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Tod eines Geisterjägers - Eine Geisterjäger John Sinclair Story

FanfictionTod eines Geisterjägers
Eine Geisterjäger John Sinclair Story

Der Wetterbericht hatte Regen angekündigt, und tatsächlich ging leichter Niesel nieder, als der Trauerzug die kleine Kapelle am Rand des Friedhofs verließ. Es war Mitte März, noch nicht ganz Frühling, aber heute fühlte es sich an wie tiefster Herbst.

Der Friedhof war klein, lag ein Stück außerhalb Londons am Rande eines Mischwalds.

Das nächste Dorf war drei Meilen entfernt. Es war ein Friedhof für Tote, die sich ihre Ruhe verdient hatten.

Angeführt wurde der Zug von einem greisen Priester in schwarzer Trauersoutane. Flankiert wurde er dabei von zwei ebenfalls schwarz gekleideten Messdienern. Einer trug ein armlanges Holzkreuz, der andere schwenkte ein Weihrauchfässchen an einer Kette. Kleine Rauchfetzen gingen davon aus, die der Regen aus der Luft wusch.

Es folgte der Sarg, schwarzes Ebenholz mit silbernen Beschlägen, getragen von vier Männern. Einer der vorn gehenden Sargträger war groß, schlank und sportlich und hatte dunkles, kurzgeschnittenes Haar. Sein Nebenmann war etwa im selben Alter, ein Asiate, dem Aussehen nach Chinese. Hinter den beiden gingen ein jüngerer Mann, der vom Alter, Typ und Aussehen her der Sohn seines Vordermannes hätte sein können; sowie ein älterer, gedrungener, grauhaariger Mann, der eine Brille trug. Alle vier trugen schwarze Anzüge.

Hinter dem Sarg gingen vier Frauen: Zwei waren blond, eine dunkelhaarig, die vierte war ebenfalls eine Asiatin. Die vier waren alle etwa im selben Alter. Alle trugen ausnahmslos schwarz. Eine der blonden Frauen trug einen schwarzen Regenschirm.

Den Frauen folgte ein gutes Dutzend Polizistinnen und Polizisten in Dienstuniform. Viele von ihnen machten eher einen gelangweilten als trauernden Eindruck, was den Schluss zuließ, dass das Trauergeleit für ihren verstorbenen Kollegen für sie mehr eine dienstliche als eine Herzensangelegenheit war.

Der Verstorbene war demnach offensichtlich Beamter bei Scotland Yard oder der Metropolitan gewesen. Die Anzahl der zivilen Trauergäste ließ dagegen den Schluss zu, dass der Mann im Sarg keinen sonderlich großen Freundeskreis gehabt hatte. Eine trauernde Witwe suchte man ebenso vergebens wie Kinder oder Jugendliche, von dem jungen Sargträger vielleicht abgesehen.

Langsam, schweigend, zog der Zug den Kiesweg zwischen den Grabreihen entlang. In der Krone eines Baumes krächzte lauthals eine Krähe, als würde sie die Trauernden beschimpfen.

Unter den hängenden Ästen einer großen Weide kam der Zug schließlich zum Stehen. Hier, am Fuße des Baumes, etwas abseits der Grabreihen, war bereits das Grab ausgehoben. Stricke lagen quer über dem rechteckigen, sechs Fuß tiefen Erdloch, Stricke, mit deren Hilfe der Sarg in die Grube hinabgelassen werden sollte.


Die vier Sargträger ließen den Sarg neben dem Grab zu Boden. Der Priester, flankiert von den Messdienern, stellte sich ans Kopfende des Sarges; die Trauergemeinde bildete einen Halbkreis an dessen anderem Ende.

