Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Harry Potter und der Halbblutprinz

Harry Potter und der HalbblutprinzHarry Potter und der Halbblutprinz

Zuerst sollte man einen kurzen Blick auf David Yates werfen. Ein Mann, der trotz der letzten drei Jahre kaum seine verdiente Aufmerksamkeit erlangte. Vielleicht ändert sich dies demnächst, aber dennoch wird er stets im Schatten eines viel größeren Namens stehen. Traurig für eine reale Person, einer fiktiven Figur nicht die Stirn bieten zu können. Aber ist das nicht David Yates’ eigenes Verschulden? Der mit Kurzfilmen in der Branche bekannt gewordene Regisseur hat durchaus auch schon aufwühlende Langfilme gedreht, und versuchte sich dabei gerne in verschiedenen Genres.

Über das Fernsehen kam er aber kaum hinaus. Vielleicht wäre Yates längst eine in Vergessenheit geratene Fußnote, wenn nicht Guillermo del Toro lieber einen anderen Fantasyfilm inszeniert hätte. David Yates’ Pflicht und Schuldigkeit gegenüber Königin und Vaterland wäre längst beglichen gewesen. Sich lediglich als Ersatz für einen wesentlich klangvolleren Regisseur verpflichten zu lassen, hätte eine schmerzhafte Erfahrung sein können.

Der Publikums- und Kritikererfolg von ORDEN DES PHÖNIX hat dann auch David Yates auf der Karriereleiter nicht wirklich weitergebracht. Das Scheitern beim HALBBLUTPRINZ birgt sogar die Gefahr, ihn mit einem unlösbaren bösen Zauber zu belegen.

Die Standard-Sprüche „Die Kinder sind erwachsen geworden“ und „die Stimmung ist düsterer als beim Vorgänger“ sind leicht auch bei HARRY POTTER UND DER HALBBLUTPRINZ unterzubringen. Ersteres bringt ja schon mal die Zeit mit sich, und letzteres diktiert die Geschichte. In manchen Teilen ist aber der HALBBLUTPRINZ auch um einiges lustiger als seine fünf Vorgänger. So viel soll passieren, so viel muss erzählt werden, so viele Details sind wichtig. Da bleiben selbst mit der stattlichen Laufzeit von 153 Minuten viele Handlungsteile auf der Strecke. Als Drehbuchautor war Steve Kloves von Anfang an dabei, setzte bei ORDEN DES PHÖNIX kurz aus und hat diesmal wieder sein Bestes getan, alles aus der Romanvorlage zu erhalten, was ein Potter-verrücktes Publikum sehen will.

Die Kinder von einst waren Jugendliche geworden und haben sich nun zu erstaunlichen, jungen Erwachsenen gemausert. Das fordert natürlich dazu heraus, viel mehr mit den Charakteren zu spielen und ihr darstellerisches Talent weiter in den Vordergrund zu rücken. Auf der Strecke bleibt dabei mehr und mehr diese liebevolle, kindliche, verspielte Phantasie, die unaufdringlich die Szenerie bereicherte. Steve Kloves Buch schwankt von ausladendem Drama zu lärmenden Action-Einlagen hin zum Versuch von Screwball-ähnlichen Schenkelklopfern. Jedes funktioniert für sich, aber es greift nicht wirklich ineinander. Der Film vermittelt ständig den Anschein, dass sich Kloves nicht zwischen dem Drama des Erwachsenwerdens und den unheilvollen Aspekten des drohenden Lord Voldemorts entscheiden konnte. Der titelgebende Prinz wird dabei auch noch so nebensächlich abgehandelt, dass sein entscheidender Einfluss für die Zukunft unbedeutend zu sein scheint.

Wer mit dem Wissen der Bücher gesegnet ist, wird die gesamte Laufzeit hindurch wunderbar unterhalten. Es ist zweifelsfrei die Welt des Harry Potter, wie man sie aus dem Buch kennt, und wie man sie aus den Filmen heraus lieben gelernt hat. Aber es ist nicht der eigenständige Film, den ein unbedarfter Zuschauer eigentlich erwarten dürfte. Die Inszenierung ist dabei genauso sprunghaft wie der Wechsel innerhalb der Szenerien. Zweifellos wird es kaum Zuschauer geben, die ihren Einstieg in diese magische Welt ausgerechnet mit der sechsten Episode suchen. Diese wenigen allerdings dürften sich ständig mit dem Gedanken plagen, wovon dieser Film überhaupt handelt. Und nach dem Abspann wären sie nicht schlauer. Dabei ist die Vorlage kaum komplexer als die anderen Bücher, und die vorangegangenen Filme hielten noch genügend Faszination bereit, sich auch als neuer Zauberanwärter in Hogwarts wohlzufühlen.

