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Der Harry-Potter-Hype

Zauberwort

Der Harry-Potter-Hype

Die Harry-Potter-Mania wird mit der heutigen Nacht einen vorerst letzten Höhepunkt erreicht haben, denn in dieser Nacht hat in Deutschland der Verkauf des deutschsprachigen Hary Potter Bandes Nr. 7 begonnen. Punkt Mitternacht gingen die ersten Bücher während der diversen Harry-Potter-Partys über den Ladentisch. So amüsant und verkaufsfördernd ein solches Event auch sein mag (siehe unseren Bericht von einem Besuch in der Thalia Buchhandlung unseres Vergnügens in der Kasseler Innenstadt), im Grunde entgeht mir der tiefere Sinn dieses ganzen Aufstands.

Cover Harry Potter 7Wie die anderen deutschsprachigen Bücher ist auch "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" (Englisches Original: "Harry Potter and the Deathly Hallows") im Carlsen-Verlag erscheinen. Damit sind die sieben Bände nun alle in Deutsch erhältlich. 768 Seiten, knapp 25 Euro, gigantischer Aufwand.

Ein bisschen Hintergrund: Nicht zu unrecht sagt der Carlsen-Geschäftsführer J. Kaufmann, dass es auf dem Buchmarkt noch nie einen Erfolg wie Harry Potter gegeben habe. Die Veröffentlichung eines neuen Harry-Potter-Bandes im Carlsen-arabische Ausgabe, Harry Potter und der Stein der WeisenVerlag sorgt dafür, dass sich der jeweilige Jahresumsatz des Verlags verdoppelt. Es gibt Harry Potter in 64 Sprachen und 325 Millionen Bände weltweit wurden von den ersten sechs Bänden verkauft. Die deutschsprachige Ausgabe wurde in einer Erstauflage von drei Millionen produziert und in die Buchhandlungen geschafft. Postboten sind unterwegs, um die Bände bei den ungeduldig wartenden Fans abzuliefern. Schon von der englischsprachigen Version des siebten Bandes sind in Deutschland an einem einzigen Wochenende 400.000 Exemplare verkauft worden.

Zweifelsohne ist es auch dem überwältigenden Erfolg der Reihe zu Mitternacht - Harry Potter Band 7 wird enthülltverdanken, dass Fantasyromane eine (neue) Hochzeit und einen regelrechten Boom erleben. Dabei gab es bereits vor den Büchern von J.K. Rowling wunderbare Buchserien mit dem Kernthema Fantasy; Cornelia Funke als Beispiel für eine deutschsprachige Autorin, Terry Pratchett als einen eher humoristisch, ironisch angelegten Schöpfer der Scheibenwelt oder die englische Autorin Diana Wynne Jones, die unter anderem bei C.S. Lewis oder Tolkien studierte. Rowling hat Fantasy nochmal in ganz anderem Maße „salonfähig“ und zu einem Kassenschlager gemacht. Vermutlich ist dies einer der Hauptgründe für die immense Masse an Veröffentlichungen in diesem Genre – es verkauft sich. Gut für uns Fans, wir haben Lesefutter en gros et en details. Weniger gut für unsere Geldbeutel. Ich glaube, ich muss nicht extra erwähnen, dass ich gestern Nacht natürlich nicht ohne bezahlte Beute in Form von zwei Büchern die Buchhandlung verlassen habe. Mir haben die Augen getränt ob all der Bücher, die ich leider nicht kaufen konnte – ein Harry Potter war nicht dabei. Ich war standhaft.

Harry Potter - Quelle: CarlsenJA, IST JA GUT ... Ich gestehe, es war auch gar nicht nötig ihn gestern Nacht zu ergattern - ich habe sie ja schon alle gekauft, alle sieben Bände. Und ich habe den siebten Band nicht nur bereits auf Englisch gelesen, ich gehörte zu den "Irren", die ihn im Original zur Nachtlieferung gebucht hatten und mit einem begeisterten Quieken Samstag Morgens wieder im noch schlafwarmen Bett verschwunden sind, nachdem ihn ein freundlicher Postbote um acht Uhr Samstag Morgens wie versprochen abgeliefert hatte.

