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The Wheel of Time - The Dragon Reborn

Robert Jordans Wheel Of TimeThe Dragon Reborn
Ein Großmeister, sein Stil und eine wirklich lange Geschichte

Nachdem im letzten Beitrag zur »The Wheel of Time«-Artikelreihe die Welt der großen Fantasysaga ein wenig genauer unter die Lupe genommen wurde, soll in dieser Ausgabe ein Thema betrachtet werden, das in eine andere Richtung läuft. Diesmal wenden wir und der Art und Weise zu, wie Großmeister Robert Jordan seine Saga erzählt und wie es ihm gelingt, dass die Reihe ihre Leser auch nach mehreren Tausend Seiten noch zu fesseln versteht.

Tausende von Seiten! Man muss sich diese Zahl einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die Abenteuer von Rand, Mat, Perrin und ihren Gefährten sind nicht nur umfangreich; ihr Ausmaß mutet geradezu gigantisch an. Ich wage nicht einmal vorsichtig zu schätzen, wie viele Worte das Epos umfasst...

The Wheel of Time 3 - The Dragon RebornBei so vielen Seiten ist es für einen Autor keine leichte Aufgabe, seine Saga spannend zu halten und den Leser dazu zu bringen, bis zum großen Finale am Ball zu bleiben. Der ein oder andere mag nun einwenden, dass es eine Menge Autoren gibt, die deutlich mehr Romane geschrieben haben als Jordan, und deren Romane sind (fast) alle spannend und gut zu lesen. Dem möchte ich nicht widersprechen. Man sollte dabei allerdings eine Sache bedenken: Die wenigsten Schriftsteller verharren so lange an einer einzigen Saga, wie es Jordan getan hat. Neue Welten und neue Charaktere ermöglichen völlig neue, bisher unbekannte Storylines. Jordans Möglichkeiten waren da deutlich eingeschränkter, ist es doch immer der gleiche Weltenentwurf, der seinen elf bzw. zwölf Romanen um das Rad der Zeit zugrunde liegt. Dass es ihm dennoch gelungen ist seine Leser über deutlich mehr als nur vier der seitenstarken Bücher zu fesseln, ist eine echte Meisterleistung und ohne Zweifel zu einem großen Teil er Art und Weise zu verdanken, in der Jordan seine Geschichte erzählt.

Bevor wir uns aber diesem Aspekt der Reihe widmen, möchte ich zunächst, wie in jeder Ausgabe dieser Artikelserie, ein weiteres Buch von Jordans Epos vorstellen. Diesmal ist es »The Dragon Reborn«, der dritte Band der außergewöhnlichen Fantasysaga.


»The Dragon Reborn«
Tausende von Jahren musst die Welt auf die Erfüllung der Prophezeiung warten, nun endlich scheint sie eingetreten zu sein. Rand al'Thor, ein Bauernjunge aus Emond's Field, hat sich als der Wiedergeborene Drache zu erkennen gegeben. Doch damit nicht genug: Mat Cauthon, ein Begleiter Rands, hat das Horn von Valere erklingen lassen! So war es ihm möglich, die Geister der alten Helden zu rufen und sie gegen die übermächtigen Truppen der Seanchaner ins Feld zu führen, die daraufhin vernichtend geschlagen wurden und ihre Invasion abbrachen.

Dramatische Ereignisse waren es, mit denen der zweite Band der »Wheel of Time«-Saga endete. »The Dragon Reborn« beginnt einige Wochen später. Doch wer nun glaubt, die vergangenen Tage hätten dafür gesorgt, dass sich die Wogen ein wenig glätten, der irrt gewaltig!

An den verschiedensten Orten der bekannten Welt herrscht Krieg. Die Kinder des Lichts setzen ihren Kampf für das, was sie unter dem Begriff „Licht“ verstehen, mit unnachgiebiger Härte fort. Falsche Drachen sorgen für Aufruhr unter den Menschen. Und dann wandeln auch noch Kreaturen durch die Lande, von denen man lange gedacht hat, sie seinen nichts als Mythen und Ammenmärchen...

