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Science Fiction WorldCon Glasgow 2024 (8.8.-12.8.2024) - Teil 2

Science Fiction WorldCon Glasgow 2024 (8.8.-12.8.2024) - Teil 2
EIN PERSÖNLICHER ERLEBNISBERICHT von Armin Hofmann

Als ich am Samstagmorgen ausgeschlafen und gutgelaunt den Frühstücksraum des RadissonBlu betrete, treffe ich mit Thosch und MaHo bereits zwei SFCBWler an, die sich schamlos Baked Beans und Haggis reinpfeifen, was offenbar in Schottland Sitte ist. „Stimmt ja!“, denke ich, „Ich bin auf dem WorldCon in Glasgow! Wie geil ist das denn!?“ Und wie es sich für anständige SF-Fans gehört, kippen die Gesprächsthemen beim Frühstück schnell um in tiefgründige Debatten über Sinn und Unsinn von KI.

Thosch plädiert für mehr Offenheit im Umgang mit der Technik, die schon lange unser aller Leben verändert hat und in der Diskussion über die literarischen Fähigkeiten bzw. Unfähigkeiten von KI, befehlen wir ChatGTP dann zwischen Rührei und Kaffee nebenher eine SF-Geschichte zum Thema Umweltentsorgung auf dem Mond zu schreiben. Brav haut die KI in fünf Sekunden eine Short Story raus, die von allen Anwesenden als „gar nicht mal sooo schlecht“ bewertet wird. Schöne neue Welt! Vielleicht sollten wir mal im SFCBW einen Story-Wettbewerb mit KI-generierten Kurzgeschichten veranstalten…

 

INTELLIGENTE KÜNSTLICHKEIT – Samstag, 10.08.
Diesmal haben wir das Zeitmanagement etwas besser im Griff und laufen pünktlich um 10:00 im Crown Plaza auf, um uns das Panel „Comic Book Sommelier“ reinzuziehen, bei dem Experten der Neunten Kunst Empfehlungen abgeben. Leider aber stellt sich der 60-minütige Programmpunkt als eine lahme Aneinanderreihung von persönlichen Tipps heraus, die eher an oberflächliche Kneipengespräche erinnern. Verwunderlich auch, warum ein Assistent mit Beamer zwar das WorldCon-Logo auf die Wand projiziert, aber niemand in der Lage ist, wenigstens kurz die Cover der empfohlenen Werke zu präsentieren. Eine Unsitte, die leider in fast jedem Panel des Cons gepflegt wird.

Wesentlich interessanter ist da schon der Vortrag „Publishing in the UK“, in dem Marcus Gipp, Verlagsleiter bei Gollancz, einem der wichtigsten Verlage für die Veröffentlichung von SF in England, über die Verlagswelt in Großbritannien referiert. Ein Schnellfeuergewehr ist zwar ein Dreck gegen die Vortragsgeschwindigkeit, trotzdem vermittelt der sympathische Gipp sehr plastisch, was heute in der SF ‚geht‘ und was nicht, gerade in Anbetracht von Self Publishing. Es schält sich heraus, dass trotz digitaler Veröffentlichungsformen, Hörbüchern und Podcasts das gedruckte Buch sich in bestimmten Wellen stets neuer Beliebtheit erfreut. Aktuell definiert Gipp drei Strömungen als besonders populär und markttauglich: Romantasy (argh!), wohlfeile, aufwendig gestaltete und produzierte Editionen bereits etablierter Bücher (yeah!) und Booktok als Marketing-Tool (hmm…). Das derzeit angesagte Genre ‚Romantasy‘ ist mir bereits im Dealer’s Room aufgefallen, wo sich auf den Verkaufstischen Roman(-reihen) wie „Legends & Lattes“ von Travis Baldree türmen, bei denen es um eine kampfmüde, weibliche Ork-Lady geht, die einen Coffee-Shop eröffnet (!) und die aussieht, wie eine Kreuzung aus She-Hulk und Shrek. Das Ganze richtet sich eher an Young Adults und Young Adults-Gebliebene. Not my cup of tea! Als bibliophil veranlagter Mensch erfreut mich dagegen vielmehr, dass die Klassiker in wertvollen Editionen weiterleben und sich offenbar für die Verlage rentieren. Für jemand meiner Generation (Alter: 56!) verwunderlich ist die Sache mit Booktok: Buchbesprechungen auf TikTok in dreiminütigen Clips. Auch diese richten sich vornehmlich an junge Erwachsene und werden immer häufiger als Werbemittel in Buchhandlungen eingesetzt. Wenn’s dabei hilft, die Kids wieder zum Lesen zu bringen, ist das an sich eine gute Sache, nur bleibt da immer ein bitterer Nebengeschmack, wenn das Ganze über eine gesellschaftszerfressende Krake wie TikTok läuft. Nee du, lass mal!

