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... Franz Rottensteiner über Klassiker, Gegenwart und Zukunft der Phantastik und Rotstifte

Franz Rottensteiner... Franz Rottensteiner ...
... über Klassiker, Gegenwart und Zukunft der Phantastik und Rotstifte

Viele Verdienste um die Phantastik hat sich Franz Rottensteiner als Herausgeber phantastischer Texte bei Suhrkamp erworben. Wer hat nicht ein paar der von ihm herausgegebenen Bücher im Schrank stehen.

Das waren oft Leseerlebnisse der besonderen Art. Das Herz des Liebhabers schlug in vieler Hinsicht höher, wenn mal wieder einer dieser wunderbaren Bände vorgelegt wurde. Das war kein Fastfood...

Da war es dann nun klar, dass wir Franz Rottensteiner zu verschiedenen Aspekten der Phantastik Fragen gestellt haben. Und er antwortet. Offen, ehrlich und direkt... 
Zauberspiegel: Sie sind einer der profiliertesten Kenner und Herausgeber klassischer und neuer Phantastik. Das führt zu den ersten Fragen. Gibt es noch Schätze deutscher Phantastik, die es zu heben gilt? Und was verbirgt sich noch auf internationaler Ebene?
Franz Rottensteiner: Ganz große Entdeckungen deutscher Phantastik sind wohl nicht mehr zu machen, aber es gibt viele Texte mittlerer Qualität, die durchaus eine Neuausgabe lohnen würden. Mirko Schädel und seine Achilla-Presse tut einiges in der Richtung mit seiner "Mutabor"-Reihe, ebenso Robert N. Bloch und Lindenstrudt mit seinem Verlag; auch Frank Rainer Scheck und seine Anthologien beim Blitz-Verlag sind überaus verdienstvoll. Aus dem englischen und französischen Sprachraum gäbe es natürlich noch jede Menge an klassischer Phantastik zu übersetzen. Und es gibt auch moderne Autoren der Phantastik, die nach und nach in Deutschland erscheinen. Das größte Talent scheint mir hier der Serbe Zoran Živković, von dem bereits zwei sehr originelle Romane (VERSTECKTE KAMERA und DAS LETZTE BUCH) bei dtv vorliegen und demnächst weitere Bücher bei einem wichtigen Verlag folgen werden.

 

Zauberspiegel: Was ist mit der deutschen Phantastik der Gegenwart? Da gibt es ein breites Spektrum, aber vieles davon tummelt sich im Ghetto der Kleinverlage oder wird wie ihr Quaber Merkur nicht von Publikumsverlagen sondern von Fanclubs wie dem EDFC herauszugeben. Vieles ist weit davon entfernt wie Meyrink, Ewers oder andere zum Publikumserfolg zu werden. Ist die deutsche Phantastik tot oder stirbt sie gerade? Hat die Fantasy gewonnen? Oder triumphiert das Triviale?
Franz Rottensteiner: Man sieht gegenwärtig den totalen Triumpf der Fantasy. Und der dicken Romane. Vor Kurzgeschichten scheuen derzeit die großen Publikumsverlage zurück wie der Teufel vor dem Weihwasser, da muss jemand schon sehr berühmt sein, dass von ihm Kurzgeschichten erscheinen. Anthologien sind überhaupt tot, abgesehen von Kleinverlagen, ebenso wie klassische Phantastik (die ja häufig auch aus kürzeren Erzählungen bestand). Was noch erscheint, beschränkt sich auf Kleinverlage mit winzigen Auflagen. Ich mag die Fantasy nicht und nicht die dicken Wälzer. Als ich noch bei Suhrkamp war, hat mir niemand vorgeschrieben, es müssten Romane sein, Kurzgeschichten oder Roman, das war überhaupt keine Frage. Für deutsche Fantasy-Autoren aber war die Lage noch nie so gut, denn es gibt etliche Autoren, die riesige Startauflagen haben. Früher hatte ein deutscher Autor große Probleme, überhaupt gedruckt zu werden, und der finanzielle Anreiz war winzig. Heute kann man recht gut von der Fantasy leben. Ein anderes Hoffnungsgebiet, das deutsche Autoren noch nicht entdeckt zu haben scheinen, sind Frauenromane von vampirischer Liebe à la Stephenie Meyer. Finde ich aber nicht sehr interessant, so wenig wie die Vampire der Anne Rice. Das Triviale triumphiert entschieden, denn die meisten Fantasy-Romane sind breit ausgewalzte Banalitäten.
Seinerzeit, in der grauen Vorzeit des Fandoms, habe ich mich dadurch "beliebt" gemacht, dass ich gegen die Kürzungen angloamerikanischer Originale auftrat. Heute würde ich sagen: Verteilt doch endlich Rotstifte an die Lektoren und macht wieder nette kleine Romane von 160-200 Seiten Umfang. Die meisten Autoren haben ohnedies nichts zu sagen, was einen Umfang von 500 Seiten aufwärts erfordern würde.

 

Zauberspiegel: Wie sieht es mit der Zukunft aus, bedenkt man neue Publikationsformen wie das eBook? Sehen sie dort Möglichkeiten?

