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„Der kann jeden Moment EXPLODIEREN!“

„Der kann jeden Moment EXPLODIEREN!“

Zum STAR WARS-Tag 2025

 

Am 7. Dezember 2012 wurde das Eislinger Schlosstheater abgerissen.

Für unsereins war das ein rabenschwarzer Tag, denn damit endeten 60 Jahre Eislinger Kinotradition insgesamt und rund 25 Jahre Programmkinozeit plus die coole „Bogey`s Bar“ … und unsere total unbeschwerte Kinder- und Jugendzeit gleich mit. Und Weihnachten 2012 war damit auch geschrottet. Außerdem verschwand ein Gebäude aus dem Stadtbild, das bei seiner Einweihung 1952 als hochmoderner Kulturtempel und Stadthalle zugleich galt – vor allem aber DAS Kino mit den 500 Sitzplätzen war.

Und vor allem um Kino … und last but not least auch um STAR WARS soll es hier gehen. Und um eine bunt zusammengewürfelte Horde Jugendlicher, die es mit ihren Eltern aus der ganzen Welt nach Eislingen im malerischen Filstal verschlagen hatte, wo sie mich, den Ureinwohner, als Menschen und Freund so akzeptierten wie ich sie akzeptierte. Und in ihre Gemeinschaft aufnahmen. Auch wenn wir uns oft mit Händen und Füßen und in den Sand gekritzelten kryptischen Skizzen verständigen mussten (und eine Menge Spaß damit hatten, solange das Gegenüber so richtig schön auf der Leitung stand, und erst recht, wenn dann die Glühbirnen im Oberstübchen des Gegenübers hell aufleuchteten und das Verstehen dessen oder deren Gesicht wieder in ein menschliches zurück verwandelte).

Diese verschworene Gemeinschaft existiert bis heute, egal, wo auf der Welt jeder von uns gelandet ist. Während viele Freundschaften mit einstigen „besten bioschwäbischen Freunden“ sanft entschlummert sind, weil „normale“ Schwaben halt Karriere machen, heiraten, Kinder bekommen, auf Kredit ein Haus kaufen, CDU oder FDP wählen und fortan alle Zeit in die Familie bzw Gymnasial-Karriere der Kinder investieren und für Freundschaften keine Zeit“fenster“ mehr haben.

Nun traf man sich natürlich auch mit den „normalen“ schwäbischen Freunden zu Kinobesuchen plus Pizzaessen davor (oft) oder danach (seltener, weil – „ … du, äh, meine Frau wartet, und die wird sauer, wenn ich nach dem Film zu spät heimkomme …“)

 

Deshalb bin ich Fan der Theorie: „Schuld“ an der bunt zusammengewürfelten, aber fett verschworenen Gemeinschaft sind diese beiden Kinos, das Schlosstheater und das Roxy – weiter im Norden der Stadt gelegen und eher nicht so gut beleumundet –, auch, weil es in einem uralten, heruntergekommenen Gebäude untergebracht war, das zur Hauptstraße hin eine NORMA-Filiale war (in der man die Chaostherapie im Praxisdauertest bestaunen konnte) und sich nur im rückwärtigen Teil als Kino zu erkennen gab, mit einer steilen Treppe, die zu den bunten und immer hochinteressanten Filmplakaten von „Black Emanuelle“ hoch führte, und der bei Einlass Mittwochmittags stets viel zu schmalen Tür in den dunklen Saal mit dem riesigen Bollerofen vorne, links neben der eher bescheidenen Leinwand.

Einer meiner Freunde boxte mir jedes Mal gern gegen die Rippen, sooft wir auf dieser Seite der Sitzreihen abwärts und nach vorn stürmten, um die besten Plätze gleich mal in Beschlag zu nehmen. „Ey Mann, Towarischtsch“, warnte er dabei genauso regelmäßig mit seiner kehligen Art zu sprechen, „dir ist schon klar, dass wir für diesen Fuzzy oder Django hier drin unser Leben riskieren, oder?! Schau dir die Feuerglut in diesem Ofenfenster an. Wir studieren die Frisur von Black Emanuelle oder die Schlagtechnik von diesem Bud Spencer, und dabei kann dieses Ding jederzeit EXPLODIEREN!“

Und jeder von uns, der das hörte, stöhnte genervt und brüllte: „Na und?! Ey! Was für ´nen bessren Tod kann`s geben, Alter?!“

Und jeder meinte es genau so.

