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MARLOS-BÜRGER Nr. 1 ist tot

BildMARLOS-BÜRGER Nr. 1 ist tot

Als ich die Email von Karin las, daß Jürgen gestorben sei, war das für mich ein großer Schock. Ich habe einen väterlichen Freund verloren und das tut weh. Seit fast 30  Jahren kenne, pardon kannte, ich Jürgen und seine Familie.

Der Kontakt zu Jürgen entstand durch den Prä-Astronautik-Autor Peter Krassa, der leider schon 2005 verstarb. Peter erzählte mir im September 1977 in Wien, daß er zum Autorenteam der geplanten eigenständigen Mirakel-Serie gehörte und den Band 6 verfasst hatte. Der Autor Dan Shocker hätte ihn ins Boot geholt. Nun Dan Shocker kannnte ich als Autor der Larry Brent-Abenteuer im Silber-Grusel-Krimi, die mir sehr gefielen, und als Macabros-Autor. Ich erwähnte Peter gegenüber, daß ich Dan Shocker gern mal persönlich kennenlernen würde.

Auf dem SFCD-Con 1978 in Marburg kam es dann zu diesem Treffen. Jürgen hatte zu diesem Zeitpunkt schon seinen Dan Shocker`s Fantastik-Club gegründet und durfte die gesamte Arbeit selber machen, denn der geplante Leiter, der Sohn seiner Physiotherapeutin, hatte kurzfristig das Handtuch geworfen und so hing der ganze Apparat an ihm und seiner Frau Karin. Ich wurde Marlos Bürger Nr. 130 und ich traf Jürgen in den nächsten Monaten in einem Hanauer Cafe (Cafe Mozart?). Karin hatte neben den Fulltime-Job Jürgen noch eine Nebenbeschäftigung. Jeden Mittwochnachmittag arbeitete sie für einige Stunden bei einem Rechtsanwalt. Jürgen saß so lange im Cafe und machte seine Notizen und beobachtete die Menschen in seiner Umgebung. Manche fanden sich später in seinen Manuskripten, natürlich in ganz anderen Rollen wieder. Jürgen hatte bei unseren Treffen immer kleine Aufgaben für mich. Nach dem Fiasko mit Laue war Jürgen vorsichtig, aber irgendwann war Jürgen sicher, er hatte den Richtigen in mir gefunden.

Ich durfte in die DSFC-Club-Zentrale nach Altenstadt kommen, sprich ich durfte Jürgen zu Hause aufsuchen. Zuerst waren es nur ein paar Stunden wo ich dort war, aber schon bald kam ich Freitag nachmittags an und fuhr erst am Sonntagabend mittels Bus und S-Bahn zurück nach Frankfurt.

Karin und ich waren im Umgang mit dem Reiserollstuhl nach kurzer Zeit ein eingespieltes Team. Ich zog ihn hoch oder ließ ihn runter und Karin war die Bremserin. Runter haben wir Jürgen in den Keller über die Treppe manchmal in solch einem Tempo gebracht, daß ihm der Angstschweiß auf der Stirn saß und wir ihm gleichzeitig "Hände weg von den Bremsen" zuriefen. Trotzdem lagen seine Händen immer in der Nähe der Bremsgriffe. Er meinte dann lächelnd "Vorsicht ist besser als Schaden". Hätte er wirklich gebremst, wäre es zur Katastrophe gekommen. Er traute zwar seiner Frau, aber der junge Mann hinter ihm lächelte so diabolisch. Wir hatten manchmal wirklich ein rasantes Tempo drauf beim "Runterrollen". Ich war der Meinung, flott runter ist weniger anstrengend als langsam.

Wir bauten Jürgens umfangreiches Archiv mit Phantastischen Serien auf, schleppten Kaminholz aus einem bis dahin nur als Holzlager genutzten Kellerraum und machten daraus das sogenannte Marlos-Zimmer. Jürgen gab die Anweisung und ich arbeitete. Am besten war man oder frau, wenn man gleichzeitig mehrere Sachen auf einmal erledigte, so beschwerte sich einmal Karin über Jürgen. Er wollte eben in seiner knappen Freizeit alles auf einmal tun.

