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Transmedia Storytelling: Was ist eigentlich damit passiert?

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneTransmedia Storytelling:
Was ist eigentlich damit passiert?

2010, 2011 war es. Da geisterte das Wort des "Transmedia Storytelling" durch alles Bereiche des Marketings. Auf einmal machten Fernsehsender wie das ZDF mit "Dinah Fox" - oder so - auf Geschichten und Geschichenkosmen, namhafte Experten rieten, dass man Geschichten brauche um überhaupt an den Verbraucher zu kommen. Die Buchverlage sprangen dankbar auf das Thema auf, weil sie natürlich schon immer transmedial erzählt haben.


Oder es zumindest behaupteten. Vorne mit dabei allerdings: Die Film- und Serienindustrie. "Star War" - klar: Transmedial und sowas von. "Star Trek", "Herr der Ringe" - alles war auf einmal trans- wenn nicht gar hypermedial. Und heute? Was ist heute davon geblieben? Wird Transmedia Storytelling überhaupt noch eingesetzt?

Zunächst mal: Was ist dieses Transmedia Storytelling eigentlich? Storytelling dürfte klar sein: Das ist das Erzählen einer Geschichte, meistens orientiert sich diese am Heldenreise-Prinzip und an den vorgegebenen Schemata, die es so gibt. So richtig neu sind die Elemente einer Geschichte ja nun nicht und wenn man sich einigermaßen intensiv damit beschäftigt merkt man halt, dass es diverse Plots gibt und dass man diese in Verbindung mit der Heldenreise halt nutzen kann. Über die Unterschiede zwischen Story und Plot kann man sich dann mal im Internet informieren, das geht jetzt etwas zu sehr in die Tiefe.

Transmedia ist dann auch klar: Eine Geschichte wird nicht nur in einem Medium erzählt sondern sie wird über etliche Medien gespannt. Aber moment - wäre das nicht dieses Crossmedia von dem die TV-Hersteller ab und an gerne noch reden? Nicht ganz. Bei Crossmedia geht es in der Regel nur um die Kanäle selbst. Eine Werbebotschaft kann etwa im Fernsehen, in der Zeitung oder als Youtube-Video daherkommen. Das wäre eine Botschaft, die in mehrere Kanäle verteilt wird. Das machen heutzutage ja die meisten Marketingexperten - wobei diese dann vielleicht doch noch darauf achten ob die Zielgruppe eventuell wirklich bei Youtube rumhängt, sonst verpufft die Botschaft grandios. Zwar werden auch hier die Kanäle miteinander verbunden, aber bei Crossmedia geht es nicht um das Erzählen einer Geschichte. Crossmedia ist das, was der Focus online etwa (in Nicht-So-Gut) macht: Da gibts einerseits den Text zum Lesen, andererseits obendrüber das Video zur Nachricht.

Transmedia Storytelling unterscheidet sich davon bzw. nutzt verschiedene Kanäle um EINE Geschichte zu erzählen. So etwas wäre es möglich den Herrn der Ringe einerseits als Buch vor sich zu haben, dann aber gibt es einen Youtube-Kanal, der die Ereignisse aus der Sicht von Sam erzählt, in einem Blog protokolliert Gandalf dann zeitgleich was er mit Saruman geredet hat und wenn man möchte kann man noch aus der Sicht der zu Hause gebliebenen Hobbits die schleichende Eroberung Hobbingens erleben. Das alles sind Elemente einer Geschichte - die des Herrn der Ringe. Aber die verschiedenen Perspektiven werden von verschiedenen Kanälen aus erzählt und als Leser oder Erleber kann ich jederzeit den Kanal wechseln. Und bin intensiver dabei. Vielleicht gibt es sogar ein Forum wo ich mich mit anderen Fans austauschen kann und - falls ich die Geschichte nicht kenne - dann munter drauflos spekulieren kann. Oder mit Fanfiction meine Sicht der Dinge schildern. Sofern die Rechteinhaber das gestatten.

Es ist kein Wunder wenn damals die Leute der TV- und Film-Branche verzückt aufsprangen und meinten: "Hier, wir machen dieses Transmedia Storytelling doch schon! Wir haben den Film, dann den Comic, der die Vorgeschichte erzählt, dann haben wir die Romane, die alles fortschreiben und wir haben die LEGO-Spielsets dazu!" Gleichermaßen muss man aber zurückenthusiasmieren und deutlich sagen: "Nein! Was ihr macht ist crossmediales Erzählen in einem Erzählkosmos, in einer Storyworld. Ihr erzählt nicht eine Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln - ihr erzählt separate Geschichten in verschiedenen Medien. Das ist bei Doctor Who zum Beispiel so: Die Romane erzählen jeweils eine abgeschlossene Geschichte. Die Fernsehserie erzählt abgeschlossene Abenteuer im Medium Film. Die Spiele erzählen wiederum jeweils für sich eine geschlossene Geschichte mit der Spielekonsole der Wahl. Diese Geschichten sind zwar durch den größeren Erzählkosmos von Doctor Who verbunden - aber sie sind nicht EINE Geschichte. Sondern mehrere."

