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rigor mortis - Eine Geisterjäger John Sinclair Story

Fanfictionrigor mortis
Eine Geisterjäger John Sinclair Story

Der Dämon hatte uns überrumpelt, und jetzt saß ich gefangen in einer gut vier Yards tiefen Grube im Keller seines Hauses. Die Grube erinnerte an einen ehemaligen Brunnenschacht. Kreisrund, mit einem Durchmesser von etwa drei Yards. Die Wände waren glatt aus dem Stein gehauen, keine Chance, an ihnen hinaufzuklettern.

Ich saß in der Falle.

Allein. Oder auch nicht. Wie man´s nahm.

Am Boden der Grube lag nämlich die Leiche von Sergeant Billy Hopkins von der Metropolitan Police. Hopkins hatte mich zum Haus des Dämons begleitet. Und diesen Einsatz mit dem Leben bezahlt.

Trübes Licht schien von oben in die Grube hinab, trübe wie die Ausweglosigkeit meiner Lage.

Bis auf mich und die Leiche war der Schacht leer. Die Oberkante, der Rand der Grube war mindestens eine Mannshöhe über mir. Eine Leiter hatte ich nicht, auch kein Seil mit einem Haken, und so hoch springen konnte ich auch nicht.

Was tun?

MacGyver fiel mir ein, der Fernsehheld aus den 80er Jahren, der - wie jemand mal scherzhaft behauptet hatte - aus einer Büroklammer und einem Kaugummi eine Atombombe basteln konnte.

Das war natürlich maßlos übertrieben.

MacGyver nahm einfach, was er kriegen konnte, was gerade zur Verfügung stand, und machte das Beste draus.

Improvisationstalent nennt man das.

Das einzige, was ich hatte, war mein Kreuz, das der Dämon mir nicht abgenommen hatte, wohl weil es ihm schlicht unmöglich war, es zu berühren; und die Leiche von Sergeant Hopkins.

Und das Kreuz, dazu musste man kein Genie sein, würde mir in meiner gegenwärtigen Situation keine große Hilfe sein.

***

Der Dämon hatte Hopkins das Genick gebrochen, gleich nachdem wir ihn gestellt hatten. Wie er mich hatte paralysieren können, war mir immer noch nicht ganz klar, aber als ich wieder zu mir kam, lag ich neben Hopkins hier in der Grube. Das mochte ein paar Stunden her sein, genau wusste ich es nicht.

Ich hatte Hopkins´ Leiche bereits durchsucht, auf der Suche nach was auch immer, das mir weiterhelfen könnte. Natürlich fand ich nichts. Der Dämon hatte Hopkins genauso gefilzt und abgeschmückt wie mich. Dabei war mir aufgefallen, dass die Leiche in den Gelenken, an den Schultern und Armbeugen, bereits leicht versteift war. Die sogenannte Leichenstarre, rigor mortis, setzte ein.

Hopkins war ein großer Mann gewesen, noch größer als ich, also sicher knapp zwei Meter. Und im Tod war er nicht geschrumpft. Ich maß noch einmal mit dem Blick die Entfernung zum oberen Rand der Grube. Und dann wusste ich, wie ich hinaus kommen würde. Vielleicht.

Hopkins lag auf dem Rücken. Ich bog die bereits versteiften Arme halbwegs gerade und legte sie so auf ihm ab, dass sich die Hände vor der Gürtelschnalle trafen. Dann verflocht ich die Finger der Hände so miteinander, wie manche Leute es beim Beten machten. Dabei lagen die Handflächen jedoch nicht aneinander, sondern bildeten eine Art Schale oder Schlaufe. Ich drückte die Finger des Toten fest zusammen, damit sie sich nicht wieder voneinander lösten. Dann streckte ich seine Beine durch, sodass sie gerade nebeneinander zu liegen kamen.

Nun musste ich eigentlich nur noch abwarten.

