Ringo`s Plattenkiste: Weed - Weed
Weed - Weed
Halloween ist vorbei, Weihnachten steht vor der Tür und zwischendurch ist Plattenkistenzeit. Ganz krass heute, denn ich habe mir eine völlig vergessene (ganz was Neues!) Band, die es eigentlich gar nicht gab ausgesucht, die dann auch nur ein einziges (Nein!) Album herausgebracht haben.
Alles sehr mysteriös, ich weiß. Aber für mich ist Halloween emotional und kognitiv noch nicht ganz der Vergangenheit anheimgefallen.
Ich weiß nicht recht, wo genau ich anfangen soll. Ich bin mir aber sicher, ich fange am besten einfach mit der Band (die es eigentlich gar nicht gab) an und schaue wehmütig in die tiefsten Siebziger, und zwar in Deutsche Lande…
Dort war auch nun endlich auch die anspruchsvolle Rockmusik angekommen, die sich, heute verklärt zurückblickend, wohltuend von den im Übermaß vorhandenen Beatles-Imitatoren, beispielsweise Den Rattles, abhoben und etwas Eigenes machten. Unzählige Bands schossen aus dem Boden und verschwanden häufig auch wieder dort, meist nach einer einzigen Veröffentlichung. Manchmal erhielten auch Gruppen einen Plattenvertrag, deren Musik überhaupt nicht käuferkompatibel waren, wie etwa die Band Faust, die zu einer Art Deutsche Beatles (kennt die jemand?) aufgebaut werden sollten. Doch weit gefehlt, gerade Faust waren sehr eigenwillig und prägten auch gleich den Namen, der Programm sein sollte: Krautrock. Der war wild und verspielt, war ganz neu und vor allem Deutsch. Nicht, dass die Texte auf Deutsch vorgetragen wurden, meist sang man mehr oder weniger gelungen auf Englisch. Krautrock war stilistisch von allem ein bisschen, denn meist handelte es sich um Musiker, die einer bestimmten Band aus Great Britain nacheiferten. Häufig waren Pink Floyd, ELP, Jethro Tull und auch Uriah Heep die Vorbilder. Manchmal gab es wahre Perlen darunter, nämlich Bands, die etwas völlig Eigenes machten. Kraftwerk zum Beispiel, oder die akademischen Avantgardisten von Can.
Und da war auch diese Gruppe, die zu denen gehörten, die wenig bis keinen Erfolg hatten und eifrig ihren Vorbildern nacheiferten. Ihr Name war Virus.
Gitarrist Werner Monka, Keyboarder Jörg-Dieter Krahe, Sänger und Flötist Bernd „Molle“ Hohmann Bassist Reinhold Spiegelfeld und Drummer Wolfgang Rieke veröffentlichten 1971 ihr Debutalbum „Revelation“, das eine urige, typisch deutsche Mischung aus allem , was derzeit angesagt war: ein bisschen Pink Floyd, eine Prise Bluesrock, ein Hauch Deep Purple und einiges mehr. Krautrock eben. Durchaus hörbar, aber insgesamt leider zu wenig eigenständig.
Monka, Hohmann und Spiegelfeld verließen Virus nach dem Erstling und wurden ziemlich schnell ersetzt, denn bereits m selben Jahr erschien das zweite Album, „Thoughts“, das eine deutliche Abkehr vom bisherigen Stil zeigte. Der Sound klang nun deutlich mehr nach Uriah Heep. Aber auch der Zweitling war kein Erfolg, und so lösten sich Virus im Jahre 1975 auf.
Die Drei Ex-Viren lernten 1971 schließlich den berühmten Ken Hesley von Uriah Heep kennen. Wie genau das zustande kam, ist nicht bekannt. Weitgehend der Wahrheit entsprechen dürfte die Version, dass ein zahlungskräftiger Geldgeber sein Stück vom Krautrock-Kuchen abhaben und unbedingt in der Musikbranche mitmischen wollte. Da Hensley einige Zeit in Hamburg gelebt hatte, besaß er noch gute Kontakte nach Deutschland, und so kam es wohl, dass er von einer Plattenfirma kontaktiert wurde, die zwar ein paar willige Musiker (das Ex-Virus-Trio) und Kohle hatte, aber keine Songs.
Die hatte dafür Ken Kensley, der ohnehin chronische Geldsorgen hatte und das Angebot deshalb nicht ausschlagen wollte.
Schaut man sich die Diskographie von Uriah Heep an, bemerkt man, dass im Jahre 1971 gleich zwei Alben erschienen: Im Januar „Salisbury“ mit ausuferndem Prog-Bombast-Klassikrock, im September das Hardrockalbum „Look at yourself“. Und dazwischen erschien auch das erste und einzige Album der Band, um die es heute geht.: Weed. Erstaunlich daran ist, dass Hensley überhaupt die Zeit für ein Seitenprojekt sowie überhaupt noch Songmaterial hatte.