Nach diesem relativ aufschlussreichen Programmpunkt ist unser geistiger Hunger aber immer noch nicht gestillt. Wie schön, dass nebenan im SEC eine Gruppe altgedienter WorldCon-Recken in dem Panel „The Untold History of Worldcons“ sehr unterhaltsame Anekdoten aus der jahrzehntealten Geschichte der Großveranstaltung zum Besten geben, darunter Kees van Toorn, der schon bei ConFiction, meinem ersten WorldCon in Den Haag 1990, Chairman war. Sehr eloquent berichtet van Toorn auch von dem ersten und bislang einzigen WorldCon in Deutschland (HeiCon, 1970 in Heidelberg), auf dem politische Konflikte im Zuge der 68er-Bewegung ausgetragen wurden oder vom SeaCon 1979 in Brighton, bei dem die Con-Veranstalter so gut wie pleitegingen, weil das Veranstaltungshotel gnadenlos Ausfallgebühren für nicht erschienene Non-UK-Fans verlangte. John Pomeranz wiederum, langjähriger aktiver Fan aus der Region Washington D.C. erzählte, wie das Con-Komitee 1989 beim NoreasCon 3 in Boston, für die Teilnehmer kleine Auktionshammer als Andenken an die Veranstaltung verteilten. Eine vermeintliche nette Idee, die sich schnell als Schnapsidee herausstellte, weil Fans die Krachmacher offenbar bei jeder sich bietenden Gelegenheit lautstark einsetzten und den Vortragenden somit das Leben zur Hölle machten. Prompt meldet sich darauf ein Fan im fortgeschrittenen Alter, der selbst noch eine dieser Hämmer von damals besitzt! Überhaupt zeigt sich bei diesem, wie auch bei vielen anderen Panels, wie kommunikativ viele SF-Fans sind. Fan stellt sich sogar in einer Reihe vor dem Mikro auf um Fragen zu stellen zu dürfen und es herrscht meist eine sehr lockere Atmosphäre.

Bevor wir uns mit „You Never Walk Alone: The Best Animal Companions in SFF“ die Gelegenheit nicht nehmen lassen, Peter S. Beagle, Autor des unsterblichen Fantasy-Klassikers DAS LETZTE EINHORN, live zu erleben, kommt es erneut zu einer meiner mittlerweile schon fast normal gewordenen ‚unheimlichen Begegnungen‘, als Thomas Recktenwald, langjähriges Vorstandsmitglied des SFCD, an mir vorbeieilt. Ich versperre ihm den Weg und verwickle ihn in eines dieser „Kannst Du dich noch an mich erinnern?“ und „Weißt Du noch, damals im Saarland“-Gespräche. Ich glaube ich hatte ihn zuletzt 1995 auf dem inzwischen legendär gewordenen FreiCon in Freiburg gesehen und auch er kann sich immerhin noch vage daran erinnern, wie ich ihn mit der üblichen Delegation von SFCBWlern (Jürgen Thomann, Ludwig Schindler (Ex-Kassenwart), Nicole Steck (Ex-Redakteurin), Heiko Kaminski (Ex-Kassenwart) und MaHo (Haupt-Initiator des FreiCon) in seiner saarländischen SF-Hochburg besuchte, wo wir unter anderem seine umfangreiche Filmsammlung (damals noch auf VHS) bewundern konnten. Was hatten wir damals gelacht, als wir zum allerersten Mal die hirnrissige Flash-Gordon-Parodie FLESH GORDON zu Gesicht bekamen!

Aber Thomas muss weiter und wir zwängen uns in den gut gefüllten großen Saal des SEC um zu lauschen, was Peter S. Beagle so zu tierischen Begleitern zu sagen hat. Das war leider nicht viel und auch die übrigen Panel-Teilnehmer*innen können uns mit ein paar halbgaren Anekdoten nicht wirklich vom Hocker reißen.

Langsam zeigen sich Ermüdungserscheinungen und so begeben MaHo, Natalie und ich uns ins Sir John Moore, eine Kneipe mit angeschlossenem Restaurant direkt gegenüber von unserem Hotel. Dort: Nahrungsaufnahme - und dann ein halbes Stündchen im Hotel ausruhen bevor uns wieder ins Getümmel stürzen.