Wir haben herrliche Stunden im Marlos-Zimmer verbracht und nach jedem meiner Wienaufenthalte wuchs Jürgens Archiv und meine Rolle als Archivar wurden immer interessanter. Jürgen ließ sich seine Liebling-Heftserien zusammen suchen. Die Geschichten, die er aus der damaligen Zeit berichten konnte, waren höchst amüsant. Irgendwann rief Karin zu Tisch. Also ging es die Treppe wieder rauf im Reiserollstuhl und Jürgen wechselte auf Elektro-Rollstuhl um und er surfte durch das Erdgeschoß seines Bungalows.

Am anderen Tag war entweder Club-Arbeit (Buchführung, Kurvertierung, Abtipparbeiten usw.), Romankorrektur oder Leserbriefbeantwortung dran. Die Leserbriefe haben diverse Ordner gefüllt. Jürgen hat sie alle selbst beantwortet. Entweder hat er sie selbst getippt oder sie Karin (und später mir)diktiert. Kamen irgendwelche Serienspezielle Fragen, guckte er mich freundlich an, und fragte: "Irgendwelche Vorschläge?" Er konnte und wollte sich alle Einzelheiten seiner Romane nicht merken, dafür gab es ja ein lebendes Lexikon. Er wollte Romane schreiben und die Abenteuer im Geist erleben, die ihm seine Krankheit nicht erlaubte. Als ich ihn kennenlernen durfte, konnte er beide Hände noch komplett bewegen. Im Laufe der nächsten 12 Jahre ließ die eine Hand immer mehr nach und der Handdruck wurde immer schwächer. Jürgen sagte einmal, die Lebenserwartung seiner Muskelschwund-Unterart liege bei Anfang dreißig, höchstens Mitte Dreißig und daß er 30 Jahre mehr schaffte lag an seinem Lebenswillen, und der hervorragenden Unterstützung seiner Frau Karin. So konnte er nicht nur seine Tochter Constanze heranwachsen sehen, sondern auch seine drei Enkelsöhne bei sich zu Hause groß werden lassen. Die letzten Jahre waren nicht schön für ihn, sein Muskelschwund wurde immer stärker und die Kraft ließ nach. Selber schreiben konnte er nicht mehr, also diktierte er wie früher seine Emails und stand so weiterhin mit seinen Freunden und Fans in Kontakt.

Getroffen habe ich Jürgen und Karin zuletzt auf der Buchmesse. Sie waren mit ihrem Verlag dort vertreten. Jürgen hat im Laufe seiner 50jährigen Schaffensphase mehrere Ebenen durchschritten. Zuerst war er Leser, dann SF-, Krimi-, Western, Grusel-Autor, dann war er Chance- und Magier-Redakteur, Esoterische Bücherstuben-Leiter, Veranstalter und schließlich Herausgeber von Esoterischen Büchern.

Mit der Gründung des DSFC am 30. November 1977 hat er das Fandom um einen Club bereichert, der anders war als die anderen. Für viele Leute war der Club zu ruhig. Es gab keine Skandale. Jürgen und Karin wollten keinen Streitclub haben. Sie legten Wert auf Harmonie und ließen als Clubleitung dies auch andere spüren. Es gab und gibt viele John Sinclair-, Dämonenkiller- und allgemeine Horror- und Grusel-Clubs, aber nur einen DSFC und das lag an Jürgen. Er hat den Club gegründet und bis 1988 geleitet und ich habe ihn seinem Sinne fortgeführt.

Bis Mitte der 90ziger habe ich mit ihm zusammengearbeitet, dann gab es kurzfristig eine Meinungsverschiedenheit. Er war für Götz als Larry Brent-Verleger, ich hielt nichts davon und benutzte dafür als Sprachrohr seinen DSFC. Das war in seinen Augen Verrat. Nur vergaß er, daß er die Clubleitung in meine Hände übergeben hatte. Als der Götz-Spuk vorbei und sich der Blitz-Verlag in der Gestalt von Jörg Kaegelmann seiner Serien annahm, wollte er das ich die Bearbeitung übernahm.

Fast 30 Jahre hatte ich das Vergnügen mich zu seinen Freunden zählen zu dürfen. Er war mein Trauzeuge 1991 bei meiner Heirat mit meiner Frau Sabine.

In den letzten Jahren ist der Kontakt zwischen uns leider ein wenig eingeschlafen, aber trotzdem hörten wir von einander und nun muß ich von einem Freund Abschied nehmen, dessen Lebenswille und dessen Phantasie mir immer ein Vorbild waren und sind.

 

Uwe Schnabel

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