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Die Finger in der Wunde: Atlantis ist nur einmal im Jahr

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDie Finger in der Wunde
Atlantis ist nur einmal im Jahr

Die Freude an Episoden, in denen kurze Geschichten erzählt werden - die dann überraschend in ein großes Finale münden oder zumindest miteinander verknüpft sind - ist dem Genre der Serie eher fremd. Schließlich ist die Serienepisode an sich ja schon getrennt in Haupthandlung und Nebenhandlung.

In Soaps können das auch noch etwas mehr Stränge sein, was aber selten ist.

Serienfolgen also, in denen kurze Geschichten erzählt werden, die ein großes Ganzes bilden sind daher, wenn sie auftauchen, an sich schon eine Besonderheit. Noch besonders werden sie, wenn sie wie bei Rick und Morty etwas über die Gesellschaft aussagen.

Okay: Ich werde den deutschen Titel jetzt noch einmal hinschreiben - Atlantis ist nur einmal im Jahr - und dann diese wunderbare Kunst des Erfindens von deutschen Episodentiteln, die entweder komplett dämlich sind oder komplett spoilern hinter mich lassen. Immerhin wird nicht gespoilert. Der englische Titel bringt den Kern der Episode ja immerhin auf den Punkt: Es ist der Ricklantis Mixup. Das Ricklantis erklärt sich durch die kurze Rahmenhandlung. Der Mixup lässt nun entweder an das Mixtape denken, auf dem verschiedene Songs zusammengestellt sind. Aber Mixup ist das Wort für Durcheinander, Chaos, Verwirrung. Was durchaus in dieser Folge, in der wir einigen Hauptfiguren folgen und uns erst mal orientieren müssen wo wir sind.

Nachdem Rick das Konzil der Ricks plattgemacht hat, wird in der Zitadelle tatsächlich gewählt. Oder jedenfalls so etwas Ähnliches wie eine Demokratie versucht, denn bis auf einen Morty sind eigentlich alle Kandidaten für das Amt des Präsidenten Ricks. Dabei sind das nicht unbedingt die Intelligentesten, wie der Zuschauer, die Zuschauerin in einer Szene erfährt, in der alle Anwärter sich der Öffentlichkeit stellen müssen. Zudem: Es spielt, wie wir später erfahren werden, keine Rolle. Schließlich hat noch nie das Konzil der Ricks die Zitadelle regiert, sondern ein Schattenkabinett von Ricks. Und das will weiterhin die Geschichte der Zitadelle leiten.

Dabei ist die Zitadelle gerade dabei, sich selbst zu demontieren. Die große Spaltung zwischen Mortys und Ricks war schon immer da, aber sie hat sich verschärft. Das bekommen wir als Zuschauer, Zuschauerinnen mit, weil wir der Geschichten eines zynischen Mortys, der Mortys hasst, mit seinem neuen Rick-Partner verfolgen. Dass diese Geschichte sehr in die üblich zu erwartende <<ehrlicher Cop bringt korrupten Cop um und landet im Gefängnis>> entwickelt - das kann man schon von vornherein ahnen. Es wirft aber auch einen Blick auf die aktuellen Zustände der Zitadelle. Woher kennen wir das nur, ein Teil der Gesellschaft geht den anderen an den Kragen … 

Schön: Das Eine ist die Handlung um den Wahlkampf, den am Ende ein Morty gewinnen wird, das andere ist die Handlung um den Cop-Rick, der seinen Partner erschießt. Das Eine ist die große Politik und die Frage, wie die Zitadelle in Zukunft geführt werden wird, das Andere ist auch Politik - denn der Cop-Rick landet zwar im Gefängnis, wird aber freigelassen, weil der Morty gewonnen hat. Neues System, neue Regeln, so die Wärter zynisch. Dass im Endeffekt das Schattenkabinett aber genau so weitermachen möchte wie bisher konterkariert gerade das Neue, dass da am Horizont als Hoffnungsschimmer für die Morty aufscheint. 

Wie aber passt die Folge mit den Simple-Rick-Waffeln in das Ganze? Der Zynismus aus den Erinnerungen eines Ricks etwas zu destillieren, was sich gut verkaufen lässt, erregt erstmal bei uns Abscheu. Aber tun wir nicht dasselbe? Verhelfen wir Schweinen, Kaninchen, Puten, Hühnern und anderen Tieren nicht auch etwas Vergleichbares? Ein Leben in einigermaßen sicheren Umständen, dass dann für unsere Essgewohnheiten ein Ende findet?  So abscheulich auch das ist, was Rick Harmon hier ins Bild setzt - im Grunde beschreibt er den Mechanismus des Kapitalismus. Was sich verkaufen lässt, das wird verkauft und wer schert sich schon um die Zustände von Fleisch-Bearbeitern in der Industrie, die wir jahrelang so hingenommen haben. Ausser auf einmal ist ein Virus da und Leute erkranken. Es muss offenbar immer erst eine Katastrophe eintreten, bevor gehandelt wird. Was aber in dieser Episode nochmal deutlich wird, was dann letztendlich auch für die anderen Handlungsstränge gilt: Selbst, wenn sich eine Revolution gegen die aktuellen Zustände erheben würde - in welche Form auch immer, es muss ja nicht gleich die Regierung geköpft werden - diese Revolution bringt am Ende nichts ein. Denn der Rick, der einen Aufstand wagt, weil er bei der Beförderung in der Waffelfabrik übergangen wurde, der ändert an sich nichts dadurch, dass der den Rick erschießt, der bisher den Stoff für die Waffel lieferte. Und damit die Existenz der Fabrik beendet.