Viele Bilder von Bruno Delbonnel brüllen geradezu hinaus, am Computer nachbearbeitet worden zu sein, was besonders durch falsches Setzen von Lichtstimmungen ins Auge springt. Die Set-Designer haben sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. So wirkt Hogwarts sonst ewig imposante große Halle viel kleiner, und ein neues Set auf einem der vielen Türme ist vollkommen überstrapaziert oft in den Film eingebunden.
Aber dies sind nicht die wirklichen Schwachpunkte des Films. Enttäuschend ist der unwürdige Umgang mit den vielen, teils über mehrere Filme aufgebauten Charakteren, die in diesem Abschnitt nur als Staffage dienen dürfen. Ob Neville Longbottom, Nymphadora Tonks oder auch Remus Lupin tragen durch ihre kurzen Auftritte nicht wirklich zur Handlung bei. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man so unliebsamen Fragen und Forderungen aus dem Weg gehen wollte. Aber es werden auch Personen mit einer Präsenz eingeführt, dass man von einer gewissen Wichtigkeit im Verlauf des Films ausgehen muss. Elarica Gallagher trifft als Kellnerin zu Beginn des Films dieses Schicksal, um dann wie weggezaubert nicht mehr zu erscheinen.

Das Wiedererwachen des Bösen springt auch langsam auf die Muggel-Welt über, schlimme Ereignisse und böse Vorzeichen treten im Hier und Jetzt der Nicht-Zauberer vermehrt auf. Der Film greift es in einer spektakulären Szene auf, erfährt aber nie eine wirkliche Erklärung. Und dann diese Spielereien, die nicht unbedingt Sinn machten, aber immer die herausragende Merkmale der Zauberwelt waren, in die man sich so eingelebt hat. Zum größten Teil sind die Zeitungsbilder und Gemälde überhaupt nicht mehr animiert, die Eulenpost ist vollkommen ausgefallen, auf Film übergreifende Referenzen wie die peitschende Weide sind fast ausgemerzt.

Den eigenen Unkenrufen zum Trotz ist HARRY POTTER UND DER HALBBLUTPRINZ kein schlechter Film. Das subjektive Empfinden führt einen wieder in diese scheinbar vertraute Welt der wundervollen Magie und interessanten Figuren. Die Welt eines Harry Potter kann gar nicht so schlecht sein, als dass ein Film diese Eindrücke zunichte machen könnte. Dass David Yates konsequent die Kontroverse in der Inszenierung zu vermeiden wusste und keinen Wert auf das eigene Profil legte, muss er letztlich mit sich selbst und Warners Inquisition vereinbaren. Was sich über neun Jahre aufgebaut hat, werden filmische Unzulänglichkeiten kaum erschüttern können. Denn nichtsdestotrotz ist auch dieser Film ein Baustein im Gesamtkonzept dieser zauberhaften Magie, die uns weiter trägt zur längst bekannten Auflösung einer generationen-übergreifenden Geschichte. Wir alle haben das Phänomen Harry Potter über Jahre hinweg verinnerlicht, dass nichts unser Vertrauen ans Gute im Zauberer erschüttern kann. Wer mit 11 Jahren seinen ersten Potter-Film sah, fährt heute im eigenen Golf mit der Freundin ins Kino. Eine damals 29-jährige Kinobesucherin ist heute bereits seit neun Jahren dem Kreis des demografischen Zielpublikums entschwunden. Welche Werbekampagne darf es sich denn erlauben, nur mit Gesichtern zu werben oder den Filmtitel nur stilistisch über die Ränder hinaus auf das Plakat zu drucken. Kann es da noch relevant sein, ob David Yates einen in sich stimmigen Film gemacht hat?

HARRY POTTER UND DER HALBBLUTPRINZ ist ein Paradebeispiel für einen Film, den man in alle Einzelheiten zerreißen kann. Viel zu viele Unstimmigkeiten, keine konsequente Regie, visuelle Effekte, die zu wünschen übrig lassen, teils unpassende Musikauswahl und, und, und.
Und? Man kann meckern was man will, Harry Potter wird es überleben, denn er ist der Auserwählte.


Harry Potter and the Half-Blood Prince
Darsteller: Daniel Radcliffe, Emma Watson, Rupert Grint, Michael Gambon, Jim Broadbent, Tom Felton, Alan Rickman, Maggie Smith, Robbie Coltran und Warwick Davis u.a.
Regie: David Yates – Drehbuch: Steve Kloves – Kamera: Bruno Delbonnel – Bildschnitt: Mark Day – Musik: Nicholas Hooper – Produktionsdesign: Stuart Graig – Visuelle Effekte: Tim Burke
USA / 2009 – circa 153 Minuten

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.