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Michael Ende, ein Porträt des romantischen Phantasten zum 80. Geburtstag

Für mich ist gerade das, was den Menschen so ungeheuer kostbar
macht, seine schöpferische Fähigkeit, das heißt, das aus jedem
Menschen eine ganz neue Welt hervorgehen kann. (3)


Michael EndeMichael Ende,
ein Porträt des romantischen Phantasten zum 80. Geburtstag

Michael Andreas Helmut kam am 12. November  des Jahres 1929 um 5.15 Uhr in der Früh als einziges Kind des surrealistischen Malers Edgar Ende (1901- 1965) und der Verkäuferin Luise Ende, geborene Bartholomä (1892- 1973) im bayerischen Garmisch Partenkirchen zur Welt.
 
Trotz Weltwirtschaftskrise erlangte Edgar Ende Ruhm und Wohlstand. Die Familie zog 1931 in eine alte Villa nach München- Obermenzing. In der Nachbarschaft lebte der Maler und Geschichtenerzähler Fanti, über den Michael Ende einmal sagte: „Meine eigentliche Erziehung habe ich durch einen Nachbarn genossen, der ein vollkommen verrücktes Huhn war. Er war auch Maler. ... Dieser Mann war Kommunist, schielte wie der Teufel und trug immer so eine Schlägermütze. Die Kinder aus der Umgebung hingen an ihm wie die Kletten...“ (4)

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich für die Familie alles. Der Vater durfte nicht mehr ausstellen, seine Kontakte ins Ausland waren unerwünscht. 1935 zogen die Endes aus Geldnot nach München- Schwabing in die Kaulbachstraße 90, eine kleine Atelierwohnung mit nur einem Dachfenster. Der Vater beschäftigte sich mit Religion, Spiritualität und Anthroposophie. Auch die Mutter war dem Religiösen zugeneigt. Und Bildhauer, Künstler, Literaten gingen bei den Endes ein und aus. 1936 kam das Berufsverbot für den Vater. Um die Familie zu ernähren, erlernte die Mutter, praktischer veranlagt als der Vater, den Beruf der Heilpraktikerin. Michael wurde in diesem Jahr eingeschult. Der Unterricht war ihm jedoch ein Greuel. Das änderte sich auch nicht, als er 1940 auf das humanistische Maximiliansgynasium wechselte. Er trug sich sogar mit Selbstmordgedanken.
 
Die Familie Ende1941 wurde der Vater als Flakhelfer in den Raum Köln eingezogen. 1943 besuchte Michael seinen Onkel, den Bruder des Vaters, in Hamburg. Er erlebte die Bombenangriffe auf die Stadt in der Zeit vom 24. bis 30.07. mit: „Das war wirklich der Weltuntergang. Das kehrt immer wieder in meinen Träumen, wie wir die geschmorten Leichen, die auf Babygröße eingeschnurrt waren, geborgen haben. Ich sehe noch heute den Heerzug verstörter Menschen vor mir, die wie in einem Labyrinth durch die Ruinen irrten. Einer trug völlig sinnlos einen Tisch auf dem Rücken, wahrscheinlich das Einzige, was er retten konnte.“(5) Nach seiner Rückkehr nach München schrieb Michael sein erstes Gedicht.

Noch im selben Jahr wurde Michael Ende im Rahmen der Kinderlandverschickung aus München evakuiert. Er kam nach Garmisch Partenkirchen, seine Geburtsstadt. Hier begann er intensiv Lyrik zu lesen und zu schreiben. Er entdeckte die Gedichte Novalis', insbesondere die „Hymnen an die Nacht“ für sich.
„1943 wurden die Luftangriffe auf München immer schlimmer. Es verging kaum eine Nacht, ohne das Bomben fielen. Um wenigstens die Kinder in Sicherheit zu bringen, wurden alle Schulen evakuiert. Meine Schule war nach Garmisch Partenkirchen verfrachtet worden, samt dem Lehrerkollegium. Wir Buben waren in Drei-, Vier- oder Fünfbettzimmern untergebracht. Neben dem Unterricht bestand unser Tagesablauf hauptsächlich aus der sogenannten „vormilitärischen Ausbildung“. Ich glaube nicht, das die meisten meiner Klassenkameraden sich viel bei dem ganzen kriegerischen und nationalsozialistischen Brimborium dachten. Wir waren zwölf, dreizehn Jahre alt und hatten andere Interessen.“(6)
1944 wurde die Wohnung der Familie bei einem Bombenangriff zerstört. 250 Gemälde und Zeichnungen des Vaters verbrannten. Kurz nach seinem 15. Geburtstag erhielt Michael seinen Musterungsbescheid. Den später darauf folgenden Stellungsbefehl zerriss er, floh zu seiner Mutter nach München und schloss sich dem Widerstand, der „Freiheitsaktion Bayern“, als Kurier an.

