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Amazing Pulps – Pulp Treasures 16 - David Wright O'Brien - Das Gesamtwerk

Amazing PulpsPulp Treasures 16
David Wright O'Brien
Das Gesamtwerk

In dieser Reihe berichte ich über interessante Funde in diversen alten Pulp-Magazinen - Story-Heften, die zwischen 1895 und 1960 in Amerika zu Tausenden auf den Markt kamen. In ihnen entdeckt man immer wieder kleine Schätze, aber auch Bizarres, Trash von großen Autoren oder Geniales von unbekannten Schriftstellern...

David Wright O'BrienDer 26jährige SF- und Fantasyautor starb 1944 als Soldat im Einsatz in Deutschland. Neue Erkenntnisse zu Leben und Werk – und die Premiere des ersten Fan-Blogs!

1.
Der amerikanische Corporal O'Brien sitzt eines kalten Wintertages gegen Ende des 2. Weltkrieges hinter einer Flugabwehr-Kanone in einer „Fliegenden Festung“, einer Boeing B-17, jenen gefürchteten Riesenbombern, die dabei mithalfen, Deutschland in Schutt und Asche zu legen. Am 11. Dezember 1944 erhält das 332. Bomber-Squadron der amerikanischen Luftwaffe den Befehl, einen Angriff gegen Gießen zu fliegen. Dieser Angriff – der schwerste auf die Stadt im ganzen Krieg, wird unter anderem die Bibliothek des Landes komplett zerstören. David ist Waist-Gunner, das heißt, sein Job ist es, dafür zu sorgen, seitliche Angriffe feindlicher deutscher Jäger abzuwehren. Kein einfacher Job. Nur wenige Tage vor seinem Verschwinden schreibt er an sein Magazin „Amazing Stories“ in Chicago:

„Görings Luftwaffe ist nicht tot, sie liegt nur im Sterben. Sie kann recht gefährlich werden – um es milde auszudrücken - für uns Bombercrews, die sie in ihrem Todeskampf aufstören. (…) Die deutschen Jungs haben inzwischen sehr viel Übung, so dass sie ihren Job entmutigend geschickt machen.“

David Wright O'BrienGenau das wird ihm zum Verhängnis. Nach ausgeführtem Befehl dreht der Bomber „Sally“ ab,(vermutlich benannt nach O'Briens populärster Frauenfigur, der irischen Sängerin in „The Floating Robot“), um zur Basis zurückzukehren. Da wird er von deutschen Jägern attackiert. Deutsche und amerikanische Flieger liefern sich eine jener Schlachten, die durchaus einer O'Brienschen Beschreibung in seinen Pulp-Fiction-Abenteuern gleichkommt. Nur diesmal geht es wirklich um Leben und Tod. Die kämpfenden Flugzeuge befinden sich bereits über belgischem Territorium, als die US-Crew aufgibt. Von vier Motoren haben deutsche Kugeln drei zerstört, einer verliert rapide Öl. Der Pilot befiehlt das „Baying Out“ - den Fallschirmabsprung. Der Bomber zerschellt nahe Liege. Von neun Crewmitgliedern erreichen fünf wohlbehalten die amerikanischen Linien. Vier bleiben bis heute verschollen. Unter ihnen O'Brien. Was aus ihm wurde - darüber kann man nur spekulieren. Möglicherweise gab es Probleme mit dem Fallschirm. Oder er geriet bei seiner Durchwanderung zu Fuß zurück zu den Linien mit deutschen Soldaten aneinander – Belgien war noch nicht vollständig befreit – und wurde von ihnen erschossen. Das Grab auf dem Soldatenfriedhof in Liege ist leer.

David Wright O'BrienDoch dem Kreuz habe ich es zu verdanken, dass ich hier erstmals in deutscher Sprache diese letzten bekannten Stunden O'Briens nacherzählen kann. Ein Glücksfall – dort steht das genaue Squadron, bei dem er diente – und so konnte ich seine digitalen Akten in einem Militär-Online-Archiv finden. Somit wissen wir nun:  O'Brien starb nicht bei einem Angriff auf Berlin, wie in fast allen Nachschlagewerken zu lesen ist.