Im Convention Center stoßen wir wieder auf Thosch und marschieren gemeinsam zum Panel „AI and Creative Writing – Do Androids Dream of Winning a Hugo?“ um unsere beim Frühstückstisch begonnene Diskussion zum Thema KI weiter zu vertiefen. Auch hier gibt es keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse. Das Schreckgespenst vom Untergang künstlerischer Leistung wird erneut durch den Saal getrieben und so verlassen wir nur mäßig inspiriert den Raum und wollen noch kurz bei der traditionellen Kostüm- und Cosplay-Show vorbeischauen, die als „Glasgow 2024 Masquerade“ angekündigt ist. Die läuft schon seit eineinhalb Stunden. Bei dieser Veranstaltung werden Kostüme gefeiert, die von Science Fiction und Fantasy inspiriert sind. Jeder, der Lust hat, kann daran teilnehmen und so wird dem geneigten Fan eine Vielzahl von Figuren, Situationen und Darstellungen bekannter Filme, Serien, Romane, Comics etcpp. präsentiert. Die Tradition geht zurück bis ins Jahr 1939 als Fan-Ikone Forrest J. Ackerman und Myrtle R. Douglas beim allerersten SF-WorldCon in New York futuristische Kostüme trugen die von dem SF-Klassiker THINGS TO COME (1936, nach H.G. Wells) inspiriert waren. Leider erinnert die Veranstaltung trotz überbordendem Enthusiasmus der Teilnehmer eher an eine vor sich hinplätschernde Schulveranstaltung. Auch die US-amerikanische Filk-Band Sassafrass, die offenbar regelmäßig Sci-Fi und Fantasy-Musik auf Fan-Conventions performt, kann die etwas aufgeblasene Bühnenshow nicht wirklich aufwerten.

Zum Abschluss wollen wir deswegen noch einmal rüber in die Party-Zone vom CrownPlaza schauen, wo DJ Scapegoat unter dem Motto „Wild Wasteland“ versucht an den gestrigen Erfolg von John Scalzi anzudocken. Das gelingt leider auch nicht. Statt Audience Animation gepflegte Allerweltsmusik, die nicht beim Bügeln stört. Entsprechend bald verabschieden wir uns und freuen uns stattdessen lieber auf den bevorstehenden nächsten Con-Tag, der auch wieder zahlreiche interessante Programmpunkte zu bieten hat.

 

Die Neuentdeckung des Jahres und ein Hugo im Gürteltier
– Sonntag 11.08.

Leider ging es am Sonntagmorgen um 10:00 wieder etwas mau los. Ich hatte mir erhofft im Panel „Book Cover Design for Science Fiction, Fantasy and Horror“ ein bisschen was über phantastische Kunst und Buchvermarktung zu erfahren, vor allem weil mit John Clute, Hugo-Gewinner und langjährigem Herausgeber der Encyclopedia of Science Fiction (1979-heute) eine wahre Koryphäe der SF-Szene am Tisch sitzt. Aber obwohl es hier explizit um Visualisierung von SF geht, gibt es mal wieder nicht eine einzige Projektion zur Veranschaulichung! Der italienische Künstler Maurizio Manzieri erzählt halbwegs aufregende Geschichten über das Leid von Auftragskünstlern; ansonsten viel allgemeines Blabla.

Umso mehr flasht der gleich im Anschluss daran anschließende Programmpunkt „Alasdair Gray: Writer, Artist, Visionary“, der für mich persönlich einer der Highlights des Cons darstellt. Im Gegensatz zum vorangegangenen Panel sitzen hier vier Literaturexperten und ein Moderator zusammen, die wirklich was zu sagen haben. Fachkundig und unterhaltsam gelingt es den Panelteilnehmern den Zuhörern deutlich zu machen, welche Faszination von dem 2019 leider verstorbenen schottischen Autor Alasdair Gray ausgeht, einem visionären Grenzgänger zwischen Literatur und bildender Kunst, den drei Schriftsteller-Kollegen folgendermaßen beschreiben: „Der beste schottische Autor seit Sir Walter Scott!“ (Anthony Burgess), „Die beste schottische Literatur des Jahrhunderts!“ (Iain Banks) und „In Alasdair Grays überwältigend surrealer Vorstellungskraft, ist die Realität ungefähr so verlässlich, wie die Uhren von Salvador Dali“ (Brian W. Aldiss). Manch einer kennt Gray vielleicht als Autor der literarischen Vorlage zum filmischen Meisterwerk POOR THINGS von Yorgos Lanthimos, dieser großartigen Frankenstein-Variante, die bei der letzten Academy Award-Verleihung vier Oscars erhalten hat. POOR THINGS hat dann auch mein Interesse an dem mir noch unbekannten Autoren geschürt und da die anwesenden Autoren (Nikhil Sing und Nina Allan) und Literaturexperten (Jonathan Thornton, Nick Lowe) es schaffen, die Werke so unglaublich plastisch zu beschreiben, dämmert mir immer mehr, dass ich da offensichtlich was verpasst habe. Insbesondere das Hauptwerk von Gray, der ‚surreale Bildungsroman‘ LANARK, scheint für Glasgow das zu sein, was Dublin für ULYSSES von James Joyce ist. Präzis gesetzte biografische Hintergrundinfos über den eigenwilligen schottischen Künstler und treffende Analysen seiner Werke machen das Panel zu einem Genuss. Klar, dass ich nach dem Con gleich in einen gutsortierten Buchladen renne um mir den Wahnsinnsschinken LANARK (570 Seiten) im Original zuzulegen.

