Professor Zamorra 1154 - Die Kinder des Golem
Professor Zamorra - Der Orden der Tausend
(Amulette-Zyklus, von Adrian Doyle)
Band 1154 Die Kinder des Golem
auf Château Montagne ist derweilen die Stimmung nicht viel besser als im Vorroman geworden, Zamorra und seine Partnerin Nicole Duval haben Ann Church bei sich aufgenommen, damit sie sich von den Ereignissen auf Haiti erholen kann, wo sie ja u.a. den grausamen Tod ihres Vaters miterleben musste. Zamorra sinniert, was es wohl mit all diesen Amuletten auf sich hat. er weiß zwar, dass Merlin insgesamt sieben solcher Sterne geschaffen hat, der letzte, in Zamorras Besitz stehende, sollte eigentlich die Krönung dieser Schöpfungen sein. doch was waren dann all die anderen, plötzlich aufgetauchten - Ausschussware aus der Massenproduktion?
zurück nach Prag, dort wird Tomasz von einem fahrenden Zauberer unter die Fittiche genommen. der Junge muss erkennen, das die Nixe Mila seine eigene unheimliche Kreatur, ja er selbst ist. der Magier entpuppt sich als böse, er will die Gabe des Jungen nutzen, um gemeinsam mit ihm Lehmmenschen zu schaffen, sogenannte Golems. der Zauberer, niemand anderes als Leonardo, Zamorras böser Urahn, verbringt daher viel Zeit mit Tomasz in der Lehmgrube, um solch tönernes Gezücht zu formen.
in der Gegenwart ergreift das Amulett wieder selbst die Initiative. es hat ein eidetisches also fotografisches Gedächtnis, und verwaltet alle Ereignisse, in die es jemals eingebunden war. das Amulett führt Zamorra in einer Vision an eine bestimmte Stelle in diesem Gedächtnis, nämlich, genau, zu der erwähnten Lehmgrube. das alles passiert ohne Zeitverlust, obwohl Zamorra mehrere Minuten das Treiben von Tomasz als Geist miterlebt, merken Nicole und Ann nichts davon.
im Mittelalter gelingt Leonarde und Tomasz schließlich die Erschaffung eines besonderen Golems, Jakub. der braucht menschliche Opfer, die er mit seinem Lehmkörper umschließt und verdaut. dabei übernimmt er die Seelen der Opfer und ihre Stimme, die Reste des verschlungenen Körpers, Haut und Haare, kotzt er wieder aus, ganz nach Art der Raubvögel, die das Gewölle auch wieder rauswürgen. Tomasz verzweifelt immer mehr, er will dem bösen Magier nicht zu Diensten sein, und findet sein eigenes Tun abscheulich. so verfällt er auf die abseitige Idee, sich zuerst selbst von Jakub verschlingen zu lassen, dann soll sich der Golem auch Leonardo einverleiben. das geht übrigens schief, der Magier kann sich befreien, indem er sein Amulett per Gedankenkraft einsetzt - eine Neuentdeckung für ihn, die ihn noch mächtiger macht, so fühlt er sich auch nicht als Verlierer. nur seine Golem-Armee kann er sich halt aufzeichnen.
in der Jetztzeit sind Zamorra und Nicole in Prag eingetroffen, sie wollen den Visionen auf den Grund gehen. dabei hilft ihnen das Zwillingspaar Ondrej und Matej Capec, ersterer Dozent an der hiesigen Uni und damit Bekanntschaft von Zamorra, zweiterer praktischerweise Polizist, der auch prompt unsere Franzosen in Kenntnis setzt über eine ungeklärte Mordserie. man vermutet den Golem dahinter... das Amulett hilft wieder, indem es Zamorra nd Nicole alte Kellergewölbe lotst, die mit Tunnel miteinander verbunden sind. dort werden sie vom Golem attackiert, Zamorras Amulett ist hilflos, und sie werden zunächst von der Kreatur verschlungen. doch können sie sich frei kämpfen mit Hilfe von - erraten! - Nicoles Dhyarra-Kristall, den Golem zerfetzt es in tausend Lehmbrocken. unser Pärchen flieht zunächst aus dem Keller, doch will Zamorra nochmal Nachschau halten - nur um festzustellen, dass sich der Golem offenbar wieder zusammengesetzt hat und nun seinerseits geflohen ist. unverrichteter Dinge reisen unsere Helden ab.
im Epilog erleben wir dann nochmal den Golem, wie sich ihm plötzlich eines der hunderten Amulette anheftet. er spürt sofort neue Kräfte, und mutiert vom Golem zum Moloch, und er will sich die Stadt, ja die Menschheit unterwerfen...
☠️ Fazit
Herr Weinland nimmt uns mit ins alte Prag, von gülden kann keine Rede sein, Mittelalter halt. es gelingt ihm ganz gut, in wenigen Strichen die Epoche so zu zeichnen, dass man ihm das Bild abnimmt. ich bin jedenfalls gleich sofort in der richtigen Stimmung.
dass mit dem Nixlein Mira was nicht stimmt, ist mir auch gleich klar, doch auch da ist die Figur nachvollziehbaar geschildert, und hej, wir sind ja bei Zamorra, warum sollte es also keine Nixen geben?
