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I love America - Wenn deutsche Autoren US-Romane schreiben

I Love AmericaI love America
Wenn deutsche Autoren US-Romane schreiben

Vorab: Geschmäcker sind verschieden. „Wat den een sien Uhl is den annern sien Nachtigall“, sagt ein plattdeutsches Sprichwort, weshalb sich über Geschmack nicht streiten lässt (obwohl man das grundsätzlich trefflich tun kann). In diesem Artikel geht es um eine Geschmacksfrage in zweierlei Hinsicht: den Geschmack der Leser und den der Autoren. Und in diesem Zusammenhang um die Frage, warum deutsche Autorinnen und Autoren oft Kritik ernten, wenn ihre Romane in den USA spielen und evt. zusätzlich US-amerikansiche Protagonisten haben.

 

Jerry Cotton 2800Diese Vorliebe hat genau genommen eine lange Tradition, besonders auf dem Sektor der Heftromane (Stichwort „Jerry Cotton“). Zudem sind die Zeiten noch nicht allzu lange vorbei (zwischen 40 – 50 Jahre), in denen z. B. ein Krimi in England oder in den USA spielen musste und sein Autor entsprechend einen englisch-amerikanischen (Männer-) Namen haben musste, um von deutschen Lesern überhaupt gekauft zu werden. Sogar bis heute hält sich teilweise noch hartnäckig das Gerücht, dass amerikanische Autoren „bessere“ Krimis schreiben als deutsche, obwohl sich das zum Glück in den letzten ca. 15 – 20 Jahren schon geändert hat.

Nebenbei: Ein interessantes Interview zum Thema deutsche Krimis und ihre Chancen gegenüber englischen/amerikanischen mit Horst Eckert, dem Sprecher des „Syndikats – Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur“ gibt es hier.

Mit dieser Änderung in der Leserpräferenz ging aber gleichzeitig das Phänomen einher, dass es in den Augen mancher (keineswegs aller!) Leser nun verpönt ist, wenn ein deutscher Autor, eine deutsche Autorin unter deutschem Namen Romane (nicht nur Krimis) schreibt, deren Handlungen in den USA angesiedelt sind. Ihrer Meinung nach sollten deutsche Autoren wie der Schuster bei seinem Leisten bleiben und (ausschließlich) Romane mit hauptsächlich deutschen Protagonisten schreiben, die in Deutschland spielen. Aber hier stoßen wir schon auf die erste Diskrepanz.

In den entsprechend geäußerten Lesermeinungen und Rezensionen geht es fast ausschließlich um Handlungen, die in den USA angesiedelt sind. Ich persönlich habe noch keine Beanstandung von Romanen deutscher Autoren gefunden, die z. B. in Afrika, Russland, Asien oder anderswo spielen. (Bestimmt gibt es die auch, aber mir ist bis jetzt keine bekannt.) Die Frage ist also, warum ausgerechnet US-Schauplätze eine solche Aversion auslösen. Besonders im Hinblick auf die Tatsache, dass ein Teil der sich entsprechend äußernden Leserschaft durchaus gern Romane liest, die in den USA spielen, wenn sie von US-Autoren geschrieben wurden.

Womit wir schon bei der zweiten Diskrepanz wären. Die Romane amerikanischer Autoren (und solcher, die man aufgrund ihres amerikanischen Pseudonyms dafür hält), die in den USA angesiedelt sind, werden anstandslos akzeptiert und (nach individueller Präferenz) „geliebt“. US-amerikanischen (Krimi-) Fernsehserien wird (laut Einschaltquoten) mit Abstand Vorrang vor deutschen Serien eingeräumt (bis auf einige Ausnahmen), weil sie (laut Umfragen) als spannender und interessanter wahrgenommen werden als die einheimische Kost. (Die Frage ihrer Authentizität und ihres Niveaus lassen wir hier einmal außen vor.) Aber sobald deutsche Autoren mit ihrem Realnamen dazu stehen, dass ihre Romane in den USA spielen, müssen sie sich teilweise harsche Kritik gefallen lassen (im Folgenden Originalzitate).

