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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit West Virginia?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit West Virginia?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 20. Juni 1863 konstituierte sich der US-Bundesstaat WEST-VIRGINIA. Damit vollzog sich mitten im amerikanischen Bürgerkrieg eine bemerkenswerte Spaltung des alten „Commonwealth of Virginia“, einst die bedeutendste Kolonie Englands in Nordamerika und dann einer der einflussreichsten Staaten der amerikanischen Union.

Die Bevölkerung des westlichen Teils von Virginia hatte die Trennung von der Union der Nordstaaten und die Gründung der Konföderierten Staaten strikt abgelehnt.

Schon bei Gründung der Vereinigten Staaten am 4. Juli 1776 hatten sich die demographischen und sozialen Unterschiede in Virginia gezeigt. Die Bewohner der Alleghany Mountains hatten im Kongress der USA beantragt, einen separaten Staat namens „Westsylvania“ gründen zu dürfen. Das war abgelehnt worden.

1829 gab sich der Staat Virginia eine neue Verfassung, die abermals erhebliche Proteste im westlichen Landesteil auslöste, weil die Plantagenbesitzer höher bewertet wurden als andere Bürger. Große Pflanzer erhielten bei Wahlen mehr Stimmrechte, die nach der Zahl ihrer Sklaven berechnet wurden – obwohl Sklaven gar kein Wahlrecht besaßen. Danach erhielten Wahlkreise mit großen Plantagen mehr Abgeordnete im Parlament als alle westlichen Bezirke zusammengenommen.

Die Folge war eine tiefsitzende, über die kommenden Jahrzehnte ständig wachsende Erbitterung. Der Westen Virginias wurde von Kohlenminen und kleinen Farmen beherrscht. Hier gab es keine großen Baumwoll- und Tabakpflanzungen und kaum Sklavenhaltung. Von den insgesamt fast 491.000 schwarzen Sklaven Virginias lebten keine 4% im Westen des Staates. Allein das belegte die wirtschaftliche Kluft zwischen den Landesteilen. Alle politischen Vorteile lagen bei den Plantagenbesitzern im Osten. Die Ablehnung dieser Pflanzeraristokratie brach nach Beginn des Bürgerkrieges im April 1861 mit aller Macht auf. Als Präsident Lincoln nach dem Angriff auf Fort Sumter vor der Küste von South Carolina 75.000 Milizmänner zu den Waffen rief, sammelten sich in Morgantown über 1.000 Männer aus dem Westen Virginias, um für die Union zu kämpfen. (Aus ganz Virginia meldeten sich rund 50.000 Männer in die US-Armee.) Im Mai 1861 wurde in Virginia über einen Eintritt in die Konföderierten Staaten abgestimmt. Der Westen stimmte mehrheitlich dagegen. Jetzt wandelten sich die wirtschaftlichen und sozialen Differenzen zu einem physischen Konflikt. Die Zeitung „Alexandria Gazette“ schrieb: „Die Konföderation dürfte 100.000 Bajonette benötigen, um den Westen Virginias in eine Union mit den Baumwollpflanzern zu zwingen.“

Am 11. Juni 1861 trafen sich in der Stadt Wheeling Delegierte und erklärten den Anschluss Virginias an die Konföderation für „illegal“. Am 20. Juni – vor 159 Jahren – wurde Francis Pierpont zum „rechtmäßigen Gouverneur der Regierung von Virginia“ gewählt. Das war de facto die Abspaltung des Landesteiles. Am 24. Oktober 1861 wurde in den Bezirken von West-Virginia eine Abstimmung durchgeführt, bei der sich 18.408 Stimmen für die Gründung des Staates “West-Virginia“ aussprachen. Nur 781 waren dagegen. (Ein Großteil der Bevölkerung hatte sich allerdings der Stimme enthalten, aber das ist in Amerika bis heute nicht ungewöhnlich.)

Ende 1862 gab sich der neue Staat eine Verfassung. Am 20. Juni 1863 konstituierte sich der Staat West-Virginia, der umgehend in die USA aufgenommen wurde. Erster gewählter Gouverneur wurde der Jurist Arthur Boreman. Er amtierte bis 1869.

