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Geht mal wieder auf die Straße - aber bitte nur dann, wenn es uns passt

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneGeht mal wieder auf die Straße ...
... aber bitte nur dann, wenn es uns passt

Wir sind tatsächlich eine seltsame Gesellschaft - während Politiker jahrelang jammerten, dass die Jugend nicht politisch aktiv ist, dass sich keiner von denen für die Gesellschaft interessieren würde, dass es eine Generation Latte gäbe - also im Sinne von: Es ist mir total egal, nicht der Kaffee ist gemeint, das war mal die Digitale Boheme ... während Politiker also total jammerten, gehen jetzt Jugendliche und junge Erwachsene auf die Straße.

Gegen die Urheberrechtsreform. Gegen den Klimawandel. Und irgendwie ist das jetzt auch wieder nicht richtig.

Die Argumente bezüglich der beiden Themen sind zwischen Gegner*innen und Befürworter*innen wohl bis zur Neige ausgetauscht - sowohl was Artikel Dreizehn und Elf als auch den Demonstrationen von FridaysforFuture betrifft. Wobei es interessant ist, dass bei Politikern*innen bei beiden Events offenbar der Eindruck entstanden ist, dass diese von - nun - anderen Mächten gesteuert werden. Mehrere Tweets und Äußerungen von Befürwortern*innen der EU-Urheberrechtsreform raunten davon, dass ja Google und die ganzen anderen Lobbyisten*innen da wohl unschuldige Kinder für sich in Beschlag genommen haben. Und überhaupt, das kann ja alles nur aus den USA kommen. Keine Erwähnung findet dann übrigens die Tatsache, dass beim Leistungsschutzrecht eine ganze Verlagslobby sich in die Schlacht warf. Man schaue sich an, wer bei den Pro-Argumenten untendruntersteht: Burda, die Vertretungen der Verleger ... etc. pp. Offenbar hat man da ein Verdrängungsproblem. Schaut man sich an, wer alles gegen Artikel Dreizehn ist, dann finden sich hier alle möglichen politischen Lager, netzpolitischen Verbände, der oberste Datenschutzbeauftragte ebenso wie einzelne Zeitungen oder Verlage. Diese breite Allianz kann natürlich nicht einfach so aus Protest entstanden sein, die wird natürlich von Google aus Washington D.C. gesteuert. Muss so sein. Nicht. Sicherlich hat Google bzw. die Youtube-CEOs haben das Ein oder Andere zum Thema von sich gegeben und klar, es wird Lobbyisten*innen auch in Europa oder beim Bundestag geben. So wie es Lobbyisten*innen zum Thema Diesel und Autos gibt oder zum Thema Tabakwerbung in der Öffentlichkeit, Zuckersteuer, Lebensmittelampel ...

Und es sei ja auch undenkbar, dass sich gesellschaftliche Schichten von selbst auf die Straße begeben würden. So ungefähr äußerte sich Angela Merkel neulich zu den Demonstrationen zum Thema Klima. Oder so könnte sich verstanden werden. Zwar äußerte sich man dann später, die Kanzlerin fände das Engagement gut, aber wenn man das verschriftlichte Statement nachliest ... Schreiben wir mal: Es ist mehr als ungeschickt hintereinander formuliert. Das gab allerdings durchaus wieder Futter für Politiker und Gegner. Jedoch: "Was den Menschen zu einem politischen Wesen macht, ist seine Fähigkeit zu handeln; sie befähigt ihn, sich mit seinesgleichen zusammenzutun, gemeinsame Sache mit ihnen zu machen, sich Ziele zu setzen und Unternehmungen zuzuwenden, die ihm nie in den Sinn hätten kommen können, wäre ihm nicht diese Gabe zuteil geworden: etwas Neues zu beginnen." So Hannah Arendt. Es mag nun für Etliche unvorstellbar sein, dass Jugendliche von sich aus damit begonnen haben, politisch aktiv zu handeln. Dass sie bewußt gegen die Schulpflicht verstoßen, um auf einen Miss-Stand aufmerksam zu machen. Ebenso unvorstellbar waren die Achtundsechziger und die Stundentenunruhen in Frankreich. Nur, weil Politiker sich etwas nicht vorstellen können ist es nicht unmöglich.