Es sei „beschämend, wenn einheimische Autorinnen und Autoren nicht in der Lage sind“ (man beachte die Verallgemeinerung!), „Romane auch in Deutschland spielen zu lassen“. Hier entgeht mir, welchen Grund deutsche Autoren haben sollten, sich für die Wahl eines US- oder anderen ausländischen Settings zu „schämen“. „Wieso ist der Held schon wieder ein Amerikaner und nicht mal Deutscher oder wenigstens Europäer?“ – „Warum muss eine deutsche Autorin einen Roman schreiben, der in den USA spielt? Ist ihr Deutschland nicht gut genug?“ Oder es wird nach der „Berechtigung“ gefragt, die eine Autorin, ein Autor besitzt, um einen Roman mit US-Setting schreiben zu „dürfen“ (alternativ zu „können“).

Wohlgemerkt: Diese Kritik gilt nur der Tatsache des Schauplatzes und der dort beheimateten Protagonisten und bezieht sich nicht auf etwaige Schwachpunkte im Inhalt oder in der Authentizität. Gerade deutsch-autorige US-Romane sind oftmals (wenn auch leider nicht immer) besonders gründlich recherchiert (Heftromane teilweise ausgenommen). Auch die meisten Verlage und Literaturagenten schlagen in diese Kerbe und winken ab, wenn eine deutsche Autorin, ein deutscher Autor ihnen ein Manuskript anbietet, dessen Handlung in den USA spielt. Begründung: Das würden „die Leser“ nicht akzeptieren (man beachte auch hier die Verallgemeinerung).

Aber – und hier kommen wir zu der dritten Diskrepanz – sobald der Autor ein amerikanisches Pseudonym benutzt, ist das für die meisten Verlage und für (fast) sämtliche Leser überhaupt kein Problem mehr. Der Inhalt ist und bleibt derselbe. Kommt aber heraus, dass der Autor Deutscher ist, folgt prompt und beinahe schon reflexartig die bekannte Schelte. Interessanterweise gibt es beim Heftroman dieses Problem so gut wie nicht. Nahezu sämtliche Westernhefte werden von deutschen Autoren und Autorinnen (unter amerikanischen Pseudonymen) geschrieben, ebenso stammen die Jerry-Cotton-Romane von deutschen Autoren. „John Sinclair“ spielt zwar in England, hat aber ebenfalls ausschließlich deutsche Autoren.

Warum stört das die Heftromanleser nicht, aber beschweren sich (einige der) Leser von Vollromanen mit denselben Settings? Liegt es möglicherweise daran, dass man den (deutschen) Autoren von Letzteren pauschal unterstellt, US-Romane nicht authentisch genug schreiben zu können, sieht man dieses (hypothetische und mehrfach widerlegte) Manko den Heftschreibern dagegen nach? Oder spielt eine (unbewusste?) US-„feindliche“ Einstellung (auch) eine Rolle?

Was also stört die sich entsprechend beschwerenden Leser wirklich an Romanen, die von deutschen Autoren in den USA angesiedelt sind und US-amerikanische Protagonisten haben? Die Frage gilt besonders für jene, die generell gern Romane amerikanischer Autoren lesen. Warum dieses Messen mit zweierlei Maß?

Ein weltweiter BestEine Antwort darauf lautet, dass der Buchmarkt mit US-Romanen übersättigt sei und deshalb nicht auch noch deutsche Autoren US-Literatur produzieren müssten. Stimmt, sehr viele Bestsellerautoren sind Amerikaner. Wobei sich wieder die Frage stellt, warum ihre Bücher (meistens Krimis/Thriller) zu Bestsellern werden, die von deutschen Autoren dagegen weniger. Aber auch diese Frage lassen wir mal außen vor. Verlage denken wirtschaftlich und ziehen es deshalb vor, in Bücher zu investieren, die entweder in ihrem Heimatland schon Erfolg gehabt haben, den man sich auch für die deutsche Ausgabe erhofft (meistens zu Recht) oder bei denen der Name des Autors aufgrund früherer Erfolge reißenden Absatz garantiert. Daher das große Angebot an US-Literatur. Und man kann es m. E. deutschen Autoren (und Verlagen; siehe unten, Punkt „Drittens“) nicht verdenken, dass sie mit eigenen Werken auf diesen Erfolgszug aufspringen oder es zumindest versuchen. (Hier lassen wir die Frage außen vor, ob und wenn ja, wie gut ihnen das gelingt.)