Weitere Stunden verstrichen. Ich lauschte auf Geräusche oben im Haus, aber es blieb still. Es kam auch niemand in den Keller, um nach mir und der Leiche zu sehen. Oder uns zu holen. Da würde der Dämon auch Probleme bekommen, schließlich war ich nach wie vor im Besitz meines Kreuzes. Möglicherweise spekulierte er ja darauf, einfach abzuwarten, bis ich verhungert und verdurstet war.

Hatte er Sergeant Hopkins´ Leiche womöglich nur mit zu mir in die Grube geworfen, um zu sehen, ob ich vor Hunger und Verzweiflung zum Kannibalen würde? Oder war es für ihn nur die praktischste Methode gewesen, die Leiche zu entsorgen?

Ich wusste es nicht, und im Grunde war es mir auch egal.

Gelegentlich fühlte ich nach der Leiche. Unaufhaltsam versteiften sich die Glieder, wurden unbeweglich und so hart, als ob die Muskeln versteinert wären.

Schließlich entschied ich, dass es reichen müsse. Ich fasste die Leiche unter den Schultern, hievte sie hoch und lehnte sie aufrecht gegen die Wand des Schachtes. Da stand sie nun, stocksteif wie ein Brett, die Arme lang hinabgestreckt vor dem Bauch und die Hände zusammengelegt, so dass sie einen perfekten Steigbügel formten.

Es gibt einen Namen dafür, der nicht nur Polizisten geläufig ist, sondern praktisch jedem Kind.

Räuberleiter nennt sich so was.

Nun kam es auf Geschicklichkeit und Balance an. Ich stellte einen Fuß in die Schlaufe, die Finger und Hände des Toten bildeten, und stemmte mich vorsichtig hinauf. Ich hatte Glück, der leichenstarre Griff des Toten hielt mein Gewicht aus. Nun konnte ich mich mit beiden Händen auf Schultern und Kopf des Toten abstützen und mich an ihm aufrichten.

Ein Blick nach oben verriet mir, dass ich dem Rand der Grube bereits ein bedeutendes Stück näher gekommen war.

Nun hob ich den anderen Fuß vom Boden, zog das Bein an und stellte ihn auf der Schulter der Leiche ab. Eine Art Ächzen und Knirschen ging durch den totenstarren Körper, als er mein volles Gewicht zu tragen bekam. Kurz schien er zu schwanken und zur Seite wegkippen zu wollen, doch ich konnte mein Gewicht ausbalancieren. Die Leiche wurde durch mein Gewicht gegen die Wand gepresst und stand wie eine Eins.

Ich zog den anderen Fuß nach und kam beidseitig auf den Schultern der Leiche zu stehen. Wieder knirschte der Kadaver. Lange würde er das nicht aushalten, so viel war sicher. Wenn er nachgeben oder in der Mitte brechen würde, wäre meine einzige Chance, aus diesem Loch lebend heraus zu kommen, zunichte.

Ich blickte hinauf zum Rand der Grube und streckte den Arm aus. Verdammt! Sieben, vielleicht acht Inches trennten meine gespreizten Finger von der rettenden Kante. Ich musste also springen, wollte ich sie erreichen.

Ich atmete tief durch. Ich hatte nur einen Anlauf, eine Chance, das war so klar wie die sprichwörtliche Kloßbrühe.

Langsam, wie in Zeitlupe, ging ich in die Knie. Die Leiche, auf deren Schultern ich stand,  seufzte, wohl weil ich ihr die letzte Luft aus der Lunge presste. Sie schien nachgeben zu wollen, sackte ein, zwei Inches ein, hielt sich jedoch aufrecht. Vorsichtig streckte ich beide Arme senkrecht über meinen Kopf. Ich atmete ein letztes Mal tief ein.

Und stieß mich ab.

Wie ein Schwimmer, der vom Startbrett steil in die Luft steigt, um kopfüber ins Wasser zu tauchen, schoss ich in die Höhe.

