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Jenseits aller Grenzen

Peter Mennigens »Abyssus – Der Abgrund« im ReviewJenseits aller Grenzen
Peter Mennigens »Abyssus – Der Abgrund« im Review

 „Im Mittelalter brachten die Templer das magische Buch des Abyssus von Jerusalem nach Paris. Seine unheilvolle, zerstörerische Kraft setzen moderne „Hexen“ im 21. Jahrhundert frei. Der schwarze Abgrund öffnet sich unter Paris – und Alan Osborne ist mitten drin...“

Mit diesen Worten wird Peter Mennigens Roman »Abyssus – Der Abgrund« auf der Rückseite des Covers angekündigt.

 Die ominöse Umschreibung der Handlung, der schwarz gefärbte Schutzumschlag, das Bild der bedrohlich aufragenden Kathedrale von Notre-Dame auf dem Cover, der in blutroten Lettern gehaltene Titelschriftzug, der von feinen Verästelungen durchzogen wird – all dies lässt erahnen, dass die die Umschreibung „Mystery-Thriller“, die man auf der Titelseite des Buchs finden kann, durchaus ihre Berechtigung besitzt. »Abyssus« scheint ein Buch zu sein, in dem es um die schreckliche Kraft schwarzer Magie und die furchtbaren Auswirkungen menschlichen Machtstrebens mit Hilfe teuflischer Riten geht – auf den ersten Blick zumindest.

Denn kaum hat man mit der Lektüre begonnen, merkt man schnell: Die Bezeichnung „Mystery-Thriller“ mag sehr wohl gerechtfertigt sein, doch Peter Mennigen hat hier einen Roman geschaffen, der die Grenzen des Genres bei Weitem sprengt.

»Abyssus – Der Abgrund«: Der Inhalt des Buchs
Auch wenn man es ihm nicht umgehend ansehen mag: Alan Osborne ist einer jener wenigen Menschen, die das Angesicht der Welt für immer verändern können. Unsportlich, von allenfalls durchschnittlicher Größe und an sich eher ruhig und reserviert ist Osborne einer jener Typen, die man schon nach wenigen Sekunden wieder vergessen hat. Was ihn so außergewöhnlich macht, sind sein brillanter Verstand und seine Fähigkeiten als Computergenie. Seit vielen Jahren arbeitet er an der Erschaffung der perfekten Künstlichen Intelligenz, und nun endlich scheint ihm der Durchbruch gelungen zu sein.

Auf einer IT-Fachmesse in der französischen Hauptstadt soll das Programm der Öffentlichkeit vorgeführt werden. Doch es kommt zu einer Fehlfunktion, die die gesamte Präsentation gefährdet. Niemand weiß, wie der Fehler beseitigt werden kann, weshalb Osborne sein lieb gewonnenes Büro in New York verlassen und nach Paris reisen muss, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Schon die ungeplante Reise an sich ist etwas, das Osborne nur sehr widerwillig tut; hätte er auch nur geahnt, was ihn letztendlich in Frankreich erwartet, er wäre wohl gar nicht erst ins Flugzeug gestiegen.

In Paris gerät der Computerspezialist in die Welt der schwarzen Magie, der Hexen und der mysteriösen Geheimbünde. Für den sonst so rational denkenden Osborne waren Zauberei und uralte Prophezeiungen bislang immer etwas, das allenfalls von Spinnern und Idioten für voll genommen wird. Aus diesem Grund fällt es ihm auch so schwer zu begreifen, in was er da hineingestolpert ist.
Osbornes schlimmste Albträume scheinen sich zu erfüllen. Nicht nur, dass er teuflische Rituale erlebt und ins Visier mächtiger Hexen gerät, die ihre Kräfte darauf verwenden, seinem Leben ein rasches Ende zu setzen. Mitten in Paris könnte sich zudem auch noch das Schicksal der Menschheit, ja, vielleicht sogar das Schicksal des ganzen Universums entscheiden. Der höllengleiche Abyssus streckt seine Klauen nach dieser Welt aus und öffnet einen Abgrund, der alles verschlingt, was ihm in den Weg kommt. Der Tag des Jüngsten Gerichts steht unmittelbar bevor...