Nach einer kurzen Verschnaufpause kommt es in einem der Nebenräume des SEC zu einer Wiederbegegnung mit Michael (Schneiberg) und MaHo, die - ebenso wie ich - Brian W. Aldiss zu ihren Lieblingsautoren zählen. Obwohl wir alle etwas skeptisch sind, hören wir uns an was Tim Aldiss, der Sohn von Brian W., und ein paar Mitstreiter sich dabei gedacht haben, „The Aldiss Award for World-Building in SF and Fantasy“ ins Leben zu rufen. Ausgehend von Aldiss‘ Helliconia-Trilogie, einem bei anspruchsvollen SF-Fans bekannten und beliebten Beispiel für literarisches world building, soll der neue Preis „eine jährliche Auszeichnung zur Anerkennung von Leistungen in den Bereichen Literatur und Spiele“ sein, „insbesondere rund um das Erschaffen von Welten im Science-Fiction- und Fantasy-Genre“. Hmm? World-Building und Spiele? Hat die Welt wirklich auf so einen Preis gewartet? Angeblich hatte Aldiss eine große Leidenschaft für (Brett-)Spiele. Trotzdem fragen sich die Zuhörer nicht ganz zu Unrecht, ob man so unterschiedliche Formate wie Romane, Kurzgeschichten, Brettspiele und Computerspiele überhaupt vergleichen kann? Und was ist mit Film und Hörspiel? Irgendwie erscheint das Ganze etwas verkrampft und leicht überflüssig. Naja, man wird sehen, ob sich dieser Preis durchsetzen wird. Ich hab‘ da so meine Zweifel.

Im Anschluss an diesen knochentrockenen Vortrag geben wir uns als Kontrast dazu mit „Best Cats of SFF“ eine etwas augenzwinkernde Veranstaltung, bei der die absolut essentielle Frage erörtert wird, welche Samtpfoten die Genres SF und Fantasy herausragend geprägt haben. Das ist allein schon durch die erneute Anwesenheit von John Scalzi sehr unterhaltsam, der mit viel Humor über Erlebnisse mit seinen eigenen Katzen referiert. Aber auch GoH Nnedi Okorafor schildert sehr eloquent und sympathisch das ganz eigene Verhältnis zu ihrem Kater und schürt dadurch durchaus das Interesse an ihren literarischen Arbeiten, die ich gleich mal auf meine geistige ‚to read‘-Liste setze. Alle Panel-Teilnehmer sind sich einig, dass einer der größten Katzen-Helden in Ridley Scotts SF-Klassiker ALIEN (1979) anzutreffen ist: Ellen Ripleys (Sigourney Weaver) Kater Jonesy, dem „wahren Helden“ des Films, weil es ihm fast mühelos gelingt, dem blutrünstigen Alien zu entwischen. Der Gute hat sogar einen Wikipedia-Eintrag, wo er unter den „Top 15 Movie Cats of all Time“ gelistet wird. Jedenfalls gibt es für die voll besetzte Hall 1 im SEC viel zu lachen.

Bevor wir uns dann für den Höhepunkt des Abends, der Verleihung des Hugo Award im Auditorium des Armadillo, bereitmachen, gönnen wir uns ein letztes Mal einen Beitrag aus der Serie über Künstliche Intelligenz. Im halbwegs interessanten Panel „AI and Ethics – Do Androids Dream of Having Free Will?“ wird diesmal die Frage erörtert, ob man KI mit einem freien Willen ausstatten sollte (falls das irgendwann geht) und ihnen dabei den Unterschied zwischen moralisch richtig und falsch erklären soll, oder ob man lieber willenlose Sklaven kreieren müsste, die gefälligst gehorchen. Aber auch hier tappt man natürlich im Dunkeln und eine KI mit freiem Willen erscheint den meisten eher unheimlich.

