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... Franz Rottensteiner über die Kompetenz der Ehefrau, Jules und Michael Verne

Franz Rottensteiner... Franz Rottensteiner ...
... über die Kompetenz der Ehefrau, Jules und Michael Verne

Im Vorwort zu der neu übersetzten Originalausgabe von Jules Vernes Roman "Das Geheimnis des Wilhelm Storitz" schreibt Franz Rottensteiner über Jules Verne, seine schriftstellerische Arbeit, sowie seinen Sohn Michel Verne.  in Interview mit Franz Rottensteiner, einem der großen Kenner der Phantastik, war für uns eine große Chance, einen Experten zu befragen, die Möglichkeit gleich 2 Interviews mit ihm zu führen (das zweite Interview zum Thema Klassiker, Gegenwart und Zukunft der Phantastik erscheint am Sonntag, 21. Juni 2009), eine große Ehre.

 

Zauberspiegel: Jules Verne wird ja in der breiten Öffentlichkeit immer eher als der Autor der Abenteuer- und Reiseromanen im Stil von "In 80Tagen um die Welt", "Reise zum Mittelpunkt der Erde" oder "20.000 Meilen unter dem Meer" wahrgenommen. Dagegen sind die anderen Aspekte, wie z.B. seine "den Wahnsinn nahen" Erfinder und seine "pessimistische Weltsicht" eher unbekannt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?  
Franz Rottensteiner: Jules Verne hat so viele Bücher geschrieben, dass kaum jemand alle kennt oder auch nur kennen kann. Es sind nur wenige seiner Bücher, die immer wieder aufgelegt wurden und weite Verbreitung gefunden haben, die vor allem, die faszinierende Geschichten bieten. Die meisten Leser sind Jules Verne wohl als Jugendlektüre begegnet und später vielleicht gar nicht mehr. Diese Jugendbücher waren aber häufig stark bearbeitet, so dass man sagen könnte, dass viele den "echten" Verne überhaupt nicht kennen. So wird Verne vor allem als Autor für jugendlicher Leser mit einer kleinen Anzahl von Büchern rezipiert.
 
Zauberspiegel: Nun unterliegt ja das Werk eines Schriftstellers über die Jahre der Veränderung. Sie erwähnen, dass bereits in seinem frühen Werk "Ein Pariser im 20.Jhd" pessimistische Züge erkennbar waren. Nennen Sie uns doch bitte einige andere Werke, bei denen Verne den Pfad des Zukunfts- und Wissenschaftsoptimisten verlässt?
Franz Rottensteiner: In der Erzählung "Der ewige Adam" etwa (aber die soll Michel Verne geschrieben haben), "Vor der Flagge des Vaterlands" oder "Die Stahlstadt" etwa.

Zauberspiegel: Die Rolle von Michel Verne ist zu Recht umstritten. Ihrer Einschätzung nach - was war er? Ein Ideendieb? Ein cleverer Verwalter des väterlichen Erbes? Etwas ganz anderes?
Franz Rottensteiner: Das Verhältnis zu seinem Vater war nicht immer ungetrübt und im Laufe seines Lebens wohl auch nicht immer gleich. Einzelheiten findet man in dem Buch des besten deutschen Jules-Vernes-Kenners Volker Dehs. Ideendieb kann man ihn sicher nicht nennen, denn so weitgehend waren seine Eingriffe in das Werk des Vaters auch nicht, und "Der ewige Adam", das von ihm allein stammen soll, ist eine sehr gelungene Geschichte, die zeigt, dass er, zumindest in Einzelfällen und im Rahmen einer kurzen Erzählung, zu achtbaren Leistungen imstande war. Auch mag es ja durchaus sein, dass ihm manches, eben aus Vermarktungsgründen, vom Verleger nahegelegt wurde. Er hat das getan, was jemand, der im Schatten eines übermächtigen Vaters steht, in so einem Fall im Rahmen seiner begrenzten Fähigkeiten eben tut, aus Motiven, die durchaus ehrbar waren.
 
Zauberspiegel: Wie stellt(e) man eigentlich fest, in welchem Maß die einzelnen Werke von Michel Verne geschrieben oder verändert wurden?
Franz Rottensteiner: Wie man es  eben feststellt: Durch Textvergleich mit den aufgefundenen Originalmanuskripten und den darin angebrachten Änderungen. Die Verne-Forschung hat sich damit ausgiebig beschäftigt, nicht nur in Frankreich und Italien, sondern auch in den USA, etwa Prof. Arthur B. Evans.
 
Zauberspiegel: Die Ehefrau von Jules Verne starb erst 1910. Weiß man, was sie von der Arbeit ihres Sohnes an den Werken ihres Mannes hielt?
Franz Rottensteiner: Keine Ahnung, so genau habe ich mich damit nicht beschäftigt, ich weiß auch gar nicht, welche Meinung sie vom Werk ihres Mannes hatte und ob sie sich überhaupt damit beschäftigte. Ist auch ziemlich gleichgültig, denn der Umstand, dass man mit jemandem verheiratet ist, begründet keine literaturwissenschaftliche Kompetenz. Die Meinung einer Ehefrau, so sie nicht selbst Schriftstellerin ist, ist wohl nicht wichtiger als die einer Hausgehilfin.
 
Zauberspiegel: Haben Sie einen "Lieblings-Jules-Verne"? Wenn ja, welcher wäre das und warum?
Franz Rottensteiner: Am ehesten ZWANZIGTAUSEND MEILEN UNTERM MEER, was sicher damit zusammenhängt, dass das meine erste Begegnung mit Verne war und dass ich in jungen Jahren begeistert einem "dramatisierten Sonntagsroman" im Radio lauschte und dann natürlich auch das Buch lesen musste. Heute würde ich auch stark - sicher eine etwas ungewöhnliche Wahl - für die Kurzgeschichten plädieren.
 
Zauberspiegel: Welche Bedeutung hat Jules Verne Ihrer Meinung nach für die moderne phantastische Literatur und was kann man heute noch von ihm lernen?
Franz Rottensteiner: Er ist natürlich einer der unverzichtbaren Stammväter des Genres SF und ein faszinierender Beschreiber phantastischer und nicht so phantastischer Reisen. Seine Art der enzyklopädischen Wissensvermittlung mag heutigen Lesern allzu geruhsam und altmodisch erscheinen, aber seine Charaktere und deren schrullige Züge faszinieren wie eh und jeh. Davon könnten die zeitgenössischen Autoren noch immer eine ganze Menge lernen.

Wer ist Franz Rottensteiner?
Franz Rottensteiner, geb. 1942 in Waidmannsfeld, Niederösterreich, studierte in Wien Publizistik, Anglistik und Geschichte. Im Insel Verlag war er Herausgeber der Reihe „Phantastische Wirklichkeit - Science Fiction der Welt“ (15 Bände, 1971-1975), im Paul Zsolnay Verlag in Wien der „Phantastischen Romane“ und der „H.G. Wells Edition“ und betreute von 1980-1998 die „Phantastische Bibliothek“ des Suhrkamp Verlages. Herausgeber von rund 50 Anthologien, mancher auch im Ausland, darunter der 10 Almanache „Polaris“ 1 - 1O (Insel und Suhrkamp), im Redaktionsstab von Science Fiction Studies und Paradoxa, Mitarbeiter bei zahlreichen SF-Lexika und kritischen Anthologien. War bis 1995 Agent von Stanislaw Lem im westlichen Ausland (aber nicht im deutschen Sprachraum), später von Boris Strugatzki. Herausgeber der kritischen Phantastikzeitschrift Quarber Merkur (erscheint derzeit im EDFC e.V.).

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