Weit mehr als nur ein Mystery-Thriller
»Abyssus« beginnt wie ein ganz gewöhnlicher, in jeder Hinsicht typischer Mystery-Thriller (wenn man mal davon absieht, dass die Einstiegsszene deutlich ungewöhnlicher ist als im „Normalfall“ [weitere Infos hierzu im Interview mit Peter Mennigen]): Ein bodenständiger Kerl, der mit Magie bislang nicht das Geringste am Hut hat und dem die Vorstellung von Hexerei und finsteren Ritualen ziemlich lächerlich erscheint, findet sich urplötzlich inmitten eines Schreckensszenarios aus schwarzen Messen und teuflischen Machenschaften wieder.

Im Falle von »Abyssus« ist Alan Osborne dieser bodenständige Typ, der sich unverhofft mit einem Hexenzirkel konfrontiert sieht. Lebende Tote, ein verfluchtes Buch, die Aussicht auf den drohenden Weltuntergang – so sehr Osborne auch versucht, sich an dem festzuklammern, was ihm sein Verstand als „Realität“ verkündet, gegen seinen Willen muss er erkennen, dass die Welt viel geheimnisvoller und und unerklärlicher ist, als er bislang vermutet hat.

Damit ist der Grundstein gelegt für eine Mystery-Thriller-typische Handlung. Doch wer nun denkt, dass alles seinen gewohnten Gang gehen wird, der irrt gewaltig. »Abyssus« mag in den ersten Kapiteln recht genretypisch daherkommen, doch schon bald lässt Mennigen die Story auf so manch überraschende Art und Weise umschwenken.

Dass ich hier den Plural verwende, hat seine Richtigkeit. Mennigens Werk wechselt nicht einfach das Genre; vielmehr erschafft er einen ungewöhnlichen Mix, in dem Elemente aus Episoden-Dramen ebenso Platz finden wie Aspekte, die am eigentlich in einem Wissenschaftsthriller erwarten würde; ein Mix, der dem Mystery-Genre in gleichem Maße verbunden ist wie Werken aus den Bereichen Katastrophen-Thriller oder Horror.

Es fällt nicht ganz leicht, die Handlung von »Abyssus« angemessen zu umschreiben, zu komplex ist die Story, die Mennigen hier entwirft. Der unfreiwillige Held des Romans, Alan Osborne, findet sich (ebenso wie später auch diverse andere Charaktere) gefangen in einem Konglomerat aus scheinbar unabhängigen Ereignissen, die dennoch alle miteinander in Verbindung stehen, wobei so manches Geschehen rational nicht erklärbar ist und daher gar nicht erst passieren dürfte. Alles beginnt mit einer unangenehmen Dienstreise, bei der sich Osborne einem technischen Problem gegenübersieht, dass er, so sehr er seine grauen Zellen auch bemüht, einfach nicht zu lösen vermag. In der Folgezeit gerät der Computerfachmann in die Welt der schwarzen Magie, er stößt auf einen Serienkiller, der seit Jahren junge Frauen ermordet, wird in eskalierende Straßenschlachten verwickelt, führt philosophische und religiöse Diskussionen, während er sich auf der Flucht vor diversen Häschern befindet, und sieht sich am Ende einer unerklärlichen Katastrophe gegenüber, die er weder erklären noch aufhalten kann.

Auf all diesen Stationen begleitet der Leser Osborne und taucht damit ein in eine Geschichte, die ebenso vielseitig wie unberechenbar ist. Mystische Elemente folgen auf wissenschaftliche Erläuterungen, ausführliche, äußerst realistische Porträts von Charakteren wechseln sich ab mit phantastischen (Alb-)Traumsequenzen.