Eine andere Frage ist dagegen berechtigt. Wenn (einige) Leser der US-Literatur generell überdrüssig sind, warum kaufen und lesen sie dann überhaupt von deutschen Autoren geschriebene US-Romane? Schließlich verrät in der Regel schon der Klappen-/Covertext (z. B. durch die Namen der Protagonisten), dass der Roman nicht in Deutschland spielt. Und: Es gibt mittlerweile genug wirklich gute deutsche Literatur (gerade auch auf dem Krimisektor), dass niemand aus Mangel daran auf US-Literatur zurückgreifen muss – weder die von amerikanischen noch die von deutschen Autoren.

Beleuchten wir die Gründe, warum sich deutsche Autoren überhaupt für gerade dieses Setting und diese Figuren entscheiden.

  • ERSTENS und Wichtigstens: Weil sie das Land kennen und „lieben“ und/oder sich ihm aus anderen Gründen verbunden fühlen (z. B. zwar in Deutschland leben, aber mit einem Amerikaner, einer Amerikanerin verheiratet sind). Andere würden gern dort leben, konnten diesen Traum aus verschiedenen Gründen aber nicht realisieren und leben ihn nun in ihren Romanen aus. (Honi soit qui mal y pense = Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.) Dabei sind dies in der Regel die Autoren, die besonders gründlich recherchieren und deren Romane an Authentizität denen der US-Autoren in nichts nachstehen.
    Schon Elizabeth George schreibt dazu in ihrem lesenswerten Schreibratgeber „Wort für Wort“, dass jeder Autor grundsätzlich nur über die Dinge und die Länder schreiben sollte, die er „liebt“. Wobei sie selbst das beste Beispiel liefert, denn sie ist US-Amerikanerin, aber ihre Inspector-Lynley-Romane spielen ausschließlich in England. Wer das nicht weiß, hält sie aufgrund der sehr authentischen Beschreibungen in ihren Romanen für eine waschechte Engländerin. Und ich habe noch nirgends eine Kritik gelesen oder gehört, dass jemand daran Anstoß genommen hätte, dass sie als Amerikanerin England-Romane schreibt. Obwohl gerade England und Amerika historisch gesehen nicht immer das beste Verhältnis zueinander hatten.
    Auch etliche andere (nicht deutsche) Autorinnen und Autoren verlegten ihre Romanhandlungen in Länder, die nicht ihre Heimat sind. Viele dieser Bücher wurden internationale Bestseller und ihre Autoren teilweise mit dem Nobelpreis geehrt (Buck, Hesse, Kipling, Hemingway ...) bzw. mit anderen Preisen überhäuft. Ein paar Beispiele: Henning Mankell (Afrika), Hermann Hesse (Indien), Pearl S. Buck (China), Rudyard Kipling (Indien), John Updike (Brasilien u. a.), James Michener (Südsee, Polen, Mexiko u. a.), Eric Lustbader (Japan), John le Carré (Deutschland, Österreich u. a.), Hemingway (Afrika, Spanien u. a.) ... Und niemand hat sich daran gestört, dass die Autoren nicht in den jeweiligen Ländern beheimatet waren oder noch schlimmer ihnen vorgeworfen, es sei „beschämend“, dass ihre Romane nicht in ihren Heimatländern spielen.
    Warum um alles in der Welt sollten sich also ausgerechnet deutsche Autoren auf Deutschland beschränken? Das leuchtet mir nicht ein.