Nicht, dass ich was gegen Storyworlds habe - also einen großen Kosmos, in dem Geschichten aller Art spielen können, Shared-World ist vielleicht einigen noch ein Begriff, das geht in die Richtung. Ich finde Storyworlds großartig, weil man mehr mit ihnen machen kann als mit der klassischen Heldenreise. Nichts gegen diese, aber sie wird ja ab und an falsch eingesetzt. Vor allem im Marketing. Aber zurück zum Transmedia Storytelling: Wo ist das eigentlich abgeblieben? Irgendwie habe ich in den letzten Jahren nicht mehr so viele Beispiele für diese Art der Erzählkunst gesehen - weder in der Werbung, noch bei Verlagen - eine Zeitlang haben die ja sehr viel mit Rabbitholes und ARG - Alternative Reality Games - experimentiert. Dabei waren Fernsehserien wie "ReGenesis" da ganz groß drin - oder auch "Lost": Neben der aktuellen Handlung konnte man im Internet auf Spurensuche gehen und Rätsel lösen. Das macht heutzutage offenbar keiner mehr. Spuren findet man noch bei der BBC - "Doctor Who" oder "Sherlock" - aber ansonsten scheint sich das Transmediale Erzählen nicht durchgesetzt zu haben.

Merkwürdig: Auch Verlage haben offenbar nach einigen Experimenten kapituliert. Man verbleibt was die Promotion von Büchern anbelangt dann gerne beim Üblichen. Manchmal blitzt noch so eine Art Transmedia auf, wenn eine Vorgeschichte in einem Blog erzählt wird oder es Ansätze von ARG gibt. Aber ansonsten: Leere. Wildnis. Öde. Man setzt auf die normalen Methoden. Merkwürdig. Hat sich das Experiment nicht gelohnt oder liegt es daran, dass zwar jedermann meint ein Storyteller zu sein, es aber im Endeffekt dann doch nicht kann?

Tatsache ist: Für Transmedia Storytelling braucht man Ressourcen. Zeit, Personal, eventuell auch Geld. Soll das Storytelling dann auch noch perfekt ineinandergreifen und nicht bloß zu einem "Ich wähle mir mein Abenteuer" verkommen, dann braucht man exaktes Timing und ein Drehbuch. Das kostet dann auch wieder. Weiterhin: Das Aufbauen einer Community ist tatsächlich immer noch Handarbeit - und kann bisweilen auch scheitern, weil man die falsche Zielgruppe anvisiert. Das ist mir auch schon passiert. Man muss die Geschichte also komplett mit allem Pi-Pa-Po entwickeln, man braucht Leute, die Community-Aufbau betreiben, dann Growth-Hacker fürs Wachstum, dann braucht man ein SWCC um zu überprüfen wie die Leute reagieren und notfalls einzugreifen - kurz: Ja, das ist wirklich viel Aufwand. Und für einen Verlag, der nur mal eben EIN Buch promoten möchte eventuell sogar zu viel.

Deswegen meinte ich vorhin ja schon: Wenn es sich nicht für EINE Heldenreise allein lohnt, dann aber lohnt sich das doch wenn man a) schon eine eingespielte Marke hat - siehe Star Wars - und b) wenn man eine Storyworld konzeptioniert hat. Dann kann man in dieser unendliche Geschichten aus unendlichen Blickwinkeln erzählen und den Leser oder Erleber an diesem Universum teilhaben lassen. Leute klinken sich ja eh jetzt schon per Fanfiction in diverse Universen ein und erzählen Varianten oder schreiben Nebencharaktere fort. Das ist natürlich ein Potential, dass man nutzen kann. Und was man im Heftromanbereich ja auch macht: Nachwuchsförderung heißt hier dezidiert beobachten, die guten Fanfiction-Autoren rausgreifen und dann zu regulären Autoren machen.

Es mag sein, dass Transmedia Storytelling etwas von der Bildfläche verschwunden ist. Aber es heißt nicht, dass es komplett weg vom Fenster ist. Es ist ein Werkzeug im Koffer desjenigen, der damit umgehen kann. Was natürlich der Punkt ist: Er muss damit umgehen können. Autoren können das in der Regel. Marketingfachleute eher nicht. Und deswegen ist das wohl aus dem Marketing komplett verschwunden. Was schade ist. Potential hat es auf jeden Fall.

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