Zugegeben: Das mag sich jetzt verwirrend anhören. Aber keine Sorge, das ist es nicht. Mennigen gelingt es wunderbar, ein Setting zu konstruieren, das immer wieder für neue Wendungen gut ist, sei es in der Story oder im Aufgreifen von Erzählelementen. Dabei verliert er aber nie die Übersicht, sondern fügt die verschiedensten Aspekte zu einem packenden Ganzen zusammen, das in sich stimmig und geschlossen ist. Wenn man die komplexe Handlung von »Abyssus« also beschreiben will, dann dürften „facettenreich“ und „unvorhersehbar“ wohl die treffendsten Ausdrücke sein.
In Sachen Story und vor allem Vielschichtigkeit der Handlung ist Mennigens Roman mit Sicherheit einer der anregendsten und einfallsreichsten, die ich dieses Jahr lesen durfte.

Nicht alles ist perfekt – Die Schwachstellen von »Abyssus«

Das perfekte Buch gibt es nicht, auch wenn so manches Werk diesem Zustand ziemlich nahe kommt. So weist auch »Abyssus«, trotz des faszinierenden Handlungsgemischs, die ein oder andere Schwachstelle auf.

Das Offensichtliche dabei zuerst: »Abyssus« ist zu lang. Bei knapp 671 Seiten mag sich dieser Eindruck zu Beginn nicht einstellen, bei der Lektüre der eng bedruckten Seiten geschieht dies mitunter aber schon. So mancher Passage hätte eine Straffung nicht geschadet. Da werden Personen mit einer umfangreichen Vergangenheit ausgestattet, die in keinem Verhältnis steht zum Auftritt, den sie letztendlich haben. In anderen Szenen verharrt der Roman zu lange in fruchtlosen Diskussionen oder hält sich mit allenfalls zweitrangigen Einzelheiten auf, die die Handlung nicht im Geringsten voranbringen. Ein paar Kürzungen hätten hier nicht geschadet und das Tempo des Romans deutlich erhöht.

Ein weiterer Punkt, der gelegentlich für die ein oder andere Irritation sorgt, ist das Verhalten der Personen im Buch. So sehr Mennigen den Anschluss verschiedener Versatzstücke unterschiedlicher Genres auch beherrscht, was das Verhalten seiner Protagonisten angeht, hätte man sich ein wenig mehr Kontinuität gewünscht.

Weniger umständlich ausgedrückt: Die Verhaltensweisen der Figuren sind nicht immer konsequent oder logisch. So kommt es etwa vor, dass Osborne viele Seiten lang Todesangst aussteht und eine grausige Erfahrung nach der anderen machen muss, nur um im nächsten Moment ganz ruhig mit einer Frau zu flirten, fast so, als wären alle vorangegangenen Ereignisse niemals geschehen.
Vielleicht gibt es Menschen, die von einem Moment auf den anderen derart extrem umschalten können. Ich kenne niemanden, der dies vermag, weshalb mich Szenen wie die beschriebene zu einem leichten Stirnrunzeln veranlasst haben.

Die Faszination des Romans

»Abyssus« hat seine Schwachstellen, das kann man nicht verleugnen. Diese sollten jedoch niemanden davon abhalten, sich die Geschichte von Alan Osborne und dem Abyssus zu Gemüte zu führen. Trotz gelegentlicher Längen geht von dem Roman nämlich eine ungeheure Faszination aus, die dafür sorgt, dass das Buch einen auch dann in Gedanken begleitet, wenn man es zwecks anderer Tätigkeiten (Essen, Trinken, Studieren und der ganze Kram) aus der Hand gelegt hat.

Allen voran ist da selbstverständlich die schon erwähnte Story zu nennen. Mal erschreckend, mal nachdenklich, mal ruhig und mal hochdramatisch nimmt Mennigen seine Leser mit auf einen Trip, der immer wieder ungeahnte Wege einschlägt und der eine Mischung bietet, wie man sie so noch nicht gesehen hat.

