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Found-Footage-Werbung: Ein Discounter und Halloween

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneFound-Footage-Werbung
Ein Discounter und Halloween

Halloween ist mittlerweile unbestritten das Karneval des Herbstes. Ein sehr kapitalistischer und lauter Karneval, bei dem sicherlich die Geister und Spukgestalten in ihren Gräbern bleiben. Schon vor Weihnachten kann die Industrie hier eine Menge Geld verdienen. Dass vielleicht aber nicht jede Werbung so geschickt ist, Halloween für sich zu nutzen kann man momentan bei der YouTube-Werbung von LIDL bewundern.

Vielleicht läuft diese auch im analogen Fernsehen, aber da bin ich mir nicht so ganz sicher. Dafür scheint sie mir dann doch etwas zu lang zu sein. LIDL jedenfalls spielt mit dem Found-Footage-Mythos a la Blairwitch Project. Allerdings: LIDL scheitert auch daran.

Dabei ist die Prämisse an sich gar nicht so schlecht. Found-Footage-FIlme müssen nämlich im Rahmen der inneren Filmlogik erklären, warum jemand permanent eine Kamera in der Hand hält und alles mitfilmt. Im normalen Leben sind es ja nur Ausnahmesituationen, zu denen man zur Kamera greift. Freudige sowie traurige. Man wird kaum den ganzen Tag mit der Kamera durch die Gegend ziehen und sein Leben auf YouTube hochladen wollen. Sofern man ein normales Leben hat. Weil das normale Leben eigentlich stinklangweilig ist und man auch nicht überall filmen darf. Mit ein Punkt, warum Found-Footage sich meisten auch auf Orte konzentriert, wo das problemlos möglich ist. Wälder etwa, Häuser am Rande der Stadt, ein Camping-Platz abseits der Zivilisation oder ein schickes Haus wie das, welches das Influencer-Pärchen in der Werbung bezieht. Natürlich ist das Pärchen hübsch und jung und bedient die üblichen Klischees über Influencer. A propos Klischee: Wo in Deutschland findet sich eigentlich noch so ein Briefkasten wie er in amerikanischen Horrorfilmen zu finden ist? 

Womit das Problem des Werbespots, der natürlich seine Botschaft in knappen Minuten an den Zuschauenden bringen muss, schon an der Oberfläche liegt. Dass es im Haus nicht mit rechten Dingen zugeht, wird ja schnell klar. Aber der Spot stopft jetzt jedes erdenkliche Klischee von möglichen Horror-Richtungen des Spuhkhauses in den Spot. Mal zeigt sich kurz eine weiße Gestalt in der Tür, mal wird das Spiegel-Ritual der Bloody Mary imitiert - außerdem nimmt man dann gleich noch das bekannte Radrum-Motiv von Stephen King mit rein und dann fallen Dinge von alleine aus dem Kühlschrank und Stühle bewegen sich dramatisch. Und das in weniger als zwei Minuten. Ein Höllenritt also.

Nur: Letzten Endes wirkt das alles nicht. Der Schrecken, der hier aufgezogen wird, läuft so automatisch und so schnell ab, dass wir als Zuschauende uns nicht weiter gruseln können. Das hängt auch damit zusammen, dass wir natürlich in einem Werbespot nicht unbedingt mit den Protagonisten mitfiebern werden. Erstens: Weil hier natürlich alle Klischees zum Thema Influencer-Dasein zusammenkommen - oh, ein Ringlicht, juhu. Zweitens: Es ist ein Werbespot. Da ist Charakterisierung nun nicht generell vorhanden. Es gibt natürlich Spots, denen das gelingt. Meistens aber ist das dann eine Reihe von Spots mit denselben Figuren. Da wir hier im Found-Footage-Genre unterwegs sind, ist das ja eher unwahrscheinlich. Insgeheim gönnt man dem Pärchen ja dann, dass sie …

Moment, einmal Zurückspulen bitte: Was passiert denn da am Ende des Spots? Der Freund steht mit Taschen vor der Tür und wird irgendwie zurückgeschleudert und das ganze Haus bäumt sich auf, während sie kreischend nach hinten wegrutscht. Weil sie ihm nicht gesagt hat, dass das Haus „teure Preise“ nicht verträgt? Schön, das reiht sich den Tropus des „Geh nicht dem komischen Geräusch alleine nach und bestimmt nicht, wenn es im Keller oder auf dem Dachboden stattfindet“ ein. Also Charakterdummheit. Seit „Scream“ wissen ja, dass es Regeln für Horrorfilme gibt. Die Regeln von Found-Footage heißen: Es steuert alles auf einen Höhepunkt zu, der im Grunde ein gigantischer Cliffhanger ist, weil da nie aufgelöst wird, was wirklich passiert ist. „Blairwitch Projekt“ macht das hervorragend. Diese Werbung eher so - ähm - ja. Nicht unbedingt. Höhepunkt? Ja. Logischer Höhepunkt, der aus all den vorhergehenden Aktionen resultiert? Hmmm … Nein, eher nicht.

Natürlich: Es ist nur ein Werbespot. Wenn aber ein Werbespot sich der Dramaturgie eines Horror-Genres bedient und kurz vor Halloween mit dieser Ästhetik wirbt - dann muss er sich auch den Anforderungen stellen. Oberflächlich gesehen vollzieht der Werbespot ja durchaus das, was man erwartet. Abgesehen vom Jumpscare zu Beginn - wie gesagt, wer hat in Deutschland denn solch einen Briefkasten? - macht der Spot das ja auch. Leichte Irritationen zu Beginn, die nach und nach zu einem Höhepunkt zusammenlaufen. Nur, dass man sich wegen der Beliebigkeit der Themen, die hier reingemischt worden sind, nun nicht ganz klar ist: Geht das in Richtung des japanischen Horrors? Wird einer der Beiden verrückt und bringt den Anderen um? Wie kommen die überhaupt auf die Idee mit dem Spiegelritual? Und müsste man nicht als normaler Mensch rückwärts aufgeschriebene Wörter auf Prospekten erkennen? Ach, ich vergaß. Charakterdummheit in Horrorfilmen. Schon gut. Schade eigentlich: Der Ansatz ist ja immerhin mal innovativer als die übliche Werbung zum Thema. Immerhin.

Kommentare  

#1 Laurin 2021-10-29 19:39
Nun ja, die Idee ist im ersten Moment wirklich nicht schlecht. Hatte mir die Werbung deshalb mal auf YouTube angesehen. Leider geht inhaltlich die Werbung aber fasst nach hinten los, denn die Werbung für LIDL und dessen Produktpalette kommt nur sehr bedingt wirklich noch zur Geltung.

Was aber den Briefkasten angeht, den findet man in dieser Form allerdings nicht nur in den USA oder deren Horrorfilme. Die sah ich auch vermehrt vor Jahren, wo ich in Schweden im Urlaub war. Und im Umfeld meiner direkten Nachbarschaft stehen genau zwei solcher Exemplare dieser Briefkästen vor zwei Eigenheimen. Von daher dann doch eher eine Art von persönlichem Lifestile statt einfach nur ein Klischee. ;-)

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