Science Fiction WorldCon Glasgow 2024 (8.8.-12.8.2024)
Science Fiction WorldCon Glasgow 2024 (8.8.-12.8.2024) - Teil 1
EIN PERSÖNLICHER ERLEBNISBERICHT von Armin Hofmann
Drei Jahrzehnte später sitze ich erneut in einem Flugzeug Richtung Science Fiction WorldCon, der diesmal in Schottland stattfindet. Inzwischen habe ich die Baden-Württembergische Heimat verlassen, bin zweifacher Vater geworden und gelte quasi als fandomfremd. Aber da ist es wieder, das alte Fieber! Erst der Wiedereintritt in den SFCBW im Januar 2024 und jetzt das! Mittlerweile geht die Anmeldung zu diesem traditionsreichen Event ja auch sehr easy. Schwupp - 250 EUR für ein Adult Attending Membership überwiesen und schon ist meine alte Mitgliedsnummer 5029 reaktiviert!
Zusammen mit meiner besseren Hälfte Natalie, die das „Fandom“ oder gar „WorldCons“ bislang nur aus meinen nostalgischen Schwärmereien kennt, lande ich pünktlich in Glasgow und wir tuckern im Airport Shuttle zum RadissonBlu, einem der Con-Hotels, das strategisch günstig gelegen mitten im Herzen von Glasgow liegt. Da wir nicht gleich einchecken können und wir zum ersten Mal Schottland besuchen, nutzen wir die Gelegenheit zu einem ersten kleinen Streifzug durch die Innenstadt und stellen fest, dass der ganze Ort gefühlt mit Schottenkaros tapeziert ist und uns aus jedem Schaufenster unterschiedliche Marketing-Versionen des berühmten Hochlandrinds (schottisch: „Heilan Coo“) entgegenblicken. Klischeemäßig hängen auch Dudelsackklänge in der Luft, weil in der Stadt gerade ein Dudelsack-Festival stattfindet. Herrlich!
Aber die Science Fiction ruft! Also, auf geht’s in die S-Bahn und nach drei Stationen erreichen wir den markanten Scottish Event Campus (SEC), wo unter dem Motto „A Worldcon for Our Futures“ die 82. World Science Fiction Convention stattfindet. Da ich in den vergangenen Jahren nicht gerade aufmerksam verfolgt habe, was sich in der SF-Literaturszene so getan hat, sind mir die Ehrengäste allesamt unbekannt. Während wir also durch eine nicht enden wollende Plastikröhre latschen, welche die S-Bahn-Station mit dem Convention-Center verbindet, kann ich Natalie weder erklären, dass Guest of Honour Ken McLeod bereits 18 Romane geschrieben und mehrfach von der British Science Fiction Association ausgezeichnet wurde, noch dass die aus Nigeria stammende Nnedi Okorafor mit ihrem „Africanfuturism and Africanjujuism“ mittlerweile zu den angesagten SF-Autorinnen gehört und für ihre Comic-Serie ‚LaGuardia‘ sowohl den Hugo als auch den begehrten Eisner Award erhielt. Auch habe ich keine Ahnung von Terri Windling, die über 40 Bücher verfasst, 10 Fantasy Awards abgeräumt und für ihre Anthologie-Serie „The Year's Best Fantasy and Horror“ den Bram Stoker Award überreicht bekam. Alles verpasst! 30 Jahre sind eine lange Zeit.
Aufholen und neu entdecken ist also angesagt, als wir im Schatten der am Ufer des Clyde aufragenden, UFO-ähnlichen OVO Hydro-Mehrzweckhalle zum Hauptgebäude des SEC eilen, um unsere Badges abzuholen. Am Ausgabe-Counter ist gerade nicht viel los, also geht das relativ schnell. Wohlige Gefühle umfangen mich, als ich mir den Badge umhänge, auf dem ein von Künstler Chris Baker (ebenfalls Guest of Honour) gemalter Waldgnom ehrfürchtig auf das Glasgow 2024-Logo starrt. Natalie ist eine von 1310 Personen, die zum ersten Mal in ihrem Leben einen WordCon besuchen, und somit - gemäß Con-Motto - dem Fandom eine Zukunft geben.
Das Programm läuft bereits seit frühmorgens. Aber wo ist nochmal was? Neben den fünf Hallen des Hauptgebäudes finden die Veranstaltungen sowohl im angrenzenden Crown Plaza Hotel statt, als auch im „Armadillo“, einer optisch beeindruckenden Konzerthalle in Form eines Gürteltiers! Über die Con-Website kann man sich zwar bequem durch das ausufernde Wahnsinnsprogramm scrollen und aus 957 Programmpunkten (insgesamt über 1.000 Stunden verteilt über fünf Tage) auswählen, was immer das SF, Fantasy oder Horror-Herz begehrt, aber das führt leider auch dazu, dass grundsätzlich immer zwei bis drei interessante Programmpunkte gleichzeitig stattfinden. Qual der Wahl ist angesagt!