Auch die Helden der Saga kommen nicht zur Ruhe. Perrin kämpft noch immer mit seiner neu erworbenen Fähigkeit, mit Wölfen reden zu können. Egwene, Nynaeve und Elayne reisen gemeinsam mit Mat zurück nach Tar Valon. Während Mat dort auf Heilung von dem Fluch des verdorbenen Dolchs aus Shadar Logoth hofft, erwartet die drei Frauen ein ungewisses Schicksal. Schließlich sieht es ganz so aus, als sei die Schwarze Ajah zu neuem Leben erwacht und habe die Weiße Burg unterwandert. Wem also können die drei Aes-Sedai-Anwärterinnen noch vertrauen?

Doch am schlimmsten hat es Rand getroffen. Dem Wiedergeborenen Drachen fällt es zunehmend schwerer, der Verlockung von saidin, der vom Dunklen Herrscher verdorbenen männlichen Hälfte der Wahren Quelle, zu widerstehen. Schließlich sieht er nur noch einen Weg, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen: Er muss zum Stein von Tear, der uneinnehmbaren Festung des Reiches Tear, und dort nach Callandor suchen, nach dem Schwert, Das Kein Schwert Ist, nach dem Schwert, Das Nicht Berührt Werden Kann. Der Prophezeiung nach ist es nur dem Wiedergeborenen Drachen vergönnt, Callandor aus dem Stein herauszubringen.

Und über alledem liegt der Schatten von Ba'alzamon, dessen Rückkehr aus dem Gefängnis am Shayol Ghul immer wahrscheinlicher wird...


Die Erzählweise Robert Jordans

Okay, ich gebe es zu: Für jemanden, der die ersten beiden Bände der »Wheel of Time«-Saga nicht kennt, hört sich diese kurze Inhaltszusammenfassung vermutlich etwas kompliziert und verworren an. Ich versichere euch aber: Die Geschichte an sich ist es nicht. In »The Dragon Reborn« erzählt Jordan, wie überhaupt in der gesamten Fantasyreihe, ein packendes Abenteuer, das trotz seines gewaltigen Umfangs größtenteils zu überzeugen weiß (den ein oder anderen Schwachpunkt gibt es schon, aber das ist ein Thema, das wir uns für später aufheben).

Jeder aber, der auch nur hin und wieder Filme sieht oder Romane liest, weiß, dass eine gute Story und ein interessanter Plot noch lange keine gute Geschichte abgeben. Die Handlung muss nicht nur thematisch ansprechend sein, sie muss auch von ihrem Erzählstil her überzeugen.

Robert Jordan war einer jener Schriftsteller, denen das Erzählen wahrhaft im Blut liegt. Er wusste, wie man eine Geschichte schildert, so dass sie auch nach Abertausenden von Wörtern noch zu faszinieren weiß. Dabei verwendete er eine ganze Reihe von Kniffen und Stilmitteln, mit deren Hilfe er den Leser bei Laune halten kann, auch wenn es handlungstechnisch einmal etwas weniger aufregend zugeht. Auf einige dieser Techniken möchte ich im Folgenden kurz eingehen.


Die Sache mit den Handlungsbögen
Fantasyepen, die lediglich aus der Sicht einer Person erzählt werden, sind eine Seltenheit. In den meisten Sagas gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Protagonisten, deren Erlebnisse man als Leser mehr oder weniger intensiv verfolgen kann. »The Wheel of Time« bildet da keine Ausnahme. Der Cast ist groß, und jede Person erlebt ihre ganz eigenen Abenteuer. Dass es folglich eine Vielzahl verschiedener Handlungsbögen gibt, kommt daher wenig überraschend.

Eine Besonderheit ist hingegen der Umgang Jordans mit diesen Storylines. Das meist verwendete Schema in der Fantasyliteratur ist wohl dieses: Die unterschiedlichen Storylines laufen parallel zueinander ab. Damit der Leser auch alle relevanten Geschehnisse auch verfolgen kann, splittet der Autor die jeweiligen Handlungsstränge in kleine Portionen auf, die dann in einzelne Kapitel verpackt werden. Im fertigen Roman werden die Storylines dann miteinander verschachtelt, so dass der Leser mit jedem Kapitel einen neuen Handlungsstrang präsentiert bekommt und immer einige Kapitel warten muss, bis ein bestimmter Strang erneut Thema wird. Um die Spannung noch weiter anzuheizen, werden die einzelnen Kapitel zudem häufig mit einem Cliffhanger beendet.