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen.
Wenn die so singen, oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit wieder gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort. (1) 

1945, kurz nach Kriegsende, kam der Vater aus amerikanischer Gefangenschaft nach Hause. Die Familie zog zu einem Malerkollegen in die Leopoldstraße 135a.
„Der Krieg war vorbei. Ich ging nach Hause. Jetzt konnte ich meiner Mutter erzählen, wie es sich mit meiner angeblichen Freundin in Wahrheit verhalten hatte...Mein Vater kam schon zwei Monate später, mager und abgerissen...Die Familie war wieder zusammen...

Kurze Zeit nach dem Krieg sah ich einen Film mit dem Titel „Bei Nacht und Nebel“. Er bestand aus Dokumentaraufnahmen, die SS- Leute selbst während der Massenvernichtung in Konzentrationslagern aufgenommen hatten...Wie viel oder wie wenig Manipulation ist eigentlich notwendig, um aus einem ganz „normalen“, bis dahin harmlosen Herrn Jedermann eine gehorsame Folter- und Mordmaschine zu machen?“(7)
Michael Ende und sein Vater1947 besuchte Michael die Waldorfschule bei Stuttgart. Eine befreundete Familie, deren Tochter er nicht in Ruhe lassen konnte, hatte den Aufenthalt finanziert. Er beschäftigte sich mit Kunst, Literatur, Philosophie und Esoterik, mit Rudolf Steiner, Aleister Crowley, Sören Kierkegard, Ivan Goll, Else Lasker- Schüler, Rilke, Stefan George, Georg Trakl und der Kabbala. Und er versuchte sich als Schauspieler, das Theater wurde zu einer lebenslangen Leidenschaft.

1948 ging Michael nach erfolgreichem Schulabschluss mit einem Stipendium für zwei Jahre als Schauspielschüler an die Münchener Otto- Falckenberg- Schule. Er wollte nicht wirklich Schauspieler werden. Sein Ziel war es für das Theater zu schreiben. Die Ausbildung schien im günstig um praktische Erfahrungen zu sammeln. Nach seiner Abschlussprüfung im Fach „Romantischer Liebhaber“ bekam er ein Engagement an der Landesbühne Schleswig Holstein in Rendsburg.
„Die Schauspielschule hat mein Leben tiefer beeinflusst als vieles andere. Ich habe gearbeitet bis zur Erschöpfung, bis zur Verzweiflung. Dann wurde mir klar: Ich hatte mich auf eine erbarmungslose Sache eingelassen, auf ein lebensgefährliches Spiel. Nichts war mehr normal. Ich hatte die Unschuld am Leben verloren.“(8)
Michael Ende, gemalt vom VaterSchon nach einer Spielzeit verließ Michael Ende 1952 die Landesbühne. Mit der Komödie „Sultan hoch zwei“ im Gepäck ging er zurück nach München. Aber niemand interessierte sich für sein Theaterstück. In der Silvesternacht lernte er die acht Jahre ältere Schauspielerin Ingeborg Hoffmann kennen. Über die Liebe zum Theater kamen sich die beiden schnell näher. Der Jugendfreund Peter Boccarius sagte über seine neue Liebe: „Ingeborg, die Schwierige. Die Verletzliche, die Leidenschaftliche. Ein Vulkan. Eine Kerze, die an beiden Enden zugleich brennt. Manche halten sie für verrückt. Immer ist sie unbequem, immer kämpft sie gegen irgendetwas, für einen geprügelten Hund am Straßenrand genauso wie für die hungernden, geschundenen Kinder in Vietnam. Niemand kann lau auf sie reagieren- sie hat Freunde oder Feinde.“(9)

1953 verließ der Vater die Familie, wo es ihnen zum ersten Mal wieder einigermaßen gut ging. Er zog zu seiner jungen Schülerin Lotte Schlegel. Die Mutter war verbittert, versuchte mehrfach sich umzubringen.