Warum ich das getan habe? So wirklich, auch das muss ich gestehen, weiß ich es gar nicht. Harry Potter ist Kult, ich stehe eigentlich nicht auf Kult. Ich bin eine von denen, die Dirty Dancing damals nicht im Kino gesehen haben - weil alle reinrannten. Ich habe damit aufgehört Bassetti zu kaufen, als die Stoffe in allen Werbefilmchen und -fotos auftauchten. Ich bin weder ein Fan von Sushi, noch von Lachs, bei Monrose, Mark Medlock, oder wie sie alle heißen, bekomme ich Ausschlag, und Hosen mit Straßsteinchen und Stickerei rechts und links die Beine runter fand ich albern. Wahlweise darf man alle anderen Hypes hinzufügen.

Harry-Potter-Party in KasselWarum dann also? Ist es doch, "weil's alle machen" und man unbedingt vor den anderen wissen will, wie's ausgeht? Weil es „cool“ ist zu erzählen, dass man das Buch in Englisch bereits gelesen hat, bevor es die anderen auf Deutsch überhaupt kriegen? Und die Antwort lautet: JA, zweifelsohne hat das damit zu tun. Ein Freund, der praktischerweise nicht ausreichend gut Englisch spricht, rief bereits wenige Tage später an: "Bettinchen ... wer stirbt denn nun?" Und mit einem gewissen selbstgefälligen Grinsen konnte man vermelden, dass man es bereits wusste. Die zweite Frage war da schon wesentlich schwerer zu beantworten: "Und wie ist das Buch?"

Es ist im Grunde nix Besonderes, weder hat es mich vom Hocker gerissen, noch war ich über die Auflösung sonderlich überrascht. Ich halte J.K. Rowling für eine durchschnittlich gute Autorin, ihre Sprache fasziniert mich nicht in dem Maß, wie es zum Beispiel bei Tintenherz der Fall war, ihre Geschichte ist gut konstruiert und soweit ich es durch die verschiedenen Bände verfolgen konnte, hat sie die Handlungsstränge und Geheimnisse abgeschlossen und aufgelöst. Bei mir blieben eigentlich keine Fragen offen (mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass Dumbeldore nach den letzten Erklärungen von J.K. Rowling während einer Lesung in New York homosexuell gewesen sein soll - gibt es allen Ernstes Leser, die diese Frage interessiert?!?)

Ich habe es mir gestern Nacht nicht nehmen lassen, ein paar Anwesende auf der Potter-Party danach zu fZiel erreicht - sie hält einen Band in ihrer Handragen, was ihrer Meinung nach die Faszination ausmacht: Die Antworten reichten von „es ist eine in sich runde Welt“, man findet keine Brüche oder Fehler, die einen aus dem Genuss herausreißen, es sei einfach spannend und faszinierend, bis hin zu "Weiß ich gar nicht so genau". Man kann in eine andere Welt eintauchen und ist damit aus der eigenen für einen Moment verschwunden. Eine Mutter mit zwei erwartungsvollen Töchtern erklärte, dass es bei jedem Band von Neuem einen Kampf darum gibt, wer ihn zuerst lesen darf. Morgen früh ist sie dran, denn dann gehen die Töchter in die Stadt shoppen und sie hat das Buch für sich. Für sie bestehe die Faszination darin, dass ihre Töchter im gleichen Alter wie Harry und seine Freunde wären und es sei sehr schön – und vielleicht auch beruhigend für die Mutter :-) – zu sehen, dass andere Jugendliche mit den gleichen Problemen des Erwachsenwerdens zu kämpfen haben.

Damit sind eine ganze Reihe der Gründe genannt, die meiner Ansicht nach den Hype ausmachen.

Faszination Harry PotterZunächst ist es der Effekt der Serie. Man will schlicht und ergreifend wissen, wie es weitergeht. Die Bücher sind dick, die Gestalten wachsen einem ans Herz, und man kann sich kaum damit abfinden, dass sie nach dem Punkt des letzten Satzes auf der letzten Seite ihr Leben ohne uns weiterführen und aus der Gemeinschaft mit uns verschwinden. Schließlich ist man in ihre Welt eingetaucht und hat mit ihnen gelitten und gebibbert. Fantasy kann sich heute fast nur noch als zumindest auf Trilogie angelegte Serie verkaufen. Bücher müssen dick sein, unter 1000 Seiten geht fast gar nichts mehr. Der Leser erwartet es – wir sind „gebrieft“. Und es macht ja auch einen gewissen Sinn: Die Gestaltung der fremden Welt braucht ihre Zeit und das (be)schreibt man nicht mal eben so auf 500 Seiten.

