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Challenger entdeckt die Welt - Vergessene Welt - Teil 1 - Der Comic

Vergessene WelötChallenger entdeckt die Welt
Vergessene Welt – Teil1
(Le Monde Perdu)

Es gibt Geschichten, die alle paar Jahre wieder in neuer Fassung auf den Markt kommen, mal mehr, mal weniger stark adaptiert.

Dumas‘ Erzählung von D’Artagnan und den drei Musketieren etwa, die wiederholt Vorlage für diverse Filme und TV-Serien war, oder Kiplings »Dschungelbuch«, das so populär ist, dass in Kürze gleich zwei Verfilmungen davon auf den Markt kommen sollen.


Vergessene Welt 1Eine weitere Geschichte, die immer wieder gerne in mehr oder weniger freier Interpretation erzählt wird, ist Sir Arthur Conan Doyles phantastisches Abenteuer »Die vergessene Welt«. Der Roman wurde bereits mehrfach verfilmt, wurde als Hörspiel und TV-Serie adaptiert und diente diversen Romanen als (freie) Vorlage.

Seit Anfang 2015 ist nun ein neuer Comic zur Erzählung in deutschsprachiger Erstausgabe erhältlich. Geschrieben wurde das Werk vom französischen Comicautor Christophe Bec (»Prometheus«, »Heiligtum«), die Zeichnungen stammen von Fabrizio Faina und Mauro Salvatori. Das Album »Vergessene Welt – Teil 1« erschien bereits 2013 in Frankreich und ist der Auftakt einer auf insgesamt drei Bänden ausgelegten Reihe, die eine neue Generation von Lesern (oder eben auch Fans wie mich, die die Erzählung schon kennen, aber immer wieder gerne neu erleben) mitnimmt auf eine Ehrfurcht gebietende Reise in eine prähistorische Welt.

Die Geschichte dürfte vielen hier bekannt sein und ist im Grunde auch schnell erzählt. Ende des 19. Jahrhunderts gelangt der jähzornige Professor Challenger an das Reisetagebuch eines im Sterben liegenden Mannes, das von einem wundersamen Plateau erzählt, auf dem Dinosaurier leben sollen. Das Tagebuch enthält verschiedene Hinweise, die den renommierten Forscher davon überzeugen, dass das Geschriebene wahr und nicht bloß der lebhaften Fantasie eines Spinners entsprungen ist.


Einige Zeit später. Auf einem Vortrag von Professor Summerlee, einem von Challenger wenig geschätzten Kollegen, kommt es zum Eklat. Als Summerlee erwähnt, dass Saurier ausgestorben sind, unterbricht ihn Challenger rüde und behauptet, dass er diese Aussage widerlegen könne. Um den Beweis zu erbringen, dass auch heute noch Dinosaurier existieren, möchte er eine Expedition zum entlegenen Plateau in Südamerika starten, von dem im Reisetagebuch die Rede ist.


Empört von Challengers Verhalten und angetrieben von dem Wunsch mitzuerleben, wie der Professor sich lächerlich macht, schließt sich Summerlee der Expedition an. Begleitet werden die beiden vom Großwildjäger John Roxton und der Hauptfigur der Geschichte, dem Journalisten Edward Malone (aus dessen Sicht die Handlung erzählt wird). Gemeinsam brechen die Männer auf zu einer gefährlichen Reise, die sie in eine vergessene Welt führen soll …


Wer Sir Arthur Conan Doyles Roman kennt, der wir schnell feststellen: »Vergessene Welt – Teil 1« ist keine wortwörtliche Nacherzählung der ursprünglichen Geschichte. Wie nahezu alle anderen Künstler, die sich an eine Adaption von Doyles Erzählung wagten, nimmt sich Autor Christophe Bec einige Freiheiten in seiner Darlegung der abenteuerlichen Reise von Challenger und seinen Begleitern. Becs Werk ist aber dennoch eine weitaus originalgetreuere Adaption, als es die meisten anderen »Vergessene Welt«-Fassungen sind. Sprich: Das Album fußt ganz auf dem Zeitgeist der Jahre, in denen Doyle seinen Roman verfasst hat.


