Finney, Jack: Das andere Ufer der Zeit

Jack Finney

Das andere Ufer der Zeit(Time And Again)

Heyne SF 3800

Originaljahr: 1970: deutsch 1981

Übersetzung: Thomas Schlück

Titelbild: Karel Thole

448 Seiten (inkl. zahlreicher Fotos und Zeichnungen)

ISBN 3-453-30702-X

 

Simon (Si) Morley, 1970 lustlos als Werbegrafiker in New York arbeitend, wird für ein sehr spezielles Geheimprojekt der US-Regierung engagiert: ZEITREISE...aber auf die ganz und gar ungewöhnliche Art.

 

Gleicht der Mensch in seinem Zeitablauf jemand, der in einem steuerlosen Boot ohne Ruder einen gewundenen Fluss hinabtreibe, so nimmt er nur die Gegenwart wahr, nicht die Vergangenheit in den zahlreichen Kurven und Biegungen hinter ihm. Trotzdem ist sie sowohl „physisch“ wie in der Erinnerung des Menschen noch vorhanden, und wäre der Mensch in der Lage, das Boot zu verlassen und über Land zurückzugehen, könne er dorthin gelangen.

 

Das Projekt setzt daran an, Leute, die sich als besonders geeignet für Hypnose erweisen und geistig rege sind, solange einer künstlich geschaffenen Umwelt mit allen Merkmalen der „angepeilten“ Vergangenheit auszusetzen, bis sie diese als schlicht gegeben akzeptieren und den Schritt einzig und allein durch ihre Vorstellungskraft, aber auch physisch schaffen. Bei den meisten der Versuche (einer Kleinstadt in Connecticut im Jahre 1926, einem Präriebezirk in der Mitte des 19. Jahrhunderts, Weltkriegs-Schützengräben oder gar dem Paris des Jahres 1451) gelingt dies nicht, aber Si Morley schafft schließlich seinen Sprung hinüber/zurück ins New York des Jahres 1882. Eigentlich war er für ein etwas früheres Jahr ausersehen, konnte jedoch die Projektleitung überzeugen, einem „Geheimnis“ der Vorfahren einer Freundin nachzugehen, in dem auch ein späterer Präsidentenberater involviert ist. Simon lebt sich in der für ihn fast unbekannten, gänzlich anderen Welt dort ein, wo New York noch nicht die Hochhausmegalopolis der Siebziger Jahre, die Luft noch rein ist, die Menschen gemütlich und der Ablauf weniger hektisch ist („...und der erste der großen und unsinnigen Kriege des 20,. Jahrhunderts war noch weit entfernt“), kehrt aber auch zurück (einmal sogar zusammen

mit seiner dort neugewonnenen Liebe), immer sorgsam auch bedacht, kein Zeitparadoxon  durch seine Handlungen auszulösen. Genau das aber verlangt man letztlich von ihm (den ihm inzwischen auch bekannten späteren Präsidentenberater dahin zu beeinflussen, das Cuba von 1970 wieder unter amerikanischer Kontrolle zu bringen...), nachdem sich (natürlich) das Militär als Geldgeber des Projekte entpuppt. Si verweigert sich dem, indem er zurückkehrt und eine Begegnung der Eltern des Projektleiters verhindert, um sich dann selbst aus der Zeitschleife auszuklinken.....

 

Jack Finney ist zwar eher bekannt als Autor des mehrfach verfilmten „The Body Snatchers“ (einer der herausstechenden „Alien-Invasion“-Romane), doch ist „Time And Again“ unzweifelhaft der Höhepunkt seines Schriftstellerschaffens. Ein Roman, in dem alles zusammenpasst: der ungewöhnliche („neue“) Plot der Individuellen Zeitreise ohne Maschine, aufgebaut auf eine durchaus plausible Theorie, die spannende, manchmal schon kriminalistisch-akkurate Handlung, die liebevolle Ausgestaltung der Hauptpersonen und das bildhafte Zurückbringen des alten Ambientes einer (der) amerikanischen Grosstadt des vorvergangenen Jahrhunderts....als die Welt noch nicht so hektisch war wie heute; gerade dieser Gegensatz zum New York von 1970 oder später fasziniert besonders. Durch unermüdliche Recherche in der bereits durch Zeitungen und Fotos gut dokumentierten Zeitspanne ist das mithin der realistischste aller Zeitreiseromane, wandert doch Si Morley (als Ich-Erzähler) durch die unbekannte vergangene Stadt, fertigt Zeichnungen an und macht Fotos mit einer der ersten Handkameras dieser Zeit – und alle diese Originalaufnahmen sind im Text integriert. Man kann es zwar auch als eine Art „nostalgischer Heimatroman“ für Amerikaner und New Yorker erst recht sehen (wobei letztere als „grosstädtisch“ und eher liberal gelten mögen; eine Geisteshaltung, die der gesamte Roman ebenfalls reflektiert), aber es überwiegt das wunderschöne  intellektuelle Gedankenspiel und die pure Nostalgik; Eskapismus in eine Welt, die ruhiger und „irgendwie besser“ war, Flucht nicht nur für die Hauptperson, sondern auch für den Leser.

Eine unglaublich gelungene Mischung aus Historischem Roman, Main Stream und phantastischen Elementen; ein wahrer Klassiker der SF-Literatur!

 

(Ein einziger kleiner Wermutstropfen: Finney konnte nicht widerstehen und schrieb 1995, kurz vor seinem Tod veröffentlicht, eine Fortsetzung. „From Time To Time“ <deutsch als „Im Strom der Zeit“ – Bastei Paperback 28228, 302 Seiten>. Hier wird Si Morley vom ursprünglichen Projekt in seiner anderen Zeitlinie „wiederaufgefunden“ und erneut genötigt, einen Auftrag auszuführen: letztlich einen US-Gesandten zu retten, mit wichtigen Papieren, die, projiziert, den Ersten Weltkrieg hätten verhindern können, wäre der Mann zurückgekehrt und nicht im April 1912  an Bord eines großen Ozeanriesen, der mit einem Eisberg.....das beschert dann letztlich ein <heutzutage etwas makabres...> Titelbild der deutschen Ausgabe, in dem die TITANIC vor der Skyline mit den zwei WTC-Türmen zu sehen ist, und als Roman allein wäre/ist es auch noch halbwegs gut zu lesen, mit derselben Ausstattung  an Bildern, aber leider nur ein Abklatsch des ersten, eigentlich abgeschlossenen Romans)

   

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