Tomasz macht scheint's auch erste erotische Erfahrungen mit "ihr", wie "sie" ihn vor dem Ertrinken rettet, lässt mich schmunzeln. ihre Lippen finden die seinen, aber ausnahmsweise nicht, um ihn zu liebkosen und zu küssen, sondern … "Aaaah!, und Ooooh!, durchfuhr es ihn, als hätte der Herrgott selbst ihn an der Hand genommen, um ihn das letzte Stück des Weges zu führen, das ihn noch vom Paradies trennte." das Maul lateral zur Lautmalerei.
witzig auch die Bilder, mit denen der Autor die Bandenmitglieder beschreibt, u.a. den "toten Olek, der so heißt, weil er nur dadurch von einem echten Toten zu unterscheiden war, weil er sich bewegte und bei jeder sich bietenden Gelegenheit Essen in sich hineinstopfte."
der zweite Erzählstrang spielt in der Gegenwart, da bin ich zunächst ein wenig ratlos, aber Herr Weinland nimmt mich an der Hand. das Amulett hat also ein Gedächtnis. nun, es hat ja auch ein Bewusstsein, Taran, das spielt hier aber keine Rolle. ich bin ja als sporadischer Leser nicht so bewandert mit dem "aus der Kraft einer entarteten Sonne geschaffenen Haupt des Siebengestirns von Myrrian-ey-Llyrana ", aka Merlins Stern. offenbar hat unser großer Gelehrter schon mal versucht, das Gedächtnis selbst anzuzapfen, was offenbar fast in seinem Absturz in den Wahnsinn führte. solche Hinweise auf vergangene Ereignisse verpackt Herr Weinland geschickt, hier z.B. in Dialoge mit einer enervierten Nicole, die Zamorra weitere Versuche gradwegs untersagt. er doziert also nicht spaltenlang, sondern liefert lebendig aufbereitete Geschichtsstunden. gut gemacht.
das mit den Visionen und der Zeitschau nehme ich jetzt einfach mal so hin, begeistern kann mich diese erzählerische Krücke, damit Zamorra hinter das Geheimnis des Golems kommt, aber nicht wirklich. auch die beiden aus dem Erzählärmel geschüttelten Bolek und Lolek, ähm sorry, die Capec-Zwillinge, kommen trotz allem nett zu lesendem Witz als eher plumpes Mittel daher, Zamorra auf die richtige Spur zu setzen (durch diese hohlen Keller muss er kommen, der Golem...).
der böse Magier wird übrigens irgendwann im Roman dann plötzlich als Leonardo enttarnt, fast schon als Subtext ohne weitere Erläuterung. Stammleser haben sich das wahrscheinlich schon vorher gedacht, ich war eher überrascht. andererseits aber auch logisch, so kann sich der Kreis zu Zamorra und seinem Amulett schließen. Leonardo de Montagne, ist ja ein Urahn unseres Professors, zunächst nur ein böser Mensch, wandelt er sich dann zum Dämon, und wird sogar auch mal Höllenfürst. das Amulett bekommt er von Merlin höchstselbst, er kann es problemlos handhaben. der böse Vorfahr lässt um 1200 herum Château Montagne erbauen. wenn nun also unsere Geschichte beginnt mit "Prag, vor 900 Jahren", dann verorte ich das vor dem Erbau des Schlosses.
der Showdown in unserer Geschichte ist dann fast eine Wiederholung aus der Vorgeschichte: das Amulett versagt, der Kristall rettet die Situation. und dass am Ende plötzlich eines der vielen Amulette auftaucht und den Golem, sorry, jetzt Moloch, als seinen neuen Herren anerkennt, ist mir zumindest zu diesem Zeitpunkt schleierhaft. aber es macht mich auch neugierig, wie das jetzt weitergeht. schön jedenfalls die Formulierung "das Silber honoriert die Verderbnis, die sich in ihm angesammelt hat."
sehr gut gefallen haben mir die Schilderungen der "Innenwelten" der Protas. besonders der Zwiespalt des einfältigen Tomasz, der eigentlich nur in Ruhe gelassen werden will, und der von seiner Gabe, Materie zu Leben zu erwecken anfangs noch nicht mal etwas ahnt und sich selbst mit seiner Nixe auf den Leim geht, das malt Herr Weinland sehr schön aus. ich leide mit dem Jungen jedenfalls ziemlich mit. auch Leonardos Seelenwohnzimmer wird üppig austapeziert, die "Wandbilder" zeigen niedrige Triebe, er hält sich ja die Zimmerwirtin u.a. als Sexsklavin, abseitige Experimente, und Menschenopfer. und natürlich die skrupellose Ausbeutung von Tomasz. dessen Idee, sich selbst zu opfern, um damit seinen Sklavenhalter überlisten und töten zu können, ist ein Geniestreich.
und neben amüsant kann Herr Weinland auch grausam. bei diesem letzten Satz läuft es mir kalt über den Rücken: "Ihre Hand schob sich von hinten über sein Gesicht und hinterließ eine feuchte Spur. Trotz der Dunkelheit fand sie seinen Mund und bohrte sich hinein. Bis dahin ging es schnell. Das Sterben selbst jedoch zog sich hìn." Mörder aus Lehm... auch so ein schönes Bild.
am Ende bleiben mehr Fragen als Antworten. alle Wünsche offen hält auch mal wieder das Cover. keine Ahnung, was diese Köpfe darstellen sollen, kleine (?) Golems stelle ich mir anders vor. wie überhaupt der Titel "Kinder des Golems" irreführend ist, ist doch der Golem selbst im übertragenen Sinne ein Kind von Tomasz und Leonardo? anyway, die Geschichte war Großteils atmosphärisch, interessant, und gut geschrieben. solide 4 von 6 Gruselroman-Forum Punkten also.