So spielen Frauen – anders als etwa in den diversen Verfilmungen – im Comic werksgetreu nahezu keine Rolle. Zudem legen die weißen Protagonisten eine recht überhebliche Einstellung gegenüber der indigenen Bevölkerung Südamerikas an den Tag. Überhaupt sind die Protagonisten mit Ausnahme von Ned Malone recht exzentrische, von sich selbst sehr überzeugte Querköpfe. Eine Geschichte derart zu erzählen, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Bevor nun jemand: „Dr. House!“ oder ähnliches schreit: Okay, keine Frage, diverse Dramen und gerade auch schwere, düstere Krimis mögen entsprechende Töne an den Tag legen. Dass ein auf Spannung und Faszination ausgelegtes Abenteuer allerdings im Stile von Doyles Zeitgeist erzählt wird, ist heutzutage eher die Ausnahme.


Die Folge dieser Erzählweise: »Vergessene Welt – Teil 1« ist eine Lektüre, die nicht jedem sonderlich behagen wird. Wen die oben genannten Aspekte empören, dem wird der Comic Unbehagen bereiten. Wer sich allerdings darauf einlässt, ein heute in verschiedener Hinsicht politisch nicht mehr ganz korrekt erzähltes Abenteuer mit eigenwilligen Charakteren zu erleben, der darf sich auf einen spannenden, atmosphärisch dichten Ausflug in eine unerforschte Welt freuen.


Ein Aspekt, der mich etwas zwiegespalten zurückgelassen hat, sind die Zeichnungen von Faina und Salvatori. An und für sich sind die Panels samt und sonders sauber gezeichnet und gefällig anzusehen. Zeitweilig wirken die Bilder jedoch recht statisch. Sie lassen eine gewisse Dynamik vermissen, die den Leser/Betrachter in so vielen anderen Comics von Panel zu Panel mitreißt und die Handlung weitaus lebhafter erscheinen lässt, als man es von bloßen Standbildern“ erwarten sollte. Demgegenüber stehen eine wundervolle Detailtreue und atemberaubende Panoramen, in denen man sich beim Lesen leicht verlieren kann (wer einen ungefähren Eindruck hiervon gewinnen will, dem sei hier ein Blick in die Vorschau zum Album bei Splitter empfohlen, insbesondere auf „Bild 9 von 13“). Inwiefern die zum Teil fehlende Dynamik durch die Detailtreue sowie die faszinierenden Panoramen aufgewogen wird, muss letztendlich jeder selbst für sich entscheiden. Ich für meinen Teil musste mich etwas an die Bildsprache gewöhnen und habe sie schlussendlich trotz ihrer Schwächen liebgewonnen.


Neben der eigentlichen Geschichte darf man sich auch über einige Seiten Bonusmaterial freuen. Die letzten Seiten des Albums sind Skizzen und Entwürfen vorbehalten, die verschiedene Panels, Figuren und Comicseiten in diversen Stadien ihrer Entstehung zeigen und dem geneigten Leser so einen Eindruck davon vermitteln, wie die Bildwelt des Comics entstanden ist.


Becs »Vergessene Welt« ist eine dem Originalroman in jeder Hinsicht würdige Neuinterpretation von Doyles bekannter Abenteuergeschichte. Liebhaber des Buchs kommen hier ebenso auf ihre Kosten wie neue Leser, die die Geschichte um Challenger und seine Begleiter bislang gar nicht oder nur aus diversen recht stark adaptierten (Film-)Fassungen kennen. Ein fesselnder phantastischer Abenteuer-Comic, den man so schnell nicht vergisst.

Vergessene Welt 1
Vergessene Welt – Teil1
(Le Monde Perdu)
Text: Christophe Bec
Deutsche Übersetzung: Resel Rebiersch
Zeichnungen: Fabrizio Faina und Mauro Salvatori
Farben: Andrea Scopetta
Erschienen: Januar 2015
56 Seiten; 14,80 €
ISBN: 978-3-95839-024-9
Splitter Verlag

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