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Botschafter von den Toten

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Zu Adam-Troy Castros »Halbgeist«

Ein in weiten Leser-Kreisen wirklich bekannter US-Science Fiction-Autor ist Adam-Troy Castro noch nicht. Aber er arbeitet heftig an seiner Karriere. Dabei hilft ihm auch sein deutscher Verlag: Bastei-Lübbe, seit Ende vergangenen Jahres in Köln statt in Bergisch Gladbach zu Hause, hat im November 2009 den ersten Roman Castros in deutscher Übersetzung von Frauke Meier herausgebracht und ihm in Sachen Buchausstattung eine erstaunliche Sonderbehandlung gegönnt.

 

HalbgeistCastros Roman „Halbgeist“ kommt als echt stabiles Paperback. In großzügiger Klappenbroschur gewinnt das Buch zusätzliche Attraktivität, zumal auch das Titelbild den gesamten Buchblock umläuft, das Hauptmotiv des Titels ausgestanzt wurde und die Titelzeilen spürbar geprägt sind. Dazu wird das Titelbild des deutschen SF-Künstlers Arndt Drechsler von sechs ganzseitigen farbigen Tafeln ergänzt, die in den Text eingestreut sind. Das Paperback im Format von ca. 13 mal 21 Zentimeter hinterlässt so einen wertigen Eindruck, der den Verkaufspreis absolut gerechtfertigt erscheinen lässt.

Ob Castros „Halbgeist“ auch als Roman überzeugen kann, ist allerdings eine andere Sache. In den USA wurde das Buch mit dem Philip K. Dick Award ausgezeichnet, der für erfolgreiche Erstausgaben im Taschenbuchformat vergeben wird. Angeblich zählen Preise in den Staaten erst, wenn die Hardcover-Ausgaben, die den Taschenbüchern vorangehen, bedacht werden, Adam-Troy Castro ist zudem für einige von über 80 SF-, Fantasy- und Horror-Stories, die in gut zwölf Büchern erschienen sein sollen, immer mal wieder für den „Hugo“, den „Nebula“ oder andere Awards nominiert worden – die Auszeichnungen gewonnen hat er dann allerdings nicht. Auch seine veröffentlichten „Spider-Man“-Stories charakterisieren ihn eher als ausgesprochenen „Fan Boy“, wie er sich in Interviews im Internet präsentiert hat.

Andrea Cort, die von Castro zunächst in früheren Kurzgeschichten entwickelte weibliche Hauptfigur in „Halbgeist“, soll dem heute 50-jährigen Autor, der in Florida mit Frau, Kindern und Katzen lebt, nun offenbar zu echtem internationalem Ruhm in der SF-Szene verhelfen.

Ob das mit dem Roman „Halbgeist“ klappt, wird inzwischen vor allem von einigen deutschen Leser-Kritikern leider bezweifelt. Sie fühlen sich von einigen Zeilen der Werbung für das Buch hinters Licht geführt und in ihren Erwartungen enttäuscht. Tatsächlich scheint die eine oder andere Zeile auf dem Klappentext missverständlich formuliert zu sein, zu stark aufzutrumpfen und die Leser-Erwartungen in eine falsche Richtung zu lenken. Auch die berühmten Zitate von bekannten Kollegen, die in die Werbung eingespannt wurden, waren offenbar nicht sehr hilfreich. So ist „Halbgeist“ eben nicht „’Das Schweigen der Lämmer’ wie Larry Niven es geschrieben hätte“. Auch Klappentext-Formulierungen wie „Andrea Cort ist kein Mensch mehr. Sie ist ein Monster...“ haben mit der Wirklichkeit des Buches überhaupt nichts gemein.

Adam-Troyy CastroNatürlich ist Castros Heldin ein Mensch. Andrea Cort ist eine zutiefst verunsicherte, traumatisierte, von Ereignissen ihrer Vergangenheit verfolgte Frau, die nicht mehr in der Lage ist, anderen Menschen oder Lebewesen mit Vertrauen zu begegnen. Das kommt ihr in ihrem Job als interstellare Sonderermittlerin des Diplomatischen Corps vielleicht zugute, zumal sie von den böswilligen Aliens irgendwo da draußen seit den Geschehnissen auf dem Planeten ihrer Kindheit als Kriegsverbrecherin angesehen wird.

