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Sieben gegen die Hölle - Sarasvati Galadriel Clausnitzer (Teil 3)

Sieben gegen die HölleSieben gegen die Hölle

Sarasvati Galadriel Clausnitzer (Teil 3)
Bonn: Wo die Wenden wohnten
In der Bonner Universitätsbibliothek erregte Sara kein Aufsehen – dort war man an den Anblick von Studenten gewöhnt, die auf den Arbeitstischen eine Strandburg aus Büchern um ihren Laptop errichteten. Sie durchsuchte zunächst die Jahresinhaltsverzeichnisse verschiedener altehrwürdiger Fachzeitschriften und hatte auch bald einen ersten Namen gefunden: Doktor Ernst Bruckheim.


Bruckheim hatte seit 1935 in Fachzeitschriften über die Thidrekssaga und die Goten publiziert. Während des Krieges erschien nicht allzu viel von ihm, aber das holte er in den 50er Jahren nach.

Wie Sara schnell herausfand, gab es nicht viel aus Bruckheims eigener Feder über seine Tätigkeiten während des Zweiten Weltkriegs zu lesen, aber das hatten später andere für ihn übernommen: Doktor Bruckheim hatte ab 1931 die Ausgrabungen in der Wikingerstadt Haithabu geleitet und wurde 1938 von der SS als stellvertretender Abteilungsleiter der „Lehr- und Forschungsstätte Ausgrabungen“ für ihre Organisation Ahnenerbe angeworben. In einem Buch über Kunstraub im besetzten Polen fand sie ein Bild von Bruckheim in Uniform zusammen mit seinem Assistenten Felix Leissner und mit seinem Chef Hans Schleif, der nach der Besetzung Polens die Ausgrabung von Biskupin übernommen hatte. Bei näherer Betrachtung erwies sich die Eisenzeitsiedlung Biskupin allerdings als zu alt und lag auch nicht in der richtigen Gegend, um als Stammort der Wendenherzöge zu dienen – die Veneti wurden von den Historikern während des 5. Jahrhunderts in Südpolen vermutet, zwischen der Weichsel und den Karpaten. Es sei denn, man ließe sich auf die Venedi ein, die laut der Peutinger-Karte am Nordufer der Donau knapp vor dem Mündungsdelta gelebt hätten. Sara dachte kurz darüber  darüber nach, ob „Dietrich von Bern“ möglicherweise nicht aus Verona, sondern aus Varna gestammt haben könnte; eine kurze Recherche ergab dann allerdings, dass die Stadt zu Attilas Zeit noch Odessus hieß und ihren heutigen Namen erst am Ende des 7. Jahrhunderts nach der Eroberung durch den Bulgarenkhan Asparuch erhielt.

Loki frohlockte angesichts dieser Ausbeute und Sara blätterte aufgeregt weiter. „1941 hat Bruckheim ein Sonderkommando vorgeschlagen, das die Bestände russischer Museen nach Objekten aus der „germanischen Kolonisierung des Südostraumes“ durchsuchen sollte. Da könnte ich mir gut vorstellen, dass er auch in Polen schon Grabungen auf Relikte aus der Zeit der Völkerwanderung für diese Leute durchgeführt hat.“

„Und wie hilft uns das weiter?“

„Na ja - wenn wir wissen, wo die Leute vom Ahnenerbe schon gesucht und nichts gefunden haben, dann können wir uns die Suche an diesen Orten erst einmal sparen.“

„Schleif. Bruckheim. Leissner.“ Loki ließ die Namen durch Saras Kopf rollen. „Worüber haben die denn so geforscht?“

***

Hans Schleifs Interesse hatte, wie sich bald herausstellte, deutlich mehr der klassischen Archäologie gegolten als der germanischen Prähistorie. Er erwarb sich einige Verdienste bei Ausgrabungen in Olympia, war aber anscheinend 1940 als Treuhänder für das Gebiet Posen eine Fehlbesetzung im Sinne seiner Befehlshaber; die hätten es nämlich lieber gesehen, wenn Hauptsturmführer Schleif sich beim Ausplündern polnischer Kirchen und Museen am Wert der Kunstobjekte und Ausstellungsstücke orientiert hätte anstatt an ihrem Alter. So ging er denn auch bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder nach Griechenland, das im April 1941 von der Wehrmacht überrollt worden war. 1944 machte Schleif Karriere in Berlin und nahm sich am 27. April 1945 das Leben, nachdem er vorher seine zweite Frau und die gemeinsamen Kinder getötet hatte.

