Science Fiction WorldCon Glasgow 2024 (8.8.-12.8.2024) - Teil 3
Science Fiction WorldCon Glasgow 2024 (8.8.-12.8.2024) - Teil 3
EIN PERSÖNLICHER ERLEBNISBERICHT von Armin Hofmann
Zum letzten Con-Tag reisen wir nicht mit der S-Bahn an, sondern per Mietwagen, da Thosch und MaHo bereits nach dem Frühstück aus dem RadissonBlu auschecken und sich am frühen Nachmittag schon verabschieden wollen. Also einmal auf der linken Straßenseite quer durch Glasgow gegondelt und zwanzig Minuten später befinden wir uns bereits wieder im Crown Plaza Hotel, wo wir uns alle zusammen noch eine Lesung von Joe Haldeman genehmigen wollen, immerhin Autor eines der wichtigsten Werke der modernen SF-Literatur: THE FOREVER WAR (1974).
Mit seinen 81 Jahren zählt der Mann aus Oklahoma nicht mehr so ganz zum jungen Gemüse, ist aber noch immer sehr aktiv und offenbar auch viel- und gerne gesehener Gast auf WorldCons. Gelesen wird leider keine Kurzgeschichte oder ein Romanauszug. Stattdessen: Lyrik! Das ist etwas unerwartet, aber warum nicht? Schließlich erquicken mich gelegentlich auch die tiefgründigen Gedanken von Rimbaud, Christian Morgenstern oder Tex Rubinowitz. Haldemans naive Basislyrik jedoch zieht leider keine Wurst vom Teller und verpufft im Geiste sofort. Deshalb ist die nachfolgende Fragerunde eigentlich interessanter als die Lesung selbst. Nachdem Haldeman über Osmose referiert hat (engl.: „osmosis“), versteht ein offenbar schwerhöriger Fan stattdessen „Moses“ und will wissen, ob Joe ein religiöser Mensch ist. Darauf antwortet Haldeman souverän: „Ich glaube nicht an Gott. Ich glaube an mich selbst und daran, dass Gott nicht an mich glaubt.“ Immerhin ein nachvollziehbarer Standpunkt. Genauso deutlich war Haldeman bei der Antwort auf die Frage, ob er nochmal ins Universum seiner FOREVER WAR-Romane zurückkehren werde: „Dafür bin ich zu alt. Ich möchte meine verbleibende Zeit lieber mit wichtigeren Dingen verbringen.“
Nach kaum einer Dreiviertelstunde spuckt uns der Konferenzraum wieder aus und wir blicken etwas unentschlossen auf das weitere Programm. Deftige Panels wie „Surviving the Zombie Apocalypse“ oder „Sword Lesbians“ stehen zur Auswahl. Wer lieber auf Technik steht, kann stattdessen an einem Vortrag über den Bau der weltgrößten Radioteleskope in Afrika teilnehmen. Hmm, das wär‘ sicher was für SFCBW-Technik-Freak Ekkehard (Brux), denke ich mir. Das Panel „A History of Scottish Conventions in Glasgow“ wiederum eröffnet die Möglichkeit in die Fandom-Geschichte einzutauchen und ein paar Räume weiter wird anlässlich des 75. Jubiläums von George Orwell’s 1984, ein literarischer Klassiker der SF gefeiert. Das alles findet fast zeitgleich statt und deswegen entscheiden wir uns dafür lieber noch einmal in Ruhe den Dealer’s Room zu durchstöbern.
Dabei fällt uns besonders ein Stand der WHO (Worldcon Heritage Organization) ins Auge, an dem ein älteres Paar hinter einem Tisch neben einer Vitrine mit Hugo-Statuetten sitzt und bereitwillig Auskunft über die Tätigkeit der Organisation gibt. Die ältere Dame, deren Name mir leider entgangen ist, erklärt uns, dass die WHO 2011 mit der Übernahme der umfangreichen Sammlung von Bruce und Elayne Pelz, Peggy Rae Sapienza und anderen Fans gegründet wurde. Ziel ist es, alles was mit der Geschichte des WorldCons zusammenhängt zu sammeln und aufzubewahren: Programmhefte, Newsletter, Flyer, T-Shirts, Badges, Ribbons, Preise, Geschenke, Auszeichnungen, Bilder und eine Vielzahl physischer Ephemera, darunter das Programmheft des allerersten WorldCon aus dem Jahre 1939! Außerdem präsentiert die Organisation einzelne Sammelobjekte auf dem jeweils aktuellen WorldCon. Was das für einen Aufwand bedeutet, kann man sich vorstellen! Mit einem lachenden und einem weinenden Auge berichten die beiden altgedienten Vollblut-Fans, dass mitunter bis zu eine Tonne Metall in Form von Hugo-Trophäen innerhalb der USA oder auch ins Ausland transportiert werden müssen. Und nicht nur einmal hingen die Schätze dabei am Zoll fest. Das kostet Nerven und leider auch Geld. Dennoch sind die beiden äußerst gut gelaunt und gestatten mir bereitwillig, einen der allerersten Hugos, die je verliehen wurden (1953 an Forrest J. Ackerman) in meine ehrfurchtvoll zitternden Hände zu nehmen. Ein großartiges Gefühl!