Robert Jordan hat einen etwas anderen weg gewählt. Was er nicht verändert hat, ist das grundlegende Muster des Schemas: Auch in »The Wheel of Time« gibt es verschiedene Handlungen, die gleichzeitig ablaufen, und um dem Leser diese Gleichzeitigkeit auch glaubwürdig vermitteln zu können, werden die jeweiligen Handlungsbögen in kleinere Teile aufgesplittet und dann untereinander vermischt.

Was Jordan hingegen anders macht als die meisten seiner Kollegen, ist die Abfolge dieser Kapitel. Dem Fantasygroßmeister ist nicht daran gelegen, seine Leser von Cliffhanger zu Cliffhanger hetzen zu lassen. Sein vorrangiges Ziel ist es eindeutig, seine Geschichte zu erzählen. Zu diesem Zweck reißt er die Storylines nicht zwecks Erzeugung von Schockszenen am Ende der einzelnen Kapitel auseinander, sondern teilt die Handlungsbögen, wie es inhaltlich am besten ist. Einfacher ausgedrückt: Oftmals verfolgt man über viele Kapitel hinweg die Erlebnisse eines ganz bestimmten Charakters. Erst, wenn ein bestimmter, inhaltlich zusammenhängender Bogen zu einem (wie auch immer gearteten) Abschluss gebracht wurde, wendet sich Jordan einem anderen Protagonisten zu, dessen Abenteuern er dann die gleiche Aufmerksamkeit widmet wie den Abenteuern des zuvor begleiteten Charakters.

Das darf man nun aber nicht so verstehen, dass erst die kompletten Erlebnisse einer Figur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geschildert werden, und daraufhin die Abenteuer einer zweiten Figur bis zu eben jenem Zeitpunkt. Auch Jordan verwebt Handlungsbögen untereinander und lässt sie zeitweise ruhen, um später wieder darauf zurückzukommen. Es ist nur eben so, dass er sich immer wieder über viele aufeinander folgende Kapitel hinweg nur mit einer Person beschäftigt, bevor er die Erlebnisse einer anderen zum Besten gibt.

Aber ist diese Form des Geschichtenerzählens nicht tödlich, was Spannung und Dramatik angeht? Derartige Bedenken sind verständlich, aber unnötig. Ganz im Gegenteil übt diese Art des Erzählens einen Reiz aus, wie ihn der Cliffhanger-Stil vieler Autoren einfach nicht erzeugen kann. Statt immer wieder abrupt aus der Geschichte herausgerissen zu werden, bleibt man über einen längeren Zeitraum an der Seite einer bestimmten Person. So entwickelt man eine viel stärkere Beziehung zu dieser Figur, als es der Fall wäre, wenn man sie in jeweils nur kurzen Etappen begleiten würde. Man leidet mit den Figuren mit, man lacht und weint mit ihnen, man kann sich regelrecht in sie hineinversetzen. Das gibt der Geschichte eine enorme Tiefe, wie man sie nur selten findet – und macht »The Wheel of Time« zu einem so außergewöhnlichen Leseerlebnis.

Aber alle, die Cliffhanger lieben, seien beruhigt: Sie mögen in der Saga zwar einen gewissen Seltenheitswert besitzen, ganz unter den Tisch fallen lässt Jordan sie allerdings auch nicht.


Das Figurenensemble und Jordans Umgang mit seinen Charakteren
Wie so viele Fantasyromane lebt auch »The Wheel of Time« größtenteils von seinen Protagonisten. Die Handlung mag noch so fesselnd sein, die magischen Duelle noch so atemberaubend, die unbekannten Landschaften und Kulturen noch so exotisch, ohne die hervorragend gezeichneten, gut durchdachten Charaktere würde die Saga ihre Leser nicht ansatzweise so sehr in ihren Bann schlagen, wie sie es dankenswerterweise tut.