  • ZWEITENS ermöglicht das US-Setting (generell natürlich auch das in anderen Ländern) Plots, die so nicht machbar wären, würde die Handlung in Deutschland spielen.
    Ein paar Beispiele:
    • Das krasseste ist die Todesstrafe. Gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Ich kann mir aber ein paar sehr interessante Plots (nicht nur Krimihandlungen) vorstellen mit einem zentralen Konflikt z. B. zwischen Gegnern und Befürwortern der Todesstrafe. Ein solches m. E. grundsätzlich sehr wichtiges Thema kann nicht in Deutschland angesiedelt sein bzw. hier nicht seinen Ursprung haben. Die Haupthandlung, die zu einem solchen Konflikt führt, muss zwangsläufig in einem anderen Land spielen. Texas mit seiner hohen Hinrichtungsrate eignet sich dafür z. B. hervorragend.
    • In unserem (mutmaßlichen) Mutterland aller Bürokratie gibt es ein strenges Meldegesetz, das es einem z. B. erschwert, unter falschem Namen unterzutauchen. Für unsterbliche Kreaturen wie Vampire, Werwölfe etc., die alle 10 – 15 Jahre die Identität wechseln müssen, wäre das hier ziemlich schwierig. Für jeden Verbrecher auch. In den USA ist das ein Kinderspiel. Was es wiederum in einem Krimi der Polizei erschwert, den Untergetauchten zu finden.
    • Mit dem Untertauchen erfolgt auch ein Arbeitsplatzwechsel. Hier in Deutschland bekommt man kaum einen Job, wenn man keine Zeugnisse von früheren Arbeitgebern oder über seine Ausbildung vorweisen kann. In den USA bekommt man auch ohne Zeugnisse, besonders auf dem Dienstleistungssektor, die Möglichkeit, einen Tag oder eine Woche unter Beweis zu stellen, was man kann, und wenn man es gut kann, hat man den Job auch ohne Zeugnisse und Referenzen. Notfalls nimmt man einen Job bei McDonalds oder als Tagelöhner auf dem Bau etc. In Deutschland unmöglich.
    • In unserem Land regelt ein sehr strenges Waffengesetz (zum Glück!) den Erwerb und das Führen (= Tragen) von Waffen. In den USA hat jeder Bürger das Recht, sich legal so viele Waffen zu kaufen, wie er will und sie (mit entsprechender Genehmigung, die in Deutschland nie erteilt würde) bei sich zu tragen. Das eröffnet in einem entsprechenden Plot Möglichkeiten, die in einem in Deutschland angesiedelten Setting nicht machbar wären.
    • Die Polizei hat drüben ganz andere rechtliche Möglichkeiten als hier (nicht immer zum Vorteil der Verdächtigen, Verhafteten, Beschuldigten), die Privatermittler ebenfalls (z. B. das Tragen von Schusswaffen), das Rechtssystem lässt Dinge zu, die es hier nicht gibt (z. B. das Diskreditieren von Zeugen oder die „Deals“ mit der Staatsanwaltschaft) und eine Menge Dinge mehr.
    • Ferner bietet die Landschaft und die Fauna in den USA Möglichkeiten, die es in Deutschland nicht gibt. Wir haben weder Wüsten (Arizona, New Mexico) noch südländisch sonnige Strände mit Haien im Wasser (Kalifornien, Florida u. a.), noch so ausgedehnte Wälder, dass man tagelang darin wandern kann, ohne einem Menschen zu begegnen. Wir haben keine Bären, nur wenige Wölfe, keine Pumas, Karibus, von gefährlichen Giftschlangen ganz zu schweigen. Sind wir alles in allem auch froh, dass uns die gefährlichen Dinge fehlen, so bieten sie doch für verschiedene Romanplots Möglichkeiten, die in unserem Land undenkbar wären.
  • Auch in diesen und noch sehr viel mehr Punkten sind die USA das Land der (fast) unbegrenzten Möglichkeiten.
    Nun kann man natürlich sagen, dass die deutschen Autoren sich eben auf die in unserem Land machbaren Möglichkeiten beschränken sollten und könnten. Klar. Aber seien wir ehrlich: In fast jedem von uns steckt ein kleiner Abenteurer, der sich mehr für die verlockende Ferne interessiert, als für die alltäglichen Dinge direkt vor seiner Haustür. Romane entführen uns nicht nur als Leser, sondern auch als Autoren aus unserem Alltag und tun das nicht immer nur hinsichtlich anderer Städte, sondern eben auch in andere Länder (oder andere Welten und Galaxien ). Zwar liegen z. B. Regio-Krimis trotz aller Unkenrufe über ihren Niedergang gegenwärtig (noch) stark im Trend, aber für viele von uns sind Geschichten aus der uns sattsam bekannten „Nachbarschaft“ weniger interessant, als aus fernen Gegenden, die wir eben wegen ihrer Ferne und Fremdartigkeit als exotisch empfinden und gern mal besuchen würden oder schon mal besucht haben.
    So what? (Deutsch: „Na und?“) Vor allem: Worin besteht der (angebliche) Unterschied zwischen einem (gut geschriebenen und gut recherchierten!) US-Roman eines deutschen Autors und eines amerikanischen in Bezug auf das Setting? Ich erkenne keinen.