1954 ermöglichten es Michael die weitläufigen Verbindungen von Ingeborg Hoffmann für den Bayerischen Rundfunk als Filmkritiker zu arbeiten. Er schrieb auch Sketche und Chansons für politische Kabaretts.

1955 allerdings stürzte er in eine tiefe literarische und persönliche Sinnkrise, ausgelöst durch die Auseinandersetzung mit den theatertheoretischen Schriften seines großes Vorbildes Bertolt Brecht, den er an der Schauspielschule persönlich kennen gelernt hatte. „Ich habe nie einen Regisseur erlebt, der so mies mit den Bühnenarbeitern umging...Mit den weniger berühmten Schauspielern hat er überhaupt nicht gesprochen. Das überließ er den zwanzig Assistenten, die ihn umgaben... Sehen Sie, ich habe schwer an Brecht laboriert, einige Jahre lang, weil ich in meiner Anfängerzeit halt in die Netze seiner Argumentation geraten bin. Ich bin zunächst einmal reingefallen auf seine ganzen Theorien und habe das alles für bare Münze genommen und habe tatsächlich gedacht, das er selbst sich daran gehalten hätte. Ich habe dann lang nachdenken müssen, bis ich gemerkt habe: Er hat sich selber herzlich wenig daran gehalten.“(10)

Auf einer Reise nach Süditalien 1956 für den Bayerischen Rundfunk kam er in Palermo das erste Mal mit den Cantastorie, den Geschichtenerzählern in Kontakt. Er entdeckte, was er mit seinem Schreiben erreichen wollte: „Ab und zu unterbricht sich der Geschichtenerzähler mitten im Satz und wartet, bis die Leute genügend Kleingeld vor ihm auf den Boden geworfen haben... dann fährt er fort... Das ist das Ziel: Das hundert Jahre nach meinem Tod meine Geschichten in Palermo von Geschichtenerzählern auf der Straße erzählt werden können.“(11)

Nach seiner Rückkehr nach München schrieb Ende Theaterstücke für die Faschingsfeste. Vater und Sohn kamen sich nach der Trennung der Eltern wieder näher. Mit Freuden sagte er zu, als ihn ein befreundeter Grafiker um einen Text für ein Bilderbuch bat. Er schrieb: „Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer lebte hieß Lummerland, und war nur sehr klein.“ Zehn Monate später, 1957, war ein fünfhundert Seiten starker Roman fertig. „Jim Knopf“ war entstanden. Zehn Verlage lehnten das Buch als zu uninteressant oder zu lang ab. Erst die Kontakte von Ingeborg Hoffmann brachten die Entscheidung. Die Verlegerin des K. Thienemanns Verlag Lotte Weitbrecht nahm den Roman an. Sie schrieb ihm am 21.01.1958: „Sehr geehrter Herr Ende! Unser Lektorat hat ihr Manuskript angesehen und ist begeistert. Ich möchte es heute gern auf eine Reise mitnehmen und in der Bahn studieren. Dieses Jahr können wir es nicht mehr bringen. Dazu ist es zu groß. Für später möchte ich ihnen noch Vorschläge machen. Nach Mitteilung des Lektorats braucht die Arbeit gar viele Illustrationen und dann wird der Band als ein Band zu teuer. Was tun? Wären Sie für kürzen oder für teilen? Lassen Sie sich das doch auch durch den Kopf gehen.“(12)

Michael Ende entschied sich für die Teilung. 1960 erschien dann der erste Band „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Im selben Jahr erhielt er völlig unerwartet den Deutschen Jugendbuchpreis: „Ich hatte, ehrlich gesagt, noch nicht einmal eine Ahnung, das solche Preise überhaupt existieren, und fragte nur: Was kriege ich denn? Und die Stimme (am Telefon) antwortete: Ja, wissen Sie, die Dotierung ist nicht so hoch, es sind nur 5000 Mark. So viel Geld hatte ich mein ganzes Leben lang noch nicht gesehen. Ergänzend fügte die Stimme hinzu: Sie werden sehen, die indirekte Werbung dieses Preises ist sehr hoch, weil Ihr Buch in allen Buchhandlungen ins Schaufenster gestellt wird.“(13)