Mädchen in HexenoutfitIn den letzten (inzwischen sind es zehn) Jahren haben wir Harry Potter begleitet – und er uns. Viele Jugendliche sind gemeinsam mit ihm groß geworden – und älter. Dabei sind die Harry-Bücher aber alles andere als reine Entwicklungsromane im Sinn eines Buches über das Erwachsenwerden. Geschickt verbindet J.K. Rowling verschiedene Genres und setzt viele Elemente der klassischen englischen Internatsliteratur ein, ebenso Kriminalgeschichten, Fantasy. Zutaten also, die eine breite Leserschaft ansprechen.

Harry Potter lebt eigentlich in zwei Welten. Da ist zum einen die „menschlich normale“ Welt, repräsentiert vor allem natürlich durch seine Verwandten in Little Whinging. Die Dursleys sind der Inbegriff einer bürgerlich-spießigen Welt, mit einem Vorstadthäuschen in einer Vorstadtstraße in einer Vorstadtsiedlung von London. Die drei Dursleys vereinen in sich alle negativen Eigenschaften, die man von einer solchen Familie erwartet und es macht einem eine gewisse diebische Freude zu lesen, wie sie durch absurde Zwischenfälle ihre gerechte Strafe erhalten.

Gleichzeitig gibt es da die Zauberwelt als Gegenentwurf. Man kann sich schnell mit Harry und Warten in der Schlange - und dann fiel auch noch der Strom ausseiner menschlichen Seite identifizieren und im Erleben der magischen und spannenden Aktivitäten in seinen eigenen Wunschvorstellungen „baden“. So gelingt es einem, in dem eigenen so wenig zaubervollen Leben stellvertretend Harry die magischen Abenteuer erleben zu lassen. Nicht nur Kindern gibt die Welt der Illusion und Fantasie gibt die Möglichkeit, aus der eigenen, oft harten und ungerechten Umwelt, auszusteigen. Und sie können sich vor, während und nach dem Lesen selbst aktiv erleben: Sie zaubern mit und finden sich in eine riesige Gemeinschaft von Fans eingebunden, die über alle Grenzen und Länder hinweg Gemeinsamkeiten hat.

Man hat die Möglichkeit, in eine unbekannte Welt abzutauchen, die ausreichend weit von unserem Alltag entfernt ist, um die Probleme und Schwierigkeiten, die wir haben, für Momente zu vergessen. Dabei gibt es eine ganze Menge Anklänge und Verbindungen zu unserem täglichen Leben, seien es die Herausforderungen der Pubertät mit Pickeln und schwankenden Stimmungen, Schulnoten oder zwischenmenschliche Probleme mit den Draco Malfoys oder Crabbes und Goyles dieser Welt.

Sicher stillen wir Fantasyliebhaber durch das Verschlingen der Bücher auch spirituelle Bedürfnisse in einer modernen Gesellschaft, die sich rühmt, immer weniger spirituell verankert zu sein. Hier mündet man in die Diskussion in den verschiedensten religiösen und pädagogischen Ebenen ein, die sich mit dem Thema der entmythologisierten und damit auch zunehmend ankerlosen Welt beschäftigt. Diese Diskussion finde ich besonders spannend, kommen wir mit der Frage nach dem modernen Menschen und seinen Bedürfnissen doch mitten in eines meiner Lieblingsthemen (siehe H.E. Richter "Der Gotteskomplex").

Der Verkauf läuft auf vollen TourenUnd – last but not least – ist Literatur und das Schreiben und Verlegen derselben ein riesiges Geschäft. Gerade deshalb ist es interessant zu erwähnen, dass Rowlings Erstauflage mit nur 1.000 Exemplaren startete. Damit reiht sie sich in die Kleinstauflagen unbekannter Autoren ein, die einen visionären Literaturagenten finden, der an sie glaubt. Erst nach zwölf vergeblichen Versuchen und zwei Jahre später konnte Christopher Little (der visionäre Agent mit dem richtigen Riecher) bei Bloomsbury landen. Zu diesem Zeitpunkt war der mittlerweile zu einer ganzen Verlagsgruppe angewachsene Verlag erst knapp zehn Jahre alt. Eine Finanzspritze des schottischen Kulturrates von 8000 Pfund ermöglichte es J.K. Rowling, mit dem zweiten Harry-Potter-Band zu starten. Dann ging es los. Wenig später kaufte der amerikanische Verlag Scholastic den ersten Potter für 100 000 Dollar. Dies zeigt, dass es (noch) möglich ist, als unbekannter Autor berühmt (und reich) zu werden.