  • DRITTENS zeigen die Bestsellerlisten und vor allem die Auslagen von Buchhandlungen, dass gerade auf dem Krimi- und Thrillersektor US-Romane immer noch stark gefragt werden. (Neben in den letzten Jahren zunehmend populären Schwedenkrimis.) Bleiben wir beim Beispiel Krimis sowie Urban Fantasy und auch Science Fiction. Die deutschen Autoren(namen) sind dort in der Minderheit. Aber nicht, weil es sie nicht in (prozentual gesehen) minderer Zahl gäbe, sondern weil die Mehrheit der Leser (angeblich) Romane von US- und britischen Autoren bevorzugt. Besonders auf diesen Sektoren lohnt es sich daher für deutsche AutorInnen, unter amerikanischen Pseudonymen Romane mit US-Setting zu schreiben, um ihre Bücher zu verkaufen (besonders wenn sie vom Schreiben leben).
    Hier stellt sich allerdings generell die Frage, ob die amerikanische (und ins Deutsche übersetzte) Literatur tatsächlich sooo bevorzugt gekauft wird, oder ob die Leser sie nicht hauptsächlich deshalb kaufen, weil die Buchläden nur (vergleichsweise!) wenige deutsche Autoren im Angebot haben. Aber das ist ein anderes Thema.
    Jedenfalls sind US-Settings (bis auf wenige Ausnahmen) bei einer gewissen Leserklientel verkaufsträchtiger als deutsche. Ein guter Grund für deutsche Autoren, ihre Romanhandlungen nach Übersee zu verlegen. Warum auch nicht? Auch Autoren wollen/müssen Geld verdienen.

  • VIERTENS gibt es (nicht nur) kleine Verlage, die sich den Kauf der teuren Rechte zur Übersetzung amerikanischer oder britischer (und anderer ausländischer) Romane einfach nicht leisten können oder wollen, aber trotzdem die Vorlieben der einschlägigen (US-liebenden) Leserklientel bedienen wollen. Sie beauftragen deshalb deutsche Autoren, Romane (meistens Krimis) mit entsprechendem Setting zu schreiben und kommen mit dem Zahlen eines Absatzhonorars sehr viel günstiger davon, als mit dem Kauf der Übersetzungsrechte. Wer kann es gerade auch Berufsautoren verdenken, dass sie solche Angebote mit Freuden annehmen?

Alles in allem erkenne ich keinen logisch nachvollziehbaren Grund, warum deutsche Autoren sich in der Wahl ihrer Handlungsorte und Protagonisten auf Deutschland beschränken oder in Sack & Asche gehen sollten, wenn sie literarisch ihrem Heimatland „untreu“ werden. Die Literatur lebt von der Freiheit der Fiktion – auch hinsichtlich ihrer Handlungsorte.