Michael Ende 1962Er zog mit seiner Mutter in die Siegfriedstraße und ging zum ersten Mal auf eine sechswöchige Lesereise durch Deutschland. 1963 veröffentlichte der Verlag den zweiten Teil unter dem Titel „Jim Knopf und die Wilde 13“. Die Augsburger Puppenkiste inszenierte die Bücher mit großem Erfolg. Der Verlag druckte laufend nach. Im gleichen Jahr wurde der Vater Ehrenmitglied der Akademie der Bildenden Künste in München.

Am 7. August 1964 heirateten Michael Ende und Ingeborg Hoffmann in Rom auf dem Kapitol. Seit vielen Jahren schon kamen die beiden regelmäßig als Gast von Luise Rinser nach Italien. Sie hatten das Land lieben gelernt. Doch zunächst zogen die Beiden in die Ainmillerstraße 13 in München.

1965 verbrachte Michael Weihnachten bei seinem Vater. Am zweiten Weihnachtsfeiertag stirbt Edgar Ende überraschend. Ein schmutziger Kampf um das Erbe begann, den Michael Ende für seine Mutter entscheiden konnte.

1966 kauften die Endes eine alte Vogtei in Valley, Manigfalltal, etwa 30 Kilometer südlich von München. Die nötigen Renovierungsarbeiten dauerten mehrere Jahre und verschlangen das ganze Geld.

Was du nicht kennst, meinst du, soll nicht gelten?
Du meinst, das Phantasie nicht wirklich sei?
Aus ihr allein erwachsen künftige Welten:
In dem, was wir erschaffen, sind wir frei.
(2)

1967 führten die Städtischen Bühnen Frankfurt Endes Theaterstück „Der Spielverderber“ auf. Das Drama floppte, wurde auch jahrelang nirgendwo sonst aufgeführt. Der Autor erklärte sich das folgendermaßen: „Ich geriet in Teufels Küche, denn damals war der Höhepunkt des Absurden Theaters, eine Zeit, in der man in den Zeitungen nachlesen konnte, der Autor habe auf jede Handlung verzichtet, wobei mir immer der leise Verdacht kam, das der Verzicht ihm nicht so schwer gefallen, vielmehr ihm bloß nichts eingefallen sei. In dieser Situation kam ich ausgerechnet mit einem richtigen Handlungsstück und obendrein noch mit einem sehr verzahnten.“(14)

Die Endes entdeckten, das das Leben auf dem Land nichts für sie war. Sie suchten nach einer neuen Bleibe. Während 1969 „Das Schnurpsenbuch“, eine Sammlung von Nonsens- Gedichten und Zauberformeln erschien, wurde die Italiensehnsucht größer. 1970, Ende hatte die stetigen Anfeindungen und die Eskapismusdebatte satt, fanden sie ein Haus in Genzano di Roma in den Albaner Bergen. Sie nannten es Casa Liocorno, Haus Einhorn. Michael Ende begann nun intensiv mit der Arbeit an Momo, ein Projekt, das er vor Jahren schon einmal für den Rundfunk begonnen hatte, dann aber liegen ließ.

1971 können die Endes die alte Vogtei endlich, wenn auch mit Verlust, verkaufen.

Michael Ende1973 erschien dann im Thienemann- Verlag der romantische Märchenroman „Momo oder die seltsame Geschichte von den Zeit- Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurück brachte“, für den er 1974 mit nur einer Stimme Mehrheit den Deutschen Jugendbuchpreis erhielt. Am 25. Juni starb Endes Mutter an Magenkrebs.

1976 schloss er die Arbeiten an dem Theaterstück „Das Gauklermärchen“ ab, das ebenfalls unaufgeführt bleibt. Ein Jahr später reiste Ende mit seiner Übersetzerin Mariko Sato, die er auf der Internationalen Jugendbuchmesse in Bologna kennen gelernt hatte, zum ersten Mal nach Japan. Er ist fasziniert von der Kultur, vom Kabuki- und No- Theater, vom Bogenschießen und vom Zen- Buddhismus.