Es mag für einen kurzen Moment so scheinen, denn als Rick Sanchez III eingreift, der Besitzer des Ganzen, ist das Versprechen von Freiheit und der Veränderung von den Umständen für einen Augenblick greifbar. Da aber letzten Endes der aufständische Rick genau dort endet, wo der zuvor erschossene Rick war - nämlich in einen ewigen Loop des Glücksmomentes eingeschlossen und neue Waffeln produzierend - ist das Aufbegehren gegen die Umstände sinnlos. Die Dinge, so diese Episode, die Dinge ändern sich nicht oder wenn, dann werden sie nicht besser. Sie werden schlimmer. Was auch der Manager der Kampagne für den Morty-Präsidenten erfährt, der von seinem Job gefeuert wird und dann Material zugespielt bekommt. Was für Material sehen wir als Zuschauer, Zuschauerinnen erst am Ende der Episode und man muss schon aufmerksamer hinschauen, um zu verstehen, was da gerade vor sich geht.

Und um die Vergeblichkeit von Glück und das Hoffen auf bessere Zustände nochmal niederzuschmettern begleiten wir Mortys, die ihren Rick verloren haben und in einer Parodie von Hogwarts auf die neuen Ricks geschult werden. Einen Tag bevor das passieren soll, brechen sie aus und suchen nach dem Wunschbrunnen. Die vier unterschiedlichen Mortys hoffen natürlich, dass ihre Wünsche erfüllt werden, wenn sie etwas in den Brunnen werfen. Etwas, was für sie wertvoll ist. Schließlich stehen sie tatsächlich vor den Türen des Wunschbrunnens - ein gigantisches Loch ohne Grund. Während ein Morty zuerst einen Gegenstand reinwirft, springt der andere Morty direkt in das bodenlose Etwas in der Hoffnung auf Glück und Erfüllung. Die bittere Pointe: Der angebliche Wunschbrunnen dient nur zur Abfallentsorgung. Was aber offenbar die anderen Mortys gar nicht mitbekommen, denn als sie zurück zur Schule gehen, ist diese geschlossen. Der Grund: Eine neue Regierung und wir dürfen gerne annehmen, dass der Morty-Präsident die Schule geschlossen hat. Für die anderen drei Mortys aber ist das die Bestätigung und die Erfüllung des Wunsches auf eine bessere Zukunft.

Allerdings wissen wir als Zuschauer*innen zu dieser Zeit schon, dass letztendlich jede Revolution sinnlos ist. An den fundamentalen Dingen wird sich nichts ändern. Die bittere Schlusspointe: Es wird sogar noch schlimmer werden, denn der Morty-Präsident entpuppt sich als der Böse Morty, den wir schon kennen und in den wenigen Szenen vor Schluss werden Fahnen und Banner rausgerollt, die sehr an das Dritte Reich denken lassen. Falls jemand aus dem Schattenkabinett widerspricht? Der wird umgelegt und von neuen willigen Ricks ersetzt. Insofern ändert sich zwar schon Etwas. Aber nicht zum Guten.

Wenn man Rick und Morty kennt, wird einem diese pessimistische Sicht der Dinge nicht überraschen - Rick Sanchez ist der Vertreter des Nihilismus schlechthin. Die Frage ist: Was ziehen wir als Konsequenz für uns selbst daraus? Auf der einen Seite könnten wir uns wie die Mortys verhalten: Der Wunschbrunnen war echt, die Dinge werden besser, wir müssen sie uns nur wünschen. Was durchaus ja der Slogan von etlichen Vertretern des Positiven Denkens ist. Solange wir uns alles schön wünschen, solange ist alles gut. Ein Abfalleimer kann dann zu einer Blumenvase werden. Dadurch aber ändert sich nichts. Die Probleme bleiben. Auf der anderen Seite: Wenn Revolutionen und der Versuch der Veränderung nichts bringen, warum überhaupt irgendwas Neues versuchen? Oder für Etwas eintreten? Schließlich ändert sich dadurch nichts oder alles wird viel schlimmer. Es gäbe auch noch eine andere Sichtweise, die von unserem Rick nämlich: Was zwischenzeitlich in der Zitadelle passiert, wird keine Auswirkungen auf die Beiden haben. Statt zu versuchen etwas zu verändern sollte man sich in das nächste Abenteuer stürzen und es genießen. Was bliebe einem sonst auch noch übrig in unserem Universum?

Ob wir die zynische Sichtweise teilen können oder nicht: The Ricklantis Mixup hält allen denen einen Spiegel vor, die glauben, dass Revolutionen immer einen neuen Morgen herbeirufen werden. Ebenso aber auch denen, die glauben, Probleme löse man, in dem man sie ignoriere oder sie sich schöndenke. Da wir in der Regel allerdings keine Portal-Gun haben, um uns vor den Unnahmenlichkeiten des Lebens zu entziehen, müssen wir unsere eigenen Wege finden mit dem Leben klarzukommen. Wie auch immer die Lösung da aussehen mag.

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