Mein Fazit:
Die „Berechtigung“ deutscher Autorinnen und Autoren Romane mit US-Settings zu schreiben, besteht meiner Meinung nach grundsätzlich in ihrem Interesse an dem „Land ihrer Träume“ (warum auch immer sie davon träumen).

Im Zeitalter der Globalisierung können und dürfen Autoren über jedes Land schreiben, ihre fiktiven Handlungen mit fiktiven Figuren in jedem Land agieren lassen, das ihnen gefällt.

Im Zeitalter von Billigflügen ist (fast) jedes gewünschte Land für (fast) jeden erschwinglich für kurze Recherchereisen.

Im Zeitalter von Internet ist nahezu jede Information über gerade die Verhältnisse in den USA selbst für Autoren in „Hintertupfingen“ abrufbar, die nie einen Fuß über die Dorfgrenze gesetzt haben. Mit Google Streetview können sie in jede eingespeiste Stadt gehen (in den USA schließt das sogar kleine Dörfer mit nicht mehr als 500 Einwohnern ein), sich darin umsehen und authentisches Lokalkolorit sammeln, ohne persönlich dort gewesen zu sein.

Im Zeitalter von Facebook & Co. ist es ein Leichtes, Kontakte zu Bewohnern anderer Länder zu knüpfen und sich mit ihnen auszutauschen. „Hello, John! Ich schreibe gerade eine Szene, in der Folgendes passieren soll. ... (Beschreibung) Macht ihr das in den USA so oder ist das totaler Bullshit?“ Und schon bekommt man eine authentische Beschreibung von einem Einheimischen, ohne persönlich vor Ort erscheinen zu müssen.

Somit ist bei ordentlicher Recherche (die ich bei jedem guten Autor als selbstverständlich voraussetze!) die Authentizität des „fremden“ Ortes gewährleistet.

In Anbetracht all dieser Umstände (ACHTUNG: Persönliche MEINUNG!!!) empfinde ich die Forderung, deutsche Autorinnen und Autoren sollten ihre per se fiktiven (!) Romanhandlungen in Deutschland ansiedeln, nur weil sie selbst Deutsche sind, als eine Art „literarisches Territorialdenken“, das meiner Meinung nach nicht mehr in unsere heutige Zeit passt. Bei einem Roman kommt es m. E. immer noch auf den gut und spannend geschriebenen Inhalt und auf die korrekt dargestellten logischen Zusammenhänge und authentische Beschreibungen an, was Örtlichkeit und Charaktere betrifft – und zwar unabhängig davon, wer sie geschrieben hat und wo sie spielen.

Spielt in meinen "zweiten" Traumland: Talisker Blues ab Frühjahr 2012 Ich bin eine deutsche Autorin und stehe dazu, dass einige (!) meiner Romane in den USA spielen. Ich habe zu diesem Land und seinen Leuten eine sehr persönliche Verbindung. In meinen Romanen mit US-Setting sind sämtliche (!) Orte, namentlich erwähnte öffentliche Gebäude wie Museen und Geschäfte sowie Restaurants (einschließlich der auf ihrer Speisekarte stehenden Gerichte und der Beschreibung ihres Interieurs) authentisch. Einzige Ausnahme: Wenn die Rechtslage die Nennung und Beschreibung realer Lokalitäten nicht erlaubt. Alle Gegebenheiten sind bis auf die, die der Fiktion des Romans geschuldet sind, so gut wie möglich recherchiert bzw. basieren auf persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen. (Das trifft natürlich auch auf meine in Deutschland spielenden Regio-Krimis und die anderen Romane zu.)