Franz Rottensteiner: Schwer zu sagen. Ich bin altmodisch, ich liebe das Buch aus Papier (wenn es nicht solch ein Ziegel ist, dass man sich anstrengen muss, es beim Lesen zu halten). Ich mag nicht auf dem Bildschirm lesen, obwohl das auch seine Vorteile hat, wenn man z.B. später eine bestimmte Stelle sucht. Aber rein zum Lesen aus Vergnügen, nein. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass das ebook im Urlaub und auf Reisen seine Vorteile hat, denn da kann man eine riesige Bibliothek mitführen, ohne sich abschleppen zu müssen.
 

Zauberspiegel: Ist Quaber Merkur in seiner jetzigen Form noch zeitgemäß? Oder gilt es einen „zeitgemäßeren“ Titel zu suchen?
Franz Rottensteiner: Der Quarber Merkur war, glaube ich, nie sehr zeitgemäß, unzeitgemäßer kann er kaum werden. Die Leserzahl ist so gering, dass der Titel gar keine Rolle spielt. Ich glaube nicht, dass ein "zündenderer" Titel Leser anlocken würde. Und der Quarber Merkur existiert ohnehin nur so lange, so lange ich ihn machen kann (und es jemanden gibt, der ihn produziert) und stirbt spätestens mit mir.

 

Zauberspiegel: Sollte man überhaupt noch Unterschiede zwischen der Phantastik der „reinen Lehre“ (sprich das Übernatürliche, unglaubliche erschüttert unsere Alltagswelt), der Fantasy und der SF machen? Oder ist es an der Zeit, den Begriff der Phantastik neu zu fassen und die Genrestasy? zusammenzuführen? Ist die Phantastik als „Urban Fantasy“ nur noch ein Sub-Genre der Fantasy?
Franz Rottensteiner: Ich denke, die Abgrenzungen haben schon ihren guten Sinn, obwohl sie in der Praxis des Schreibens und noch mehr des Verlagswesens ständig durchbrochen werden. Zumindest für die Genre-Literatur, denn in der Literatur allgemein finden sich immer mehr Elemente aus SF, Horror und Fantasy, die entweder nicht dominant sind oder wohl dominant sind, ohne dass diese Bücher in erster Linie als SF, Fantasy oder Horror rezipiert würden. Neuen Begriff dafür braucht man nicht, es gibt ja den der Literatur schlechthin, Man denke in der deutschen Literatur an manches von Christoph Ransmayr, Herbert Rosendorfer, Thomas Glavinic, Julia Zeh oder auch Dietmar Dath.

 

Zauberspiegel: Was ist zeitgemäße Phantastik? Wie definiert diese sich im Schatten der Potters und der Fantasyhelden?
Franz Rottensteiner: Es gibt, abseits von Harry Potter und der Fantasy, international sehr viel an phantastischer Literatur. Ich denke etwa an Wiktor Pelewin und DAS HEILIGE BUCH DER WERWÖLFE, an Haruki Murakami, dessen Bücher fast immer Phantastisches enthalten, etwa KAFKA AM STRAND, WILDE SCHAFSJAGD oder HARD-BOILED WONDERLAND. Auch Carlos Ruiz Zafóns SPIEL DES ENGELS gehört thematisch hierher, obwohl ich das Wirken des Teufels in diesem Roman für ein kindisches Verwirrspiel halte. Oder Michael Chabons DIE VEREINIGUNG JÜDISCHER POLIZISTEN. Phantastik genug abseits der reinen  Genre-Romane.

 

Zauberspiegel: Besteht die Chance, die Zukunft der Phantastik in der Vergangenheit zu suchen? Sind die Vernes, Wells, Meyrinks, Ewers und Konsorten und die Rückbesinnung auf diese Klassiker eine Chance?
Franz Rottensteiner: Die Klassiker der Vergangenheit sind lesenswert, aber nicht unbedingt eine nützliche Richtschnur für zeitgenössische Schriftsteller. Von H.G. Wells kann sicher jeder Autor eine Menge lernen, Michail Bulgakow ist ebenso zeitlos. Von Meyrink sind manche Aspekte beachenswert, aber wer als Schriftsteller wirklich Bedeutung erlangen will, muss seinen eigenen Weg finden, manchmal in Auseinandersetzung mit früheren Meistern, oft aber auch völlig abseits von ihnen. So zu schreiben wie irgendein Vorbild ist unmöglich und bringt nichts. In der SF etwa gibt es einen J.G. Ballard, einen Cordwainer Smith, einen Philip K. Dick, alle unverwechselbare Individualisten. Bloße Nachahmung wäre sinnlos. Wie armselig sind doch die Bemühungen der vielen Lovecraft-Epigonen!
 
Franz Rottensteiner, deutschsprachige Bibliographie

Autor:

  • Erkundungen im Nirgendwo. Kritische Streifzüge durch das phantastische Genre. Passau: Erster Deutscher Fantasy Club 2003.


