Professor Zamorra 1318 - Wege der Unsterblichkeit
Professor Zamorra - Der Orden der Tausend
(Amulette-Zyklus, von Adrian Doyle)
1318 Wege der Unsterblichkeit
Zamorra und Nicole sind in das Kontinuum eingedrungen, in dem ihre Wünsche aber auch Alpträume wahr werden. dorthin hatte sich schon Thierry Bouchard hin geflüchtet, das Wiedersehen mit ihm verläuft allerdings katastrophal, denn seine ebenfalls anwesenden Eltern zerfallen beim Anblick unserer Helden zu Staub. damit der Widrigkeiten nicht genug, aus dem Portal zum Schlossgewölbe stürmt eine Art Kugelblitz heran, es handelt sich um den Ordensritter Mathis, der unser Trio angreift. doch die Straße weiß sich zu wehren, und bildet Riesenvögel aus, welche die energetische Erscheinung angreifen und zerfetzen. Zamorras Versuch, das Amulett zu aktivieren, gelingt nicht, es scheint, als hätte die Umgebung seinen Stern neutralisiert. es stellt sich rasch heraus, dass Thierry die Umgebung durch seine Gedanken und Wünsche erschafft, und das beinhaltet auch seine Eltern, die in Wahrheit natürlich nicht mehr leben. er hatte es sich in seiner Blase relativ gemütlich eingerichtet, das Auftauchen von Zamorra und Nicole lässt diese Blase platzen, der Junge muss erkennen, dass seine Eltern hier nur seine eigenen Traumgebilde sind. auch ist er nicht mehr der kleine zehnjährige Junge, der nach den mörderischen Ereignissen im Sommer 2021 auf das Schloss Montagne geholt wurde, sondern er wächst rasch in sein wahres Alter hinein, also dreizehn.
in der anderen (unseren?) Wirklichkeit empfängt Kelan Signale aus dem rätselhaften Baumhaus, und findet dort die grotesk verformten Überreste eines Amuletts, das wie zuerst zum Kochen gebrachtes und dann in kaltem Wasserbad abrupt gekühltes Metall herumgespritzt ist. Kelan erkennt darin die Überreste seines Abgesandten Mathis. er steigt hinunter ins Gewölbe zum Portal, zur Anomalie, und berührt die Stelle, und erlebt die Vernichtung seines Gefährten, besser: er lebt sie nach. er entscheidet nun, seine Ritter auszusenden, um mittels ihrer neu erworbenen Gabe, sich in alles und jedes verwandeln zu können, in die Haut von Staats- und Wirtschaftslenkern, politischen Anführern und Oberbefehlshabern zu schlüpfen, und so die Macht zu übernehmen. schwärmt aus, meine Brüder! befiehlt er ihnen - doch sie verweigern ihm den Gehorsam, und wenden ihm nur ihren Rücken zu.
in der anderen Realität berichtet der Junge, dass er auch mal Besuch von "draußen" erhält, eine Art Geistwesen. für Thierry ist nämlich unweit vom Haus Ende Gelände, die Straße läuft wohl erkennbar weiter, aber der Junge kann eine unsichtbare Barriere nicht überwinden, anders als der geheimnisvolle Besucher. Thierry lässt auf Papier ein Bild dieses Besuchers entstehen, und diese "Fotografie" zeigt niemand anderes als Merlin. der würde sich bei seinen Besuchen stets in den Keller begeben, und habe sogar die Ankunft von Zamorra angekündigt. der Junge führt unser Pärchen in eben jenen Keller, der nichts mehr mit dem Haus Bouchard zu tun hat, sondern eindeutig eine Alchimistenküche ist, wie sie wohl seinerzeit auf Schloss Montagne zu finden war. über dem Tisch schwebt eine Wolke, in der es glitzert als hätte es Diamanten, die aber aus undurchdringlicher Schwärze besteht. schließlich berichtet Thierry, wie er überhaupt in dieser Dimension gelandet ist, dass er vor Kelans Manipulationen geflohen ist. dabei erfahren Zammy & Nici von der Parallelwelt Kelans, von der sie ja bislang nichts ahnten. letztlich versuchen Zamorra und Nicole, gemeinsam mit Thierry die Barriere zu durchstoßen, doch anders als unsere Helden lässt die Straße den Jungen nicht durch. dafür erscheint Merlin, oder besser sein Bote.