Wer an dem Setting Anstoß nimmt, für den habe ich hier einen heißen Tipp: Bitte den Covertext lesen! Tauchen dort englisch klingende Namen für die Protagonisten auf, spielt der Roman mit 90 %iger Wahrscheinlichkeit in den USA und mit 10 %iger in Schottland (das zweite Land, zu dem ich eine sehr persönliche Verbindung habe). Wer ihn dann trotzdem kauft und liest, möge sich hinterher bitte nicht darüber beschweren, dass das wieder mal ein Roman einer deutschen Autorin ist, dessen Handlung nicht in ihrer Heimat spielt. Wink

Kommentare  

#31 McEL 2011-11-09 22:27
Zitat:
Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass ich einer Verkäuferin in meinen Buchhandlungen auf die Nerven gegangen bin, wenn ich einen bestimmten Titel haben wollte, der vielleicht gar nicht in deren unmittelbares Repertoire passte. Sie haben sich ausnahmslos bis jetzt stets bemüht, diesen Titel für mich zu besorgen.
In der Buchhandlung meines Vertrauens reißen die sich jedes "Bein" aus, um ein Buch zu besorgen und scheuen sich auch nicht, im Notfall Antiquariate mit Anfragen abzuklappern. Außerdem halten die mich per E-Mail regelmäßig auf dem Laufenden, und sei es nur mit einem "Sorry, wir sind noch nicht fündig geworden, bleiben aber am Ball und bitten noch um etwas Geduld." In einem Fall haben die ein vergriffenes Buch nach 2 Jahren (!) doch noch aufgetrieben - in einem deutschen Antiquariat in den USA ... ;-) DAS nenne ich Engagement für den Kunden!
#32 GoMar 2011-11-09 23:12
#31 McEL,
auch da widerspreche ich Dir nicht! Aber jetzt müssen wir aufpassen, dass wir nicht am Thema vorbeigehen. Das, was Du vorhin angesprochen hast - wäre das nicht einen weiteren Artikel wert? Gerade diese kleinen Buchhandlungen, die, wie wir beide jedenfalls wissen, sich manchmal alle Haxen ausreißen, um uns Kunden zu dienen (das ist es schließlich, was sie damit machen, was aber ein Großteil der Kunden/Kundinnen ohnehin als vollkommen selbstverständlich ansieht, obwohl das meistens mit der Gewinnspanne nicht einmal gedeckt werden kann - ich betreibe oder arbeite nicht im Buchhandel, um das klarzustellen), bekommen oftmals nicht einmal die kleinste Anerkennung für ihr Engagement bzw. stehen ohnehin viele schon mit dem Rücken an der Wand. Muss eine solche Buchhandlung dann schließen, heißt es oftmals: die konnten halt nicht wirtschaften. Die Allgemeinheit macht es sich eben einfach. Nur nicht viel nachdenken.

Ebenso läuft es wohl mit den Verlagen, wie Du, Mara (wenn ich Dich so nennen darf), folgerichtig ausgeführt hast. Entweder man passt in deren vorgegebene Schienen, die irgendwo hinführen, die der/die aufstrebende Autor/Autorin nicht einmal im Mindesten beeinflussen kann, oder man gehört eben nicht zum Autorenstamm, weil man z. B. nicht flexibel genug ist. Mit diesem neuartigen Modewort wird zunehmend die komplette Arbeitswelt aller lohn- und einkommensabhängigen Menschen jenseits der Konzernoberetagen zugekleistert und fertiggemacht. Und in diesem Falle gilt das eben im Besonderen für Autoren, die dem gottgewollten Programmdenken der Verlagsoberen zuwiderhandeln.

Denn in deren Weltsicht gilt wohl oftmals: Es darf nicht sein, was nicht sein darf ...
#33 Alfred Wallon 2011-11-09 23:14
Ellen - ich könnte mich nicht daran erinnern, dass ich gesagt habe, dass ich historische Western bei Publikumsverlagen publiziere. Aber Quantität ersetzt nicht immer die Qualität. Ein kleinerer Verlag hat keinen Außendienst, der Priduct Placement vor Ort betreibt. Aber das erwarte ich auch nicht, da sich die Publikumsverlage ohnehin einen Verdrängungswettbewerb auf den Thalia-Tischen liefern.

Wichtig ist für mich, dass die Nische "Western" von den Verlagen besetzt ist, für die ich arbeite und dass das Barsortiment dies mittlerweile weiß und regelmäßig ordert. Somit kann jeder interessierte Leser die Bücher auch in Buchhandlungen bestellen.