Da wir seit fünf Uhr früh auf den Beinen sind, entscheiden wir uns für ein erstes Akklimatisieren im Dealers Room, wo Verlage, Con-Veranstalter, Selbstverleger, Fans und Künstler ihre Werke ausstellen, informieren und miteinander ins Gespräch kommen. Von meinen früheren WorldCons habe ich den Dealers Room etwas größer in Erinnerung, aber es gibt trotzdem einiges zu entdecken. Einige Stände machen Werbung für zukünftige Cons, z.B. den nächsten WorldCon in Seattle oder den anstehenden EuroCon 2025, der von finnischen SF-Freaks exotischerweise auf der Insel Aland ausgerichtet wird. Auch das deutsche Fandom ist standardmäßig mit einem SFCD-Stand vertreten, wo insbesondere die Werbetrommel für den MetropolCon 2026 in Berlin gerührt wird. In einer weiteren Sektion finden sog. Table Talks statt, zu denen man sich anmelden und in kleiner Runde mit prominenten SF-Schaffenden sprechen kann. Und nicht zuletzt gibt es auch Bereiche, wo sich Fans zum Rollenspiel oder Trading Card-Game zusammensetzen können.
Wahre Blickfänger am Eingang zum Dealers Room sind zwei 1:1-Modelle des ikonischen Batmobils: sowohl die klassische Variante aus der TV-Serie von 1960 als auch der panzerähnliche „Tumbler“ aus der Dark Knight-Trilogie von Christopher Nolan. Dahinter herrscht gemütliches Treiben an diversen Verkaufsständen.
Ich führe ein sympathisches Gespräch mit einer israelischen Fantasy-Autorin, die ihre Bücher im Selbstverlag herausbringt, stelle aber schnell fest, dass die Inhalte thematisch nicht ganz auf meiner Linie liegen. Interessanter ist da schon Gustaffo Vargas, ein aus Peru stammender Comic-Künstler, der seine Werke unter dem Label „Peruvian Cyberpunk“ vermarktet. Tatsächlich fällt sein expressiv-farbiger, dynamischer Zeichenstil sofort ins Auge und die Verquickung von peruanischer Kultur und biotechnologischem SF-Setting wirkt frisch und unverbraucht. Nach einem weiteren anregenden Gespräch und dem Kauf eines signierten Exemplars seiner aktuellen Graphic Novel „Anticucho & Other Peruvian Cyberpunk Stories“, entdecke ich neben überbordenden Bücherständen mit SF-Literatur von traditionellen britischen Imprints (Gollancz etc.), auch einen ganz besonders coolen Stand des mir noch unbekannten Verlags PS Publishing. Der in Yorkshire ansässige Independent-Verlag hat sich auf Fantasy, SF und Horror spezialisiert und wurde bereits neunmal (!) in Folge mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet. Wie ich schon sagte: ich war 30 Jahre weg!
Jedenfalls publiziert der britische Verlag wahre Schmuckstücke der phantastischen Literatur, allen voran eine bislang 17-bändige Reihe von H.P.Lovecraft-Büchern, die unter dem Label „Lovecraft Illustrated“ mit fantastisch-guten Covern und Illustrationen des Künstlers Pete Von Sholly beeindruckt. Fast noch geiler ist das Sublabel ‚Electric Dreamhouse‘ unter welchem der Verlag „genre based cinema“ auf Herz und Nieren untersucht. Das Originaldrehbuch von KING KONG (1933) von Edgar Wallace zum Beispiel, mit haufenweise Infos und seltenem Bildmaterial zur Entstehungsgeschichte dieses unsterblichen Klassikers, oder ein wahrer Wälzer namens „The Brood“, in dem Comic-Legende Stephen R. Bissette den bahnbrechenden Body-Horror-Thriller von David Cronenberg auf 690 Seiten (!) mehr als erschöpfend analysiert.
