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Alfred Wallons Western - Teil 1: Der Untergang am Little Big Horn

Al wallons WsternAlfred Wallons Western
Teil 1: Der Untergang am Little Big Horn

Die Autoren lassen den Roman im April 1876 mit einem Gespräch zwischen George A. Custer und General Alfred H. Terry beginnen.

Ein Kniefall Custers vor seinem General, denn mit seinen (wahrscheinlich durchaus berechtigten) geäußerten Anschuldigungen auch gegen Orville Grant, dem Bruder des Präsidenten, ist er als Offizier für den geplanten Indianerfeldzug nahezu untragbar geworden.

Untergang am Little Big HornCuster, egal, wie man zu ihm stehen mag, ist unbestreitbar die zentrale Figur bei der Schlacht am Little Big Horn. Eine schillernde Persönlichkeit, die bereits während der Ausbildung in West Point häufig auffiel (sprich: jedes Jahr kurz vor dem Ausschluss stand), sich während des Sezessionskrieges einen Namen machte und nach dem Krieg in einige Auseinandersetzungen mit Indianern verwickelt war.
 
Umso schwieriger wahrscheinlich die Antwort auf die Frage zum geeignetsten Einstieg, wenn die geschichtsträchtige Schlacht im Vordergrund der Handlung stehen soll. Wie entscheidend ist Custers individuelle Entwicklung bis 1876, um sein eigenmächtiges und -williges Vorgehen am Little Big Horn dann nachvollziehen zu können? Wie prägend waren frühere Erlebnisse?

Das Eröffnungsgespräch, nur wenige Monate vor der Schlacht, ist in der Tat ein gut gewählter Einstieg. Custer ist ein Mann, der gut reden kann, überzeugen kann, Ausstrahlung besitzt –und gerne Grenzen überschreitet, diese vielleicht oft gar nicht mal als solche wahrnimmt, und alles seinen eigenen Plänen unterordnet. Gerade mit diesem Gespräch lässt sich der Charakter Custers gut vermitteln und darstellen. Verschiedene Aspekte seiner Persönlichkeit können damit abgedeckt werden, ohne das Buch allzu sehr aufzublähen, und die Autoren haben diese Möglichkeit gut genutzt.

Ein wenig überraschend, dass George Armstrong Custer dann im weiteren Verlauf zwar weiterhin die zentrale Figur, aber nur einer von mehreren gleichwertig geschilderten Charakteren ist. Der Reporter Mark Kellogg (einer von fünf Zivilisten, die die 7th Cavalry begleiteten), die einfachen Soldaten Isaiah Wells und Theodore Hancock auf der einen, Sitting Bull und Crazy Horse auf der anderen Seite. Diese und noch einige weitere Figuren sind allesamt wichtig; die Autoren konzentrieren sich tatsächlich auf die Geschehnisse, bringen mit diesen Figuren viele Sichtweisen ein, um die letztlich ja bekannte Handlung voranzutreiben.

Alfred Wallon, der mich mit einigen anderen im Persimplex-Verlag erschienenen Büchern leider nicht überzeugen konnte, und Joshua Pekordi gelingt dies hier tatsächlich ausgezeichnet. Gerade (und obwohl) die Geschehnisse in diesem Buch letztlich ja so neu nicht sind, können die Autoren durch die Sichtweise ihrer Figuren neue Aspekte hervorstellen und herausarbeiten, die mit dem vorhandenen geschichtlichen Basiswissen gut harmoniert und geradezu damit spielt. Der Fluch einer vorgegebenen Handlung (eben weil die Schlacht mittlerweile historisch doch recht gut aufgearbeitet wurde) wird zu einer Stärke ausgearbeitet, die mich sehr positiv überrascht hat.

192 Seiten scheinen nicht viel zu sein –und doch bauen die Autoren viele stimmige Szenen ein, die von anderen „Little Big Horn“-Aufarbeitungen noch nicht bekannt sind: Sitting Bulls Sonnentanz, General Crooks Aufeinandertreffen mit den Indianern (Schlacht am Rosebud) und sein Rückzug,– womit der südliche Angriffskeil der US-Armee aus dem Feldzug sehr früh ausscheidet, ein in einer Zeitung erschienener Leserbrief, der den Namen Custers beschmutzt, Crazy Horses ‚Aufeinandertreffen‘ mit Theodore Hancock, die Beobachtungen und Sorgen der Scouts, Mark Kelloggs Beobachtungen.…

Vieles davon mag so geschehen sein. Einiges erweckt den Eindruck der freien Auslegung.
Gut so.