Die Episode zeigt wieder einmal – im Krieg sind alle Verlierer. Amerika verlor einen der hoffnungsvollen großen Humoristen in Sachen SF und Fantasy. Schon mit 25 Jahren war er ein Publikumsliebling, fanden sich seine Geschichten bei Rankings oft unter den Top 5 der beliebtesten Science-Fiction-Stories.

Heute ist er fast vergessen. Ich habe vor einiger Zeit hier im Zauberspiegel schon einmal auf ihn aufmerksam gemacht – damals war ich mit meiner Wiederentdeckung noch völlig isoliert.
Nachdem ich mit Roy Glashan (Schotte) und Paul Sandery (Australier) im Herbst 2017 begonnen habe, eine digitale Gesamtausgabe aufzubauen,  hat sich einiges geändert. Unsere Texte wurden wahrgenommen, einige amerikanische Magazine haben Artikel über ihn gebracht, andere Blogger an ihn erinnert. Und doch geht es insgesamt langsamer voran, als ich dachte – weder erfüllte sich mein Wunsch, die Digitalisierung aller Texte bis zum 100. Geburtstag im Juni 2018 abzuschließen, noch ist gewiß, ob sie bis zum 75. Jahrestag seines Todes im Dezember fertig wird. Klar – die Texte müssen besorgt, gescannt, korrekturgelesen, für html und ebook formatiert werden, das braucht Zeit.

Immerhin sind von den bisher 108 geretteten Erzählungen (9 bleiben noch verschollen, sie erschienen in heute sehr seltenen Magazinen wie „South Sea Stories“) über 60 digitalisiert worden und nun frei zugänglich.

Trotzdem habe ich mich jetzt entschlossen, die Original-Scans in einem Memory-Blog sämtlich zum Online-Lesen und zum Download im Comic-Format cbr zur Verfügung zu stellen. Ich hoffe, auch diese Lösung findet Freunde und transportiert ein bißchen das Feeling der Storys mit ihren oft witzigen oder schönen Illustrationen.

David Wright O'Brien2.
O'Brien, der Neffe des berühmten Weird-Tales-Magazinherausgebers Farnsworth Wright, war 1939 als 21jähriger zu den Pulp-Fiction.Blättern des Ziff-Davis-Verlages gestoßen, wo der Chefredakteur Raymond A. Palmer sein Talent entdeckte und sich seiner annahm. O'Brien, irischer Abstammung, war mit einem ebenfalls aus einer irischen Familie stammenden Schriftsteller aufgewachsen und zur Schule gegangen, William P. McGivern (1918-82), heute vor allem noch bekannt für seinen Noir-Krimi „The Big Heat“, der 1953 von Fritz Lang verfilmt wurde (deutscher Titel: Heißes Eisen). Beide teilten sich ein Büro in Chicago. Die durchs Netz geisternde Behauptung, die beiden hätten unter einem Pseudonym cooperiert, konnte ich nirgendwo bestätigt finden, vermutlich hat sich auch das (wie die Sache mit dem Bombenangriff auf Berlin) Mike Ashley aus den Fingern gesogen, ein äußerst einflußreicher, aber auch ungenauer SF-Historiker. Bei einer von fünf Geschichten, in denen beide nachweislich zusammenarbeiteten, wurden zwei Pseudonyme benutzt, und es besteht kein Grund zu der Annahme, warum es nicht bei anderen gemeinsamen Projekten auch so gewesen sein sollte.

Fest steht aber, dass O'Brien oft die Grundidee für McGiverns SF- und Fantasy-Stories lieferte – nicht umgekehrt. Dazu passt, dass McGivern nach O'Briens Tod fast gar keine SF/Fantasy mehr schrieb und sich ganz auf Krimis konzentrierte.

Inzwischen habe ich zwar immer noch nicht alle 108 erhaltenen Stories gelesen, aber doch schon eine ganze Menge mehr, um das Bild des vergessenen Autors abrunden zu können.

