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Mexikanischer Jesus, Weißer Jesus, Schwarzer Jesus: American Gods und der Glaube

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneMexikanischer Jesus, Weißer Jesus, Schwarzer Jesus
American Gods und der Glaube

Den persönlichen Jesus, den man begreifen - und vor allem anfassen kann - haben ja schon Depeche Mode besungen. Und bei Madonnas »Like A Prayer« wird im Video die Holzstatue von Jesus tatsächlich zu Fleisch. Mit Sicherheit ließen sich noch etliche andere Beispiele aus dem popkulturellem Fundus fischen, immerhin ist das Bild des Gekreuzigten oder des Kindes in der Krippe seit knapp 2000 Jahren in unserem kulturellem Gedächtnis vorhanden.

Dass sich Religionen entwickeln und Götter kommen und gehen ist ein Bestandteil, dessen wir uns in Bezug auf - sagen wir - das Alte Ägypten oder das Antike Griechenland durchaus bewusst sind. Das rhizomatisch angelegte Geschichtenwerk, das als Rückhalt für den Mythos der Alten Ägypter dient, ist aus heutiger Sicht kaum noch zu entwirren. Von der Tatsache abgesehen, dass es eine Zeit gab, in der Osiris, Isis, Thoth und der Rest des Pantheons abgeschafft wurden und von der Sonne als einzige wahren Gott ersetzt wurden. Man kann sich fragen, ob ein unterlegenes Sklavenvolk in Diensten der Pharaonen sich nicht da irgendwie von inspirieren ließ was ihren eigenen Gott anbelangt... Nun, was Moses anbelangt hatte Freud ja schon so seine eigenen Theorien.

Auch im Christentum selbst kann man einen Wandel von Glaubensvorstellungen betrachten - allein die Rolle von Luzifer, der im Buch Hiob nur als eine Art Staatsanwalt auftritt und später einen ganzen Wandel auf Basis von einzelnen Bibelstellen verpasst bekam, bis er im neuen Testament persönlich in der Wüste auftauchte hat ganze Fachbücher inspiriert. Der donnernde und zürnende Gott des Alten Testaments - der auf Bitten von Propheten schonmal Bären auf kleine Jungen loslässt oder von dem gebeten wird, er möge die Kinder der anderen Völker doch bitte auf Felsen zerschlagen - ist mit der Botschaft des Neuen Testaments nun nicht unbedingt vereinbar. Abgesehen von der Apokalypse eventuell. Es mag auch sein, dass es zwei Seiten einer Medaille sind, dass Gott selbst im Lauf der Zeit sich Gedanken gemacht hat und dann das verdammenswerte Urteil, das Herz des Menschen sei böse von Jugend auf dann doch irgendwie verworfen hat. Das Bemerkenswerte jedoch ist, dass wir wenn es um unsere eigene Religion geht weitaus verschlossener sind als wenn es sich um historische oder tote Götter handelt.

Solange sich also "American Gods" um Wotan, Cernobog, Anansi oder andere Götter geht - solange ist alles in Ordnung. Wenn sich die TV-Serie aber das herauswagt, was im Buch nur angedeutet ist, dann fordert sie natürlich die gläubigen Christen heraus. Besonders diejenigen, deren Fundamente so dick gelegt sind, dass sie darauf wörtliche Bibelverständnisse bauen. Und zu Erkenntnissen kommen, dass Noah selbstverständlich auch Dinosaurier auf die Arche genommen hat, weil ja Gott alles zeitgleich oder zumindest nach Tagen geordnet erschuf. Da Dinosaurier allerdings nicht in der Bibel erwähnt werden - allenfalls haben wir einen Leviathan oder ein anderes angedeutetes großes Tier - hätte man da schon mal Grundlage für einen spaßigen Nachmittag mit an der Tür klingelnden Fundamentalisten.