Der Priester begann zu sprechen. Eine der blonden Frauen, die mit dem Regenschirm, begann zu weinen. Der jugendliche Sargträger ging zu ihr und legte den Arm um ihre Schulter. Dann sprach der Asiate. Jetzt nahm auch der älteste der Sargträger seine Brille ab und wischte sich über die Augen. Zwei der uniformierten Polizisten verdrückten sich hinter einen Baum, um zu rauchen. Der Priester spritzte Weihwasser über den Sarg. Dann ließen die Sargträger ihn langsam an den bereitliegenden Seilen in die Grube hinab. Ein Seufzer schien durch die Gruppe der Hinterbliebenen zu gehen. Die blonde Frau ohne Schirm warf eine rote Blume in das Grab, ebenso die dunkelhaarige. Die Krähe in der Baumkrone krächzte, und es klang wie ein hämisches Lachen. In der Ferne schlug eine Kirchturmglocke. Sieben dumpfe Schläge.

Ein Grabstein stand bereits am Kopfende des Grabs. Der Stein war aus poliertem schwarzen Marmor, in den ein schlichtes feingliedriges Messingkreuz eingelassen war. Die in den Stein gemeißelte Inschrift beschränkte sich aufs Nötigste: Name, Geburts- und Todesjahr sowie ein knappes Zitat, nicht mehr als vier Worte, aus dem Neuen Testament, Johannesevangelium, Kapitel 11, Vers 25.

***

Den Mann, der die Beisetzung aus sicherer Entfernung scheinbar unbemerkt beobachtet hatte, interessierte indes nur der Name auf dem Grabstein. Er sah noch zu, wie sich die Trauergäste nach und nach zerstreuten. Als auch die letzten - drei der Sargträger und die Frau mit dem Schirm - gegangen waren, kamen drei Männer mit Schaufeln. Sie fluchten laut, weil die Erde vom Regen schwer war und ihnen mehr Arbeit machte.

Der Mann wandte sich ab, zog ein Smartphone aus der Tasche seiner Regenjacke und wählte eine gespeicherte Nummer. Er hielt sich das Gerät ans Ohr.

"Er ist es. Wir wissen, wo er liegt. Ihr könnt ihn euch holen."

Der Name auf dem Grabstein lautete: John Sinclair.

***

Offiziell war ich an einem Hirnödem gestorben. Ein verstopftes Äderchen in der grauen Masse zwischen den Ohren - und schon war´s um mich geschehen gewesen.

Ursprünglich hatte ich bei einer Werwolfattacke oder durch den Biss eines Vampirs oder Zombies sterben sollen, aber das schien uns allen zu sehr an den Haaren herbeigezogen. Dann hatten wir an einen Verkehrsunfall gedacht, aber das wäre zu aufwendig geworden. Und dass ich beim Fensterputzen von der Leiter gefallen sein sollte und mir dabei den Hals gebrochen hätte, war nun mir wiederum zu blöd.

Also ein Schlaganfall mit tödlichem Ausgang. Schnell, schmerzlos, unkompliziert. Gründlich und präzise. Und auch kein allzu großes Wunder, zog man in Betracht, wie häufig mein Denkorgan schädlichen Einflüssen wie schwarzer Magie und ähnlichem in der Vergangenheit ausgesetzt gewesen war. Und so war der Einzige, der sich rühmen durfte, mich letztendlich doch um die Ecke gebracht zu haben, Gevatter Tod persönlich.

Ich war also offiziell tot. Und seit einer guten Stunde nun auch begraben.

Die Sargträger waren natürlich mein bester Freund Bill Connolly, mein Dienstpartner und ebenso guter Freund Suko, Bills Sohn und mein Patenkind Johnny sowie mein direkter Vorgesetzter Sir James Powell gewesen. Bills Frau Sheila, Glenda Perkins, die gute Seele unseres Büros beim Yard, sowie meine Ex Jane Collins und Sukos Lebensgefährtin Shao hatten ebenfalls an der Zeremonie teilgenommen.  

Der Priester war ein alter Bekannter, längst im Ruhestand, die Messdiener waren zwei Jungs aus der Amateurjugend-Fußballmannschaft, die er zweimal wöchentlich ehrenamtlich trainierte und die sich ein paar Pfund dazu verdienen wollten. Chief Inspektor Tanner von der Met hatte uns zudem ein Dutzend Uniformierte zur Verstärkung des "Trauerzugs" geschickt. Wie ich später erfuhr, waren es allesamt Erstsemester von der hiesigen Polizeischule.