Sicherlich kann man mit Western keine Riesenauflage ab 10.000 St. aufwärts erzielen, aber man kann dafür sorgen, dass die interessierten Leser neue Romane dieses Genres auch heute noch kaufen können. Millionen kann man nicht damit verdienen - aber das ist auch nicht meine Intension.
#34 McEL 2011-11-09 23:35
Zitat:
Mara (wenn ich Dich so nennen darf),
Aber klar doch! :-)

Zitat:
Entweder man passt in deren vorgegebene Schienen, die irgendwo hinführen, die der/die aufstrebende Autor/Autorin nicht einmal im Mindesten beeinflussen kann, oder man gehört eben nicht zum Autorenstamm, weil man z. B. nicht flexibel genug ist.


So isses! Wenn ich nicht die Schienen bediene, die der Verlag von mir haben will, erhalten andere AutorInnen den Auftrag, weil die es können und wollen, und ich gehe finanziell leer aus. Als BerufsautorIn muss man auf Auftrag = Verlagswunsch schreiben können, wenn man im Geschäft bleiben (oder überhaupt erst mal reinkommen) will.

Wenn ich absolut frei wäre in der Wahl meiner Themen und Settings, dann würden ALLE meine Romane entweder in den USA oder in Schottland spielen, weil die zu schreiben mir den meisten Spaß machen.
Da - siehe Artikel - viele Verlage das aber nicht mittragen, richte ich mich nach deren Vorgaben, schreibe "meine" Lieblingsrichtungen nebenher und bringe die bei kleinen Verlagen unter, die mit dem Setting keine Berührungsängste haben. Diese Taktik hat sich für mich sehr bewährt. Und genug LeserInnen finden die einen wie auch die anderen Romane, wenn auch in unterschiedlicher Zahl :-)
#35 Kerstin 2011-11-11 11:14
Es ist sicher auch einfach mal entspannend, beim Schreiben und sonstigem Denken nicht immer nur in den engen und bürokratischen Regeln von Deutschland eingesperrt zu sein.

Gestern musste ich beruflich bedingt drei Mal beim Finanzamt anrufen. Beim dritten Mal schimpfte sogar der Finanzbeamte herzhaft auf die deutsche Bürokratie und das enge Regelwerk, das ja auch dem Finanzamt das Leben teilweise sehr schwer macht. Konkret ging es um misslungene Datenübertragungen und die Folgen.

Kurz danach trug mir der Chef auf, eine Nachricht an eine finnische Firma zu schreiben, in der ich die Sache mit Lohnsteuervorauszahlungen und Einkommensteuererklärungen in Deutschland erklären musste - auf englisch. Dabei wird einem erst mal selber deutlich, wie umständlich das hier alles geregelt ist. Wir nehmen das einigermaßen selbstverständlich hin, aber Ausländer, die das so nicht kennen, sind erst mal fassungslos über den Verwaltungsaufwand.

Schon so was ist ein Grund, warum ich zwischendurch beim Lesen gern mal gedanklich in andere Länder auswandere, wo der Mensch selber mehr auf sich gestellt ist, aber auch mehr für sich selber bewirken kann. Ohne dieses typisch deutsche: Wo ein Wille ist, ist auch ein Geht-Nicht.

Die Verlage setzen mit ihrer Haltung aber noch ein paar Geht-Nichts obendrauf.
#36 McEL 2011-11-12 01:09
Zitat:
Die Verlage setzen mit ihrer Haltung aber noch ein paar Geht-Nichts obendrauf.
AMEN!!!!
Aber - wie schon öfter angemekrt - in der Regel sind das die "großen" (und auch da nicht alle). Die kleineren (und auch von denen nicht alle) sehen das oft lockerer. Als AutorIn muss man da schon ganz akribisch suchen, um einen zu finden, mit dem die Chemie stimmt - auf Manuskript-Ebene wie auch auf der zwischenmenschlichen.

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