Leider muss MaHo sich wegen eines Abendessens im privaten Umfeld verabschieden und auch die anderen SFCBWler und Ex-SFCBWler verschwinden von unserem Radar. Also pilgern Natalie und ich alleine in einer üppigen Schar von SF-Fans zum Clyde-Auditorium, wo ab 20 Uhr im festlichen Setting einer der begehrtesten Fandom-Preise vergeben wird: der Hugo Award. Trotz einer Dauer von stolzen 150 Minuten gestaltet sich der Abend sehr unterhaltsam. John Scalzi outet sich bei einer kurzen Einführung einmal mehr als solider Entertainer, dann übernimmt Chair Professor Esther McCallum-Stewart, Leiterin des schottischen WorldCon-Teams, und vergibt zusammen den Guests of Honours und ein paar Special Guests die prestigeträchtigste Auszeichnung im Bereich Science Fiction und Fantasy, sowohl in professionellen als auch in fannishen Kategorien. Mit Bildprojektionen stehen die Schotten aber wohl auf Kriegsfuß, denn auch bei der krönenden Veranstaltung des Cons gibt es wieder etliche Aussetzer oder Aktionen, die eher an Schulveranstaltungen erinnern. Bei der Auszeichnung für den Best Editor etwa wurde mehrfach hintereinander die gleiche Portraitgalerie der Nominierten projiziert, was die Preisträgerin Ruoxi Chen bei ihrer Dankesrede immerhin gutgelaunt kommentiert: „Ich danke all meinen Mit-Nominierten dafür, die Peinlichkeit ertragen zu haben wegen technischer Schwierigkeiten ihr Gesicht viermal hintereinander vorgeführt zu bekommen. Ein kleiner persönlicher Alptraum!“ Auch das Publikum nimmt es mit Humor.

Sehr sympathisch äußert sich bei ihrer Dankesrede auch Ursula Vernon, die unter ihrem Pseudonym T. Kingfisher, für ihre Novelle THORNHEDGE, ausgezeichnet wird. Anscheinend bekannt für ihren skurrilen Humor erwähnt sie zuerst ihren Kampf gegen den Brustkrebs, dann erheitert sie das Publikum mit amüsanten Fakten über Seegurken, diesen „langen Socken aus Fleisch voller Wasser und Innereien“, die so wichtig seien für das Ökosystem. Auch ihre Novelle handele von einer kleinen Kreatur, die einen wichtigen Job verrichtet, aber leider komplett übersehen werde.

Der Hugo für den besten Roman ging an Emily Tesh für DESPERATE GLORY, eine Dystopie, laut Autorin „leider inspiriert von den schlechtesten Dingen, die derzeit in der Welt passieren“. Tja, manche Dinge ändern sich nie. Und das ist es auch, was das Genre Science Fiction besonders ausmacht. Es geht letztlich immer um das, was um uns herum passiert und zu was es im schlimmsten Fall führen könnte.

Alles in allem ist die Hugo-Verleihung trotz manch technischer Unzulänglichkeit wieder ein Highlight, auch wenn ich die allermeisten der Protagonist*innen kaum kenne. Man spürt jedenfalls deutlich, dass die Beteiligten mit jeder Faser dabei sind und das, was sie machen – sei es als Profiautor, Fan, Künstler oder Organisator – aus ganzem Herzen lieben.

Mit diesen positiven Vibrationen traben wir nach Beendigung der Veranstaltung nach draußen in die schottische Nachtluft. Die UFO-Silhouette der hell erleuchteten OVO Hydro-Halle strahlt auf uns herab, als Natalie und ich am Ufer des River Clyde entlang gemütlich zum Hotel spazieren. Erneut wird mir bewusst, wie viel Neues es zu entdecken gibt in diesem Genre, dass mich seit ich denken kann begleitet und fasziniert. Der Con neigt sich leider dem Ende entgegen, aber einen Tag gibt es noch auf den wir uns freuen können.
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DER ABSCHLUSS FOLGT im letzten Teil: Ist Joe Haldeman ein Dichter? Vergreist das Fandom langsam aber sicher? Und wie fühlt es sich an, einen echten Hugo in den Händen zu halten?

 

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