Im September 1979 erschien dann, nach fast dreijähriger Arbeit, „Die unendliche Geschichte“, Michael Endes populärstes Buch, das ihn weltweit bekannt machte.

Micahel Ende mit der unendlichen Geschichte1981 war er auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Er war wieder auf Lesereise in Deutschland, füllte mühelos Theater- und Stadtsäle oder Aulen von Schulen und Universitäten. Ende empfand das eher als Belastung: „Mir persönlich liegt sowieso nicht so furchtbar viel an solchen Diskussionen (nach Lesungen), aber die Zuhörer wollen sie halt gerne. Für den Autor ist es eher ein bisschen ermüdend, vor allem, wenn man auf längeren Vorlesereisen ist. Das ist nicht Schuld der Leute, für die ist es ja immer das erste Mal, aber für den Autor ist es nach drei Wochen nervtötend, wenn er immerfort die selben Fragen gestellt bekommt, immerfort die selben Antworten geben muss. Schließlich fallen einem die vorgefertigten Antworten schon aus dem Mund. Und das tut einem selber nicht gut. Ich stelle jedes Mal fest, das das eine Art demoralisierender Wirkung auf mich ausübt. Deswegen mache ich auch immer seltener Vorlesereisen. Nach einer solchen Tour bin ich regelmäßig physisch, aber vor allem geistig so erschöpft, das ich erst einmal zwei Monate brauche, bis ich überhaupt wieder meinen eigenen Text hören kann, er wird einem so furchtbar überdrüssig.“(15)

Micahel Ende beim SignierenDer Ruhm brachte noch andere Schattenseiten mit sich. Besucher standen unangemeldet vor seiner Tür, in seinem Garten. Er bekam Körbe weise Post mit der Bitte um Rat in allen Lebensfragen.

Im November 1981 führte Michael Ende in seinem Haus ein Gespräch mit den Politikern Erhard Eppler und Hanne Tächl, das 1982 unter dem Titel „Phantasie, Kultur, Politik“ im neu gegründeten Weitbrecht- Verlag veröffentlicht wurde.

1982 wurde Endes erstes Musiktheaterstück „Die Ballade von Norbert Nackendick“ uraufgeführt. Die Musik schrieb Wilfried Hiller, den er 1978 bereits kennen gelernt hatte. Die beiden verband eine lebenslange Freundschaft, während der noch weitere gemeinsame Projekte entstanden.

1983 veröffentlichte Ende eine Sammlung von Erzählungen unter dem Titel „Der Spiegel im Spiegel, ein Labyrinth“, eine Hommage an und eine Auseinandersetzung mit der Kunst seines Vaters Edgar Ende.

1984 lernte er den Maler Friedrich Hechelmann kennen. Die beiden verstanden sich gut. Gemeinsam gestalteten sie das Bilderbuch „Ophelias Schattentheater“.

Am 3. Februar 1985 wurde die bairische Mär mit Musik  „Der Goggolori“ am Staatstheater in München uraufgeführt, die erfolgreichste Oper des Duos Ende / Hiller. Zwei Monate später, am 27. März, starb Endes Frau und enge Mitarbeiterin Ingeborg Hoffmann an einer Lungenembolie. Sie wurden auf dem katholischen Friedhof in Rom beigesetzt. Michael Ende konnte nicht länger in Italien bleiben. Er löste seinen Wohnsitz auf, ging zurück nach München und lebte bei seinem Onkel Helmuth.

