Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Mann, ist das EPISCH!

Epische fantasyMann, ist das EPISCH!
Über ein kleines Wort, das gar nicht so leicht zu verstehen ist

Wenn ich Tad Williams' Werk Shadowmarch beschreiben müsste, dann könnte ich das ganz ausführlich tun. Ich könnte sagen, dass es eine Triologie ist, von der momentan erst Band 1 und 2 erschienen sind.

Dass es um große Kriege, viele Protagonisten, gewaltige Nöte, fantastische Erlebnisse, Morde und Intrigen, fast unerfüllbare Questen und was weiß ich noch alles geht.


Ich könnte sagen, dass es ein anstrengender, aber farbenprächtiger und mitreißender Fantasyroman ist. Oder aber ich würde die Beschreibung ganz kurz machen und sagen: Shadowmarch ist schlichtweg episch.

Episch. Hmmm. Irgendwie würde sofort jeder verstehen, was ich sagen will. Hört man das Wort episch, dann ruft das bestimmte Bilder und Assoziationen hervor, von großen Abenteuern, von Helden und Schlachten, von ausweglosen Situationen und geradezu unglaublichem Mut, den die Helden auf ihrem Weg aufbringen müssen.

Aber was genau meint „episch“ denn nun? Sind meine Vorstellungen richtig, darf ich ein Buch wie Shadowmarch episch nennen? Da ich gerade ein wenig Zeit hatte, habe ich mich mal etwas näher mit dieser Frage beschäftigt und in paar wirklich interessante Dinge herausgefunden.
 
Epische Epik
Zunächst einmal muss man festhalten: In der Literatur unterscheidet man drei große Gattungen: Lyrik, Epik und Dramatik.
Die Lyrik umfasst (ganz grob gesagt und ohne eine allergenauste sprach- und literaturwissenschaftliche Definition abgeben zu wollen) all das, was wir mit „Poesie“ und „Gedicht“ umschreiben. Die Dramatik befasst sich – wer hätte es gedacht – mit „Dramen“, also im Wesentlichen mit Darstellungsformen, die ihren Inhalt über Monologe und Dialoge vermitteln. Meist sind Dramen dazu gedacht, vor einem Publikum in gespielter Form aufgeführt zu werden.

Die Epik hat nun die erzählende Literatur in Form von Prosa oder Versen zum Thema. Wichtige Merkmale der Epikgattung sind die Vermittlung einer Handlung durch Erzählen und die Ungebundenheit an die erzählte Zeit (anders ausgedrückt: man kann eine Geschichte, die über einen Zeitraum mehrerer Jahre hinweg spielt, innerhalb weniger Minuten zusammenfassen und komplett erzählen). Die Formen der Epik sind enorm vielfältig; hier gibt es Langformen wie Romane, Epen (hierzu später mehr) und die Saga, Kurzformen wie Novellen, Anekdoten und Sprichwörter, und unzählige weitere Formen mit unterschiedlichsten Absichten, wie z.B. Märchen, Legenden und Fabeln.

Das Adjektiv episch meint nun zunächst mal, dass etwas der Epik zugehörig ist, wobei sich epische Erzählung auszeichnet durch das Erzählen einer Handlung, die Ausführlichkeit des Erzählten, Distanz zwischen Autor bzw. Dichter und Handlung sowie dem Ansprechen des Publikums.

Wenn man das liest, ist man dem Verzweifeln nahe. Episch = zur Epik gehörend? Demnach ist also jede Kurzgeschichte in meiner Fernsehzeitschrift episch. Wenn ich dann also eine solche Geschichte beschreiben soll, kann ich sie ungelogen episch nennen. Dummerweise nur ruiniert das dann meine Intention, wenn ich ein Fanasymammutwerk als episch bezeichne.

Um es kurz zu machen: Wenn wir über epische Fantasybücher reden, meinen wir bestimmt nicht, dass uns ein Roman vorliegt, der zur Gattung der Epik gehört. Würde zwar stimmen, ist aber irgendwie wenig aussagekräftig, oder?

Da bleibt dann wohl nur eine Rettung: das Epos.
 