Als weniger beeindruckend stellt sich schnell die Kunstausstellung im Zentrum des Dealers Room heraus. Zwar finden sich ein paar schöne Werke von Altmeister Jim Burns (der auch persönlich anwesend ist), doch insgesamt lässt sich die ausgestellte Kunst eher als ‚naive Malerei‘ bezeichnen. Selbst die Arbeiten von Chris Baker (aka Fangorn), dem als Guest of Honour etwas mehr Raum gewährt wird, sind bestenfalls hübsch anzusehen. Ach ja, und in einer anderen Ecke des Dealers Room fristet noch eine selten gewordene Spezies ihr kärgliches Dasein: Fanzines! Im digitalen Zeitalter zur Obskurität verkommen, sind tatsächlich noch ein paar US-amerikanische Exemplare ausgestellt, die aus der Anfangszeit des Fandoms stammen. Bittere Tränen der Rührung fallen auf die vergilbten Seiten, als ich zitternd darin blättere…
Leider fordert langsam die Müdigkeit ihren Tribut und wir entschließen uns dazu erst am morgigen Freitag voll ins Programm einzusteigen. Und weil die traditionelle schottische Küche nicht gerade auf Vegetarier ausgerichtet ist, begnüge ich mich mit einer schmackhaften vietnamesischen Nudelsuppe und scrolle mich dann später im Hotel auf der WorldCon-Website selig lächelnd in den Schlaf.
Hätte ich mal lieber den Lageplan im Convention Guide richtig studiert! Denn als wir uns um 10:30, bei dem Versuch, noch die letzte Viertelstunde des Panels „Predicting the Shape of Things To Come“ mitzunehmen, im voll besetzten Raum Argyll 2 des Crown Plaza Hotels einfinden, wundern wir uns etwas, warum die Panel-Teilnehmer sich über Anbau und Kompostierung von Lebensmitteln auf Raumstationen unterhalten; bis ich entsetzt feststelle, dass wir uns im falschen Raum befinden! Hier findet nämlich das Panel „Vegetables in Space“ statt, in welchem die Frage erörtert wird, welches Gemüse auf langen Raumfahrten angebaut wird, wie das überhaupt in Schwerelosigkeit gehen soll und welche Sorten bei der Besiedlung fremder Planeten angebaut werden! SF-Fans! Say no more!
Also Rüberrennen in den Nachbarraum (Argyll 2, nicht Argyll 1). Auch dort erwartet uns ein vollgepackter Raum und wir bekommen gerade noch mit, wie die Panel-Teilnehmer darüber diskutieren, welche Zukunftsprognosen der SF sich bewahrheitet haben und welche nicht. Schlecht weg kommt dabei H.G. Wells mit seinen Insektenmenschen auf dem Mond („First Men on the Moon“), aber auch das klassische SF-Konzept einer Menschheit, die in Zukunft unter der Erde lebt, wird als gescheitert bewertet.
Als die Besuchermassen danach mit leuchtenden Gesichtern und den Worten „That was fascinating!“ aus dem „Gemüse“-Vortrag nebenan ins Foyer strömen und ich mich auf dem Klo neben einem Opa mit BladeRunner-T-Shirt erleichtere, frage ich mich: gehöre ich da überhaupt noch dazu?
Die Antwort folgt auf dem Fuß, denn schon das nächste Panel (diesmal drüben im ESC) befasst sich unter dem Titel „Iain Banks: Between Genre and Mainstream“ mit einem meiner Lieblingsautoren. Bekanntlich hat der mittlerweile zur Ikone gewordene schottische Autor nicht nur bahnbrechende SF geschrieben (als Iain M. Banks), sondern auch zahlreiche Non-SF-Werke und genau diese waren Thema des Panels, an dem auch Guest of Honor Ken McLeod teilnahm, der Banks persönlich kannte und wie dieser mittlerweile zur Speerspitze der schottischen SF zählt. Erinnerungen an Meisterwerke wie „The Wasp Factory“, „The Bridge oder „The Crow Road“ werden wieder geweckt und lebhaft von den Panel-Teilnehmern diskutiert.
Noch besser als die (Wieder)-Begegnung mit Banks ist jedoch die Zufallsbegegnung mit Ex-SFCBW-Mitglied Michael Schneiberg, der nach Ende des Programms ein paar Reihen vor mir aufsteht und zum Ausgang strebt. „Hallo, Michael! Wie geht’s?“ Kurze Verwunderung, dann ein freudiges „Armin, hallo!“ und eine Umarmung nach 30 Jahren! Klar, dass man sich bei gemeinsamen Vorlieben wir Iain Banks wiedertrifft und kurz darauf sitzen wir bei einem Glas Erdbeer-Cidre (!) im Restaurantbereich und versuchen uns gegenseitig im Schnelldurchlauf auf den neusten Stand zu bringen.