1986 reiste Ende zu einem Kongress nach Tokio, auf dem er seinen berühmten programmatischen Vortrag „Über das Ewig- Kindliche“ hält: „Das Kind, das ich einmal war, lebt noch heute in mir, es gibt keinen Abgrund des Erwachsenwerdens, der mich von ihm trennt, im Grunde fühle ich mich als der gleiche, der ich damals war... Ich glaube, das in jedem Mensch, der noch nicht ganz banal, noch nicht ganz unschöpferisch geworden ist, dieses Kind lebt... Ich glaube, das die Werke der großen Dichter, Künstler und Musiker dem Spiel des ewigen und göttlichen Kindes in ihnen entstammen... Für dieses Kind in mir und in uns allen erzähle ich meine Geschichten, denn wofür sonst lohnte es sich überhaupt, etwas zu tun?“(16)

Micahel Ende mit Frau1987 erhielt er den Deutschen Fantasy Preis der Stadt Passau. Ende zog mit Mariko Sato in die Sendlinger Straße. Ein Jahr später, 1988, kam der finanzielle Ruin. Sein Steuerberater hatte ihn nicht nur betrogen, sondern machte auch Schulden in Millionenhöhe. Sein Verlag und Freunde griffen ihm unter die Arme. Er sollte für den Rest seines Lebens gegen diese finanzielle Last anschreiben.

1989 eröffnete die Ausstellung „Edgar und Michael Ende“ in Tokio. Im September heirateten Michael Ende und Mariko Sato. Im selben Jahr erschien auch sein letzter Roman „Der Wunschpunsch“, der schnell auf die Bestsellerliste kletterte. Die Bundesrepublik Deutschland ehrte ihn mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande.

1990 war Ende wieder auf Lesereise, sprach im Sommer als Gastdozent in Madrid. Peter Boccarius, ein Jugendfreund, veröffentlichte die Biographie der frühen Jahre „Michael Ende, der Anfang der Geschichte“.

Das Grab1992 erschien eine weitere Sammlung von acht Erzählungen unter dem Titel „Das Gefängnis der Freiheit“. Die Gesamtauflage seiner Bücher betrug 15 Millionen Exemplare.

1994 erschien sein letztes Buch „Michael Endes Zettelkasten“, eine Auswahl von Geschichten, Gedichten, Erzählungen und Briefen, das er auf der Leipziger Buchmesse vorstellte. Im Juni wurde er am Magen operiert. Die Ärzte diagnostizierten Krebs, im Endstadium. Chemotherapien folgten bis in den Januar 1995, eine wirkliche Besserung trat nicht ein. Er kam noch einmal nach Hause. Im August wurde er in die Filderklinik bei Stuttgart eingewiesen.

Michael Ende starb am 28.08.1995 um 19.10 Uhr. Er wurde am 1.September auf dem Münchener Waldfriedhof beigesetzt.


Das Lied von der Anderwelt

Es gibt einen See in der Anderwelt,
drin sind alle Tränen vereint,
die irgendjemand hätt' weinen sollen
und hat sie nicht geweint.

Es gibt ein Tal in der Anderwelt,
da gehen die Gelächter um,
die irgendjemand hätt' lachen sollen
und blieb stattdessen stumm.

Es gibt ein Haus in der Anderwelt,
da wohnen wie Kinder beinand'
Gedanken, die wir hätten denken sollen
und waren's nicht imstand.

Und Blumen blühn in der Anderwelt,
die sind aus der Liebe gemacht,
die wir uns hätten geben sollen
und haben's nicht vollbracht.

Und kommen wir einst in die Anderwelt,
viel Dunkles wird sonnenklar,
denn alles wartet dort auf uns,
was hier nicht möglich war.
(17)

(1)    Novalis, zitiert nach „Michael Ende und seine phantastische Welt“, Seite 37
(2)    Das große Michael Ende Lesebuch, Seite 298
(3)    ebenda, Seite 301
(4)    Michael Ende und seine phantastische Welt, Seite 62/63
(5)    ebenda, Seite 70
(6)    „Großmutter sitzt im chinesischen Garten und weint“ in „Das große Michael Ende Lesebuch“, Seite 238/239
(7)    ebenda, Seite 252/253
(8)    Michael Ende- Magische Welten, Seite 37
(9)    Michael Ende und seine phantastische Welt, Seite 81
(10)    ebenda, Seite 84/85
(11)    ebenda, Seite 87
(12)    ebenda, Seite 90
(13)    ebenda, Seite 92
(14)    ebenda, Seite 96
(15)    ebenda, Seite 113
(16)    zitiert nach „Das große Michael Ende Lesebuch“, Seite 262/263
(17)    zitiert nach „Trödelmarkt der Träume“, Seite 99

 

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