Das Klatschen der Erde, die auf das Holz über mir fiel, als man das Grab zuschaufelte; die dumpfen Tritte der Männer, als sie die Erde festtraten - all das hatte aufgehört. Man hätte meinen können, sechs Fuß unter der Erde herrsche Totenstille, aber dem war nicht so. Überall um mich herum schien es zu knacken und zu knirschen. Wahrscheinlich setzte sich die Erde um den Sarg, nahm ihn in sich auf.

Ich hatte, seit ich drei Stunden zuvor in die ausgepolsterte Mahagonikiste geklettert war und Bill und Suko den Deckel aufgesetzt hatten, im Dunkeln gelegen und mich, na ja, totgestellt. Was gar nicht so einfach gewesen war, denn als mich meine Freunde und Kollegen Richtung Grabplatz bugsierten, fühlte ich mich schon ein wenig wie an Bord eines schwankenden Schiffs.

Jetzt jedoch schaltete ich meine Bleistiftleuchte ein und sah mich um. Ich lag auf dem Rücken, und der Sarg, in dem ich lag, war so eng, dass ich mich nicht mal auf den Bauch hätte drehen können. Von allen anderen Verrenkungen ganz zu schweigen.

Ich hab´ normalerweise kein Problem mit Platzangst. Aber diese Situation war auch nicht normal.

Ich glaubte für einen Moment, Atemnot zu bekommen, wusste jedoch, dass das Unsinn war. Der Sauerstoff im Sarg würde noch für Stunden reichen. Spätestens nach zwölf Stunden würde man mich wieder befreien. Sollte bis dahin die Luft knapp werden, lag zu meinen Füßen außerdem eine kleine Sauerstoffflasche. Ich leuchtete sie an. Sie funkelte matt.

Trotzdem wurde mir erst in diesem Moment wirklich deutlich, auf was ich mich da eingelassen hatte. Ich war lebendig begraben. In einem Sarg, sechs Fuß tief unter der Erde.

Eigentlich an sich schon eine Horrorvorstellung.

***

Die Horrorvorstellung war jedoch weder eine idiotische Wette oder Mutprobe, noch ein satanisches Aufnahmeritual oder eine perverse Form von Bestrafung. Sie war ein Trick. Eine Falle. Und ich war der Köder. Beziehungsweise meine "Leiche".

Die ersten Hinweise hatte Justine Cavallo geliefert. Die Vampirin, von manchen aus Hass, von anderen aus Bewunderung "blonde Bestie" genannt, hatte eine mächtige Position in den Kreisen der schwarzmagischen Londoner Unterwelt inne. Bei einem nächtlichen Rendezvous am Ufer der Themse, dort, wo der Fluss vor lauter Fabrikabwässern zu kochen schien, einem Rendezvous, zu dem ich vorsichtshalber neben meinem silbernen Kreuz noch die Beretta mit einem Magazin voller Silberkugeln, den goldenen Bumerang sowie Suko als heimliche Rückendeckung mitgebracht hatte, bei diesem Rendezvous hörte ich erstmals den Begriff "Vampirghouls".

Die blanke Sichel des Mondes am schmutzig-schwarzen Himmel sah aus wie ein gefletschter Fangzahn.

"Sag´ dem Chinesen, er soll aus dem Busch rauskommen", hauchte die Blutsaugerin mit unerhört rauchiger Stimme. Wie immer war sie in hautenges pechschwarzes Glanzleder gekleidet, was ihre perfekten Rundungen noch mehr betonte, als wenn sie splitternackt gewesen wäre. Der blonde Domina-Traum jedes Sexsklaven. Vorausgesetzt, man steht auf so was.

Die Aufforderung an meinen Partner konnte ich mir sparen. Suko kam ins Laternenlicht getrottet, in einer Hand die Dämonenpeitsche, in der anderen den Stab des Buddha.

