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Amazing Pulps – Pulp Treasures 9 - Albert G. Birch The Moon Terror (Weird Tales, 1923)

Amazing PulpsPulp Treasures 9
Albert G. Birch
The Moon Terror  (Weird Tales, 1923)

In dieser Reihe berichte ich über interessante Funde in diversen alten Pulp-Magazinen - Story-Heften, die zwischen 1895 und 1960 in Amerika zu Tausenden auf den Markt kamen. In ihnen entdeckt man immer wieder kleine Schätze, aber auch Bizarres, Trash von großen Autoren oder Geniales von unbekannten Schriftstellern...

Weird Tales, 1923 I
Es scheint ein unumstößliches Gesetz zu sein in der Kulturgeschichte, dass die Lobpreisung einer bestimmten Epoche nicht zu trennen ist von der Schmähung der Nachbarepochen. Warum das so ist, lässt sich schwer sagen, vermutlich tun Historiker das, um ihre Thesen deutlicher, kontrastreicher zu machen; erst gegen das Elend der Vorgänger und Nachfolger wirkt eine Epoche richtig schön glanzvoll. Der Romantik-Literaturfreak wird auf die dürre Trockenheit der deutschen Aufklärung verweisen, der Wagnerianer alle andern deutschen Opern vor Wagner als Dilettantismus entlarven und so weiter. Auch in der Genreliteratur gibt es diese Dynamik. Wenn wir über die berühmteste aller Phantastik-Zeitschriften sprechen, Weird Tales, erfahren wir aus den meisten Quellen, die Hochphase wäre zwischen 1930 und 1938 gewesen. Schon diese Zahlen sollten den Kenner mißtrauisch machen. Bei 1838 wittert man das Bündnis von Fans, die Weird Tales auf das legendäre Trio Howard-Lovecraft-Smith reduzieren möchten. Howard starb 1936, Lovecraft 1937 und C.A. Smith hatte sich um 1938 von der Geschichtenschreiberei abgewandt. was konnte danach noch groß kommen...

Zunehmend gibt es aber wieder Skeptiker, die die Glanzzeit des Blatters weit über 1938 hinaus verlängern, wie den prominenten Pulp-Forscher Ed Hulse, der die Spätphase von Weird Tales 1940-54 für weitgehend unterschätzt hält. Ich habe wenig aus diser Zeit gelesen, aber was ich gelesen habe, stützt diese These. Besonders Robert Bloch beginnt seinen Siegeszug im Blatt.

Aber wie sieht es eigentlich mit dem Beginn von Weird Tales aus? Die ersten beiden Jahre 1923/24 gelten immer noch als chaotisch und unausgegoren. Der legendäre Herausgeber Farnsworth Wright, der die Glanzjahre betreuen wird, ist zwar schon Mitarbeiter, aber noch nicht Chefredakteur. Die quälenden Anfänge habe ich in meiner Besprechung von „Ooze/Schlamm“ in dieser Serie angeschnitten.

Dennoch gelang es den Initiatoren und Verantwortlichen der Zeitschrift, unter unendlichen Schwierigkeiten relativ rasch ein aufregendes und vielseitiges Repertoire auf die Beine zu stellen.

Ein ewig kolportiertes Vorurteil gegenüber den ersten Ausgaben ist, dass sie fast ausschließlich (zu) kurze Geschichten enthalten. Das scheint auf den ersten Blick auf die Inhaltsverzeichnisse richtig zu sein, immerhin werden 1923-24 fast in jeder Ausgabe mehr als 20 Stories präsentiert. Schaut man genauer hin, kann man diese Legende als Unsinn abtun. Wenige der Kritiker dürften in die raren Original-Hefte geschaut haben. Die frühen Ausgaben waren nämlich erstaunlich umfangreich. Die ersten beiden haben kaum Füllmaterial wie Bilder oder lange Briefspalten und bringen voluminöse 200 Seiten. Und auch wenn Weird Tales ab der dritten Ausgabe die Seitenzahl auf 100 reduzierte, so vergrößerten die Redaktion doch auch das Format der Zeitschrift selbst auf das sogenannte „bedsheet“-Format, was etwa unserem A4-Format entspricht.

