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Die Ausgenutzte - »Die Ratten« (1955)

Die RattenDie Ausgenutzte
»Die Ratten« (1955)

Das erstmals 1911 in Berlin aufgeführte sozialkritische Stück „Die Ratten“ von Gerhart Hauptmann zählt zu den Klassikern der deutschen Bühnengeschichte. Hauptmann hatte sein Stück in den 1890er Jahren angesiedelt, um die Missstände im Arbeitermilieu deutlich zu machen. Eine hoch gelobte Adaption der Vorlage, die 1955 von Robert Siodmak inszeniert wurde, hat die Handlung in die damalige Gegenwart verlegt und Hauptmanns Intentionen auf die raue Wirklichkeit des Nachkriegs-Deutschlands übertragen.

Die RattenDer Dresdner Robert Siodmak (1900-1973) zählt, genau wie sein Bruder Curt Siodmak („Der Wolfsmensch“), zu den renommiertesten Regisseuren dieses Landes. Schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten inszenierte er in den frühen 1930er Jahren seine ersten Spielfilme („Menschen am Sonntag“, „Abschied“). Aufgrund seiner jüdischen Abstammung siedelte er aber schon bald – gemeinsam mit Billy Wilder – nach Paris über, um schließlich auch in Hollywood Fuß zu fassen. Dort inszenierte er Filme wie „Draculas Sohn“ oder „Die Wendeltreppe“ und wurde 1947 für „Die Killer“ sogar für einen Oscar nominiert. Nach der Inszenierung des Swashbucklers „Der rote Korsar“ 1952 mit Burt Lancaster kehrte Robert Siodmak nach Europa zurück. 1954 entstand in Frankreich „Die letzte Etappe“ mit Jean-Claude Pascal und Gina Lollobrigida, bevor er im Jahr darauf wieder in deutscher Sprache „Die Ratten“ nach Hauptmann drehte. Auch hier waren die Hauptrollen mit den größten Stars ihrer Zeit besetzt – „Seelchen“ Maria Schell ist abermals in einer tränenreichen Rolle zu sehen, während der „Normannische Kleiderschrank“ Curd Jürgens erneut den Mann fürs Grobe geben darf. Aber auch die Besetzung von Heidemarie Hatheyer („Solange das Herz schlägt“) und Gustav Knuth („Großer Mann was nun?“) als Ehepaar John adelt Siodmaks Adaption zusätzlich.

Die RattenVöllig verstört wird die junge Pauline Karka (Maria Schell) an der Sektionengrenze im geteilten Berlin aufgegriffen. Sie trägt einen falschen, blutgetränkten Pass bei sich und scheint nicht zurechnungsfähig zu sein. Als das Ehepaar John (Heidemarie Hatheyer und Gustav Knuth) herbeigerufen wird, weil sich von ihnen eine Adressnotiz bei Pauline findet, schlägt diese voller Wut auf Anna John ein. Die nimmt den Gewaltausbruch zum Anlass, um die Hintergründe zu schildern, die zu diesem Verhalten geführt haben. In einer langen Rückblende wird erzählt, wie Anna John sich nach einer Fehlgeburt nichts sehnlicher wünscht, als ihrem hart arbeitenden Mann Karl endlich einen Sohn zu schenken. Als zufällig die schwangere Pauline Karka in Johns Spedition erscheint, und die verlassene Frau mit dem Gedanken spielt, sich oder das Kind umzubringen, hat Anna die Idee, Pauline das Baby nach der Geburt abzukaufen und es für ihr eigenes auszugeben. In ihrer Verzweiflung willigt Pauline ein, doch nach der Geburt will sie ihr Kind unbedingt einmal sehen. Anna ahnt, dass es dies unbedingt zu vermeiden gilt, und setzt ihren groben Bruder Bruno Mechelke (Curd Jürgens) darauf an, Pauline möglichst rasch aus Berlin herauszubekommen.

Die RattenDie Verlagerung von Gerhart Hauptmanns bekanntem Theaterstück in die entbehrungsreiche Nachkriegszeit ist Robert Siodmak sehr gut gelungen. Auch die Besetzung der zentralen Charaktere mit renommierten Filmstars ist äußerst überzeugend geraten. Die auch in der Bühnenversion bereits enthaltene Parallelhandlung um den ehemaligen Theaterdirektor Hassenreuter (Fritz Rémond jr.) wirkt hier allerdings größtenteils deplatziert und kann die gewünschte Auflockerung der Erzählung nicht erreichen. Insgesamt aber ein nach wie vor sehenswertes Gesellschaftsdrama, das von Göran Strindberg exzellent in Schwarz-Weiß eingefangen wurde (er erhielt dafür das Filmband in Silber beim Deutschen Filmpreis 1955) und die Atmosphäre vor den Wirtschaftswunderjahren plastisch wiedererstehen lässt. Die DVD-Wiederveröffentlichung als „Remastered Edition“ in der Reihe „Pidax Film-Klassiker“ bietet ein sehr gutes Bild (im Vollbildformat 1,33:1) und einen stets gut verständlichen, wenngleich mitunter auch etwas verrauschten deutschen Originalton (in Dolby Digital 2.0 Mono). Als Extra gibt es den verkleinerten Nachdruck der „Illustrierten Film-Bühne“ (Nr. 2825) als vierseitiges Booklet, in dem sich etliche Fotos, eine ausführliche Inhaltsangabe sowie Stab- und Besetzungscredits finden.

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