Suko und Justine waren etwa gleich groß. Trotzdem wirkte es, als ob die Vampirin auf meinen Partner aus großer Höhe hinabblickte.

"Ich riech´ dein Blut eine Meile gegen den Wind. Vergiss das nie."

Suko zuckte die Achseln. Justine wandte sich ab, streckte den Arm aus, deutete Richtung Osten.

"So weit ich weiß, kommen sie irgendwo vom Balkan ..."

***

Bizarre Gerüchte hatten unter den Londoner Schwarzblütern die Runde gemacht. Eine seltsame neue Spezies sei in der Stadt aufgetaucht, offenbar eine Mischung aus Vampiren und Ghouls. Die Angehörigen dieser Gruppe, die offenbar eine feste Gemeinschaft war, vergleichbar einer Sekte, ernährten sich vom Saft frischer Leichen. Anders als Ghouls fraßen sie die Leichen nicht, sondern saugten sie nur aus. Wie Vampire eben. Das prekäre an der ganzen Sache: Auch eine bereits mehrere Tage alte Leichen wurde, wenn sie von einem Vampirghoul ausgesaugt wurde, wieder lebendig. Und ihrerseits sebst zu einem Vampirghoul. Also war der "Kuss" eines Vampirghouls genauso ansteckend wie der "Kuss" eines Vampirs.

Gleichzeitig, so berichtete Justine Suko und mir, waren diese Leichensauger offenbar immun gegen geweihtes Silber und andere Formen weißer Magie.

Oha. Das wollten wir nun aber genau wissen.

Justine kam etwas ins Schlingern. Nach dem, was ihr zu Ohren gekommen war, diente der Leichensaft den Vampirghouls nicht nur körperlich als Nahrung. In jeder Leiche ist noch ein paar Tage nach dem Tod Energie enthalten, PSI-Energie, mit herkömmlichen physikalischen Methoden nicht messbar. Diese Energie fällt je nach der Person, die der Tote im Leben gewesen war, größer oder geringer aus. Bei Schwarzblütern ist sie negativ, bei normalen Menschen hängt die Bilanz von der Persönlichkeit und vom Charakter ab. Die mit Abstand größte Menge an PSI-Energie weisen indes Leute auf, die sich zu Lebzeiten intensiv mit weißer Magie beschäftigt haben. Mit weißer Magie beispielsweise als Waffe gegen deren schwarze Schwester.

Diese PSI-Energie diente den Vampirghouls offenbar als schwarzmagische Nahrung. Je mehr sie davon aufnahmen, desto mächtiger wurden sie.

***

Das klang alles nicht gut. Eine Art schwarzmagische Sekte, die sich an Leichen verging, um sich deren paranormale Energie anzueignen und einzuverleiben. Als Suko und ich am nächsten Morgen im Yard mit Sir Powell die Situation erörterten, war die Entscheidung denn auch rasch getroffen. Wir mussten die Gruppe aufspüren; und vernichten. Bevor sie womöglich zu mächtig wurde und das fragile Gefüge der schwarzmagischen Londoner Unterwelt zu Einsturz brachte.

Nur wie? Was tun? Wir hatten keinerlei Anhaltspunkt, an dem wir ansetzen konnten. Die Clique operierte in London, mehr wusste auch La Cavallo nicht. London war groß.

Eine schnelle Runde bei ein paar Informanten aus der "Szene" brachte uns auch kein Stück weiter. Alle hatten irgendwas gehört, von Leichensaugern, Leichenenergie, und dass die Leichen trotzdem hinterher zu Zombies oder so was würden, aber genaues wusste mal wieder niemand. Wie in Hollywood.

"Wenn wir sie nicht finden, müssen sie eben uns finden", sinnierte Suko, zurück im Yard, hinter seinen Schreibtisch gefläzt, die Füße auf der Tischplatte.

"Du meinst: eine Falle?" Glendas Kaffee entschädigte mich für den vertanen Vormittag.

Suko nickte.

"Für eine Falle braucht man einen Köder", sagte ich.

"Was mögen Vampirghouls am liebsten?", fragte Suko.