Jede Menge Platz also für alle möglichen Sorten Horror, von der Short-Short über die längere Novelle bis zum Fortsetzungsroman. Der erste war „The Thing of thousand Shapes [Das Ding in tausend Formen]“ von Otis Adalbert Kline, ein vom Umfang her recht bescheidener Zweiteiler, der aber schon recht effektvoll die Fähigkeiten dieses hochtalentierten Phantastik-Autors prädulierte, er sollte später die Horror- und Fantasy-Fans mit wirklich hinreißendem Garn erfreuen wie „The Bride of Osiris“ (Weird Tales, 1927) oder „The Metal Monster“ (Amazing Stories, 1931). Der zweite Fortsetzungsroman, ein Zweiteiler, der im dritten Heft (Mai 1923) startete, war der erste große Erfolg des Heftes. Er war wesentlich umfangreicher als der von Kline, trug den Titel „The Moon Terror“ [Der Mond-Schrecken] und umfaßt Zirka 90-100 Buchseiten. Ein kleiner Roman also in der Tat – von einem bis heute unbekannten Autor: Albert G. Birch

Die Bedeutung des Romans für die Geschichte der Zeitschrift ist kaum zu überschätzen. Das Maiheft war dank dieses Vehikels das erste, das an den Kiosken ausverkauft war, und der Roman half die Popularität des Magazins zu beschleunigen.   

Weird Tales, 1928II
 „The Moon Terror“ mag nicht grade politisch korrekt sein und eine Menge schwachsinniger Thesen anhäufen, ist aber auch heute noch erstaunlich gut lesbar, verblüffend spannend geschrieben und voller schräger Einfälle. Es ist eine wilde Mischung aus Science-Fiction-Dystopie, Gelber-Gefahr-Quark a la „Fu Man Chu“ und dem üblichen dunklen Teint der Prosa, der für Weird Tales so typisch werden sollte.

Der Roman spielt in naher Zukunft (aus Sicht des Autors von 1923), irgendwann in den 30ern. Die Welt wird von gewaltigen Erdbebenserien heimgesucht, die nicht nur an Stärke dauernd zunehmen, sondern auch in unheimlich gleichmäßigen, mathematisch genauen Abständen kommen. Die Wissenschaftler sind ratlos. Nur einer von ihnen ahnt die Wahrheit, er war im Tibet und hat dort eine extrem gefährliche buddhistische Sekte kennengelernt, die „Wächter des Zweiten Mondes“, die Seuen-H'sin. Er konnte ihnen nach monatelanger Folter nur knapp entkommen und kennt deren Geheimnisse.   

Wenn sich Doktor Gresham schaudernd an diese Sekte erinnert, schlägt die Prosa hohe Wellen und gebiert etwas, das sich wie purer H.P. Lovecraft liest:

„Ich habe sie gesehen“, fuhr er fort, „ich habe die Berge der Angst überquert, dessen Gipfel so hoch sind, dass sie in den Mond zu ragen scheinen, ich habe gesehen, wie sich die nächtlichen Sterne in ihren eisigen Kuppeln tanzend bespiegelten. Ich habe gehungert auf den tödlichen Ebenen von Dzun-Sz'chuen, und ich habe den Fluß des Todes durchschwommen. Ich habe in den Höhlen von Nganhwiu geschlafen, wo die heißen Winde niemals aufhören zu stürmen und wo Totenlichter ihre Lagerfeuer entzünden auf ihrem langen Weg ins Nirvana. Auch habe ich“ – und hier schimmerte ein seltsam entrückter Blick in seinen Augen auf -  „auch habe ich den „Schatten Gottes“ gesehen in Tseih-Mwan und K'eech-ch'a-ghan!“

Solche Passagen legen fast suggestiv nahe, dass Lovecraft am Text beteiligt war – da ist die Erwähnung von „Bergen der Angst“ (später schreibt der die „Berge des Wahnsinns“), und der Gebrauch der Sprache deutet auf die typische Cthulu-Mythos-Syntax hin. Allerdings sind es eben nur solche kleinen Momente, die an ihn erinnern, er hatte noch keinen (offiziellen) Auftritt im Blatt, und vor allem ist die actionreiche Geschwindigkeit der Story eher untypisch für ihn. Wahrscheinlicher ist, dass Lovercraft sich von diesem Roman beeinflussen ließ – bewusst oder unbewusst.