 

Okay, rückblickend war das Roxy ein schäbiger Ort, um den die braven Bürger der Stadt bestimmt einen Bogen schlugen und sich dabei heimlich vielleicht sogar noch bekreuzigten. Für uns aber war es trotzdem – oder gerade deshalb – so etwas wie ein zweites Zuhause voller Magie, in dem wir mehr für`s Leben lernten als daheim und in der Schule zusammen. Obwohl wir da auch alle schwer bei der Sache waren. Schließlich hatten wir um ein großes Lagerfeuer sitzend, in dessen Glut Kartoffeln darauf warteten, mit schwarz verkrusteter Schale verschlungen zu werden, beschlossen, erstens, dass wir nicht ewig das katholische Sonntagsblättchen austragen wollten, um uns Kinobesuche leisten zu können und uns, zweitens, auch nicht länger als unbedingt nötig mit hochbetagten, mürrisch bis bösartigen Betschwestern herumschlagen wollten, die uns beim Pfarrer anschwärzten, sobald ihre katholische Wochenend-Lektüre mal fünf Minuten zu spät im Briefkasten landete. Was leider öfter vorkam, denn in diesen handy-freien Jahren gab es jede Menge lebensechte Ablenkungen. So musste beispielsweise in einer geschotterten Seitenstraße noch kurz gegen jene Typen eine Runde Fußball gespielt (und gewonnen!) werden, die uns immer „Scheiß-Loser“ und „Zigeuner“ hinterher brüllten. Und uns, sofern sie einen von uns mal allein erwischten, gerne hingebungsvoll verprügelten.

Ab dem Jahr 1973 mussten wir oft auch dringend noch am Bahnhofskiosk vorbei joggen und nachsehen, ob der neueste MACABROS-Heftroman schon veröffentlicht war und im Schaufenster hing – während hinter uns aus dem stets offenen Bahnhofsklo entsetzlichste Duftschwaden für Grusel-Stimmung sorgten und das intensivere Studium des aktuellen Playboy- oder Penthouse-Covers krass verkürzten. Es schreckte uns nicht dauerhaft, denn auch die seit 1968 im Zauberkreis Verlag erscheinende LARRY BRENT-Gruseloman-Serie musste im Auge behalten werden, bot sie uns doch immer mal wieder Stoff für heiße Diskussionen, erst recht, nachdem uns 1974 die Kunde erreichte, dass ein Christoph Schlingensief mit gerade mal 14 Jahren den Brent-Roman „Das Totenhaus der Lady Florence“ verfilmte – als Amateur!

Danach wollten wir natürlich alle ins 8 Millimeter-Filmbusiness einsteigen und den Job als Kirchenblättle-Austräger endgültig fristlos an den Nagel hängen.

 

Als ich durch einen irren Zufall Christoph kurz vor seinem Tod am im August 2010 in Berlin traf (damals war er 49) und ihm das erzählte, schmiss er sich fast weg vor Lachen. Damals war er schon ziemlich schwach, trotzdem witzelte er darüber, dass der reale Horror – Lungenkrebs, zum Beispiel – eben immer noch der wirkungsvollste und eindrücklichste sei, das habe der zum Glück nicht wegen Krebs im Rollstuhl sitzende Jürgen Grasmück alias Dan Shocker schon gewusst, als er seine Brent- und Macabros-Romane geschrieben habe, und wenn er, Schlingensief, das damals auch schon gewusst hätte, dann hätte er seinen „Amateurfilm“ anders aufgezogen, und vermutlich auch mehr Horrorfilme a la „Das deutsche Kettensägenmassaker“ (1990) gedreht und nicht „Tunguska – Die Kisten sind da“. Auch hätte er wohl auf den Job als Erster Aufnahmeleiter der TV-Serie „Lindenstraße“ verzichtet und diese Zeit anders genutzt.

Bei einem Espresso riss er dann noch ein paar Witzchen darüber, dass der WDR seinen Film „Das Totenhaus der Lady Florence“ ausgestrahlt hatte und derselbe 1991 sogar auf dem Internationalen Kurzfilmfestival Berlin der Interfilm Berlin gezeigt worden war – und dass kein Mensch mehr davon sprach, dass sein Erstling von einem „Schundroman“ angeregt worden war. Was seiner Meinung nach viel über Filmkunst und den Kulturbetrieb aussage.

Aber zurück in die Niederungen der schwäbischen Provinz …

Da zeigten sich Schund, Kunst, Kultur sehr leibhaftig in den eingangs erwähnten Eislinger Kinos.