Der große Hype wird ausgelöst und angefeuert durch ein ausgesprochen geschicktes Merchandising und eine erfolgreiche Werbung. Es sind 400 verschiedene Harry-Potter-Merchandising-Artikel im Verkauf. Man vermutet, dass bisher rund 11 Milliarden Dollar durch den Verkauf von Merchandising-Produkten der Harry-Potter-Welt erwirtschaftet worden sind. Ausgeweitet wird der potenzielle Lesermarkt noch durch Filme, Hörbücher, Computerspiele, eine gigantische Merchandisingmaschinerie hat sich des Buchmarktes angenommen. Die Fanbindung funktioniert. Der Carlsen-Verlag hat Eine Hexe im Einsatz - Buchhändlerin während der Präsentationes zum Beispiel den Lesern überlassen, mit welchem Cover der letzte Harry-Potter-Band erscheinen wird. Die Illustratorin Sabine Wilharm hatte zwei Entwürfe im Internet zur Abstimmung gestellt. Eine Möglichkeit zur Mitbestimmung, die sich kein Hardcore-Fan entgehen lässt.

Und der Hype ist noch nicht zu Ende. Vermutlich wird 2010 der letzte Film in die Kinos kommen, dann hat Harry Potter mich 13 Jahre begleitet. NEIN, ich werde mir den Film nicht im Kino anschauen – denn das ist ja dann wieder Kult *schmunzel*.

Was schließe ich nun aus allem? Habe ich eigentlich die Frage beantwortet, was ich von der Harry-Potter-Reihe halte?

Achtung: SPOILER – Alle, die jetzt weiterlesen sollten wissen, dass sie riskieren, das Ende vorab zu erfahren.

Wirklich unzufrieden war ich mit dem Ende. Als Extrem-Romantikerin habe ich eine intensive Vorliebe für alle Bücher, die gut enden. In denen der Held die Heldin in seine starken Arme nimmt, sie liebevoll anlächelt und dann intensiv aber sanft küsst, während im Hintergrund ein berückender Sonnenuntergang durch die passende Musik untermalt wird. Die Tatsache, dass J.K. Rowling dies dann auch tatsächlich geschehen lässt, hat mich dann doch schwer enttäuscht. Harry ein treusorgender Familienvater, der seine Kinder zum Start des neuen Schuljahres zum Bahnhof bringt?? Och nööö. Klar, die Autorin konnte es nicht wagen, Harry Potter sterben zu lassen, oder Hermine oder Ron. Aber DAS war mir doch eindeutig zu „üppig“. Dafür musste Lupin über die Klinge gehen – mein heimlicher Liebling nach dem voreiligen Tod von Sirius Black - ich habe ein Faible für tragische Helden. Das Ende hat mich dann ziemlich unsanft aus dem Harry-Potter-Universum hinauskatapultiert und mich unzufrieden zurück gelassen. „All is well“? Nicht wirklich.

Einen Vorteil jedoch hat dieser Epilog: Er macht deutlich, dass es mindestens gut neunzehn Jahre Mädchen vor dem Büchertischlang ruhig um Harry und seine Freunde geworden ist. Die Narbe hat nicht mehr geschmerzt, Voldemort stellte keine Bedrohung mehr dar. Man kann also erst einmal hoffen, dass es keine weiteren Harry-Potter-Geschichten mehr gibt. Hoffentlich! Nein, nicht weil die Bücher so schlecht sind, denn das sind sie nicht. Sie sind gut lesbare Literatur, Bücher mit denen man seinen Spaß hat und die ihren "Zweck" erfüllen. Dennoch "hoffentlich", denn seine Geschichte ist zu einem grandiosen erfolgreichen Ende geführt (den Epilog mal ausgeklammert). Über Nachfolger oder Imitatoren von Voldemort, die ja noch tödlicher, noch bedrohlicher, noch … sein müssen, will ich nichts mehr lesen, denn Harrys Geschichte ist erzählt. In diesem Sinn ist Harry wohl vielleicht doch „tot“. Er soll nicht wieder in die Welt seiner Abenteuer eintauchen (müssen) – oder vielleicht gar seine Kinder … obwohl … ähm … ich vermute, ich würde in so einem Fall wieder gespannt darauf warten, dass ich den Band bei einem Onlinedealer meiner Wahl vorbestellen kann.

Denn wie lautet der letzte Satz der Englischen Ausgabe so schön: All is well!

 

 

 

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