Nun ist es allerdings nicht so, dass die Buchvorlage das, was Wednesday in der Serie kurz vor dem Banküberfall Shadow mitteilt - "es gibt den weißen Jesus, den mexikanischen, den schwarzen" - komplett ausspart. Dass Jesus seinen Geburtstag von den Römern übernommen hat, wie war das mit der Sonne?, wird im Roman ebenfalls thematisiert, wie die Tatsache, dass es dem afghanischen Jesus nun nicht gerade super geht und er kaum von Autofahrern als Tramper mitgenommen werden würde. Nur: Es wird nicht, wie in der TV-Serie, wirklich thematisiert, es ist ein beiläufiger Fakt. Insofern hat sich wohl auch kaum jemand darüber aufgeregt, weil man die Stellen auch leicht überlesen kann.

Allerdings behandelt die TV-Serie Jesus auf eine andere Art und Weise, die damit zu tun hat wie der Kosmos von "American Gods" funktioniert. In gewisser Weise beruht er auf der Erkenntnis, dass alles, woran man sein Herz hängt Gott werden kann und vermutlich werden weder Terry Pratchett noch Neil Gaiman bewußt an Luther gedacht haben. Gaimans Götterverständnis beruht jedenfalls sehr auf dem von Pratchett. Da beide immerhin "A Good Omen" zusammengeschrieben haben, dürfte das nicht sehr verwunden. Pratchett selbst widmet in "Small Gods" der Problematik einen ganzen Roman - wobei das System und Verständnis von Göttern vorher schon in anderen Scheibenweltromanen auftaucht. Wenn der große Gott Om als weißer Stier auf die Erde herabzusteigen gedenkt und stattdessen als Schildkröte auftaucht, dann liegt das daran, dass es kaum noch jemanden gibt, der WIRKLICH an ihn glaubt. Oh, es gibt natürlich die Religion an sich, die Formeln, Riten und Gebräuche, die Priester und Tempel. Aber das sind Traditionen, die man kulturell halt bedient, weil man es gewohnt ist. In "Monstrous Regiment" führt Pratchett das später noch einmal weiter aus: Der dortige Gott Nuggan liefert seine heiligen Schriften in einer Art Ringordner mit. Allerdings ist Nuggan nur noch eine Art Echo, ein hohles Stöhnen aus dem Äther. Und Pratchett führt aus, dass sich um einen Gott irgendwann eine Hülle bildet, eine Art von Muschel, Exoskelett. Aus Riten, Formeln, Vorschriften, Gebräuchen. Etwas, was den Gott, wenn man nicht genügend an ihn glaubt erstickt.

Die Entwicklung eines Gottes verläuft wie folgt: Irgendwann wird das Schaf eines Hirten von einem zufälligem Ereignis gerettet, das der Hirte als göttliches Zeichen deutet. Woraufhin allmählich Steine an einem Ort versammelt werden, nach und nach eine Art Glaubenszentrum wird, immer mehr Leute glauben an den Gott, der wird mächtiger und so weiter und so fort. Wenn daher in der TV-Serie von "American Gods" in Folge 6 ein mexikanischer Jesus vorkommt, so ist das im Sinne des Kosmos nur logisch: Gut, dieser Jesus ist eher dafür zuständig, dass die Illegalen es über die Grenze schaffen, aber er wandelt ebenso auf dem Wasser wie sein Gegenbild oder seine vielen Gegenbilder. Oder seine Facetten? Das Serienfinale der ersten Staffel jedenfalls scheut sich nicht, diese vielen Jesusse - der Plural von Jesus ist selbst im englischen nun nicht einfach - bildlich darzustellen. Hippie, orthodox, asiatisch. Viel Facetten eines Gottesbildes. Selbst Baby Jesus an der Brust von Maria ist kurz erkennbar.

Harte Tobak also für den gläubigen Christen? Es kommt darauf an. Vermutlich werden deutsche Fundamentalisten die Serie gar nicht kennen oder das Buch nicht gelesen haben, weil es durchaus das Verständnis gibt, dass das Fernsehen böse und weltliche Bücher nichts wert sind. Einzelne Gruppierungen sehen das durchaus aus, auch wenn heutzutage natürlich die elektronischen Medien für die Jobsuche oder überhaupt für das Qualifizieren von Jobs nötig sind. Ironischerweise könnte man sagen, dass "Media" ja bei "American Gods" durchaus den Vergleich zwischen dem Kasten - dem Altar - und dem Gebet - der Zeit, die wir den Inhalten widmen - zieht und das trifft es natürlich durchaus. "The TV's the altar. I'm what people are sacrificing to. Their time." Dass man dann vielleicht mal über seinen Konsum von Medien nachdenken sollte und ob alles, was man sieht wirklich wert ist gesehen zu werden ist allerdings etwas, was man selbst für sich schlussfolgern können sollte.