Die gelungene Charakterisierung der Figuren einer Saga ist aber noch lange nicht genug, um sie auch so in Szene zu setzen, dass der Leser innerhalb kürzester Zeit mit ihnen warm wird, sie ins Herz schließt oder, im Falle der Bösewichte, abgrundtief verachtet. Jeder Autor hat hier seinen eigenen Stil, dieses Ziel zu erreichen. Robert Jordan bildet da keine Ausnahme. Um nur mal einige seiner Kniffe im Umgang mit den Charakteren seines Epos zu nennen:

Neuer Charakter – neue Sprache: Die Protagonisten von »The Wheel of Time«, allen voran die männlichen Charaktere, könnten unterschiedlicher nicht sein. Das ermöglicht Jordan nicht nur, eine Vielzahl von Handlungssträngen zu entwickeln. Es ist ihm auch möglich, die gleichen Ereignisse aus ganz verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen. Dazu reicht es natürlich nicht aus, im Laufe der Erzählung einfach mal von Charakter zu Charakter zu springen und die verschiedenen Erlebnisse dieser Figuren so mir nichts, dir nichts herunterzurattern. Damit der Leser das Abenteuer voll und ganz genießen kann, muss er auch spüren, dass die Handlung nun aus einer ganz anderen Sicht geschildert wird. Um dies zu gewährleisten,bedient sich Jordan schlicht und ergreifend der Sprache und ihrer Möglichkeiten.

Immer, wenn ein anderer Protagonist in den Fokus der Handlung rückt, verändert sich auch die Sprache, in der die Geschichte erzählt wird, ein wenig. Konzentriert sich die Story etwa auf Mat, den notorischen Kindskopf, so wirkt die Geschichte lockerer und es wird deutlich häufiger geflucht als in anderen Passagen der Saga. Steht hingegen der schweigsame Perrin im Zentrum der Aufmerksamkeit, so wirkt die Erzählung bedächtiger und ruhiger. Handlungsbögen um die gestrenge Nynaeve dagegen erkennt man daran, dass die Ereignisse deutlich sachlicher und... nun ja, eben „strenger“ erscheinen als die übrigen Geschehnisse.

Die Sache mit der Hauptperson: Wenn es eine Person gibt, deren Schicksal zentral ist für die Handlung von »The Wheel of Time«, dann ist es Rand al'Thor, der Wiedergeborene Drache. Doch eine Saga, die Abertausende von Seiten umfasst, kann sich nicht durchgehend auf eine einzige Person konzentrieren, ohne recht bald eintönig und langweilig zu wirken. Robert Jordan umgeht dieses Problem geschickt. Einerseits lässt er immer wieder durchblicken lässt, dass Rand die entscheidende Rolle im Kampf gegen den Dunklen Herrscher spielt. Andererseits sorgt er gleichzeitig dafür, dass diese Figur nur eine unter vielen ist. Das lässt sich wunderbar am dritten Band der Saga festmachen. Nicht nur der Titel des Romans bezieht sich auf Rand; auch die komplette Handlung ist im Endeffekt darauf hin ausgerichtet, dass der Wiedergeborene Drache Callandor ergreift. Im Fokus der Erzählung aber steht nicht Rand; dieser spielt im Buch allenfalls eine Nebenrolle. Stattdessen konzentriert sich Jordan auf die übrigen Charaktere des Fantasyepos sowie auf die Art und Weise, wie sie die Reise nach Tear zum Schwert, Das Kein Schwert Ist, erleben. Für den Leser bedeutet diese mehr als nur Abwechslung. Gemeinsam mit den verschiedenen Personen wächst ihm nämlich auch die Saga immer mehr ans Herz, und er fürchtet bald nicht mehr nur um Rand, sondern mindestens ebenso sehr um das Schicksal all der anderen Figuren der Reihe.