Hensley ging im März 1971mit seiner Band, die keine war, ins Hamburger Windrose-Dumont-Studio, das anfangs Hörspiele produzierte und dann schnell auf den anrollenden Krautrock-Zug aufsprang Weed war tatsächlich keine Band, sondern einfach der Name des Prpjektes unter Hensleys Federführung. Er schrieb alle Songs, sang sie selbst und haute wie gewöhnlich in die Tasten und klampfte gelegentlich auf der Akustischen. Die anderen Musiker waren einzig engagiert, um ihn zu begleiten: wie Studiomusiker.
Die Besetzung sah aus wie folgt:
Ken Hensley: keyboards, guitars, vocals
Werner Monka: guitars
Bernd Hohmann: flute
Reinhold Spiegelfeld: bass
Rainer Schnelle: keyboards
Peet Becker: drums
Schnelle war ein aufstrebender junger Musiker, der später mit Amon Düül II auf Tour gehen sollte. Peet Becker war als früherer Drummer der Deutschen Band „The Rattles“ kein unbeschriebenes Blatt mehr und genoss in der Musikbranche einen sehr guten Ruf, wie eine Pressemitteilung der Phonogram (weiter unten) bestätigt.
Gerüchte besagen, dass die drei Ex-Viren auf dem Album gar nicht zu hören seien, sondern dass das Album von Hensley mit britischen Studiomusikern eingespielt wurde. Was aber nicht zu beweisen und auch unglaubwürdig ist und außerdem keine Rolle spielt.
Produziert wurden die Aufnahmen von Ralf Goltermann, der bei der Plattenfirma angestellt war. Goltermann hatte zum damaligen Zeitpunkt noch wenig Erfahrung, hatte er aber schon für Frumpy gearbeitet.
An den Reglern saß Werner Claus, ebenfalls ein unbeschriebenes Blatt. Claus hatte zuvor an einem Album der Krautrockband Tomorrows Gift gearbeitet, einer Band, die längst in der Versenkung verschwunden, aber dennoch erwähnenswert ist. Bei dieser Combo verdiente nämlich ein gewisser Carlo Karges seine ersten Sporen, bevor er ein Jahrzehnt später einer der Gründungsmitglieder von … Nena war. Oh Gott, schnell weiter!
Tomorrows Gift war eine sehr interessante Krautrockband, die Hardrock mit progressiven Elementen mischte. Garniert war das Ganze mit der damals unverzichtbaren Querflöte a`la Jethro Tull. Den Gesang übernahm eine gewisse Ellen Meyer, eine wunderschöne Frau mit einer Stimme, die an David Surkamp von Pavlov`s Dog erinnerte. Witzigerweise lebte ich vor vielen Jahren mit dem ersten Drummer der Band, Wolfgang „Zabba“ Lindner in einem Haus.
Aber das ist eine ganz andere Geschichte!
Hier die Tracklist des Original-Albums:
Seite 1
01: Sweet Morning Light
02: Lonely Ship
03: My Dream
Seite 2
01: Slowin' Down
02: Before I Die
03: Weed

Das fertige Album erschien Mitte des Jahres 1971 in der damals üblichen Gatefold-Aufmachung, dessen Cover aber recht wenig ansprechend war. Eine entrückt wirkende Frau, die an Hildegard Krekel aus der TV-Serie „Ein Herz und eine Seele“ erinnert, hält dem Betrachter eine Gabel mit undefinierbarem Grünzeug vor die Nase. Klappt man das Cover auf, sieht man, dass sie das Zeug mit der anderen Hand von einem mit Unkraut gefüllten Teller holt. Der Hintergrund ist blau, zu dem sich typisches Siebziger Orange und Gelb gesellen.
Innen sieht man die 5 strammen Jungs, allerdings ohne Hensley.
Schauen wir die Songs mal ein wenig genauer an
Sweet Morning Light eröffnet das Album mit einem Soundgewitter finaler und abschließender Art, wie man es eher am Schluß eines Rocksongs erwartet hätte. Dann aber beginnt der eigentliche Song erst. Wüsste man es nicht besser, könnte man denken, es liegt eine bisher unveröffentlichte Uriah-Heep-Scheibe auf dem Teller. Sweet Morning Light ist ein typischer Hensley-Song in mittlerem Tempo mit viel Orgel und kreischender Gitarre plus einem recht harten Instrumentalpart in der Mitte. Hensleys Stimme ist an allen Ecken und Enden unverkennbar, besonders aber am spärlich eingesetzten Falsett-Gesang, wenn Ken das hohe „Aaaah!“ anstimmt. Grandios.