Auch ein historischer Roman muss letztlich ein Roman bleiben. Die Historie muss zwar stimmen, doch es muss auch klar sein, dass nicht jeder historische Charakter in seinem tatsächlichen Wesen erfasst werden kann. Dafür sind eben viel zu oft nur Namen und Fakten bekannt, die Interpretationen zulassen und die Auslegungen sogar erforderlich machen, um ein stimmiges Gesamtbild zu erreichen.

Bei „Quantrill“ (ebenfalls Storykeeper-Verlag/Persimplex) ist Alfred Wallon meinem Empfinden nach leider an der titelgebenden Figur und der Romanumsetzung der historischen Handlung gescheitert, doch bei dem hier besprochenen, in Co-Autorenschaft entstandenem Buch zeigt er, es wesentlich besser zu können. Bei „Untergang am Little Big Horn“ funktioniert diesmal der auch bei „Quantrill“ schon gepflegte Ansatz, die historische Figur oft aus der Distanz, durch die Augen anderer Charaktere zu betrachten.

Und zwar ausgezeichnet!

Kapitel um Kapitel nähert sich das Buch dem entscheidenden 25. Juni – dem Tag, an dem die Ereignisse eintreten, die jedem Leser bereits bekannt sind. Es spricht für das Buch, dass zu keiner Zeit Längen entstehen. Nicht einmal das eigentlich vorhergeahnte und befürchtete „Das-kennst-du-jetzt-schon“-Gefühl wollte sich einstellen.

Das Entdecken des Indianerlagers, Custers Entscheidung, die Truppe aufzuteilen, das erste Aufeinanderprallen der Kompanien Major Renos mit den durchaus vorbereiteten Indianern und der zweite Zugriff durch Custers 5 Kompanien - bekannte Szenarien, die in dem Buch packend geschildert wurden und eine Dynamik entwickeln, die schlicht nur bannt. Viele kleine Szenarien, die im Zusammenspiel hervorragend funktionieren und in mehreren roten, miteinander verwobenen Fäden durch die Haupthandlung führen.

Nicht immer kann der Schreibstil der Autoren mit dieser Dynamik mithalten: Wenn ein Blaurock sein Leben ‚aushaucht‘, ist die Wortwahl nicht wirklich treffend und wirkt zu leger. Immerhin: Diese sprachlichen Stolpersteine treten nicht oft auf und sind zu selten, um tatsächlich ärgerlich zu werden.

Schade ist, dass die Soldaten zwar durchaus die Momentaufnahmen reflektieren, aber über die grundsätzliche Entscheidung zum Feldzug keine Gedanken verschwenden. Hier hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht, –wobei ich mir durchaus bewusst bin, dass die Moral und die Ethik damals eine ganz andere war. Die damals vorhandene Sichtweise konsequent zu schildern, würde nach heutigen Maßstäben wahrscheinlich zu abschreckend wirken und den Zugang zu den Ereignissen über die Charaktere wohl verbauen …

„Untergang am Little Big Horn“ ist ein schönes Hardcover, die Aufmachung sehr gelungen. Durchaus ein Blickfänger im Bücherregal. Neben dem Romantext enthält das Buch eine zweiseitige Einführung und als dreiseitigen Anhang von Alfred Wallon „historische Anmerkungen zum Roman“.

Fazit:
Trotz des bekannten Inhaltes hat das Buch keinerlei Längen. Viele stimmige Szenen lassen bekannte Handlungen neu erscheinen.

Respekt.

Leseempfehlung!
„Es ist meine Bestimmung, meine Geschichte so wahrheitsgemäß wie möglich zu gestalten.“
Zitat von General George Armstrong Custer
(lt. nur-zitate.com)
Untergang am Little Big HornDaten zum Buch:
Untergang am Little Big Horn
Roman von Alfred Wallon und Joshua Pekordi
1. Auflage 2010
Hardcover, 192 Seiten
ISBN: 978-3-940528-88-9
16,90 Euro
Persimplex - Storykeeper-Verlag, Wismar

 

Kommentare  

#16 Andreas Decker 2012-04-20 14:33
Zitat:
Böse fomuliert: Wie sehr ist der Behauptung, das Rezept sei gut, zu trauen, wenn man weiß, dass der Tipp von Hannibal Lector kommt?
Wieso böse? Unter Umständen vermutlich mehr als bei der Gammelfleischbude an der Ecke :P