Doch die Passage zeigt auch, wie kräftig sich schon in den ersten Heften der typische unverwechselbare Ton von Weird Tales ankündigt.

Bald meldet sich über die Medien ein durchgeknallter Diktator mit dem seltsamen Namen KWO, und nun weiß es die ganze Welt – die Seuen-H'sin haben mit ihrem uralten Wissen eine Maschine konstruiert, die diese Erdbebenwellen auslöst. KWO fordert übers Radio die Entwaffnung und Kapitulation aller Erdstaaten, ansonsten läßt er die Erde auseinanderfliegen. Nur Doktor Gresham weiß, dass die Kapitulation keine Rolle spielt, die Sekte wird die Erde so oder so vernichten, egal wie sich die Welt verhält. Denn nach einem jahrtausendealten Glauben dieser Sekte wird Chinas Weltmacht dann beginnen, wenn ein zweiter Mond am Himmel erscheint. Die „Wächter des Zweiten Mondes“ haben nichts anderes vor, als ein Viertel der Erde  herauszusprengen und in den Weltraum zu katapultieren, damit es dort als zweiter Mond fungiert.

Gemeinsam mit seinem Assistenten, dem Ich-Erzähler, kann Dr. Gresham den amerikanischen Präsidenten überreden, ihm ein Schiff der US-Marine zur Verfügung zu stellen, um die Sekte zu vernichten – er hat mit Meßgeräten ermittelt, dass sich der Apparat mit den verheerenden Schockwellen irgendwo an der Küste Kanadas befindet.

Und nun beginnt ein irrer Wettlauf mit der Zeit, denn die Erdbeben werden schlimmer, und auch das Klima verändert sich zunehmend, gewaltige Sturmtiefs bilden sich. Weltweit entstehen kilometerweite Risse. Eine nie dagewesene Flüchtlingskrise bricht aus.

Natürlich gelingt es dem Wissenschaftler am Ende, die „Erdbebenstation“ zu finden und zu vernichten, doch bis dahin passiert eine Menge, es kommt zu herben Rückschlägen, fast die gesamte Mannschaft des Professors wird getötet, einige müssen eine brutale Sektenmesse mit Menschenopfer miterleben, das Kriegsschiff versinkt, der Ich-Erzähler versinkt auch fast, nämlich in einer hunderte Meter tiefen Erdspalte, das Ganze steht auf Messers Schneide...

„Wild Action in every capter [wilde action in jedem Kapitel]“ kommentiert Weird-Tales-Historiker Robert Weinberg völlig zutreffend. Bemerkenswert ist nicht nur der Schwung und die Finesse des Romans – viele Elemente sind eben nicht vorhersehbar wie in so viele anderen Pulp-Stories -  erstaunlich ist auch das Jahr der Entstehung 1923. Für diese Zeit ist dieser Mix aus Horror, SF und Yellow Menace supermodern.

The Moon TerrorIII
Dennoch wird der Roman von den meisten Literatur-Historikern, die sich mit dem Genre beschäftigt haben, als schwach eingestuft. Beim Lesen selbst leuchtet das wahrlich nicht ein, es gibt aber eine plausible Erklärung für die hartnäckige Legende, der Roman sei ein Flop gewsen.

In Buchform  war er nämlich wenig später wirklich einer.

Den Verlag erreichten in den Jahren 1923-26 immer wieder Bitten, „The Moon Terror“ nachzudrucken. Zwar richtete Wright tatsächlich eine Klassiker-Reprint-Rubrik ein, in der er beliebte Geschichten noch einmal veröffentlichte – von Edgar Allan Poe bis zu Favoriten aus älteren Heften. Doch ein 90-Seiten-Text war dafür viel zu lang. So entschloß er sich, den Roman als eigenständige Buchedition herauszubringen.

Das Buch erschien 1927 – und war ein Fiasko. Es bleib ein Ladenhüter. Noch Jahre später findet man Werbeanzeigen für „The moon Terror“ in Weird Tales. Schließlich legte man das Buch als Abo-Geschenk für Neukunden bei.