Lonely Ship ist eine melancholische und wunderschöne Ballade, instrumentiert nur mit Akustik-Gitarre und Gesang. Der Song reiht sich perfekt in die frühen Hensley-Balladen ein, wie sie auf dem zwei Jahre später erschienenen Soloalbum „Proud Words on a Dusty Shelf“ zu finden sind.
My Dream ist der zweitlängste Track des Albums, was in erster Linie an dem unangenehm und nervig leisen, und auch mit mit drei Minuten überlangen Klavierintro liegt. Der eigentliche Song, der danach folgt, ist mit Hensleys typischem, schleppendem Schweineorgel-Rhythmus im 4/4-Takt, wie sie auf den ersten Alben charakteristisch war, aber ein Sahnestück erster Klasse.
Dann ist Seite 1 leider auch schon zu Ende. Drehen wir also mal um
Slowin' Down ist ein groovy Blues-Rocker, dessen Titel dem Tempo gerecht wird. Der musikalische Stil ist für das Album eher unpassend, lockert das Songgefüge aber ein wenig auf. Hensleys Orgel fehlt hier übrigens komplett. Slowin Down ist für mich einer der schwächsten Songs, da ich mit Blues-Rock wenig anfangen kann und er zudem wie ein Filler anmutet.
Before I Die entschädigt uns anschließend mit einem leider viel zu kurzen Balladen-Meisterwerk, dessen Refrain ein absoluter Ohrwurm ist und gar zum Feuerzeugschwenken anregt. Der Song ist mit Drums, Bass, Orgel und Klavier sehr sparsam instrumentiert, eine Gitarre sucht man hier vergebens. Die letzte, rein instrumentale Minute wechselt den Takt zu 5/4 und erinnert stark an Dave Brubecks „Take Five“ und den viele Jahre später erscheinenden Stranglers-Song „Golden Brown“.
Weed ist mit über 7 Minuten der längste Track des Albums und wartet mit einem kraftvollen Hardrock-Intro und knallharten Riffs auf, das satte dreieinhalb Minuten dauert. Danach wird es erstmal ein wenig ruhiger und entspannter. Jedoch nicht lange, denn die letzten beiden Minuten kehren musikalisch wieder zum Anfang zurück und die Gitarren jaulen und kreischen nur so, wie sie es in den Siebzigern konnten. Weed ist der einzige Instrumentaltrack des Albums, auch die obligate Orgel fehlt.
Und dann ist diese tolle Platte auch leider schon aus
Das unbetitelte Debutalbum sollte das einzige der Band, die eigentlich keine war, bleiben. Hensley und die Musiker gingen nach dem Release getrennte Wege. Es gab weder Singles noch Live-Auftritte, es gab nur diese einzige Platte, die aber auch recht bald in der Versenkung verschwand, inzwischen aber Kultstatus erreichte. Die Platte avancierte zum begehrten Sammlerobjekt. Die Original-LP in allerbestem Zustand bekommt man für mindestens 1200€! Nicht schlecht.
Die Plattenfirma Phonogram ließ sich mit vielversprechenden Pressemitteilunge nicht lumpen, um Käufer anzulocken, wie der folgende Pressetext veranschaulicht:
„Obwohl deutsche Bands immer gefragter werden, ist es immer noch die Ausnahme, dass Platten deutscher Popmusiker international erfolgreich werden. Der Band „The Rattles“ gelang 1970 mit dem Album „The Witch“ dieses Kunststück. Der Schlagzeuger dieser Aufnahme ist Pete Becker, und da diese mittlerweile Gold verdient hat, ist es nicht verwunderlich, dass Peet als der Schlagzeuger mit dem goldenen Arm bezeichnet wird. Deshalb verdient jede Aufnahme der neuen Band Weed unsere Aufmerksamkeit: Peet ist das rhythmische Rückgrat dieser Band, und wo immer Peet am Schlagzeug sitzt...“
Alle Pressemitteilungen und auch die Album-Credits selbst ließen Hensley stets außen vor. Stattdessen wurde Weed zu einer aufstrebenden Krautrockband stilisiert.
Die britische Presse war recht angetan und attestierte der Band, dass sie wie eine Mischung aus Guru Guru und Status Quo klingen. Was natürlich Unsinn ist. Der einzige Song, der an Status Quo erinnert, ist der Blues-Rocker „Slowin' Down“. Psychedelische Klänge wie bei Mani Neumeiers Band sucht man vergeblich.
