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Vom Vampyr zum Positronenhirn. Alte phantastische Literatur im Verbrauchertest: Zwischen Text 19 und 20 - Ein Resümee

Vom Vampyr zum Positronenhirn. Alte phantastische Literatur im VerbrauchertestZwischen Text 19 und 20
Ein Resümee. Und ein Ausblick.

19 Texte stehen im Zauberspiegel, der 20. ist in Arbeit. Ich blicke kurz zurück und wundere mich – es macht immer noch großen Spaß! Ich hämmere als Journalist in der Woche zwei bis drei Texte beruflich  in den Rechner – sonntags nachmittags hämmere ich drei Stunden VzP oder Luftpirat. Muss man sich seine kostbare Freizeit so verhunzen?

Definitiv!


Denn das schöne ist – Harantor lässt mir alle Freiheiten, und ich kann ungehemmt literarischen Freuden nachjagen.

Aber nach 20 Texten stellt sich für mich die Frage – wie grenzt man dies Thema ein? Was ist alte phantastische Literatur und was nicht?

Überraschenderweise reagiere ich nun nach 9 Monaten anders als erwartet. Ich hätte gedacht, ich würde das Feld bald mehr eingrenzen, mich auf das Wesentliche konzentrieren – denn selbst wenn ich in den nächsten 20 Jahren alle 14 Tage ein Werk vorstelle, hätte man nur an der Oberfläche gekratzt. Ich merke aber, dass ich eher Lust verspüre, phantastische Literatur weiter zu fassen als geplant – und so viele Aspekte wie möglich einzubeziehen, auch wenn das bedeutet, dass es bei wenigen Beispielen in den einzelnen Sparten bleibt.

Die zeitliche Eingrenzung ist noch das Einfachste. Rückwärts braucht man keine Grenzen zu ziehen. Warum nicht auch mal Homers Odyssee (700 v. Chr.) oder Ariosts Rasenden Roland (1516)? Beste Fantasy-Stoffe... In die andere Richtung soll es schon etwa eine 40-Jahres-Grenze geben. Also etwa 1975... Das ermöglicht es, einige Werke mit aufzunehmen, die zu meinen Lieblingsklassikern gehören: Ira Levins "Frauen von Stepford" (1972) etwa. 

Qualität spielt keine Rolle bei der Auswahl. Erst einmal – wer legt sie fest? Das ist immer subjektiv. Aber ich finde es auch extrem reizvoll, mit Kontrasten zu spielen und einen Heftroman aus dem Gespenster-Krimi neben Hochliteratur wie Undine zu stellen.

Ganz klar wurde mir, dass ich das Feld thematisch in einigen Dingen gern ausweiten möchte. Das betrifft vor allem die Quellen für spätere phantastische Literatur. Wichtige Märchensammlungen sollen hier unbedingt vorkommen, schon bald werde ich mir die durchgeknallte erste europäische von Giambattista Basile (Pentameron, 1634) vornehmen, die definitiv nicht für Kinder geeignet ist! A propos – auch Kinderliteratur gehört zur Phantastik – einige Klassiker haben das Genre Fantasy sehr beeinflusst, ja manche sogar den Horror und die SF. Baums „Der Zauberer von Oz“(1900) und Carrolls „Durch's Spiegelglas“ (1871) gehören dazu, aber auch so verrückte Bücher des 20. Jahrunderts wie Dahls "Charlie und die Schokoladenfabrik" (1964).

Dann gibt es interessante Mischformen an der Grenze zur Phantastik – das betrifft z.B. die Vorläufer des Superman-Mythos. Je länger ich darüber nachdenke, desto wichtiger erscheint mit dieser Typus, der lange komplett der Abenteuerliteratur zugerechnet wurde. Die Elemente der Romane selbst sind nicht phantastisch, die Protagonisten sind nicht magisch begabt oder erfinden Superwaffen, agieren aber als Heros über jedes menschliche Maß hinaus, scheinen unverwundbar und halbgöttlich. Hierher gehören Klassiker wie Dumas' „Graf von Monte Christo“(1844) und Karl Mays „Waldröschen oder die Rächerjagd rund um die Erde“(1882-84).

Klassische Abenteuerliteratur soll hier aber weiter ausgeklammert bleiben - Schatzinsel, Robinson oder Drei Musketiere werden hier nicht auftauchen. Wohl aber die Sorte, die mit dem Unheimlichen und dem Grusel kokettiert - wie Wilkie Collins' "Frau in Weiß" (1860). 