Herausgeber (Auszüge aus der Gesamtliste, nur Fantastische Literatur):

  • Pfade ins Unendliche. Insel Almanach auf das Jahr 1971. Frankfurt/Main: Insel Verlag 1971.
  • Die Ratte im Labyrinth. Frankfurt/Main: Insel Verlag 1971.
  • Polaris 1. Frankfurt/Main: Insel Verlag 1973 (it 30)
  • Polaris 2. Frankfurt/Main: Insel Verlag 1974 (it 74)
  • Polaris 3. Frankfurt/Main: Insel Verlag 1975 (it 134)
  • Blick vom anderen Ufer. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1977 (st 377)
  • [mit Marek Wydmuch] Gespenstergeschichten aus Polen. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuchverlag 1978 (FTB 1995)
  • Polaris 4, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1978 (st 460)
  • Gespenstergeschichten aus Österreich. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1979 (FTB 2814)
  • Wie der Teufel den Professor holte. SF-Erzählungen aus Polaris 1. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1979  (st 629)
  • Das Mädchen am Abhang. SF-Erzählungen aus Polaris 2. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1979 (st 630)
  • Der Weltraumfriseur. SF-Erzählungen aus Polaris 3. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1979 (st 631)
  • Gespenstergeschichten aus Nordamerika. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1981 (FTB 2834)
  • Polaris 5, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1981 (st 713)
  • Gespenstergeschichten aus England. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1982 (2823)
  • Gespenstergeschichten aus der Südsee. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1982 (2842)
  • Polaris 6, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1982 (st 842)
  • Die andere Zukunft. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1982 (st 757)
  • Das große Buch der Märchen, Sagen und Gespenster. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1982 (Nr. 2847). 1984 (Nr. 2845)
  • Phantastische Träume. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1983 (st 954)
  • Polaris 7. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1983 (st 913)
  • Phantastische Welten. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1984 (st 1068)
  • Über H.P. Lovecraft. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1984 (st 1027)
  • Die Ermordung des Drachen. Frankfurt/Main: Insel Verlag 1985. Frankfurt /Main: Suhrkamp Verlag 1983 (st 1481)
  • Phantastische Aussichten. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1985 (st 1188)
  • Polaris 8. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1985 (st 1096)
  • Polaris 9. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1985 (st 1168)
  • Kurd Lasswitz, Homchen und andere Erzählungen. München: Wilhelm Heyne Verlag 1986 (Heyne SF 4309)
  • Phantastische Zeiten. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1986 (st 1307)
  • Polaris 10. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1986 (st 1248)
  • Die dunkle Seite der Wirklichkeit. Aufsätze zur Phantastik. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1987 (st 1444)
  • Viktorianische Gespenstergeschichten. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1987 (st 1345)
  • Seltsame Labyrinthe. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1987 (st 1443)
  • Der Eingang ins Paradies. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1988 (st 1566)
  • Arche Noah. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1989 (st 1674)
  • Die Sirene. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1990 (st 1688)
  • Phantastische Begegnungen. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1990 (st 1741)
  • Der Einsiedler von Providence. Lovecrafts ungewöhnliches Leben. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1992 (st 1626)
  • Schlimme Hexengeschichten. Frankfurt/Main: Insel Verlag 1992 (it 1380)
  • [Pseudonym Rupert Martin] Die schönsten Fantasy Stories. Bern-München-Wien: Scherz Verlag 1993.  1995 (Scherz Krimi 1512)
  • Verführung. 20 charmante Geschichten. Frankfurt/Main: Eichborn Verlag 1993
  • Phantastisches aus Österreich. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1995 (st 2479)
  • Zum Teufel. Diabolische Geschichten. Frankfurt/Main: Insel Verlag 1995 (it 1708)
  • H.P. Lovecrafts kosmisches Grauen. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1997 (st 2733)
  • Ablaufdatum 31.12.2000. Die Prophezeiungs-Falle {Weltuntergängeen gros]. Wien: Aarachne Verlag 1999.
  • Weltuntergänge en detail. Die Prophezeiungsfalle: Ablaufdatum 31.12.2000. Wien: Aarachne Verlag 1999.

Mit Erik Simon:

  • Tolkiens Geschöpfe. Von Orks, Zwergen, Drachen und anderen phantastischen Wesen. München: Heyne Verlag 2003 (Heyne SF & Fantasy Bd. 9158); München, Zürich: Piper Verlag 2004, 2006 (Piper 6627)

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Kommentare  

#1 Bettina.v.A. 2009-06-25 12:55
Zitat:
denn die meisten Fantasy-Romane sind breit ausgewalzte Banalitäten
Zitat:
Die meisten Autoren haben ohnedies nichts zu sagen, was einen Umfang von 500 Seiten aufwärts erfordern würde.
Ich bin nun auch nicht unbedingt ein Fan von 3-Teilern mit je 500 Seiten, was bei mir oft den Eindruck macht, es geht mehr um das Generieren von "Nachgeschäft", da man sich nicht von den Personen und ihren Geschichten lösen will.
Allerdings mag ich es durchaus, mich in längere Romane zu versenken.

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