Perspektiven: Rand und seine Gefährten, die Aes Sedai, die Kinder des Lichts, die Diener des Dunklen Herrschers, ein Frachterkapitän, der nur zufällig in den Kampf um das Schicksal der Welt hineingerät – mit Ausnahme von Kevin J. Andersons »Saga der Sieben Sonnen« ist Jordans »Wheel of Time« zweifellos die Buchreihe mit der größten Anzahl unterschiedlicher beteiligter Parteien. Jede dieser Parteien hat ihre eigene Sichtweise auf die Geschehnisse, und selbst die verschiedenen Individuen einer Partei können bestimmte Geschehnisse unterschiedlich auffassen. Wo andere Autoren eine Vielzahl von Sichtweisen einfach unter den Tisch fallen lassen, packt Jordan das Problem ganz anders an: Er lässt einfach jede Partei einmal zu Wort kommen, manche gar mehrfach, um auf die unterschiedlichen Ansichten einzelner Mitglieder einzugehen. Kapitel, in denen einzig die Kinder des Lichts oder besagter Kapitän im Zentrum der Handlung stehen, sind zwar eher spärlich gesät, doch sie sind vorhanden. Für den ein oder anderen mag dieses Stilmittel ein wenig lästig sein, da durchaus die Gefahr besteht, die Übersicht zu verlieren. Wer allerdings aufmerksam mitliest und nicht nur die Seiten überfliegt, der wird Jordan bald dankbar sein für die verschiedenen Perspektiven, aus denen er seine Saga erzählt; selten hat man eine derart vielseitige Fantasysaga geboten bekommen.


Der Background und sein Nutzen
Völker und Kulturen, Religionen und magische Systeme, Landschaften und politische Reiche – die meisten Fantasysagas verfügen über ausladende Hintergründe. Bevor sie mit dem Schreiben beginnen, haben Autoren (zumeist) einen umfangreichen Background für die Abenteuer geschaffen, die sie zu erzählen gedenken. Mitunter sind diese Hintergründe dann interessanter als die eigentliche Geschichte...

Wie dem auch sei, es fällt jedenfalls auf, dass der zur Verfügung stehende Background überraschend häufig nicht konsequent genutzt wird. Viele äußerst faszinierende Details von Fantasywelten werden oftmals in lediglich ein, zwei Sätzen abgehandelt, oder aber sie kommen nur oberflächlich zur Sprache. Das ist mitunter wirklich schade, muss man doch immer wieder feststellen, dass so manch gute Idee mehr oder weniger sinnlos verschenkt wurde. Einen echten Vorwurf kann man den jeweiligen Autoren aber in den seltensten Fällen machen. So interessant der Background nämlich auch sein mag, die eigentliche Geschichte hat Vorrang. Und die nimmt oft so viel Platz ein, dass das ein oder andere Detail, das nicht von elementarer Bedeutung ist, eben unter den Tisch fallen gelassen wird. Dieses Problem, das in der Fantasyliteratur leider viel zu häufig auftaucht, hat Jordans »The Wheel of Time« nicht.

Allzu überraschend dürfte diese Feststellung nicht kommen. Bei den vielen Tausend Seiten, die Jordans Epos umfasst, wäre es im Gegenteil eher verwunderlich, wenn große Teile des Hintergrunds einfach ignoriert werden würden. »The Wheel of Time« hat fraglos einen enorm umfassenden Background. Doch ebenso hat die Serie eine Menge Raum, diesen adäquat in Szene zu setzen. Jordans Leistung in diesem Zusammenhang besteht darin, dass er


  • ...all diese Informationen einfließen lässt, ohne dass sie langweilig wirken; dass er
  • ...aber gleichzeitig versucht, möglichst alle Details des Hintergrunds auch zu nutzen; und dass er es
  • ...schafft, Handlung und Background zu einem packenden Mix zu vereinen, in dem beide Elemente untrennbar miteinander verschmelzen.

Dass es ihm gelingt, davon kann sich jeder überzeugen, der ein wenig in den Romanen der Reihe schmökert. Interessant ist hingegen, wie er es schafft, den fast schon überbordenden Hintergrund mit der eigentlichen Handlung zu verflechten. Hierzu verwendet er eine Vielzahl unterschiedlicher Techniken. Um nur mal einige zu nennen:

  • Immer wieder lässt er die Hauptpersonen getrennt voneinander losziehen und auf unterschiedlichem Wege zu einem bestimmten Ziel reisen. Dadurch ist es ihm möglich, eine Vielzahl unterschiedlicher Abenteuer und Hintergründe zu schildern, gleichzeitig aber für Abwechslung zu sorgen, da der Leser in jedem Handlungsstrang andere Gebiete, Kulturen und Völker zu Gesicht bekommt.
  • Nur, weil ein Ort schon einmal besucht wurde, heißt das nicht, dass er nicht auch ein zweites oder drittes Mal besucht werden könnte. Gerne lässt Jordan seine Figuren zu schon bekannten Orten zurückkehren, wo dann neue, bislang unbekannte Aspekte behandelt werden.
  • Jordan zeigt, dass historische Hintergründe nicht immer über ellenlange Monologe einzelner Charaktere vermittelt werden müssen. Visionen, Träume, kurze Informationen im Rahmen bestimmter besuchter Orte von historischer Bedeutung, beiläufige Erwähnungen im Rahmen von Dialogszenen,... Die Möglichkeiten, solche Hintergründe auch ohne seitenstarke, trockene Vorträge zu vermitteln und dabei gleichzeitig spannend in die Handlung zu integrieren, sind beachtlich. Jordan weiß das, und er nutzt diese Möglichkeiten auf ganzer Linie.
  • Viele Hintergründe wirken dadurch interessanter, dass man zunächst einen vagen Einblick in einen bestimmten Bereich erhält, dieser aber erst im späteren Verlauf der Geschichte näher erläutert wird. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Ausführungen in Bezug auf die Religionsgemeinschaft der Kinder des Lichts. Während man als Leser zunächst kaum mehr als vage Gerüchte und wilde Vermutungen über diese Sekte zu hören bekommt – eben das, was die Hauptfiguren der Reihe im Laufe ihrer Reise erfahren – werden einige der späteren Kapitel ganz aus der Sicht einzelner Kinder des Lichts erzählt. Hier werden dann offene Fragen geklärt, Irrtümer aufgedeckt und weitere Hintergründe offenbar, und das alles im Rahmen einer spannenden Handlung.

Jordan, seine Saga und sein Erzählstil – Fazit
Ich habe es zwar schon mehrmals erwähnt, aber man kann es nur immer wider betonen: Eine Geschichte, die viele Tausend Seiten umfasst, lebt nicht alleine von ihrer Handlung, auch wenn diese noch so originell und voll überraschender Wendungen sein mag. Um die Leser auch nach drei- oder viertausend Seiten noch bei Laune zu halten, ist ein packender Erzählstil mindestens ebenso wichtig wie ein fesselnder Plot.

Gibt es so etwas, wie die perfekte Art und Weise, eine Geschichte zu erzählen? Wohl eher nicht. Es ist daher wenig verwunderlich, dass selbst eine so beliebte Saga wie »The Wheel of Time« bezüglich ihrer Erzählweise schon einiges an Kritik einstecken musste. Mir persönlich aber sagt der Stil Jordans enorm zu, und der weltweite Erfolg auch der späten Bände der Reihe zeigt mir, dass ich nicht der einzige bin, der Kniffe wie die Abkehr vom Cliffhanger-Stil oder den umfangreichen Einbau des Serienbackgrounds zu schätzen weiß.

Robert Jordan ist ja nun leider von uns gegangen, bevor er die »The Wheel of Time«-Saga beenden konnte. Nun obliegt es einem anderen Schriftsteller – Brandon Sanderson – die Reihe nach den Aufzeichnungen des Großmeisters zu Ende zu bringen. Wie jeder Autor hat auch Sanderson seinen eigenen Stil, der sich in so manchen Punkten von dem Jordans unterscheidet. Wie also wird der abschließende zwölfte Band der Reihe erzählt werden? Lässt sich noch immer die Handschrift Jordans erkennen, der das Konzept des Romans noch vor seinem Tod ausarbeiten konnte? Oder wird Band zwölf, was den Erzählstil anbelangt, vollkommen anders als seine Vorgänger? Das ist eine Sache, auf die ich schon sehr gespannt bin.

Doch bis es soweit ist, werden noch einige Monate ins Land gehen. Bis dahin genieße ich die ersten elf Romane der Serie, alle von Jordan selbst erdacht und geschrieben, und alle in seinem ganz eigenen Stil verfasst, den ich so liebe.

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