Nicht minder einmalig ist das Verhältnis von „Gut“ und „Böse“, eines der zentralen Themen des Romans. Mennigen dreht dieses Verhältnis weder um, noch verwäscht er es, so dass alle Personen und Ereignisse statt Schwarz und Weiß Grau erscheinen. Nein, Mennigen geht weit über solche Klischees hinaus. Schwarz, Weiß und Grau gibt es nicht; Ereignisse und Verhaltensweisen sind in ihrer Beurteilung immer abhängig von demjenigen, der die Wertung vornimmt. An sich ist dies ja ein logisches Konzept, das der Realität viel eher entspricht als das Schwarz-Weiß-Grau-Denken. Da verwundert es, dass »Abyssus« einer der wenigen Romane ist, denen es gelingt, diese Idee überzeugend umzusetzen.

Äußerst gelungen ist auch der Bruch, den die Handlung in der zweiten Hälfte des Romans erfährt. In vielen Büchern geschieht es ja, dass die Story irgendwann eine radikale Wendung nimmt; man denke nur an Eschbachs »Ausgebrannt«. Zu oft kommt es dann aber vor, dass die neuen Handlungsbögen den alten weit unterlegen sind. Nicht so bei »Abyssus«. Schon die erste Hälfte des Romans versteht es, die Leser zu fesseln. Doch die Geschehnisse im letzten Teil sind noch ein gutes Stück dramatischer und erschreckender, was die Spannung kräftig anziehen lässt.

Das Element aber, das mich am Stärksten beeindruckt hat, ist die Verbindung übernatürlicher Phänomene mit wissenschaftlichen Erklärungen. Zugegeben, ganz neu ist das nicht. Man nehme nur mal die Idee, dass Vampirismus die Folge eines Virus ist oder dass Drachen aufgrund bestimmter Chemikalien, die ihr Körper produziert, Feuer speien können. Solche Vorstellungen finden sich zweifelsohne recht häufig in Film und Literatur. Mennigen perfektioniert diese Verbindung aber geradezu. Die Versuche verschiedener Protagonisten, Übernatürliches wissenschaftlich zu erfassen, sind äußerst interessant. Geradezu genial sind aber die Ideen, die hier mitunter geliefert werden – und auch die Tatsache, dass allen Erklärungsansätzen zum Trotz nicht jedes Phänomen vollständig durchleuchtet werden kann, so dass immer ein letzter Zweifel bleibt, ob es letzten Endes vielleicht nicht doch Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die die Wissenschaft unmöglich erklären kann.

»Abyssus« - Ein Roman jenseits aller Grenzen

Viel ließe sich noch zu Abyssus sagen. Einen Teil dessen, was ich noch anführen möchte, lässt sich im Interview mit Peter Mennigen nachlesen, das der Autor dem Zauberspiegel freundlicherweise zum Erscheinen dieses Artikels gegeben hat. Andere Teile kann ich hier leider nicht erwähnen, da sie eine Menge vorweg nehmen und so die Spannung des Romans erheblich mindern würden.

So oder so dürfte aber deutlich geworden sein: »Abyssus« ist der vielleicht ungewöhnlichste Mystery-Thriller, der in letzter Zeit auf den Markt gekommen ist, gleichzeitig aber auch der Beste. Der Mix aus Elementen verschiedener Genres, der ständige Wechsel zwischen unheimlichen Elementen und rationalen, möglichen Erklärungen für scheinbar übernatürliche Ereignisse sowie immer wieder neue Wendungen, die die Handlung unvorhersehbar machen, sorgen dafür, dass der Roman deutlich komplexer und spannender ist, als es die meisten anderen Vertreter dieser Literaturgattung sind.

Kurzum: Wer vor umfangreichen, vielschichtigen Werk mit so manch diskussionswürdigen Ansätzen und mystischen Elementen nicht zurückschreckt, der wird mit »Abyssus« Lesestoff bekommen, den er so schnell nicht mehr vergessen wird.


Die Daten zum Buch:

»Abyssus – Der Abgrund«
von Peter Mennigen
Schenk Verlag
erschienen: Herbst 2008 (Deutschland)
671 Seiten, 19.90 €
ISBN: 978-3-939337-55-3

 

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