Merlin hat seinen Avatar hier hinterlassen, um die Impossible Mission Force aka Nici & Zammy in die Hintergründe, und die anstehende Mission einzuweihen. Merlin hat den bösen Teil seiner Seele abgespalten, konnte ihn aber offenbar nicht vernichten. und da Merlin sehr mächtig war, war es auch dieser Teil seiner selbst. und diese Dunkle Essenz macht sich Leonardo zunutze, um eine Kopie seines Amuletts zu schaffen, in die er sich selbst ebenfalls hineinkopieren, und so relative Unsterblichkeit erreichen will. der Plan wäre, im Körper eines jeden neuen Sternträgers weiterzuleben. das funkt nicht ganz nach dem Willen es Erfinders, Leonardo erzeugt ungewollt gleich 999 neue Amulette, in jedem steckt nun ein Splitter seiner Seele. diese Mission, should you decide to accept it, besteht nun darin, auf der "Straße" in die Vergangenheit zu gehen bis zu jenem Zeitpunkt, an dem Leonardo das Amulett vergewaltigt, und es zu zerstören. dafür sei das Amulett von Zamorra, jenes, das er aktuell trägt, und das ihm taub erscheint, weil es nicht mehr auf ihn reagiert, dafür sei es eben hier in dieser Anomalie bis zum Bersten mit aller von Merlin verfügbar gemachter Magie aufgeladen worden. Zamorra und Nicole möchten unbedingt Thierry mitnehmen, nun erklärt ihnen der Bote, dass es sich hier nur noch um eine Nachahmung des Jungen handelt, der wäre schon fast verhungert, der Bote habe ihn mit der Schaffung eines Ersatzkörpers gerettet, doch dieser Körper ist an diese Sphäre gebunden und würde das Verlassen nicht überleben - daher auch die Barriere, um ihn zu schützen.
gleichzeitig bekommt Kelan es mit Leonardo, dem Ersten zu tun. der hat nicht nur alle Ordensritter unter seine Kontrolle gebracht, sondern auch Kelan selbst. der hält zwar den Dhyarra in den Händen, kann ihn aber nicht einsetzen, seine Wünsche und Gedanken dringen nicht durch zu dem Kristall. er weiß, was es geschlagen hat, er wird von einem der tausend Leonardo-Splitter gelenkt, seine Sternritter werden ebenfalls von je einem solchen Splitter beherrscht - durch das Amulett, mit dem sie verschmolzen waren. und jetzt tritt die Defragmentierung ein. Leonardo befiehlt dem Dhyarra die Zusammenführung der Einzelteile, und so geschieht es, der blaue Kristall zieht alle Splitter im Körper Kelans zusammen, und vernichtet gleichzeitig die dort schon vorhandene, störende Seele und so endet der Lebenspfad von Kelan. Leonardo ist wiederauferstanden! die Amulette sind in ihm vereint, die Ritter, getrennt von ihren Sternen, nackt und wehrlos, Leonardo bricht ihnen allen der Reihe nach das Genick. da meldet sich die Dunkle Essenz in ihm, und er erkennt, dass auch er nur Werkzeug war für etwas noch Böseres, dem schwarzen Teil Merlins Seele, diesem Konzentrat aus Finsternis, der Dunklen Essenz selbst. und so wird auch Leonardo von Merlins dunklem Ich übernommen und vernichtet...
Zamorra und Nicole gehen weiter auf ihrer gefährlichen Reise, und tatsächlich überlebt Thierry den Übergang nicht. sie kommen schließlich in der schon bekannten Alchimistenküche an, gerade in jenem Augenblick, in dem Leonardo seine Beschwörung durchführt. da entfesselt das Amulett seine geballte Kraft, und stößt mit all der Magie, die es in der Sphäre getankt hat, in den dunkelglitzernden Nebel, der Dunklen Essenz...
unsere Helden werden zurück in die Jetztzeit, und zurück ins Schlossgewölbe geschleudert. das Zeitparadoxon ist aufgelöst. Leonardo konnte sein Vorhaben nicht umsetzen, den Orden hat es so nie gegeben, und damit auch nicht die tausend Amulette und alle Vorfälle, die damit verbunden waren. was noch alles doch nicht war, wird die Zukunft zeigen.
trotz aller Erleichterung kriegen unsere Schlossherren zu guter Letzt doch noch einen Dämpfer: der alte Butler William segnet das Zeitliche, offenbar war seine Lebensspanne auf natürlichem Wege abgelaufen...
Merlin also. König der Druiden, Zauberer von Avalon, Herrscher auf Schloss Caermardhin. Sohn des Luzifer, Bruder des Asmodis, Vater der Sara Moon, die er mit der Zeitlosen Morgana leFay gezeugt hatte, und die seine Nachfolgerin als Hüterin der Schicksalswaage ist.