***

Ernst Bruckheim hatte mit seinem Sonderkommando zunächst in Russland Museen und Bibliotheken geplündert, war dann in den Generalstab eines Panzerkorps der Waffen-SS befördert worden und hatte ein Eisernes Kreuz Erster Klasse aus dem Krieg im Osten mitgebracht.

In Anbetracht all dessen hatte er es nach dem Krieg erstaunlich schnell geschafft, die untersuchenden Behörden davon zu überzeugen, dass er niemals überzeugter Nationalsozialist gewesen sei. Er machte Karriere im akademischen Betrieb, wurde Direktor des Ur- und Frühgeschichtlichen Seminars an einer renommierten deutschen Universität und Mitherausgeber des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde, bis er Anfang der 70er Jahre in den akademischen Ruhestand ging. Sieben Jahre später wurde er zum Ehrenmitglied der „Union international d'archéologie Slave“ ernannt. Bruckheim galt als einer der wichtigsten Prähistoriker Deutschlands in der Nachkriegszeit – und als einer der einflussreichsten.

Allerdings war Bruckheim auch bis zu seinem Tod Mitglied in der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS“.

***

Felix Leissner hatte nur zwei Aufsätze veröffentlicht, beide im Jahr 1939. Der eine befasste sich mit der Bernsteinstrasse, der andere war eine Erwiderung auf Theorien eines polnischen Archäologen zu einer Fundstätte. Sara notierte also auch diesen Namen für spätere Recherchen. Nach dem Krieg war Leissner in den Fachzeitschriften zur Frühgeschichte nicht mehr in Erscheinung getreten.

Wie Sara schnell herausfand, war das klug von ihm gewesen. In Polen wurde Felix Leissner immer noch als Kriegsverbrecher gesucht. Anscheinend trug er die Verantwortung dafür, dass in drei Dörfern alle Einwohner zusammengetrieben und ermordet worden waren. Einer plötzlichen Eingebung folgend schrieb Sara sich die Namen der Dörfer auf und lokalisierte sie mit Googlemaps. Die drei Orte lagen nahe beieinander im Süden Polens. Dann suchte sie nach Leissners wissenschaftlicher „Erwiderung“ im Jahrgang 1939 der „Zeitschrift für prähistorische Archäologie“.

Der polnische Archäologe Tomasz Bielski hatte in der Nähe eines der drei Dörfer Ausgrabungen unternommen und behauptet, dort Reste eines Herrschersitzes aus dem fünften oder sechsten Jahrhundert entdeckt zu haben. Er wollte daraus eine frühe slawische Besiedlung der Region herleiten, und Felix Leissner hatte dieser These mit Leidenschaft widersprochen. Sara notierte sich auch diesen Namen für spätere Recherchen, dann starrte sie durch die großen Fenster des Lesesaals hinaus, ohne viel von der Stadt Bonn zu sehen. Die Sonne verbarg sich anscheinend schon den ganzen Tag lang hinter grauen Wolken, und jetzt gerade trieben ein paar Schneeflocken lustlos an den Scheiben vorbei.

Es half wohl alles nichts: mehr würde sie nur vor Ort in Polen erfahren können. Und den Anfang musste sie bei der Behörde machen, die Felix Leissner immer noch vor Gericht stellen wollte: beim Institut für Nationales Gedenken in Warschau.