 

Während im Schlosstheater „Tarzan“-Filme (mit Gordon Scott!), „Winnetou“ I–III, „Sissi“, „Doktor Schiwago“, „Casablanca“, „Ben Hur“, „Cleopatra“ und „Vom Winde verweht“ auf einer edlen gigantischen Leinwand präsentiert wurden (und später, als die Geschäfte nicht mehr so gut liefen, zu später Stunde durchaus auch die „Schulmädchenreport-Aufklärungsfilme“ ins Programm nachrückten), brachten die coolen Roxy-Macher ohne falsche Scham vorzugsweise Filme mit eher historisch geprägten Titeln wie „Monty Python`s Leben des Brian“, „Ritter der Kokosnuss“ und, sozusagen als Kontrastprogramm für den weniger intellektuell angehauchten Kinofreund, „Sonne, Sylt und kesse Krabben“ mit Ingrid Steeger in einer ihrer anspruchsvolleren Rollen (vor ihrem großen Durchbruch als „Klimbim-Ulknudel der Nation“), Roger Corman-Filme (die uns allesamt total ausflippen ließen!), Louis de Funés „Fantomás“-Serie, und natürlich die unsereins auch nicht wenig prägenden „Cheech und Chongs viel Rauch um nichts“-Kultfilme. Dazu Sergio Leone- und „Django“-Western, Terence Hill- & Bud Spencer-Werke, dazwischen dann mal „Easy Rider“, oder „Einer flog über`s Kuckucksnest“ … und dann wieder echte Action-Historienspektakel wie „Maciste und die Königin der Nacht“ von Antonio Leonviola mit Bodybuilder Mark Forest in der nicht unbedingt dialoglastigen Hauptrolle, und der geniale Abenteuerfilm „Jason und die Argonauten“ mit diesen ruckartig kämpfenden puzigen Skeletten und der Tricktechnik, über die wir monatelang diskutierten, sogar noch intensiver als über Rosemaries schönste Körperregionen. Obwohl natürlich auch die nicht vergessen waren. Als sie heiratete, war die ganze Rasselbande eingeladen, und jeder einzelne von uns riet ihrem Bräutigam absolut glaubwürdig, dass er sich dieser tollen Frau bloß würdig erweisen soll. Das tat er. Und im Gegenzug durfte er mit uns auch jederzeit ins Roxy oder Schlosstheater, Filme bis zum Abwinken gucken. Andererseits bekam jeder von uns, der mit einer Freundin ankam, von ihm zu hören: „So, Alter, und jetzt denk mal immer schön dran, was meine Rosemarie dir beigebracht hat.“

Also, so in etwa …

Wie auch immer. Davon abgesehen war das Gute für uns: im Erdgeschoss des Schlosstheaters war der NANZ-Markt untergebracht, im Roxy die NORMA. Hier wie dort arbeiteten Verwandten von einem von uns. Die großzügige Versorgung mit Coke, Gummibärchen, Kaugummi und überhaupt allem, was damals unserer Meinung nach eben unbedingt zu einem gelungenen Kinobesuch dazugehörte, war also immer gesichert. All das düngte unsere Phantasie nachhaltig. Genres oder Grenzen gab`s nicht für uns.

Dass man sich vor dem Kinobesuch unweit des Pfarramts auf dem Spielplatz im „Pfarrgässchen“ traf – logisch. Dass einer immer einen der damals hochmodernen Single-Plattenspieler dabei hatte, den wir in der Schreinerei nebenan ans Stromnetz anschließen durften, sofern wir nur versprachen, die Rolling Stones mit „Sympathy for the Devil“ oder Creedence Clearwaters „Run through the Djungle“ oder „Have You Ever Seen the Rain“ laut genug aufzudrehen. Und oft genug zu spielen.

Was dann die Betschwester, die neben der Schreinerei residierte und häufig mit einem Opernglas auf ihrem Balkon stehend zu bewundern war, kurz bevor sie im Dunkel ihrer Wohnung verschwand, „um unseres Seelenheiles willen“ (wie sie meinen Eltern treuherzig versicherte), den Herrn Pfarrer über das Tun seiner „Sonntagsblättle“-Austräger in Kenntnis zu setzen …und eben insbesondere meine Eltern, weil „… der Martin ja der einzige Einheimische unter diesen wilden Kindern ist“.

