aber zum Schluss habe ich das sehr zusammengestrichen, weil es die Handlung des Romans in die Länge zog und damit mein Held schneller im Wilden Westen ankommt.
Wer sich aber für Kara Ben Nemsi interessiert: Parallel zu „Winnetou unter Werwölfen“ erscheint im Karl-May-Verlag der Roman „Hadschi Halef Omar“ von Jörg Kastner. 2010 wird also das große Karl-May-Jahr, und wer „Winnetou unter Werwölfen“ gelesen hat und sich auch ein zweites Buch ins Regal stellen möchte, dem sei dieses dringend empfohlen!

Zauberspiegel: Glaubst Du, Dein Roman wird für Deutschland bahnbrechend sein, sprich andere werden in Deine Fußstapfen treten und Schillers »Räuber« zum Roman formen, sodass es heißt »Räuber und Zombies«, oder bekommt Goethe einen Co-Autor bei »Die Leiden des jungen Werther mit dem Vampir« oder werden sich Manns »Buddenbrocks« mit Untoten herumschlagen?
Peter Thannisch: Na, das wäre natürlich toll: Der bahnbrechende Roman „Winnetou unter Werwölfen“ von Karl May und seinem Co-Autor … äh, wie hieß der doch noch? Aber ich glaube es eher nicht. Die Austen-Monster-Welle war nach dem Riesenerfolg von „Pride and Prejudice and Zombies“ in den USA schnell wieder vorbei, und in Deutschland hat sich Graham-Smith nicht annähernd so gut verkauft, sodass ich auch sehr froh bin, es nicht so gemacht zu haben wir er, sondern etwas Eigenständigeres geschrieben habe. Ich sehe „Winnetou unter Werwölfen“ viel eher in der Nähe von A. Lee Martinez, dessen Horror- und Fantasy-Parodien mir sehr gut gefallen, oder von Bernhard Hennens „Nebenan“, einem Kölner Heinzelmann-Fantasy-Reißer; als ich den las, stellte ich fest, dass Bernhard Hennen und ich in der Kölner Uni in derselben Vorlesung „Schwank- und Märendichtung des Mittelalters“ gesessen haben müssen. Mit der beginnt nämlich die Handlung von „Nebenan“ –und alles hat sich genau so zugetragen, wie Bernhard Hennen es schildert, ich kann’s bezeugen!

Zauberspiegel: Um es mit ›Meister Röhrig‹ zu fragen: »Tut das Not, einen solchen Roman zu schreiben?« Fällt den heutigen Autoren nicht mehr so viel ein, als dass man alten Büchern und Klassikern Derartiges antun muss.
Peter Thannisch: Nun, mir fallen jeden Tag ein halbes Dutzend Ideen für ganz andere Machwerke ein, und jeder Verleger, der bereit ist, sie zu drucken und meine übertriebenen Honorarvorstellungen zu akzeptieren, sollte sich dringend bei mir melden!
Nein, ich finde die Idee klasse, gerade in Bezug auf Winnetou. Jeder in Deutschland weiß, wer Winnetou ist, ob er je einen Karl-May-Roman gelesen hat oder nicht. Da kann man natürlich toll mit dieser Figur spielen und vor allem mit den Erwartungen der Leser. Schon dass der edelste aller Apachen … ach was, aller Indianer an sich in Wirklichkeit ein Werwolf war, hat schon was. Daraus lässt sich eine Menge machen, und ich hoffe, das ist mir gelungen.

Zauberspiegel: Befürchtest oder hoffst Du, dass Pierre Brice wie beim »Schuh des Manitu« auf die Barrikaden steigt und den Untergang des May’schen Erbes beschwört? Das wäre doch eine unbezahlbare PR für das Buch.
Peter Thannisch: Solange er kein Geld dafür fordert, wäre mir das natürlich sehr recht. Schlagzeile in der Bild-Zeitung: „Pierre Brice fordert: Bringt mir den Skalp von Peter T.!“ Der Winnetou in meinem Roman erlernte die Sprache des Weißen Mannes von einem französischstämmigen Missionar, und der Mayer Karl als waschechter deutscher Patriot des neunzehnten Jahrhunderts findet seinen Akzent daher noch grauenerregender als Winnetous Neigung zu blutigem Frischfleisch. Zum Schluss zieht es meinen Winnetou dann auch zum Wörthersee.
Für mich ist Pierre Brice der Winnetou überhaupt, und als solcher ist es nicht nur sein Recht, sich über den „Schuh des Manitu“ und „Winnetou unter Werwölfen“ aufregen, es ist sogar seine Pflicht! Ja, ich denke, ich werde Pierre ein Freiexemplar zukommen lassen und die für ihn wichtigen Stellen markieren.
Aber im Ernst: Ich fand Pierre Brice als Winnetou toll. Wenn ich an Winnetou denke, habe ich ihn im Kopf. Vielleicht hat Bully einfach nur nicht seine Art Humor getroffen, und mit Manitus Hilfe ist mir das gelungen.

Zauberspiegel: Es gibt ja noch mehr Gralshüter Mays. Was sagt denn der Karl May Verlag zu Deinem Buch? Was sagen Fans des Sachsen? Schon was gehört?
Peter Thannisch: Carsten Polzin, mein Lektor, hatte sogar im Vorfeld mit dem Karl-May-Verlag Kontakt aufgenommen, und die Leute dort sind wirklich klasse: Der Chef dort las mein Exposé, schüttelte sein weises Haupt und erklärte, dass dies nun so gar nicht seine Art Humor ist – und gab grünes Licht für das Projekt, weil man beim Karl-May-Verlag niemandem im Wege stehen will. Mehr noch, man erlaubte sogar, dass sich das Cover von „Winnetou unter Werwölfen“ an der Aufmachung der „Grünen Reihe“ orientiert. Ich finde die Einstellung dort einfach toll. Und ich finde es klasse, wie liebevoll und engagiert sich die Leute dort um das Werk des wohl berühmtesten Sachsen kümmern.
Bevor man so einen Roman schreibt, überlegt man sich natürlich, für wen man ihn schreibt, und bei einem Titel wie „Winnetou unter Werwölfen“ hat man natürlich drei Zielgruppen im Auge: Das sind die Horror-Freunde, die Karl-May-Fans und diejenigen, die einfach mal einen witzigen, unterhaltsamen Roman lesen wollen. Ich habe mich bemüht, diese drei Zielgruppen unter einem Hut zu bringen und jede davon zufrieden zu stellen, und das ist mir, denke ich, recht gut gelungen. Natürlich kann man es nie allen recht machen, aber das ist immer so, wenn man irgendetwas schreibt.
Mir selbst ist bei der Recherche zu „Winnetou unter Werwölfen“ erneut aufgefallen, wie weit voraus Karl May seiner Zeit war. Er hat in seinen Romanen eine Welt voller Abenteuer und echter Helden erschaffen, und ich hoffe, dass meine Begeisterung für ihn trotz all der Gags und Zoten zwischen den Zeilen durchschimmert.

Zauberspiegel: Besten Dank für das Interview.
Peter Thannisch: Und ich wünsche weiterhin viel Erfolg und Freude mit dem Zauberspiegel!

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