West-Virginia beschloss bereits am 26. März 1863 die Abschaffung der Sklaverei. Allerdings gibt es Belege, dass das Bürgerrechtsgesetz auch hier erst nach Ende des Civil Wars tatsächlich durchgesetzt wurde.

Für die Nordstaatenunion war die Entscheidung West-Virginias ein Segen, da dieses Gebiet über ein sehr vorteilhaftes Verkehrswegenetz verfügte – im Gegensatz zum Osten Virginias und anderen Regionen der Südstaaten. Die „Baltimore & Ohio Eisenbahn“ durchquerte die östlichen Berge an der Grenze von Virginia und Maryland und führte bis zum Ohio River. Hier konnten Truppen, Material und Waffen transportiert werden.

Die Manager dieser Eisenbahngesellschaft hatten anfangs verkündet, die „südstaatliche Armee“ zu unterstützen. Diese Meinung änderte sich sehr schnell. Als der Krieg ausbrach, entließen die Eisenbahninhaber alle südstaatlich gesinnten Angestellten. Beigetragen zu dieser Haltung hatte, dass sich die konföderierten Regierungen immer wieder abfällig und ablehnend gegenüber der Eisenbahn verhalten und die Ausweitung von Schienennetzen blockiert hatten – eine Entscheidung, die sich während des Krieges bitter rächen sollte.

Ferner gab es in West-Virginia Hochöfen zur Eisenproduktion. Damit wurde das Gebiet auch interessant für die Waffen- und Munitionsfabrikation der Nordstaaten.

Als West-Virginia einen eigenen Staat bildete, verlor Virginia nicht weniger als 50 Regierungsbezirke, 34% der weißen Bevölkerung des Staates, 200 Meilen Eisenbahnweg, 10 Millionen Acres Waldland und die reichsten Ölvorkommen der Konföderation.

Am 31. Dezember 1862 unterschrieb Präsident Lincoln die Aufnahme West-Virginias als eigenständiger Staat in die USA.

Nach Ende des Bürgerkrieges ging der Streit um West-Virginia zunächst weiter. Am 5. Dezember 1865 verlangte die Militärregierung in Richmond, dass die Abspaltung rückgängig gemacht und der Staat Virginia in seiner Vorkriegsform wiederhergestellt werden sollte. Der Oberste Gerichtshof der USA entschied schließlich mit 7 zu 3 Stimmen, dass der bestehende Zustand von zwei getrennten Staaten rechtens sei.

1915 urteilte das Oberste Gericht, dass West-Virginia für übernommene Infrastruktur eine Entschädigung von 12 Millionen Dollar an Virginia zu zahlen habe. Die Zahlung erfolgte in Raten. Der letzte Teil dieser Summe wurde 1939 beglichen.

Heute hat West-Virginia etwa 1,8 Millionen Einwohner. Gut 17% der Bevölkerung haben deutsche Vorfahren. Die Freunde von West-Virginia nennen das Gebiet „Best-Virginia“.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die aktuelle Ausgabe

 

Kommentare  

#1 Hermes 2020-07-19 22:24
Die Art und Weise, wie damals die Loslösung von Virginia durchgeführt wurde, war verfassungsrechtlich höchst umstritten.

Zitiere mal aus der Wiki:

Virginia hatte zu diesem Zeitpunkt zwei Parlamente, eines, das den Anschluss an die Konföderation beschlossen hatte, und ein Gegenparlament, das der Union und damit den Nordstaaten treu war. Nach der Verfassung der Vereinigten Staaten ist es nicht erlaubt, einen Teil eines Staatsgebiets in die Union aufzunehmen, ohne dass jener Staat dazu seine Zustimmung gibt. Eine solche Zustimmung erteilte Virginias Gegenparlament am 13. Mai 1862, so dass der Verfassung formal Genüge getan war. Da das Gegenparlament fast nur aus Delegierten aus dem Westteil Virginias bestand, kamen, auch bei Abraham Lincoln, starke Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Aufnahme West Virginias in die Union auf; sie wurden aber aus strategischen Gründen während des Krieges ignoriert.
#2 Advok 2020-07-20 12:41
Schöner Beitrag (wie auch die anderen). Danke, Herr Kuegler.

