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Ein Texaner gegen Chicago

Ein Texaner gegen Chicago
Von Marco Theiss

Der Revolvermann Jake Parks wird 1930 aus dem Gefängnis entlassen und geht auf einen Rachefeldzug. Die Welt draußen hat sich während seiner Haft verändert und der wilde Westen ist verschwunden. Seine Rache führt ihn nach Chicago, wo er geradewegs in eine Auseinandersetzung mit der Mafia hineinrast und er begreift schnell: Die Zeiten mögen sich geändert haben, die Menschen aber nicht.

 

Im Jahr 1930 wird der Revolverheld Jake Parks nach 25 Jahren aus dem Strafvollzug entlassen. Es hat sich viel verändert, draußen in der realen Welt. Die Prärie ist mit Stacheldraht durchzogen und Menschen bewegen sich nicht mehr mit dem Pferd fort, sondern mit Automobilen. Den wilden Westen gibt es nicht mehr.

Parks versucht erst gar nicht, sich an die neuen Bedingungen zu gewöhnen. Er begibt sich auf einen Rachefeldzug um die zwei Männer zur Verantwortung zu ziehen, die ihn seinerzeit verraten haben und in dessen Folge er verurteilt wurde. Der ehemalige Marshal Tom Wilbury ist das erste Ziel des alten Revolverhelden. Er scheint schon fast zufrieden zu sein, als Parks ihn niederschießt, denn auch er ist ein Relikt aus alten Zeiten, das mit dem Fortschritt nicht mithalten kann.

Dwight McGowern hingegen hat die Zeichen der Zeit erkannt und bringt seine Fähigkeiten im Dienst der aufkommenden Mafia in Chicago ein. Parks glaubt sich am Ziel seiner Rache, als er McGowern und einige seiner Männer niederschießt. Unter den Toten befindet sich allerdings der Sohn einer der Mafia-Bosse und Jake Parks findet sich in einer Auseinandersetzung wieder, die viel Vertrautes in sich hat, aber auch viel Neues in sich birgt.

Marco Theiss legt einen außergewöhnlichen und gut strukturierten Western vor, der auf mehreren Ebenen funktioniert. Zuerst ist da einmal der alternde Revolverheld, der wie ein Anachronismus wirkt. Parks ist der Archetyp eines Texaners aus dem 18. Jahrhundert. Langer staubiger Mantel, reitet auf einem Pferd, trinkt Whiskey, schießt mit Revolvern um sich. In den 25 Jahren seiner Haft hat sich viel verändert. Die Weiden sind von Stacheldraht durchzogen und die Menschen bewegen sich auf Straßen fort. Neuartige Automobile prägen das Bild der Öffentlichkeit und die Bekleidung der Leute hat sich auffällig verändert. Selbst Waffen werden nicht mehr offen getragen. Darüber hinaus ist der Genuss von Alkohol jetzt verboten. Das Zeitalter der Prohibition ist angebrochen.

Marshal Tom Wilbury kann mit dem Tempo der Veränderungen nicht Schritt halten. Er ist, wie Parks, ein Kind seiner Zeit und nur noch ein Schatten seiner selbst. Im Duell mit Parks leistet er keinen großen Widerstand und scheint erleichtert, als der ihn von seiner Existenz erlöst. Ganz anders Dwight McGowern. Er hat sich in Chicago der Mafia angeschlossen, die mit Alkoholschmuggel die Unterwelt beherrscht. Dort macht McGowern das, was er immer getan hat. Er tötet Menschen für Geld.