Es finden sich unter den Stories einige äußerst schwache wie „A 25th Cebtury Sherlock“ einige, die großartig geschrieben wurden, aber auf eine schwache Pointe zulaufen (Treasure Trove in Time), aber auch eine ganze Menge wirklicher Volltreffer. O'Brien, der sich einigemale in die stahlharte Welt der brutalen Military-SF wagte („Suicide Squadron of Space“) ist sicher ein Pionier des Genres, aber seine Stärken liegen, wie auch schon seine Zeitgenossen erkannten, in der Fun-Tasy. Hier ist er zusammen mit Henry Kuttner und Robert Bloch der Vorreiter dessen, was später in den 70ern Douglas Adam's Stil ausmachen sollte. O'Briens Helden in diesen Geschichten sind meistens Idioten, grauer Alltagsmäuse und Versager, die nicht selten von überdominanten Frauen beherrscht und in abscheuliche und wundersame Abenteuer geworfen werden:

In the „Strange Voyage of Hector Squinch“ verschlägt es den schwächlichen Helden in die Welt der griechischen Mythologie, wo er versehentlich als Übermensch gefeiert wird, der Achilles im Zweikampf besiegen wird – mit wenig Erfolgsaussichten...

In „Skidmore's Strange Experiment“ versucht ein Professor, der mit Gedankenübertragung experimentiert, einem anderen Professor, der am selben Projekt arbeitet, mitzuteilen, dass er von einem Psychopathen mit einer Waffe bedroht wird. Er erwischt aber nur den Hausmeister des Instituts, der denselben Vornamen hat wie der Kollege.

In „The Last Analysis“ entdecken zwei Wissenschaftler eine Möglichkeit, im Menschen ein „Verbrechensgen“ nachzuweisen, das unmißverständlich vorhersagt, dass eine Persönlichkeit kriminell ist und eleminiert werden muß. Leider entdeckt der eine beim andern genau dieses Gen – und wird vom Kollegen dafür umgebracht... (Eine hübsche Ideen-Vorwegnahme von „Minority Report“; möglich, das Phillip K. Dick sie kannte.)

David Wright O'BrienIn „The Man Who Lived Next Week“ entdeckt ein Angestellter mit starken Minderwertigkeitskomplexen und Angst vor seiner Ehefrau im Keller seines Hauses die Möglichkeit, eine Woche voraus in die Zukunft zu reisen – und zurück. Er kann aber in seiner Befangenheit die Chance nicht nutzen, aus dem so entstandenen Wissen etwas Sinnvolles für sich zu machen - das Vorherwissen wird für ihm im Gegenteil zur Hybris, als er verhaftet wird, weil er der Polizei einen Terroranschlag vorhersagt, der dann auch eintritt. (Ein kleines Meisterwerk.)

Am besten ist O'Brien aber, wenn er die Klischees der billigen Groschenheft-SF überhöht und zynische Geschichten erzählt, die nicht einmal im Ansatz verschleiern, daß sie keine echte SF sind – kleine Inversionen des Banalen, mit Augenzwinkern erzählt, Juwelen, die bisher übersehen wurden, weil sie in der falschen Zeitschrift erschienen – ständen sie in Astounding Stories und nicht in Amazing Stories, wären sie vermutlich Klassiker. Zu ihnen gehört „Pepper Pot Planet“, in dem der Ich-Erzähler, ein abgebrühter Raumfahrer, in cooler Pose erzählt, wie er und sein Freund die Tochter eines revolutionären Generals auf dem Mars das Leben retten. Der Mars ist das unverschämte Abbild einer Südamerika-Karikatur, beide Astronauten sind versoffene Penner, die von ihrer Transportfirma entlassen worden sind, dem revolutionären General ist die „Sache“ völlig  egal, er hat die Prinzipien nur erfunden, um seine Tochter zu begeistern „weil Frauen auf sowas abfahren“, und die Raumfahrer wiederum werden zu Söldnern, weil sie kompromisslos auf der Seite sind, auf der eine sexy Frau mitmacht. Ein schamloses, herzloses, geniales Stück Literatur, das in einem Pulp-Heft die Pulp-Klischees verspottet – sollte man unbedingt übersetzten.

Auf jeden Fall ist da noch viel zu entdecken bei O'Brien – ich hoffe, unsere jahrelange Vorarbeit trägt dazu bei, diese Entdeckungen zu erleichtern.

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Kommentare  

#1 Matzekaether 2019-08-06 13:53
Ja, schöne Geschichten

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