Epische Epen
Unter einem Epos (Plural Epen) versteht man eine der Hauptformen der Epik. Allgemein wird in Versform oder Strophen, die zudem meist in mehrere Teile untergliedert sind, über eine bestimmte Person oder einen bestimmten Leitgedanken gesprochen, der im Zentrum des Epos steht. Wichtige Merkmale sind die Distanz zwischen Erzähler/Verfasser und Erzähltem (logisch, wir sprechen hier immerhin über einen Teil der Epik!), gehobene Sprache und die Tendenz zur Ausführlichkeit und Monumentalität. Epen berichten über große, weltbewegende Ereignisse, die in der Vergangenheit liegen und meist als wahr erachtet werden, also über große Reichsgründungen und Kriege oder von den Taten von Volkshelden oder auch Göttern.

Nun, keiner von uns wird bestreiten, dass Fantasyromane alles andere als wahr sind. Leitet man aber das Wort „episch“ von „Epos“ ab und lässt diesen einen Einwand außer Acht, dann passen meine Vorstellungen und die Bedeutung von „episch“ wieder zusammen: gehobene, oft sehr förmlich klingende Sprache, ellenlange, ausführliche Handlungen und weltbewegende Vorkommnisse, also gigantische Schlachten, weitreichende Ränkelpiele, Mord, Totschlag und Liebe sowie immer mal wieder der allseits beliebte Kampf zwischen Gut und Böse um das Schicksal der Welt.

Betrachtet man einmal berühmte Epen, etwa das von Gilgamesch, die Irrfahrten des Odysseus oder Jason und den Kampf ums Goldene Vlies, dann wird deutlich: Fantasy und Epos sind gar nicht weit voneinander entfernt. Was auch klar wird, wenn man sich einmal die
 
Epische Fantasy
betrachtet.

Epische Fantasy ist ein anderer Ausdruck für High Fantasy. Damit meint man in aller Breite erzählte, meist mehrteilige Geschichten, die richtig schwere Geschütze auffahren, was die Besetzungsliste angeht: Zwerge, Menschen, Elfen, Orks, Feen, Helden, Götter, Dämonen, aber auch ganz eigene, von den jeweiligen Autoren speziell für einen Roman erdachte Kreaturen wie Funderlinge (Shadowmarch) oder Qwor (Markus Heitz, Ulldart), kurzum, alles was in der Fantasy Rang und Namen hat oder einfach nur gut in die Handlung passt, darf hier mitmischen. Vielfach stehen Helden im Mittelpunkt, die eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen haben (was dann auch als Heroische Fantasy bezeichnet wird). Ansonsten gibt es das übliche Gemisch aus großen Schlachten etc.; ihr wisst, was ich meine.
 
Aha! Shadowmarch ist also tatsächlich episch!
Yepp. Und es meint dann tatsächlich ein monumentales, komplexes und überwältigendes Werk von enormer Tiefe. „Episch“ ist also tatsächlich „episch“, sofern wir die momentane Definition des Wortes in der Literaturwissenschaft einmal außer acht lassen und uns rein dem zuwenden, was wirklich zählt: der phantastischen Fiktion.

Eine Bemerkung noch zum Abschluss: Ich persönlich halte nun nicht jedes Werk der Epischen Fantasy für episch (jetzt wird’s noch komplizierter und subjektiver, als es bisher schon war, aber ich hoffe, ihr könnt mir folgen). Tad Williams' Osten Ard und Shadowmarch? Definitiv. Tolkiens Herr der Ringe und, Martins Lied von Eis und Feuer und Jordans Rad der Zeit ? Auf jeden Fall. Aber Tolkiens Hobbit, Trugenbergers Wege des Drachen oder Nicholls' Orks? Eher nicht. Keine Frage, die Werke sind gut und spannend und ich lese sie allesamt sehr gerne, doch sie erreichen nicht die Tiefe, die Wucht, wie sie Williams mir mit dem zweiten Shadowmarch-Band gerade erneut geliefert hat.

Doch das ist eine Entscheidung die jeder für sich selbst treffen muss. Ich dürfte auch so schon Literaturwissenschaftler von nah und fern verärgern, wenn ich sage: Für Fans phantastischer Literatur ist episch das, was die Definition von High Fantasy hergibt, und nicht etwa jeder Text, der zur Epik gehört.

Ich bin mir sicher, dass mir da (fast) jeder Fan phantastischer Literatur zustimmen kann.

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.