Eine der vermutlich originellsten Darstellungen der Schlacht am Little Big Horn dürfte sich in dem Horrorroman Cutthroat (1992) von Michael Slade finden, wo ein glückloser Archäologe/Paläontologe zwischen die Fronten gerät, nachdem er in den Black Hills gerade den Fund seines Lebens gemacht hat: den Schädel des "Missing Link", den die Indianer als Wendigo bezeichnen. Was dann später für die Serienkillergeschichte in der Gegenwart von Bedeutung ist. Im Roman gibt es sogar eine Abbildung einer Schlagzeile von 1876, die der Welt Custers Tod verkündet. :lol: Für die Handlung selbst völlig unerheblich, aber es war schon sehr originell und amüsant.
#17 Harantor 2012-04-20 15:02
Solche Behauptungen hängen immer von der Hybris des Rezensenten ab. Das wird gern und oft gemacht. Es liegt beim Leser der Rezension, ob er das hinnehmen will oder nicht. Ich persönlich hätte das so stehen lassen und in der kommenden Rezension des Quantrill-Buches weiter ausgeweitet. Aber nicht immer nur mit Fakten. Bei Rezensionen geht es oft um Geschmack.
#18 McEL 2012-04-21 02:27
Zitat:
Böse fomuliert: Wie sehr ist der Behauptung, das Rezept sei gut, zu trauen, wenn man weiß, dass der Tipp von Hannibal Lector kommt?
;-) Da Hannibal ein Feinschmecker war, würde ich dem mehr trauen als einem "Rezensenten", für den die Krönung der kulinarischen Genüsse die neueste Hamburger-KReation einer Fastfoodkette ist ... :D
#19 Lefti 2012-04-21 16:04
Ich finde es schon etwas erstaunlich, gar schon ein klein wenig kurios, wenn nicht gar gerade zu befremdlich, wie hier im Zauberspiegel im Allgemeinen und hier zu diesem Artikel im Besonderen über Sinn, Inhalt, Zweck, wie, wann, ob ja, ob nein, wieso, weshalb, warum von Rezensionen diskutiert wird. :o
Da schreien welche, dass sie um Himmelswillen bloß nichts über den Inhalt des Buches erfahren wollen und dass auf gar keinen Fall gespoilert werden darf, da sie ja vorab dann zu viel vom Inhalt erfahren und das dadurch der Lesegenuss getrübt sein würde. :-?

Nun, wenn das so ist, dann darf man halt keine Rezensionen, Berichte oder Artikel über Bücher lesen. Dann muss man sich eben mit dem Klappentext und den Bewertungen bei Amazon und Phantastik-Couch zufrieden geben. :sigh:

Ich lese und schreibe Rezensionen um mehr über das Buch (oder ggf. über den Autor) zu erfahren oder zu berichten, als das, was auf dem Buchrücken steht.

Ich habe gesprochen! ;-)
#20 McEL 2012-04-21 18:40
Zitat:
Da schreien welche, dass sie um Himmelswillen bloß nichts über den Inhalt des Buches erfahren wollen und dass auf gar keinen Fall gespoilert werden darf, da sie ja vorab dann zu viel vom Inhalt erfahren und das dadurch der Lesegenuss getrübt sein würde.
Ich kann aus Erfahrung mit Rezensionen sagen (auch wenn ich soooo viele nicht schreibe), dass es sehr wohl möglich ist, mehr über den Inhalt eines Buches zu schreiben, als im Klappentext steht und trotzdem NICHT zu spoilern. Mit etwas Nachdenken und Feilen am Text macht dem Leser sogar noch zusätzlich Appetit und erhöht seine Neugier auf das Buch. Meiner Meinung nach bekommst du das immer sehr gut hin! (Zumindest bei den Rezis, die ich bis jetzt von dir gelesen habe.)
Was man natürlich niemals tun sollte und was nur schlechten und/oder gedankenlosen Rezensenten passiert, ist, das Ende bzw. die Lösung zu verraten (bei belletristichen Werken). Bei dieser Art von Spoiler gehe ich auch auf die Barrikaden.

Und wer vor dem Lesen nicht mehr über Buch und/oder Autor erfahren möchte, der darf eben keine Rezensionen lesen. ;-) Auch hier gilt: "Benutzung (der Rezension) auf eigenen Gefahr!" :-*
#21 Michael Schenk 2015-01-29 13:57
Kein wirklich schlechtes Buch, denn die groben historischen Fakten stimmen und Auslegungen stehen jedem Autoren zu. Viele der Details sind jedoch falsch oder zumindest schlecht recherchiert und ich bin überzeugt, Colonel Smith (der eigentliche Befehlshaber der 7th) wäre erleichtert gewesen, wenn sein Stellvertreter Custer den Jungs vor der Schlacht nicht die Säbel abgenommen hätte. In den typischen Strukturen der US-Cavalry und deren Ausstattung am Little Big Horn liegt eine bedauerliche Schwäche der Autoren. Trotzdem ein unterhaltsamer Western, auch wenn das Preis-Leistungsverhältnis nicht wirklich stimmig ist.

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