Zu Hermes Anmerkung:
Wie war aus Sicht des Nordens der rechtliche Status der konföderierten Einzelstaaten? Galten die rechtlich noch als Bestandteil der USA?
Wenn ja - dann war Virginia ja bereits Bestandteil, und eine Absplittung "nur" ein interner Vorgang.
#3 Hermes 2020-07-20 18:24
@ advok

Mit Staat (dessen Zustimmung notwendig ist) war ein Staat der Vereinigten Staaten von Amerika gemeint. Und nach Sicht des Nordens war der gesamte Süden weiterhin Bestandteil der USA.

Problematisch an diesem Vorgehen war unter anderem, dass Lincoln sich bei seiner militärischen Intervention darauf berufen hatte, als Präsident der USA die Verfassung schützen zu müssen. Nun brach er aus Sicht etlicher Beobachter (nicht nur aus dem Süden) selbst die Verfassung, als es ihm nützlich war.
#4 Advok 2020-07-21 14:19
Hermes, danke für die Antwort.

Ich fürchte, Du hast meine Ursprungsfrage nicht ganz durchdacht: Wenn die könföderierten Staaten aus Sicht des Nordens nach wie vor Bestandteil der USA waren, kann (theoretisch, anhand der in den Kommentaren vorliegenden Infos) kein Verfassungsbruch vorliegen: "Nach der Verfassung der Vereinigten Staaten ist es nicht erlaubt, einen Teil eines Staatsgebiets in die Union aufzunehmen, ohne dass jener Staat dazu seine Zustimmung gibt."
Oder war mit "Union" der Norden gemeint - dann würde es mich aber wundern, wenn die Verfassung damals in Nord- und Südstaaten differenziert hat.
#5 Hermes 2020-07-21 20:16
Aus Sicht des Nordens bestand die Union weiterhin aus allen Staaten der USA, also auch der Südstaaten.
Die USA hätten laut Verfassung Westvirginia nur dann als eigenständigen Staat aufnehmen dürfen, wenn ihr Mitgliedsstaat Virginia, auf dessen Territorium sich Westvirginia befand, dem zugestimmt hätte.

Tatsächlich war es so, dass eine Abstimmung in Virginia eine Mehrheit für die Sezession ergeben hatte. Die Staatsregierung und die Abgeordneten leisteten dem Folge. Die Abgeordneten aus dem späteren Westvirginia sprachen den Sezessionisten daraufhin die Legimität ab und erklärten sich als alleiniges Parlament für ganz Virginia. Dann stellten sie als Abgeordnete des neu angestrebten Westvirginias bei der ihrer Ansicht nach legitimen Regierung Virginias, also bei sich selbst den Antrag auf Abspaltung und bewilligten sich dies.

Stell dir vor, die schottischen Abgeordneten im britischen Parlament hätten der britischen Regierung nach dem Votum über den Brexit die Legitimität abgesprochen und sich selbst zum legitimen britischen Parlament erklärt, Anschließende hätten dann die schottischen Abgeordneten diesem Parlament den Antrag auf eine Volksbefragung zur schottischen Unabhängigkeit gestellt und selbstredend bewilligt.
#6 Advok 2020-07-22 09:40
Hermes, ich fürchte, wir schreiben aneinander vorbei.

Worauf mein Gedankengang hinzielt: "Nach der Verfassung der Vereinigten Staaten ist es nicht erlaubt, einen Teil eines Staatsgebiets in die Union aufzunehmen, ohne dass jener Staat dazu seine Zustimmung gibt."
Diese Regelung trifft auf Virginia nicht zu, da es ja bereits seit 1788 zur USA gehört - und aus Sicht des Nordens immer noch dazu gehört.

Es geht also nicht um die Neuaufnahme eines neuen Staates oder Teilstaates, sondern um die Teilung eines vorhandenen, bereits längst aufgenommenen Staates.
#7 Hermes 2020-07-22 21:41
Es ging um die Neuaufnahme eines weiteren Bundesstaates.

Damals war überdies noch nicht entschieden, ob die USA ein Bundesstaat oder ein Staatenbund waren. Der Süden berief sich auf letzteres. Schließlich hatten ja einst die 13 Gründerstaaten schon vor Gründung der Union bestanden.

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