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Fasse dich kurz: Kurzvideos und wir

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneFasse dich kurz
Kurzvideos und wir

Nachdem vor Kurzem der Begründer des Kurzvideo-Dienstes in neuer Form zurückkehrte - erinnert ihr euch noch an Vine? Das heißt jetzt Byte - und auch Google so etwas ähnliches experimentell auf den Markt wirft, stellen sich etliche Fragen. Erstens: Brauchen wir wirklich noch mehr Apps für Kurzvideos? Zweitens: Warum haben wir eigentlich diese Apps für Kurzvideos? Drittens: Ist es nicht so, dass alle kurzen Videos zu Unterhaltung werden, auch wenn es politische Inhalte sind?

»Fasse Dich Kurz« stand mal über Telefonzellen im Öffentlichen Raum und das aus gutem Grund: Erstens musste man damals Münzen in die Dinger reinwerfen und je mehr man quasselte, desto mehr Münzen wurden das. Zweitens gab es da den netten Nachbarn, der unsanft an die Scheibe klopfte, weil er gefälligst auch mal an die Reihe kommen wollte. Ältere unter uns erinnern sich sicherlich noch an die Folge <Telefon> aus der Serie <Ein Herz und eine Seele> … oder an die unzähligen Stunden, die man in der Zelle verbrachte, weil die Eltern bestimmte Sachen einfach nicht mitkriegen sollten. Damals, als Telefone halt noch im Flur fest verankert waren …

»Fasse Dich Kurz« übertrug das Internet dann in etwas anderer Form ins Bewegtbild. Zappelnde animierte GIFs terrorisierten den Zeitgeist in den Neunzigern und bis heute sind GIFs in ihrer kurzen Wiederholungsschleife sehr beliebt in den Sozialen Netzwerken. Bekanntlich sagt ein Bild mehr als tausend Worte und GIFs sind schnell erstellt und können daher durchaus Kommentare zu aktuellen Sachthemen abgeben. Daher ist es kein Wunder, dass beim Protest gegen Artikel Dreizehn auch GIFs als Träger von Memes heftigst verteidigt wurden.

<Fasse Dich Kurz> war dann das Motto von Vine. Sechs Sekunden. Mehr Zeit hatte man nicht für ein Video. Sechs kurze Sekunden. Was konnte man mit sechs Sekunden schon anfangen? Für den normalen Internetnutzer, der eher an YouTube gewöhnt war, war das zu kurz. Wie immer, wenn etwas Neues in die Welt kommt, ist es zu Beginn ungewohnt. Man weiß noch nicht genau, wie die Regeln aussehen - außer, dass das Video kurz ist. Man fängt an herumzuexperimentieren, man spielt mit ihr rum. Man knetet sich nach und nach das Format für sich selbst fest. Vine wurde eine Spielwiese für Kreative. Und eignete sich hervorragend für Memes. Anders als bei GIFs für Memes, die selbst erstellt wurden. Die Macht wanderte in die Hände der Nutzer.

»Fasse Dich Kurz« - kurze Videos sind ideal für die Verbreitung von Inhalten in sozialen Netzwerken. Snack-Content. Für die Fahrt in der Bahn, für die Arbeitspause, für die Wartezeit. Unterhaltung. Inhalte, die in kurze Videos gesteckt werden, sind in der Regel Unterhaltung oder werden zur Unterhaltung. Selbst wenn es Ausschnitte aus Nachrichtensendungen sind. Dass die Tagesschau auf TikTok zu finden ist, ist für sie eine logische Verlängerung des Formats und der Versuch, die junge hippe Zielgruppe zu erreichen. Allerdings ist gerade TikTok eine App, die auf Unterhaltung ausgelegt ist. In diesem Umfeld mag die Tagesschau sicherlich herausstechen, sie wird sich aber dem Format von TikTok anpassen müssen. Eine Eins-zu-Eins-Übernahme der Sendung aus dem TV wird im Unterhaltungsumfeld nicht funktionieren - es wird daher wohl so sein, dass hippe junge Moderatoren*innen locker-flockig die Themen des Tages erklären. <Okay, so hipp und jung wie bei FUNK sind die bei TikTok nicht, aber tatsächlich ist das ein Stück funkiger als die Tagesschau-Formate an sich. Holla die Waldfee.>

Genau das ist beim ältesten Video-Anbieter des Netzes, YouTube, passiert. Der steife Professor der Tele-Uni aus den Achtzigern und auch noch teilweise den Neunzigern ist schnellen Schnitten, permanenter Musikuntermalung und einer lässigen Attitüde gewichen. Selbst wenn jemand wie Lesch immer noch in guter alter Manier doziert oder selbst wenn man Mitschnitte von Universitäten auf YouTube anschaut - das Geschehen findet auf dem Bildschirm statt. Und der Bildschirm ist assoziiert mit Unterhaltung und Entspannung. Nicht, dass der umgekehrte Klassenraum nicht seine Vorzüge hätte, aber Television is easy. Books are hard. Politik wird unterhaltend und verliert damit an Härte. Die Frage, ob Formate wie die Heute-Show wirklich politische Inhalte so rüberbringen, dass man sich nach der Sendung intensiver in ein Feld einarbeiten möchte … Aber schaut, nach der Heute-Show kommt das nächste Unterhaltungsformat und von daher …

»Fasse Dich Kurz« steht aber auch für eine Entwicklung, in der alles immer schneller und schneller vonstatten geht oder gehen muss. Es passt durchaus in unsere Zeit, in der wir glauben, dass Multitasking uns weiterbringt oder dass je schneller Informationen weitergegeben werden, es um so besser für die Diskussionskultur ist. Eine Annahme, die zu Recht hinterfragt werden sollte. Also schauen wir uns gar nicht mehr Videos an, sondern leiten die weiter, weil die Überschrift alleine uns schon in unserer Meinung bestärkt. Zudem: Videos können lügen. Und wenn wir Videos schnell weiterleiten ohne uns zu vergewissern, dass sie auf Tatsachen beruhen haben Hetze und Hass durchaus eine Chance die Diskussionen zu vergiften. Wir sollten uns dessen bewußt sein.

Neue Kurz-Video-Apps jedenfalls scheinen überflüssig zu sein. Byte mag die ehemaligen Vine-Nutzer ansprechen, aber diese sind schon längst zu anderen Diensten übergelaufen. Was Google da als Experiment herausgebracht hat sieht auch nicht nach dem nächsten heißem Ding aus. Bekanntlich ist ja auch nicht alles, was Google macht ein Erfolg. Es mag sein, dass Künstler wieder Byte nutzen werden. Es gibt ja auch genügend Nischen für soziale Netzwerke - Diaspora, Ello und Mastodon nur mal als Beispiel genannt. Wer allerdings schon seine ganzen Videos in einem Dienst erstellt hat und dort sein Archiv und seine Freundschaften pflegte, wird kaum für einen anderen Dienst diesen verlassen - außer der Dienst böte das gewisse Etwas, was besser, schöner oder komfortabler ist. Was bisher die neuen Dienste nicht haben. TikToks frühere Inkarnation Musically bot ja das Mitsang-Playback als Option an. Insofern mag sich Byte vielleicht in Zukunft als das etablieren, was Vine früher war. Oder es wird in der Versenkung verschwunden. Alles eine Frage der Bequemlichkeit und des Komforts.

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