Aber es ist bereits Mittag und weil Thosch und MaHo sich bald auf den Weg machen müssen, entscheiden wir uns noch für ein letztes Panel: „All Aboard: Fantastical Voyages Through Space and Time“, bei dem ein alter weißer Mann (Marcus Rowland) und drei junge Damen (Brenda, Karina und Kerstin) unfokussiert vom Thema weg palavern. Statt den im Programmheft angekündigten spannenden Gedanken über die phantastischen Reisen von Jules Verne, R.J. Barker, Ken McLeod oder Becky Chambers gibt es nur allgemeines Geplapper. Schade eigentlich, denn aus dem Thema hätte man mehr herausholen können. Es zeigt sich einmal mehr, dass einiges von der Fähigkeit der Panel-Teilnehmer abhängt, sich unterhaltsam und kenntnisreich präsentieren zu können. Und leider kenne ich die wenigsten der Namen, sodass es immer ein Überraschungspaket wird.
Dann neigt sich der letzte Con-Tag langsam dem Ende entgegen. Thosch spendiert uns zum Abschluss noch eine Runde Kaffee mit Churros an einem der Foodtrucks im Dealer’s Room, dann macht er sich mit MaHo vom Acker. Natalie und ich begeben uns hingegen erneut ins Armadillo nebenan, wo zum Abschluss die Closing Ceremony stattfindet.
Im noch immer gut gefüllten Saal versammeln sich die Fans um der Schlussrede von Chairperson Esther MacCallum-Stewart zu lauschen. Mit 7.300 Besuchern, 10.000 Mitgliedern aus 33 Ländern (incl. 600 Online-Besuchern) darf Glasgow sich immerhin als der bislang viertgrößte WorldCon bezeichnen (in Bezug auf die Mitgliedschaften). Die Anstrengungen haben sich gelohnt, wie ich finde, und trotz des ein oder anderen etwas langweiligen Panels eröffnete sich mal wieder die ganze Pracht des SF-Genres vor mir. Nur das Filmprogramm habe ich etwas vermisst und ich frage mich, warum ein solches offensichtlich bewusst ausgeklammert wurde. Beim WorldCon in Orlando war damals sogar Francis Ford Coppola zu Gast, der seine Dracula-Neuverfilmung (1992) promotete. Auch die Bidding Parties, die ich aus Den Haag und Orlando in so lebhaft positiver Erinnerung habe, fehlten hier in Glasgow schmerzlich; oder ich habe sie ganz einfach verpasst, weil sie offensichtlich nicht in den Hauptveranstaltungs-Gebäuden stattfanden. Einzig eine Gruppe Japaner hat in einem kleinen Pavillon im Dealer’s Room mit obskuren Häppchen und Drinks die Werbetrommel für einen WorldCon in ihrer Heimat gerührt. Auf meine (etwas naive) Frage, ob denn schon mal eine derartige Veranstaltung in Japan stattgefunden hätte, wurde ich dabei freundlich angelächelt und mit einem „Yesyes, Glasgo is wärri gud!“ abgespeist. Sei’s drum!
Eindrücklicher als früher tritt auf diesem WorldCon allerdings auch ins Bewusstsein, dass viele Fans älter oder sehr alt geworden sind. Böse Zungen sprechen hierbei von einer ‚Vergreisung des Fandoms‘ und ganz so unrecht haben diese Zungen nicht, wenn man all die bärtigen, weißhaarigen Gandalfs (und alten Morla‘s) mit ihren Weisheitsfalten sieht, die im fannishen Outfit mit ungebrochenem Enthusiasmus und Rollator an einem vorbeizockeln. Oder die enorme Ansammlung von E-Rollstühlen am Eingang zum Dealer’s Room! Aber so ist eben der Lauf der Dinge. Und ich weiß jetzt schon, dass ich da einst dazu gehören werde! :)
MacCallum-Stewart hat jedenfalls fast Tränen in den Augen, als sie sich auf der Closing Ceremony bei allen Mitwirkenden bedankt und den Stab übergibt an die Crew aus Seattle, wo nächstes Jahr im August der WorldCon 2025 stattfindet. Zu den Klängen von Nirvanas „Come As You Are“ wird ein kleines Präsentations-Filmchen gezeigt, das uns wirklich den Mund wässrig macht: das Motto lautet „Building Yesterday’s Future –– For everyone“ und das Design des Cons ist auf ästhetisch durchaus ansprechenden Retro-Futurismus ausgerichtet. 1961 fand zum letzten Mal ein WorldCon in Seattle statt und in der Präsentation wird in Schwarzweiß-Bildern gezeigt, wie man sich damals – als gerade das markante Wahrzeichen der Stadt, der futuristische Space Needle-Aussichtsturm gebaut wurde - die Zukunft vorstellte.
Ich blicke Natalie an und sie mich. Und in dem Moment wissen wir, wo wir nächstes Jahr unseren Urlaub verbringen werden. Grunge und SF in einem Atemzug! Die Vorstellung ist einfach unwiderstehlich!