Für den unter chronischem Geldmangel leidenden Hensley war Weed übrigens nicht der einzige Seitensprung bei Uriah Heep. 1970 erschien das Album „Orgasm“ der Band „Head Machine“, die aus lauter illustren Größen der Musikbranche der Siebziger bestand, die allerdings ausnahmslos unter Pseudonym auftraten. Hensley war als Ken Leslie für die Songs, Gesang, Keyboards und Gitarre zuständig. Kollege Lee Kerslake von Uriah Heep trommelte als Lee Poole. Der spätere Jethro-Tull-Bassist John Glascock zupfte als John Leadhen den Bass und sein Bruder, Brian, war der zweite Drummer und firmierte als Brian Poole. „Orgasm“ ist ein wenig roher als Weed, geht aber in die gleiche Richtung. Auch Hensleys Motivation war die gleiche: das liebe Geld. In einem Interview sagte er später einmal, dass beide Alben nur zum Geldverdienen gewesen seien und ihn nichts Persönliches damit verband. Weed, sagte er, ist ein Album, das er nach den Aufnahmen aus seinem Gedächtnis strich:
„Beide Projekte waren einfach Songs für Geld. Leute, die ich kannte, brauchten Songs, und ich brauchte Geld. Von meiner Seite gab es wenig bis gar keine emotionale Beteiligung. Aber es half, die Miete zu bezahlen, und ich habe auf diese Weise viel gelernt. Ich würde sie nicht als die Krönung meiner Karriere bezeichnen, aber irgendwie sind sie für sich genommen wertvoll geworden.“
Weed war von Anfang an als kurzlebig gedacht, auch wenn die Phonogram überschwenglich meinte:
„Die LP wird eines Tages pophistorischen Wert haben, denn sie dokumentiert, wie eine Gruppe talentierter Musiker zu einem gemeinsamen Nenner kam und mit ihrer ersten Aufnahme eine vielversprechende Produktion mit ganz eigenem Sound ablieferte.“
Ein wenig dick aufgetragen, aber werbewirksam. Außerdem suggerierte es dem potentiellen Käufer, dass es sich bei Weed tatsächlich um eine aufstrebende Band aus Deutschland handelte. Weed verschwanden nach dem Album und geriet in Vergessenheit.
Mir selbst waren Band und Album völlig unbekannt, bis ich letztes Jahr beim Recherchieren darauf stieß. Mit knapp 30 Minuten ist die Platte zwar recht kurz, sie lohnt sich aber auf jeden Fall.
Was wurde aus den Beteiligten?
Ken Hensley nahm 1973 ein zweites Soloalbum auf, das unter dem Titel „Proud Words on a dusty Shelf“ erschien, sich aber leider nicht besonders gut verkaufte. Hensley verließ 1980 Uriah Heep, veröffentlichte ein drittes Soloalbum und zog in die USA, wo er sich der Southern Rock-Band Blackfoot anschloss, bei der er bis 1985 blieb. Danach wurde es ruhiger um Ken. Gelegentlich war er als Gastmusiker, z.B. auf einem Album der Band W.A.S.P. zu hören. Hensley war ab Mitte der Neunziger wieder aktiver, veröffentlichte weitere Soloalben und arbeitete kurzzeitig mit seinem früheren Bandkollegen John Lawton zusammen. Leider verstarb Hensley im Jahre 2020 überraschend.
Werner Monka verkaufte sein Equipment um sich ein Flugticket nach Indien zu kaufen und änderte seinen Namen in Govinda, kurz Govi, eine Art Beinamen des Krishna, der als Beschützer der Kühe gilt.
Bernd Hohmann war in den Neunzigern mit vier Songs auf einem Compilation-Album mit so genannter Biker-Music zu hören und brachte zwei EP`s heraus.
Reinhold Spiegelfeld war kurzzeitig Bassist bei der österreichischen Band Tomorrow und 2018 bei der Metal-Band Teufelskreis.
Rainer Schnelle ging mit Amon Düül II und Atlantis auf Tour, bevor er 1974 nach Boston umsiedelte, um am Berkley College Musik zu studieren. Zwischen 1980 und 1985 war er Live-Keyboarder für Eartha Kitt, veröffentlichte mit der Band Tomato Kiss 1986 ein Album und gründete schließlich das Rainer Schnelle Trio, die klassischen Barjazz spielten.
Peet Becker schloß sich in den Achtzigern der Band Oasis (nein, nicht den gräßlichen Gallagher-Brüdern) an, einer kurzlebigen Band, die einen stilistischen Mix aus Ethno und Deutschrock spielten.
Das wars mal wieder für heute. Beim nächsten Mal geht es um unheilige Weihnachten!!!
© by Ringo Hienstorfer (10/2025)
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