"Leichen." Ich präzisierte. "Leichensaft."

"Und?"

"Die PSI-Energie. Je mehr, desto besser."

Suko nickte wieder. "Wir brauchen also eine Leiche."

Ich fiel in sein Nicken ein. "Mit einer außerordentlichen Menge an PSI-Energie."

Suko lächelte. "Die Leiche eines Weißmagiers oder einer weißen Hexe zum Beispiel ..."

Ich lächelte ebenfalls, als ich den Satz beendete. "... oder eines Menschen, der sein Leben lang weiße Magie eingesetzt hat, um Schwarzblüter zu bekämpfen."

Wir hörten auf zu nicken, sahen einander an und schwiegen. Schließlich fragte Suko.

"Du oder ich?"

***

Ich.

Ich hatte länger als Suko gegen die finsteren Mächte gekämpft, war zudem eine Wiedergeburt von König Salomo und Richard Löwenherz. Wenn alles, was wir über die Vampirghouls wussten, halbwegs stimmte, war meine Leiche ein Leckerbissen, den diese Kreaturen unmöglich liegen lassen konnten.

In der Schwarzblüterszene war ich so bekannt wie gefürchtet. Die Nachricht von meinem Tod verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Was wir absichtlich im Dunklen ließen, war der Friedhof, auf dem meine sterblichen Überreste beigesetzt werden sollten. Wir wollten es dem Gegner auch nicht zu leicht machen. Sie würden mich schon finden. Auch hier, zehn Meilen vor der großen Stadt.

Sieben Stunden lag ich nun im Sarg. Die Beerdigung war abends um sieben gewesen. Jetzt war es zwei Uhr nachts. Ich hatte zwischendurch ein wenig geschlummert. In Rückenlage entspannt schlafen konnte ich nicht, aber das war ja auch nicht Sinn und Zweck der Übung. Ich spannte und entspannte abwechselnd Arm- und Beinmuskulatur. Das fehlte noch, dass ich mir hier eine Thrombose holte.

Ich hatte vor der Beerdigung stundenlang nichts getrunken, um jetzt nicht aufs Klo zu müssen. Das Resultat: Ich musste auch nicht. Dafür hatte ich höllischen Durst.

Mein Smartphone hatte kein Netz. Ich versuchte es wieder und wieder. Schließlich war der Akku leer. Mit einem launigen Piepen gab das Gerät den Geist auf.

Im selben Augenblick hörte ich das dumpfe Poltern, Stampfen und Kratzen. Eine Minute zuvor hatte ich gemeint, ein tiefes Brummen irgendwo über mir mehr zu spüren als zu hören. Es war langsam lauter geworden und dann aprupt verstummt. Als ob dort oben ein Wagen herangefahren und abgestellt worden wäre.

Kein Zweifel, es war so weit.

Sie waren hier.

Und sie machten sich daran beziehungsweise waren bereits dabei, mich auszugraben.

Selbstverständlich wurde der Friedhof lückenlos überwacht. Suko und seine Leute lagen versteckt auf der Lauer, und, wie ich ihn kannte, auch mein Freund Bill. Unser Plan sah jedoch vor, den Zugriff hinauszuzögern, bis die Vampirghouls mein Grab freigeschaufelt hatten. Immerhin waren es Dämonen, Schwarzblüter, die Suko vielleicht mit seiner aus Dämonenhaut gefertigten Peitsche bekämpfen konnte, denen ein einfacher Polizeibeamter, Sondereinsatzkommando hin oder her, jedoch womöglich wenig bis gar nichts entgegen zu setzen hatte.

Wäre ich jedoch erst aus meinem Grab befreit, konnte ich die Magie meines Kreuzes zur Anwendung bringen oder - sollte das Kreuz versagen - die Feinde gegebenenfalls mit dem goldenen Bumerang vernichten.

So weit der Plan. Und er schien aufzugehen.

Ich hörte keine Stimmen. Die Gräber arbeiteten stumm. Ich hatte keine Ahnung, wie viele es waren.

Dann kratzte das erste Schaufelblatt über den Sargdeckel.