Vor lauter Gelaber über die guten alten Zeiten und was daraus geworden ist, verpasse ich leider die halbstündige Lesung von John Scalzi, der für seinen neuen Roman „Starter Villian“ für den diesjährigen Hugo nominiert ist. Stattdessen sehe ich durch die Fensterfront des Restaurants wie Thosch und MaHo über das Gelände auf uns zukommen, nachdem sie genau diese Scalzi-Lesung besucht hatten. So kommt es im Restaurantbereich des SEC zu einem kleinen SFCBW-Get-Together, denn auch Thosch habe ich seit einer halben Ewigkeit nicht mehr persönlich getroffen. Wie ich erfahre, war die Lesung höchst unterhaltsam und wir nehmen uns vor, den Auftritt von Scalzi als DJ am heutigen Abend auf keinen Fall zu verpassen.
Zuvor warten aber noch zwei interessante Programmpunkte auf uns: Zuerst „AI and Art – Do Androids Dream of Besting Picasso?“, bei der u.a. GoH Chris Baker über Fragen diskutiert, die auch im BWA, dem clubinternen Fanzine des SFCBW, schon des Öfteren zur Sprache kamen: läuft die KI den echten Künstlern den Rang ab? Ist KI-Kunst super oder scheiße? Werden jetzt alle Kreativen arbeitslos? Zusammenfassend kann man sagen, dass das Panel zwar irgendwie interessant ist, aber keine neuen Erkenntnisse bringt, außer dass Baker gerade noch zu den Glücklichen gehört, die mit ihrem Talent Geld verdienen können (oder konnten!). Ansonsten herrscht – wie überall – die große Ratlosigkeit wie es auf diesem Gebiet weitergeht. Und die Skepsis gegenüber KI überwiegt klar.
Danach folgt der Highlight des Tages mit einem abendlichen Konzert im Armadillo. Das Glasgow WorldCon Philharmonic Orchestra spielt im voll besetzten großen Auditorium auf und gibt mit großer Leidenschaft orchestrale Stücke mit SF-Bezug zum Besten, was mich als Musikliebhaber natürlich ganz besonders erfreut. Bei den ersten Klängen von „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss (seit „2001-Odysee im Weltraum“ auf immer und ewig mit der SF verbunden) ist eine gelungene Mischung aus Genre und Hochkultur spürbar, die sich dann mit einem Medley namens ‚Star Trek Through The Years‘ fortsetzt, einer musikalischen Reise, die von Jerry Goldmith‘s Original-Thema des ersten Spielfilms über „Deep Space 9“, „The Inner Light“, „Star Trek Generations“ bis hin zu „Voyager“ reicht. Dazwischen werden als Tribut an den Veranstaltungsort des WorldCons klassische Stücke mit Schottland-Bezug gespielt und Musik aus dem Hugo-nominierten Computer-Game „Baldur’s Gate 3“. Als besonders positive Überraschung für mich gibt es auch Musik, inspiriert von Iain Banks surrealem Roman „The Bridge“, bei welcher weihevoll Bilder des verstorbenen Autors auf eine Leinwand projiziert werden und man deutlich spürt, wie stolz die schottischen Fans mittlerweile auf ihre hauseigene SF-Ikone blicken.
Nach einer Pause folgt dann u.a. Musik aus dem Soundtrack von Disney’s „Fantasia“ (die Episode mit Mickey als Zauberlehrling), „Saturn“ aus der Orchestersuite „Die Planeten“ von Gustav Holst und zum Abschluss mit „Star Wars Through The Years“ ein weiteres Medley mit Musik von John Williams, zu einer der wohl wichtigsten Franchises im Genre SF. Alles in allem ein gelungener Mix aus Anspruch und Unterhaltung.
Im Anschluss an diese zweistündigen Dosis Kultur pilgern wir dann gutgelaunt rüber ins Crown Plaza, wo John Scalzi unter dem Motto „The Dance Party at the End of the Universe“ nicht nur auflegt, sondern auch mit Glitzerhut und Leuchtmittelpeitsche zum Tanzen animiert. Die ganze Location ist schon auf dem Dancefloor als wir eintreffen und zu den poppigen Klängen von Dua Lipa und Sir Mix-A-Lot (!!!) in der Crowd verschwinden. „I - like - big butts and I can not lie!“. Wart mal!? Kann man das heute noch singen!? Und wo bitte ist hier der SF-Bezug? Scheißegal! Der Scalzi hat’s einfach drauf und bringt den Laden zum Kochen!
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FORTSETZUNG FOLGT: Macht ein Brian W. Aldiss Award wirklich Sinn? Was haben Katzen in der SF zu suchen und wie veranstalten die Schotten eine Hugo-Verleihung?