Insofern: Vielleicht fordert das teilweise heraus, das Verständnis von Göttern als Glaubenskonstrukten, die kommen und gehen wenn wir nicht mehr an sie glauben. Als von uns gemachte Bilder, weil wir Menschen in einem vom Chaos regierten Universum und ohne einen Sinn im Leben zu finden untergehen würden. Schließlich glaubt selbst der Humanist oder der Atheist ja an etwas. An Liebe. An das Leben. Die Menschheit. Daran, dass die Sonne "immer aufgehen wird, der nächste Morgen wird besser sein als dieser" - den glühenden Optimismus des Weisenmädchens "Anne" aus dem gleichnamigen Musical haben allerdings nur wenige. Wer lebt, der glaubt. Woran er glaubt, das unterscheidet sich dann und die abstrusen Gründe für religiöse Kriegszüge, die heute auch nicht auszurotten sind, zeigen andererseits auch, dass Glauben durchaus gefährlich sein kann. Auch der Glaube an die Liebe übrigens. Oder an den Fortschritt. Die diversen Opfer, die der Fortschritt als Gott forderte übertreffen zwar nicht das, was die Christenheit leider in der Geschichte fabrizierte, aber sie kommen ihr schon sehr nahe...

Andererseits wird auch immer unterschlagen, dass der christliche Glaube ja schon an drei Facetten von Gott glaubt. Dass der Heilige Geist meistens unterschlagen wird liegt daran, dass er kein so großes religiöses Fest kapern konnte wie die anderen Termine im Kirchenjahr. Dass dann auch in der Bibel von Gott als Mutter die Rede ist, die einen tröstet ist etwas, was natürlich wieder Jahrzehnten gebraucht hat bis greise alte weiße Männer das mal ernstgenommen haben. Und wenn Gott im Alten Testament auf dem Berg Horeb erscheint, dann erscheint er als leichtes Brausen - schickt vorab aber immerhin Donner und Blitz und Erdbeben. Viele Facetten eines Gottes also. Wer nicht gerade fundamentalistischen Strömungen anhängt, der wird als Christ damit auch kein Problem haben, wenn wie in "American Gods" dargestellt Jesus in verschiedenen Fassungen, Facetten, Bildern gezeigt wird. Warum auch sollte die TV-Serie da Stein des Anstoßes sein, wenn sie einen dazu bewegt, sich mal intensiver mit Religion, Gott und den eigenen Glaubenssystemen und -vorstellungen und -sätzen zu befassen. Ob der christliche Gott eines Tages jedoch auch so wie Terry Pratchetts Om enden wird? Erdrückt von einer rein rituellen Schale aus Konventionen? Immerhin: Pratchett gewährt dem Gott Om dann doch noch ein Happy-End und lässt seitdem die Anhänger des Gottes nicht mehr Ungläubige verbrennen und foltern, sondern die Ungläubigen nur noch mit Pamphleten belästigen. Etwas, was dann sogar die Hexen in Lancre zu schätzen wissen, als deren König Vampire zu seiner Krönungsfeier einlädt. Aber den interessanten Kommentar zum Thema Glauben - schließlich entwicklen sich auch Vampire und das mit dem Weihwasser und dem Knoblauch, nun... - sollte man für einen netten Abend in der nächsten Zeit aufheben. Ach so, der Roman heißt "Carpe Jugulum" auf englisch. Leider ist der deutsche Titel mal wieder zwiespältig: "Ruhig Blut" verweist zwar auf einen Twist, aber das mit der Kehle ist doch auf lateinisch viel, viel passender.

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