***

Sie waren zu dritt. Ihre Silhouetten hoben sich geschnitten scharf vom klaren, sternenübersähten Nachthimmel ab. Der Vollmond stand direkt über ihnen. Sie starrten auf das silberne Kreuz, das ich ihnen mit beiden Händen entgegenhielt. Im Hintergrund hörte ich Suko brüllen: "Halt! Keine Bewegung! Scotland Yard!"

Eine der Silhouetten sagte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. Die Stimme klang höchst überrascht. Ich antwortete auf Latein.

"Terra pestem teneto - salus hic maneto!"

Drei blendend weiße Lichtbögen schossen aus der Mitte des Kreuzes direkt in die Silhouetten, die augenblicklich in Flammen aufgingen.

***

Dank der Telefonverbindung nach London, die im Anschluss an die Beerdigung die drei Schwarzblüter hergelotst hatte, konnte das Nest der Bande ausfindig gemacht werden. Es lag im Hafenviertel, nahe den Docks. Im Morgengrauen stürmten wir die Lagerhalle. Entgegen Justine Cavallos Mutmaßungen erwiesen sich die Vampirghouls als wenig resistent gegen Sukos Dämonenpeitsche, Pistolenkugeln aus geweihtem Silber und die Macht meines Kreuzes. Am Ende hatten wir siebzehn von ihnen vernichtet, plus die drei vom Friedhof. Ob das alle waren, wussten wir nicht. Es war auch egal. Eine übergroße Gefahr stellten sie nicht dar.

Sie sahen aus wie Menschen. Menschen, die an einer seltsamen, widerlichen Krankheit litten. Anders kann ich es nicht beschreiben. Sie rochen auch so.

Sobald sie vergingen, zerstieben ihre Körper zu Staub.  

***

Später am Morgen saß ich im Yard und schlürfte eine letzte Tasse von Glendas Premium-Kaffee, bevor ich nachhause fahren und mich ins Bett legen würde.

"Du hast doch die ganze Nacht gelegen", sagte Glenda, offenbar in Necklaune. Sie trug einen königsblauen Hosenanzug, darunter eine weiße Bluse. Irgendwie sah sie in den Sachen aus wie eine Politikerin. Allerdings eine sehr attraktive.

"Die halbe", erwiderte ich und gähnte.

"Sheila hat auf deiner Beerdigung sogar geheult. Die Stimmung, das Wetter, und plötzlich konnte sie nicht anders." Glenda schüttelte den Kopf. "Dann hat Suko eine herzzerreißende Rede auf dich gehalten, und sogar ein Sir James Powell hat ein Tränchen weggedrückt."

"Hört, hört." Suko wippte auf seinem Stuhl und deutete in die Zimmerecke. "Was wird jetzt eigentlich aus dem da?"

In der Ecke stand mein Grabstein. Auf dem Friedhof hatten sie keine Verwendung dafür gehabt, also hatte irgendwer das Teil in unserem Büro abgeladen.

Eine wunderschöne Arbeit, keine Frage. Viel zu schön, um entsorgt zu werden. Nur würde das Todesjahr bald veraltet sein. Sicher, solange das Jahr noch dauerte, könnte man ihn vorsichtshalber noch stehen lassen, allerdings hatte ich nicht vor, vorm nächsten Jahreswechsel wieder in der Kiste zu landen.

Suko grinste. "Die Vampirghouls hätten mal richtig lesen sollen. Dann hätten sie vielleicht geahnt, was ihnen blüht."

Er meinte wohl den neutestamentarischen Spruch, der unter meinem Namen und den Jahreszahlen in den Stein gemeißelt war. Er stammte aus dem Johannesevangelium, Kapitel 11, Vers 25.

Ich bin die Wiederauferstehung.

Suko stand auf, reckte sich und gähnte herzhaft. "Dann mal los."

Ich tat es ihm nach. "Wer wieder aufstehen will, muss sich erstmal hinlegen."

Glenda lächelte. "Schon klar. Nun macht schon, dass ihr wegkommt."

ENDE

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