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Das Private und das Persönliche: Unser Bild im Social Web

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDas Private und das Persönliche:
Unser Bild im Social Web

Ich bin ich. Ganz klar. Ich bin ich mit allem, was mich ausmacht. Mit den Stärken und Schwächen. Mit GLanzpunkten und Tiefschlägen. Ganz klar: Ich bin ich. Deswegen ist ja auch alles, was ich ins Social Web schreibe wirklich authentisch, weil ich nicht verstelle oder Beauty-Blogger*in auf Instagram bin. Ich muss mich nicht verstellen, das liegt mir auch nicht. Gerade das mögen doch die Leute: Authentizität.

Außerdem: Die Privatsphäre existiert ja eh nicht mehr. Wie oft haben wir davon gehört, dass Kreditkarten-Daten geklaut wurden, dass private Bilder - die wir in der Cloud sicher wähnten - ihren Weg an die Öffentlichkeit fanden. Abgesehen von Firmeninterna, die in Safes verschlossen sein sollten und nun fröhlich durch das Web kursieren. Private Mails kann auf einmal jeder lesen. Wie peinlich. Da kommt dann raus, dass man den Chef für inkompetent hält, dass der Kollege ein Verhältnis mit seiner Sekretärin und dem Postboten hat. Da werden Dinge ans Tageslicht befördert, die wir in der Vergangenheit entschlafen wähnten.

Aber das, so kann man argumentieren, ist doch großartig. Wenn die Möglichkeit besteht, dass alles ans Licht kommt, was wir privat denken und meinen, dann ist das doch das Ende der Lüge in der Gesellschaft. Wir können dann nur noch die Wahrheit sagen oder uns so verhalten, als würde schon im nächsten Augenblick der nächste Hacker unsere Daten bedrohen. Überhaupt: Sich zu verstellen und zu lügen, das entspricht doch nicht der Anforderung der AuthentizitÄt, die wir alle an die Diejenigen stellen, die Inhalte ins Social Web einspeisen. Authentisch ist halt, wer Ecken und Kanten hat und wer stets ehrenvoll handelt. Wenn alle die Wahrheit sagen, dann kann das doch nur eine harmonische und wunderbare Gesellschaft werden

Wie es allerdings ist, wenn man permanent und stets die Wahrheit sagt, erfahren wir in der Komödie »Der Dummschwätzer« mit Jim Carey. Der englische Titel Liar, Liar deutet schon darauf hin, dass es hier um Wahrheit und Lügen geht. Fletcher Reede, Careys Charakter, verdient sein Geld mit Lügen. Er ist Anwalt. Das Beste für den Klienten, die Klientin rausholen, darauf versteht er sich, aber das Familienleben bleibt auf der Strecke. Und so wünscht sich sein Sohn Max, den er mal wieder versetzt hat, dass sein Vater einen Tag lang nur die Wahrheit sagen muss - und bläst seine Geburtstagskerze aus. Prompt geht der Wunsch in Erfüllung.

Das Leben von Fletscher Reede gerät aus den Fugen. Denn es geht ja nicht nur um die großen Lügen, es geht auch um die kleinen Lügen,  die Lügen, die andere Leute schützen sollen, die Lügen, die notwendig sind, damit das gesellschaftliche Leben funktioniert. Wir sind uns dessen nicht mal bewußt. Schon die einfache Frage: ›Wie geht es dir‹ zieht normalerweise eine Lüge nach sich. Denn wir wissen genau, das Gegenüber möchte jetzt nicht einen ellenlangen Sermon darüber hören, dass die Frau gerade ausgezogen, die Kinder den Hund misshandelt und die Affäre gerade nicht rundläuft. Die Frage ›Wie geh es dir‹ ist höfliche Konvention. Auf die Reede in vollem Maße eingehen muss.