Wir legten trotzdem oft zusammen und kauften ihr ein paar Tulpen, was sie bis zu ihrem Tod wohl nicht verstehen konnte. Wir erzählten uns gegenseitig von unseren Ländern und schworen heilige Eide, uns diese Länder mit eigenen Augen anzusehen. Und wir hielten diese Eide. Wir kochten über`m offenen Lagerfeuer füreinander. Und weil unsere Eltern zu schüchtern dazu waren und an den Storch oder noch Aberwitzigeres glaubten, klärten wir uns gegenseitig auf. Das aberwitzigste und nachhaltig beeeindruckendste Erlebnis in diesem Kontext war der Auftritt von Rosalya, der überaus beeindruckend beleibten Schwester eines meiner jugoslawischen Freunde, der bodyshaming damals schon völlig fremd war. Die zog sich aus, und als einer nervös kicherte, fuhr sie uns alle an: „Der einzige wirklich wesentliche Unterschied von mir zu euch isch, nur damit ihr`s gleich wisst, dass ich schon in einem Alter bin, wo ich mich rasiere!“ Und dann erläuterte sie uns weitere Details, in aller Ruhe. Danach war „Black Emanuelle“ so schnell nicht wieder unser Thema der Woche. Nicht mal, als sie in einem ihrer Abenteuer mit Kannibalen fertigwerden musste.

Tja.

Und in dieses kulturelle Chaos hinein ballerte ein gewisser George Lucas 1977 dann STAR WARS …

Muss ich erwähnen, dass dieses Meisterwerk erst im Februar 1978 in Eislingen im Schlosstheater gezeigt wurde? Wochenlang?

Oder, dass eine gewisse wild zusammengewürfelte Horde Jugendlicher inclusive eines „Einheimischen“ vollends freidrehte und überwiegend über Kino, Rosalya, Bücher, Rosalya, Kino, Heftromane, Rosalya fachsimpelnd anzutreffen war?

Bis dahin hatten einige von uns auch an den Perry Rhodan-Raketenheftchen Gefallen gefunden und waren sogar in die damals üblichen Clubs abgedriftet, oder hatten so einen gegründet, der Einfachheit halber gleich mit sich selbst als „Großadministrator“, Chefredakteur, Kontakter und Vorstandsmitglied. Jüngere Brüder oder Schwestern wurden zwangsrekrutiert, ob sie wollten oder nicht. Ein verwischter Daumenabdruck auf dem Mitgliederausweis genügte als Zeichen ihres Einverständnisses – und sorgte in manchen Familien, wie bis heute zu hören ist, für gewisse Traumata und Spannungen.

Aber nach dem KRIEG DER STERNE reagierten wir alle nur noch, wenn wir mit Luke, Han oder Chewbacca angesprochen wurden. Nur Rosalyas Bruder beharrte darauf, dass er nun Leia hieß. Und weil wir seine Freunde seien, könnten wir uns seinen offiziellen Titel Prinzessin sonstwo hinstecken.

Einige kicherten nervös und verwiesen auf „Das Leben des Brian“. Aber egal. Auch als Leia war er einer von uns. Und blieb es. So einfach war das.

Nach dem KRIEG DER STERNE waren wir alle Skywalkers. Oder Jedi-Meister Yoda – weil „der (dank des großartigen Puppenanimators Frank Oz, der Yoda im Original seine Stimme lieh) Yoda“ eh so palaverte wie viele von uns im Alltag laberten, und trotzdem und unabhängig von seiner Art zu reden, gehört und geliebt wurde.

Die Macht war mit uns.

Und ist es, bis heute.

Auch deshalb hängt bei nicht wenigen aus unserer bunt zusammengewürfelten wilden Horde auch heute noch der überaus weise Spruch des großen Jedi-Meisters Yoda alias des schon in jungen Jahren äußerst genialen George Lucas über`m Schreibtisch: „Follow your bliss. Do the thing where you sit down at 8 a.m. and then you realize you`re hungry and you look up and it`s 10 p.m. – If you find something you love that much, it doesn`t matter what you do.”

Ich hab meine ganze berufliche Existenz darauf aufgebaut.

Bis heute liebe ich die Original-Trilogie, aber nur wenig von dem, was Disney viel-viel später abgeliefert hat.

The Mandalorian“ gehört dazu. Und „Andor“.

Aber die wahre Macht kam im Kino 1978 über uns. In uns. Und mich.

Copyright © 2025: Martin Eisele

 

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