Merlin also. eigentlich logisch. nach Leonardo, dem großen historischen Bösewicht der Serie, darf in einem Zyklus um das Amulett dessen Schöpfer nicht fehlen. wobei nicht Merlin höchstselbst auftritt, sondern sein - Avatar? Abgesandter? der gibt jedenfalls den Erklärbär, und das macht Herr Weinland wieder sehr geschickt. Zammy & Nici sind ob des Verhaltens von Merlins Boten ziemlich angespeist, und der füttert sie nur häppchenweise mit Informationen. und das ist gut so, so komme ich als Leser gut mit, ohne dass ich hier zu sehr mit Infos zugetextet werde. die Idee, die eigene Seele in Objekte auszulagern, um so Schutz vor Vernichtung zu erlangen, ist spätestens seit Voldemorts Horkruxen bekannt, und erfährt hier eine Variante. wie bei Harry Potter geht auch hier der Plan des Bösewichts fehl; Voldemort platziert ungewollt einen Horkrux in Harry, Leonardo erzeugt ungewollt 999 statt eines neues Amuletts, und zersplittert so seine Seele.
interessant die Idee, dass für den Jungen die Zeit stehen geblieben ist, und erst dann wieder auf "jetzt" gestellt wird, als Zamorra seine Illusion zusammenbrechen lässt. vorbeugend beschreibt der Autor, dass auch Thierrys Kleidung dessen Wachstumsschub auf wundersame Weise mit vollzieht... sonst wurde der Junge ja wie Hulk in zerfetzten Hosen herumlaufen.
elegant auch, wie sich Herr Weinland aus dem Dilemma Thierry herausschreibt. immerhin haben Nici & Zammy eine Beziehung zu den beiden aufgebaut, Zamorra bereut es sogar kurz, selbst keine Kinder zu haben - die Vernunft gebietet das, Kinder wären zusätzliche Angriffsflächen für die Schergen der Schwefelklüfte. obschon unser Pärchen Thierry eigentlich retten will, vernichten sie ihn letztlich endgültig, ohne dabei große Schuldgefühle haben zu müssen.
kein Zamorra ohne ethische oder philosophische Diskussion, auch hier: ist Kelan Opfer oder Täter? schließlich war er ja auch ein ganz normaler Junge, der unter dem Einfluss des Amuletts wurde, was er zuletzt war. Zamorra aber argumentiert, er habe sich bewusst für das Böse entschieden, und Gräueltaten ohne Ende begangen im vollen Bewusstsein, dass er damit vom rechten Weg abgeht. anders als sein Vater, der hatte Selbstmord verübt, nachdem ihm klar wurde, was sein Stern mit ihm macht. für Zamorra ist Kelan daher eindeutig Täter. das konnte man ausführlich diskutieren... interessant jedenfalls, dass solche Überlegungen in einem Heftroman angestellt werden. diesem Genre wird ja gemeinhin nur zugestanden, seichte Ablenkungsliteratur ohne intellektuellem Anspruch zu sein (wie heißt es so schön in Rottensteiners Quarber Merkur: "Kampf der verderblichen Schundliteratur"!). mir gefällt es, wenn sich die AutorInnen dieser Serie mittels ihrer Avatare Zammy & Nici die Zeit nehmen, solche Themen anzureißen. manchmal geben sie Antworten, manchmal aber auch nicht. überhaupt, wenn ich schon mal dabei bin, scheint mir Professor Zamorra zumindest aktuell um einiges komplexer und stimulierender zu sein als der "große Bruder" vom Scotland Yard.
in einer Szene dreht Zamorra die Glotze an, und Thierry lässt Jacques Tatis "Ferien des Monsieur Hulot" abspielen. sehr wahrscheinlich der Autor, aber jedenfalls Zamorra findet, dass Eltern ihre Kinder sehr lieben müssen, wenn sie sie in Tatis Humor einführen. dem kann ich nur zustimmen! als Tüpfelchen auf dem i darf ich berichten, dass der Drehort Saint-Marc-sur-Mer (Gemeinde Saint-Nazaire) unweit der Heimatstadt der besten Ehefrau von allen liegt, nämlich Nantes. in dem schnuckeligen Badeort wurde dem großen Komiker natürlich auch eine Statue errichtet. Spaßvögel klauen der Statue übrigens regelmäßig die Pfeife...