Hier liegt eine der Stärken des Romans. Parks ist mit seiner Revolvermann-Attitüde eines Westernhelden aus der Mode gekommen, aber trotzdem sind die Menschen noch immer die gleichen. Die Konflikte werden nach wie vor mit Gewalt gelöst, auch wenn sich die äußerlichen Rahmenbedingungen geändert haben. Damit greift Theiss die Motive seines ersten Western auf, denn im Kern folgen auch Jake Parks und Dwight McGowern der Mathematik des Bleis. Michael O´Brian ist ein Mafioso, der auf Parks angesetzt wird. Der Ire gerät unter Zugzwang, als es ihm nicht sofort gelingt Parks zu erledigen. Und auch er folgt der Mathematik des Bleis, die für alle Beteiligten Konsequenzen haben muss.

Es gibt ein Widersehen mit Jenny Lyndon, die der Leser bereits aus Mathematik des Bleis kennt. Die damals junge Prostituierte geht eine Liaison mit Sheriff William Burton ein, der sich schließlich für eine andere Frau entscheidet. Sie geht nach Chicago und eröffnet ein Bordell. Dort trifft sie auf Parks, von dem die verlebte Frau ebenfalls hofft, er möge bei ihr bleiben. Parks aber kann von seinem Leben als Revolvermann nicht abhalten. Einen kurzen Augenblick spielt er mit dem Gedanken, die Spirale von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen, entscheidet sich aber dann doch für den ihm vertrauten Weg und setzt den Kampf gegen die Mafiosi fort.

Theiss bedient sich einer harten und direkten Sprache und verleiht den Protagonisten Authentizität, ohne dabei in überflüssige Nebenplots abzugleiten. Schnurstracks arbeitet die wohl durchdachte Story auf das Finale hin, in dem die Charaktere aufeinanderprallen. Der Schreibstil des Autors besticht wiederum durch häufige Szenenwechsel, die an einen Film erinnern. Sie ergeben einen angenehmen Flow und greifen sehr gut ineinander über. Einige Nebencharaktere erzeugen Atmosphäre, innerhalb derer die Protagonisten agieren: Der ehemalige Bänker Harley ist nach dem schwarzen Freitag 1929 obdachlos geworden und trifft in den Straßen Chicagos auf Parks und der Leser begleitet den Mafioso O´Brian an Heiligabend zu seiner Familie nach Hause und versteht, dass er Parks erledigen muss, um sie zu schützen.

Der Roman erscheint im Blitz Verlag innerhalb der Reihe „Allgemeine Reihe“ und der Westernleser könnte ihn glatt übersehen. „Mathematik des Bleis“ ist in den Western Legenden erschienen und der Leser ist geneigt, den vorliegenden Roman als eine Form von Fortsetzung zu verstehen. Es bestehen Querverweise zu Mathematik und mit Jenny Lyndon tritt eine Figur aus dem ersten Roman auf.
Ein klassischer Western ist „Ein Texaner gegen Chicago“ nicht. Er spielt nicht in der Zeit des wilden Westens. Theiss wählt ein Setting, in dem er einen alternden Revolvermann in die Gangsterwelt Al Capones ins Chicago der 30er Jahre schickt. In den letzten Jahren etabliert sich der Begriff Neo-Western, in dem die Erzählstrukturen und Archetypen des klassischen Western in die gegenwärtige Zeit transferiert werden. Ein erfolgreiches Beispiel hierfür ist die TV-Serie Yellowstone mit Kevin Costner. Das mag ein Grund sein, weshalb der Roman nicht in den Western Legenden erscheint.

Marco Theiss hat mit seinem zweiten Western einen spannenden Roman vorgelegt, der im Chicago der 30er Jahre spielt. Da bleibt zu hoffen, dass der Autor noch ein weiteres Mal seine Sporen überstreift und erzählt, wie andere Männer der Mathematik des Bleis verfallen. Ein dritter Roman könnte wenige Jahrzehnte nach den Ereignissen in Chicago spielen und die „Mathematik-Trilogie“ wäre vollständig.

 

Ein Texaner gegen Chicago
Von Marco Theiss

Erscheinungsdatum: April 2025
Taschenbuch Preis: 12,95€
Blitz Verlag

05/2025

 

 

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