Als letzte Erweiterung – für mich hochamüsant – habe ich einen Typus entdeckt, der ein ähnlich sonderbares Nischendasein führt wie das Leihbuch. Es ist das „phantastische Sachbuch“. Damit meine ich jene sonderbaren Pamphlete, die unter dem Vorwand der Sachlichkeit ziemlich verrückte Thesen aufstellen. Hierher gehört zum Beispiel Oscar Kiss Mareths „Der Anfang war das Ende“ (1971) ein Buch, das die Theorie entwickelt, der Mensch sei durch Kannibalismus intelligent geworden und das somit dem Horror-Genre zuzuordnen ist, natürlich Erich von Dänikens SF-Klassiker „Erinnerungen an die Zukunft“ (1968) oder Camille Flammarions skurriler Versuch, nachzuweisen, dass die anderen Planeten des Sonnensystems auch intelligentes Leben beherbergen (Die Mehrheit bewohnter Welten, 1862, folgt bald im ZS). Ein Vorläufer dieses Genres ist die sogenannte Kompilations-Literatur. Das sind Bücher des Barock, die übersinnliche Phänomene dokumentieren und zu reißerischen Reporten zusammenstellen, quasi die Akte-X-Variante des 17. und 18. Jahrhunderts. hierher gehört etwa Francisis "Der höllische Proteus" von 1690.

Grundsätzlich versuche ich alles noch einmal vorher zu lesen, egal ob ich das Buch vor 2 oder 20 Jahren das letzte Mal in der Hand hielt. Das bringt Zeitprobleme mit sich - sicher wird deswegen auch das eine oder andre Mal eine Erzählung dabei sein oder ein schmaler Roman.

Und natürlich habe ich weiterhin geplant, sehr berühmte Bücher und Serien zu porträtieren - unweigerlich werden demnächst auch "Conan", "Der Hund von Baskerville" und "Captain Future" dabeisein... 

Viel im Visier – mal schaun, was sich sich umsetzen lässt. Ich freu mich drauf.

Nächste Folgen:
Robert J. Hogan: Die Fledermaus-Staffel (1933) (7. Oktober)
Edward Bellamy: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 auf 1887 (1888) (19. Oktober)
Camille Flammarion: Die Mehrheit bewohnter Welten (1862) (2. November)

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Kommentare  

#1 Torshavn 2015-09-22 06:49
Mach nur bitte ruhig weiter. Und sehr gerne so breit gefächert, wie bisher und für die Zukunft von dir angedacht.
Für mich ist deine Serie derzeit die interessanteste auf dem Zauberspiegel.
Vielen vielen Dank dafür.
#2 AARN MUNRO 2015-09-22 10:52
Stimme Torshavn hier zu. Die Artikel sind immer interessant...und Deine obigen Aussagen treffen ja auch zu...könnte meine Freizeit auch anders verbringen...es gibt immer viel zu tun... ;-)
#3 AARN MUNRO 2015-09-22 10:56
...dann vergiß aber auch Dänikens Vorläufer nicht...von Charroux über Fort bis zu von Buttlar usw.
Was ist übrigens mit der Mythenkonstruktion: z.B. die Blavatsky?
#4 Toni 2015-09-22 14:23
Ich kann mich nur anschließen. Du hast es echt drauf!

Ich freue mich auf die angekündigten Sachen und hoffe, dass du dem Zauberspiegel lange erhalten bleibst. Weiter so :-)
#5 Matzekaether 2015-09-22 21:17
Danke für den netten Zuspruch!!! 8)
@Aarn - ja, an Fort habe ich natürlich auch gedacht; "Da!" oder "Neuland" kommt bestimmt mal an die Reihe...
#6 Andreas Decker 2015-09-23 16:17
Ich kann mich den anderen Postern nur anschließen. Sehr schöne und sehr interessante Serie.
#7 Andreas Decker 2015-09-24 11:24
@Matthias

Hast du eigentlich mal daran gedacht, Huysman und "Tief unten" in die Auswahl zu nehmen? Ist zwar nicht wirklich phantastisch, aber hat auch zig Horrorautoren beeinflusst.
#8 Matzekaether 2015-09-24 12:28
Ja, daran habe ich tatsächlich gedacht! Schon ein total verrücktes Buch. müßte ich aber auch nochmal komplett lesen, ist länger her...
#9 Matzekaether 2015-09-24 12:30
...das ist doch das mit den Teufelsmessen, oder? Dann gibts ja noch "Gegen den Strich" von Huysman, ich verwechsle die beiden Romane immer, das andre ist das mit den dekandenten Exzessen... hat auch was.
#10 Andreas Decker 2015-09-24 15:42
zitiere Matzekaether:
...das ist doch das mit den Teufelsmessen, oder? Dann gibts ja noch "Gegen den Strich" von Huysman, ich verwechsle die beiden Romane immer, das andre ist das mit den dekandenten Exzessen... hat auch was.



Ja, "Lás-Bas - Tief unten" ist der mit dem Satanismus und Gilles de Rais. ich wollte den auch noch mal lesen, aber mittlerweile fehlen mir bei solchen Büchern oft der Durchhaltewillen, das seitenweise Geschwafel über Religion über mich ergehen zu lassen. Irgendwie sind Autoren wie Huysmans oder DeSade zu echter Arbeit geworden, man liest lieber etwas über sie als sie selbst.

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