Ich sah meine Hände dem Grubenrand entgegenfliegen. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich mir sicher, mein Schwung würde nicht reichen. Unter mir ertönte ein dumpfes Knirschen und Krachen, als ob ein Fuder Brennholz in sich zusammenbricht. Dann bekam ich mit einer Hand den Rand zu fassen, krallte mich an der Kante fest, griff mit der anderen blitzschnell nach, zog mich hoch, bis ich auf dem Bauch zu liegen kam, zog die Beine nach und rollte mich zur Seite, bloß weg von der verdammten Grube.

Atemlos blieb ich auf dem Rücken liegen und wartete, bis mein Puls sich wieder beruhigte.

Schließlich stand ich auf, klopfte mir den Staub ab, ging zum Rand der Grube und blickte hinab.

Sergeant Hopkins´ Leiche lag unter mir, am der Wand der Grube, eigenartig verkrümmt, als wäre er in der Mitte zusammengeknickt worden. Die totenstarren Arme wiesen gerade nach oben, als streckte er sie mir flehend entgegen. Die Hände waren noch immer wie zum Gebet gefaltet.


***

Als ich ins Haus hinaufstieg, war es Nacht. Das Haus war leer. Ich beschloss zu warten.

Irgendwann hörte ich ein Mobiltelefon läuten. Ich fand es in der Schublade einer Kommode im Eingangsbereich, in der Dutzende Telefone lagen. Das, das läutete, war meins. Ich nahm das Gespräch entgegen. Der Anrufer war mein Vorgesetzter, Superintendent Powell. Ich berichtete knapp, was passiert war. Dass Hopkins tot war. Dass ich auf den Dämon wartete. Powell gab mir freie Hand.

In der Schublade darunter fand ich meine mit geweihten Silberkugeln geladene Beretta, zwischen gut zwei Dutzend anderer Handfeuer- und Stichwaffen, Schlagringen und Pfefferspray.

In einer weiteren Schublade fand ich Brieftasche, Dienstausweis, Schlüssel. Daneben Hopkins´ Ausweis, seine Brieftasche und einen Schlüsselbund, der demnach ebenfalls dem Serg gehört hatte.

Ich nahm an mich, was mir gehörte, dazu Hopkins´ Hinterlassenschaften.

Ich wartete.  

Ich hatte Hopkins nicht persönlich gekannt, hatte jedoch bemerkt, dass er einen Ehering am rechten Ringfinger getragen hatte.

Ich überlegte, was ich seiner Witwe sagen würde. Und seinen und ihren Kindern, falls sie welche hatten.

Mir fiel nichts ein. Ich würde das übliche sagen. Was man sagt, wenn einem die Worte fehlen.

***
 

Im Morgengrauen kam er zurück. Ich erwartete ihn, das Kreuz in der Hand.

"Terra pestem teneto - salus hic maneto."

Schreiend ging er in Flammen auf.

Ich sah zu, wie er brannte, bis zur letzten Flamme.

Ich spuckte in die rauchende Asche, aber sie war bereits so kalt, dass es nicht mal mehr zischte.

***

"Mit Verlaub, Sir. Sie sollten dafür sorgen, dass Sergeant Hopkins posthum die Tapferkeitsmedaille verliehen wird, Sir."

Superintendent Sir James Powell nippte an seinem Mineralwasser und sah mich verdutzt an. "Wie bitte? Aber wieso ..."

"Nun, er hat immerhin einem Scotland Yard-Beamten das Leben gerettet."

James Powell blinzelte. "Als Leiche. Was hat das mit Tapferkeit zu tun?"

"Ich kann versichern, dass Sergeant Hopkins auch als Leiche große Tapferkeit gezeigt hat. Er hat tapfer durchgehalten bis zum Schluss."

Powell sah mich an, als ob er nicht sicher war, ob ich es wirklich ernst meinte oder ihn nur auf den Arm nehmen wollte.

"Außerdem hinterlässt Sergeant Hopkins eine Witwe und zwei Halbwaisen, die die Zusatzrente, die mit der Auszeichnung verbunden ist, bestimmt gut gebrauchen können."

Powell schüttelte den Kopf und lächelte, was selten genug vorkam. "Schon gut, John. Ich schätze, das lässt sich in die Wege leiten."

"Danke, Sir."

ENDE.

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