Nun ist Demokratie auch ein lebendiger Prozeß und das kann man aktuell feststellen: Es ist durchaus legitim gegen Überzeugungen auf die Straße zu gehen. Das wird ja auch nicht in Frage gestellt. Die Frage, die gestellt wird: Sollten Schüler besser nicht in der Schule sein, haben wir nicht eine Schulpflicht? Ja, die haben wir. Ja, Schüler können Einträge und Fehlstunden im Zeugnis erwarten. Gesellschaftlich können wir jedenfalls darüber debattieren, ob die Ausbildung der Persönlichkeit - die durch das Teilnehmen und Organisieren von Demonstrationen sicherlich gefördert wird, ebenso wie die Erkenntnis, dass aktiv seine Meinung äußern kann - dem Schulzwang ins Gehege kommt. Genau von diesem Für und Wider, von dem Austausch der Argumente lebt eine Demokratie. Was Richtig und was Falsch ist, das muss auch immer wieder neu ausgehandelt werden. Für sich persönlich und dann auch in der Gesellschaft. Was gut so ist. Wenn es halt nicht darauf hinausläuft, dass man der Meinung ist, irgendwelche Mächte und Gewalten arme unschuldige Jugendliche indoktrinieren. Was sie durchaus tun, was anderes ist denn diese Werbung, die allenthalben auf allen Ebenen unsere Gehirne zum Kaufen anregen möchte?

Wenn Jugendliche protestieren und es auf sich nehmen bei Regen und Kälte auszuharren, statt in einem Café zu verschwinden - mal ehrlich, haben wir das nicht alle beim Schwänzen eher so gehandhabt? - dann ist das ein Zeichen dafür, dass sie ein ernstes Anliegen haben. Vielleicht sind sie etwas naiv, mag sein. Das ist aber das Vorrecht der Jugend. Wir als Gesellschaft sollten sie erstmal ernst nehmen. Wenn Jugendliche auf die Schule verzichten und das als Druckmittel nehmen, verhalten sie sich auch nicht anders als Streikende, die auch nicht in ihrer Freizeit am Wochenende den Betrieb niederlegen sondern bewußt und voller Kenntnis der Folgen während der Arbeitszeit. Es ist ein Druckmittel. Ob es legitim ist oder nicht, darüber können und sollten wir diskutieren. Aber sich beschweren, dass Jugendliche nicht politisch aktiv sind und dann diese Aktivitäten nicht würdigen - was genau will man denn jetzt nun wirklich? Was die Jugendlichen auch tun, es ist irgendwie verkehrt.

Übrigens: Natürlich. Es ist einfacher geworden sich zu organisieren in diesen Zeiten. Man braucht keine Flugblätter mehr zu verteilen oder Telefonketten zu organisieren, man hat sein Telefon - einen Taschencomputer eigentlich - und die Möglichkeiten der Vernetzung durch das Internet. Dass die Mittel dazu von amerikanischen Großkonzernen und nicht europäischen Firmen zur Verfügung gestellt werden ... wobei das Internet an sich auch nicht in Europa erfunden wurde ... schreiben wir, es ist der Historie geschuldet. Dass diese Mittel nicht unbedenklich sind, keine Frage. Alles hat seine Vor- und Nachteile. Das dezentrale Internet mit Mastodons und Diaspora hat sich halt nicht durchgesetzt. Selbst der Threema-Hype ist verklungen. Aus der Nutzung eines Dienstes allerdings zu folgern, man sei eine willenlose Puppe des Anbieters - welchem Genre-Fan fällt da nicht ein gewisses Motiv mit gruseligen gleichaussehenden Kindern ein? Nur so am Rande - oder dass Google persönlich alle Gmail-Konten instrumentalisieren würde; dies kann man allen Ernstes nur dann tun, wenn man nur mit den Zehen im Internet gewesen ist. Oder halt keine Ahnung davon hat, wie das Internet an sich funktioniert. Und wenn ein Politiker, der für Artikel Dreizehn ist, diese offenbart ... dann darf man sich über empörte Bürger wirklich nicht wundern.

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