Warum kaufte kaum jemand diese Geschichte, die 1923 so sensationell einschlug, dass sie der jungen Zeitschrift vermutlich die Existenz sicherte?

Der Grund liegt auf der Hand. Kein Pulp in ganz Amerika hätte 1923 so etwas Abgefahrenes gedruckt – mit Ausnahme von Weird Tales. Genau das war ja der Impuls, die Zeitschrift zu gründen.

Doch 1926 änderte sich die Szene. Das Science-Fiction-Magazin „Amazing Stories“ begann seine lange und illustre Laufbahn. Und genau solche Geschichten waren eine Spezialität von „Amazing“. 1927 war bei Amazing das Jahr von „The Plague of the Living Dead“ von Hyatt Verill (Die Erzählung, die den Zombie-Mythos in der modernen westlichen Kultur begründete), Francis Flaggs' „The Machine Man of Adharta“ und H.P. Lovecrafts „The Colour of Space“. 1928 sollten weitere SF-Horror-Klassiker bei Amazing folgen, nicht zuletzt Meisterwerke wie „The Revolt of the Pedestrians [Der Aufstand der Fußgänger]“ von David H. Keller und „The Comet Doom [Die-Kometen-Apokalypse]“ von Edmund Hamilton.

Da wirkte „The Moon Terror“ vielleicht schon leicht verblichen. Anderseits wäre die Story sicher nicht unangenehm aufgefallen, hätte sie Gernsback in „Amazing“ noch einmal nachgedruckt.

The Moon TerrorIV
Ein weiterer Umstand, der dazu geführt haben könnte, dass das Werk in Vergessenheit geriet, ist die Tatsache, dass der Autor nicht identifiziert werden konnte. Wer war Albert G. Birch? Lange hielt man den Namen für ein Pseudonym.

Spekuliert wurde, dass es vielleicht ein Text vom späteren Herausgeber Farnsworth Wright selbst ist. Auch Anthony M. Rud war ein Kandidat, der Verfasser von Ooze (Schlamm), der ersten Titelgeschichte in Weird Tales. Vielleicht wurde er deshalb auserwählt, weil sich im Anhang der Buchausgabe von „The Moon Terror“ ebenjene Ooze-Story befindet.

Inzwischen läßt sich dank Internet-Recherchen nachweisen, dass es einen Albert G. Birch wirklich gegeben hat. Eine Eintragung seines Namens bei der Volkszählung 1940 in Marion, Ohio, ist mit Fotokopie belegt. Als Geburtsjahr wird 1894 angegeben, Birch wäre also zur Zeit der Veröffentlichung 29 Jahre alt gewesen, ein typisches Pulp-Writer-Alter in jeder Zeit.

Warum hat man nicht schon früher nach einem echten Autor gesucht? Weil die Forschung davon ausgeht, dass „Eintagsfliegen“ in der Regel Pseudonyme sind. Ist von einem Autor nur eine einzige Arbeit nachzuweisen, und das in einem berühmten Blatt, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass es sich um einen Außenseiter handelt, der nur einmal in seinem Leben eine Geschichte geschrieben hat, und die Möglichkeit groß, dass ein bekannter Autor seinen Namen verändert hat.

Tatsächlich ist von A.G. Birch außer dem "Moon Terror" nichts überliefert.

Doch grade Weird Tales war bekannt für die offene Politik, Geschichten zu drucken, die von Außenseitern kamen, wenn sie nur schräg genug waren. Fanzine-Inseln im Profi-Heft quasi. Dabei fragt man sich natürlich, warum viele dieser Geschichten trotzdem ein so hohes Niveau haben.

Vermutlich wurden sie aufpoliert von erfahrenen Schreibern. Und so ist es natürlich möglich, dass ein großer Weird-Tales-Autor hier dennoch Spuren hinterlassen hat. O. A. Kline? F. B. Long? oder gar H. P. Lovecraft? Welcher genau es war, werden wir wohl nie erfahren.     

Wer mag, kann die englische Version inzwischen in Roy Glashans Bibliothek nachlesen, wo Roy sie auf meine Initiative hin als html und epub installiert hat.  

http://freeread.com.au/@RGLibrary/Unknown/Unknown.html


Eine deutsche Übersetzung ist mir nicht bekannt.

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