als sich unsere Helden auf die Reise in die Vergangenheit machen, liegt die "Straße" unter ständigen magischen Angriffen, und Zamorra stürzt einmal in eine Erdsenke aus der ihn Merlins Abgesandter befreien muss. er ist dabei bereits in die Vergangenheit abgetaucht, nämlich in jene Episode im Jahr 1968 im Haus des Schriftstellers Eugène Eribon (Heft 1249 Der Chronist des Grauens). sehr netter Einfall, wie lange musste das der Autor vorweg geplant haben...
die Auflösung der Geschichte, und letztlich des gesamten Zyklus, war dann wieder ganz großes Kino. nach dem Klimax das erleichterte Aufschnaufen, es ist alles gut, in Wahrheit hat nichts von all dem Bösen stattgefunden... nur um dann zum Abschied schnell noch eine Backpfeife reingeknallt zu kriegen, in der Form des Ablebens von Butler William.
solche Auflösungen funken halt nur durch Zeitreisen. und was bedeutet das jetzt zB für Carrie Bird? ist sie nach wie vor in der viktorianischen Vergangenheit gefangen? gibt es die Regenbogenblumen noch immer? vielleicht wurde das ja in den Geschichten angesprochen, die nach dem Zyklus erschienen sind, die ich aber nicht gelesen habe.
einige meiner Vermutungen haben sich nicht bestätigt. ich dachte ja aufgrund diverser Diskussionen auf Facebook, dass es hier zur Zerstörung von Zamorras Stern kommt - er bekommt ja vom Erzengel Michael ein neues. das passiert aber offenbar erst im Band 1321 Das Schwert des Michaels (Teil 2 der Duologie), und hat mit unserer Geschichte nix zu tun.
auch dachte ich zunächst, der Ordensritter Mathis würde sich als identisch mit jenem Jungen entpuppen, der zur Arbeit an der Erbauung von Leonardos Trutzburg gepresst wurde, offenbar war das aber nur eine zufällige oder unterbewusste Namensgleichheit.
ich habe den Eindruck, dass mich des Autoren Stil derart beeindruckt, dass diese Art zu schreiben sogar auf meine Besprechungen abfärbt, ich sage nur Bindestriche und Schachtelsätze - was meint ihr? und was man (unbewusst) kopiert, liebt man doch, oder? auch bei den Sprachbildern hat er mich wieder nicht enttäuscht:
- Risse sind haarfein wie Krakeele; vom frz. craquelé - rissig, von craquer - (zer)brechen, (auf)platzen, (zer)reißen
- "mahlstromartige Wolkenbewegungen"
- "im Bruchteil einer Sekunde wischte der Nichtstoffliche heran" - für solche Sätze liebe ich Weinland
- Nicole wird so bleich, dass ihre Gesichtshaut fast durchscheinend wird, und das bläuliche Aderwerk in ihren Wangen sichtbar wird - ob das physiologisch überhaupt möglich ist?
von den drei Geschichten war das hier eindeutig die beste, sie hat mir wirklich sehr gut gefallen, und kriegt damit 5 von 6 Gruselromanforum-Punkten.
das Tibi zeigt wohl Leonardo bei seiner Beschwörung der Dunklen Essenz, wieder ein sehr stimmungsvolles Bild von Mario Heyer, das wohl in Details nicht stimmt, aber das stört nicht den tollen Gesamteindruck.
der Zyklus erstreckte sich über sechs Jahre oder sechsundsiebzig Monate, von Anfang August 2018 bis Ende November 2024. für mich waren es hingegen nur sechs Monate, von Ende Juni bis Mitte Dezember 2025, ich habe mich also zumindest statistisch an den vierzehntägigen Erscheinungsrhythmus gehalten. und im Nachhinein betrachtet fühle ich mich bestätigt in meiner Entscheidung, alle sechzehn Romane direkt hintereinander zu lesen, das war für den Lesefluss und das Verständnis bzw. Erinnern an vorhergegangene Ereignisse doch sehr hilfreich. in Merlins Stern, der Leserseite dieses letzten Heftes im Zyklus, schreibt der Redakteur, dass "zu Anfang viele Autoren daran mitgeschrieben haben". für mich war der Schöpfer bislang eigentlich nur Adrian Doyle, und ich habe auch all jene Geschichten gelesen, die er selbst auf seiner Homepage als zugehörig zum Zyklus bezeichnet hat. ich wäre dankbar dafür, würdet ihr mir sagen, welches Heft ich eventuell hier versäumt habe.