***

„Mir scheint, wir werden jetzt doch auf Reisen gehen.“ In Lokis Stimme klang ein Hauch von Vorfreude. „Und dann sollte ich dir ein paar nützliche Tricks beibringen. Zuerst einmal brauchst du … einen Mantel. Aus Leder.“

Sara schüttelte den Kopf. „Hast du überhaupt eine Vorstellung, was ein Ledermantel kostet?“

„Nein. Aber er ist notwendig. Was für Leder können wir bekommen? Und dazu ein Wolfsfell, die Federn eines Falken und einer Eule, die Klauen oder Zähne eines Bären und die Hauer eines Keilers.“

„Wozu soll das alles gut sein? Falls ich es überhaupt zusammen bekomme, heißt das.“

Loki schwieg eine Weile. Dann erklärte die Stimme in Saras Kopf: “Das Blut der Riesen fließt nur noch dünn in deinen Adern. Deshalb kannst du die Welt um dich herum nicht einfach nur mit der Macht des Willens formen wie es meine Leute getan haben. Aber du kannst dich selbst formen, wenn du dir Hilfe suchst. Vor tausend Jahren haben Männer und Frauen sich Wolfsfelle übergeworfen, um die Macht und die Ausdauer von Wölfen zu erhalten, und die anderen haben sie Werwölfe genannt. Ich kann dir das scharfe Auge eines Falken geben, die Angriffswut eines Bären oder eines wilden Keilers, die Nachtsicht einer Eule, die Ausdauer und das scharfe Gehör eines Wolfes – wenn du mir besorgst, was ich dir genannt habe.“

„Moment mal. Deine Leute haben sich die Welt durch reine Willenskraft zurecht gebogen?“

„Aber natürlich. Schließlich wurde die Welt doch aus dem Leib des erschlagenen Stammvaters der Riesen erschaffen. So  spricht der Skalde:

Aus Ymirs Fleisch ward die Erde geschaffen,

Aus dem Schweiße die See,

Aus dem Gebein die Berge,

die Bäume aus dem Haar,

Aus der Hirnschale der Himmel.

Und darum beugt sich die Welt deinem Willen, wenn du vom Blut der Riesen bist.“

Sara schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir kaum – nein, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Du ärgerst dich über einen Berg, der dir die Aussicht versperrt, und zack! Weg ist er?“

„Ein wenig mehr Aufwand erfordert es schon. Und wenn jemand anders diesen Berg genau da sehen will, wo er steht, dann gibt es Streit und schließlich einen Kampf, wer der Stärkere ist und seinen Willen durchsetzen kann.“ Loki klang jetzt wehmütig. „Deshalb habe ich mich ja damals überhaupt erst diesem wunderlichen Asen angeschlossen mit seiner Idee von Gesetzen, die für jeden gleichermaßen gelten und das Zusammenleben regeln sollen. Das ist für uns Riesen ein völlig absurdes Konzept – warum sollten wir aus freien Stücken darauf verzichten, unseren Willen durchzusetzen? Aber Odin und seine Regeln, die hatten das Zeug, die Welt zu verändern.“

Die junge Frau legte den Kopf schräg und zitierte Allister Crowleys bekanntesten Ausspruch: „Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz.“

„Ja, das klingt ganz nach einem Riesensohn“, bestätigte Loki. „Und dann endet man eben in einer Horde von Einzelgängern, die sich nur zusammentun, wenn es gegen einen gemeinsamen Feind gehen soll. Und selbst dann arbeiten sie nur widerwillig zusammen, und das Bündnis zerbricht, sobald der Feind geschlagen wurde.“ Die Stimme des Gottes seufzte. „Falls es überhaupt so lange hält und die Verbündeten einander nicht vorher im Stich lassen - oder sogar übereinander herfallen.“

Schweigen stellte sich ein, bis Sara sich räusperte und die mentale Frage stellte: „Bei dieser Liste von Tieren und Teilen von Tieren, mit denen ich ihre Fähigkeiten borgen kann … also ich finde, da fehlt noch mindestens ein Chamäleon. Es wäre schon echt hilfreich, wenn ich mich bei Gefahr meiner Umgebung anpassen könnte.“

„Im ganzen Norden habe ich noch nie von so etwas gehört! Was für ein Tier soll das sein, dieses Kamelion?“

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