Als Achtjährige musste sie auf dem mit überaus freundlichen Außerirdischen belebten Planeten Bocai erleben, wie Menschen und kurz zuvor noch geliebte Bocai in einem plötzlichen Wahn einander zerfleischten. Sie selbst musste ihren „Babysitter“-Bocai töten, um zu überleben. Und offenbar hat sie damals noch viel mehr Blut vergossen, um eigentlich jetzt zu Recht außerhalb jeder Gesellschaft stehen zu müssen.

Dennoch hat das Diplomatische Corps sie in seine Dienste aufgenommen und gleich mit einem heiklen Auftrag bedacht. Der hat mit den geheimnisvollen KIQuellen zu tun, künstlichen Software-Intelligenzen, die es schon seit Jahrmillionen gibt und die in der Gegenwart immer wieder einige Wunderdinge bewirken. Die KIQuellen haben auch die Welt One One One geschaffen, ein seltsamer Lebenszylinder mit auf den Kopf gestellter Schwerkraft, in deren Himmel die Menschen und befreundete Aliens auf Hängematten bewegen müssen, während in der Tiefe unter ihnen giftige Wolken wabern, durch die drachenähnliche Wesen geistern.

Mitarbeiter des Corps sind auf One One One auf unnatürliche Weise ums Leben gekommen, und Andrea Cort soll die Morde aufklären – ohne allerdings die scheinbar allmächtigen KIQuellen bei ihren Ermittlungen zu belästigen oder sie gar zu verdächtigen. Das erweist sich als schwieriger als zunächst angenommen, zumal Andrea selbst Ziel von Mordanschlägen wird und zunehmend auch von den Dämonen ihrer blutigen Vergangenheit auf Bocai eingeholt wird.

Obwohl Misanthropin bis in die Knochen gewinnt Andrea Cort während ihres Aufenthalts doch die Sympathien der Porrinyards, einem menschlichen Paar, das sich mit Hilfe der Abteilung Medizintechnik der KIQuellen zu einer einzigen Persönlichkeit kybernetisch verschmelzen ließ. Mit Hilfe von Oscin und Skye Porrinyard, die Andrea mehr als einmal das Leben retten und die Geheimnisse von One One One – wie der Sinn und der Ursprung der heimischen Lebensform der Brachiatoren – enträtseln helfen, blickt Andrea Cort am Ende auch in die schier unbegreifliche Welt der KIQuellen und ihre Verwicklung in die Geschehnisse auf Bocai, erkennt  Freund und Feind, um schließlich in eigenem Interesse heimlich den Arbeitgeber zu wechseln. Danach warten neue Abenteuer auf Andrea Cort und die Porrinyards.

Leser, die bei „Halbgeist“ einen Endzeit-Horror-Thriller mit wandlungsfähigen Zombies oder ähnlichem erwartet haben, werden von dem Buch zu Recht enttäuscht werden. Adam-Troy Castros ist das – was der Untertitel verspricht – ein spannender SF-Thriller von eher klassischem Zuschnitt, aber in einer modernen, exotischen Weltraum-Umgebung mit mitunter schrill-bunten Aliens. Das Krimi-Ambiente wird noch von Castros Schreib-Stil gestärkt, der realistisch und lakonisch daherkommt – ganz in der Tradition des „hard boiled“-Kriminalromans. Die solide Übersetzung von Frauke Meier tut ein übriges dazu, um Castros Buch genießen zu können.

Erstleser sollten das Buch als Auftakt verstehen, als Einstieg in die Welt der Andrea Cort, die – so die Ankündigungen des Verlags – noch mindestens zwei weitere Roman-Abenteuer zu bestehen hat. Der Boden ist bereitet und lässt hoffen.


HalbgeistDaten zum Buch
Halbgeist
(Emissaries from the dead)
von Adam-Troy Castro
Aus dem Amerikanischen von Frauke Meier
Titelbild und Innenillustrationen: Arndt Drechsler
Deutsche Erstausgabe
Bastei Lübbe Taschenbuch 28536
Erste Auflage November 2009, Paperbackausgabe
ISBN 978-3-404-28536-5
Euro 14,00

Bastei Lübbe GmbH & Co KG Köln 2009

 

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