Nun kann man sagen: Rede ist die Ausnahme von der Regel. Wenn alle anderen lügen dürfen und nur er nicht, dann sind die Erkenntnisse, die man aus dem Film gewinnt - wir brauchen unsere kleinen Lügen genauso wie die großen blauen - halt kaum auf deine Gesellschaft anwendbar, in der alle die Wahrheit sagen. Rede ist der Ausnahmefaktor. Sein Fluch lässt allerdings deutlich werden, dass wir mit der Wahrheit im normalen Leben kaum umgehen können. Im Gegenteil: Würden wir alle stets das sagen, was wir für wahr halten, wären wir ein Haufen von schnatternden Individuen.

Deswegen lügen wir auch im Social Web. Wir lügen, weil die Währung im Social Web die Klicks sind und je atemberaubender und spannender, desto höher sind die Klicks und der geldliche Umsatz. Selbst, wenn wir nicht auf Klicks aus sind lügen wir. Wir wählen aus. Wir posten das, von dem wir meinen, dass es persÖnlich ist aber nicht privat. Das, was man anderen Leuten unbefangen auf der Straße erzählen kann. Aber wir erzählen nicht, wie der Sex in der letzten Nacht wahr, verschweigen, dass wir mit einem Freund gebrochen haben, unterschlagen, wie süss wir die Otterbabys im Zoo fanden, weil wir als Kaztzenguru im Internet gelten.

Und das ist dieses Authentisch, von dem Webgurus und -Experten dauernd faseln?  Wie passt das denn zusammen? Geht das denn? Schon. Denn solange eine Persona sich so verhält, dass Wort und Tat übereinstimmen. Wir wissen nicht, wie Bibi als Person jenseits ihres Beauty-Palace ist. Sobald sie diesen aber betritt und ihre Rolle spielt, als Persona auftritt, eignet sie sich Werte, Verhalten und Regeln der Bibi an, die munter und fröhlich Challenges veranstaltet, Make-Up-Tipps gibt oder herzeigt, was sie wieder in einem Drogerieladen erworben hatt. Solange hier das Verhalten und das Auftreten übereinstimmen, solange hier die Rolle durchgehalten wird, solange ist sie authentisch. Nicht in dem Sinne, in dem wir das Wort gerne verwenden, also im Sinne von ehrlich sein. Bei Bibi liegen Schein und Sein übereinander. Aus der Rolle fallen darf sie auch nicht, weil das Follower kosten würde.

Da haben wir es einfacher: Wir dürfen aus der Rolle fallen. Zwar heißt das nicht, dass wir keine Schäden verursachen oder es keine Langzeitfolgen gibt, wenn wir unbedachte Ãußerungen im Social Web tätigen und mal ehrlich: Wer legt schon jedes Wort vorab auf die Goldwaage? Social Media lebt ja auch teilweise von dem Reiz des Spontanen. Mal eben eine Story erstellen, ist ja kein Thema - und zack, ist diese Story auf dem Schreibtisch des Chefs gelandet, der einem Illoyalität gegenüber dem Arbeitgeber vorwirft. Obwohl man wirklich keine Interna ausplauderte, sondern nur seine Meinung über Verwaltungen - im speziellen die der Arbeit. Was aber wäre jetzt die Alternative? Nur noch Happy-Hyper-Content? Bilder, in denen wir elegant mit Schampus am Strand liegen und das schÖne Leben feiern?

Aber auch das wäre ja eine Lüge. Das Leben ist halt nicht perfekt. Es gibt Höhen. Es gibt Tiefen. Und wenn das Social Web Teil meines Lebens ist, dann gehört das Posten von guten Zeiten ebenso dazu wie das von schlechten Zeiten. Eventuell muss man sich als Follower nur vergegenwärtigen: Das ist nicht die ganze Wahrheit. Es ist ein Teil. Es ist ein Blickwinkel: Aber nicht die ganze Wahrheit. Es gibt also noch Geheimnisse, die wir herausfinden können trotz Social Media.

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