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... mit Otto Penzler über Krimis gestern und heute in den USA und der Welt (Teil 1)

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... über Krimis gestern und heute in den USA und der Welt (Teil 1)

Otto Penzler(Jahrgang 1942) ist einer der Koryphäen nicht nur unter den US-Krimiexperten. Er ist nicht nur Krimi-Fan, sondern hat auch als Verleger, Herausgeber und Händler (er betreibt mit THE MYSTERIOUS BOOKSHOP die wohl größte Krimi-Buchhandlung der Welt, die er am Freitag, den 13. Juni 1979 eröffnete) gewirkt.

1977 gewann er den “EDGAR AWARD” (den Oskar des Krimis) der “Mystery Writers of America” für sein Werk “The Encyclopedia of Mystery and Detection” in der Kategorie “Best Critical/Biographical Work”.
 
Auf der Buchmesse in Frankfurt 2007 entdeckte Bettina Meister seine PULP FICTION-Anthologien (Bd. 1 THE CRIMEFIGHTERS, Bd. 2 THE VILLAINS und Bd. 3 THE DAMES), die wir als Rezensionsexemplar erhielten. Dank Emma Ward von Quercus erhielten wir die Möglichkeit ein Interview mit Otto Penzler zu führen, bei dem uns Reinhard Jahn vom ‚Lexikon deutscher Krimiautoren’unterstützte. Danke dafür.
 
Im ersten Teil des Interviews sprechen wir über den Krimi in den USA gestern und heute. Im zweiten Teil wenden wir uns Europa zu (sprechen auch kurz Deutschland und Jerry Cotton an) und lassen uns zu guter letzt vom Meister ein paar Empfehlungen geben.

Zauberspiegel: Du hast bisher drei Bände mit Pulp-Geschichten heraus gegeben („Crimefighters“, „Villains“, „Women“). Darin finden sich wahre Schätze. Recht wahrscheinlich gibt es noch mehr solcher Geschichten. Kommt da noch mehr? Und für den deutschen Leser: Gibt es schon deutschen Interessenten an „PULP FICTION“?
Otto Penzler: Es gibt noch viele Pulp-Geschichten, natürlich, darunter einige wunderbare, die einfach nicht alle in diese drei Bücher gepasst haben, obwohl sie ja schon ziemlich dick sind. Im Moment gibt es jedoch keine Pläne für einen vierten Band. Der dritte Band „PULP FICTION: THE DAMES, ist gerade erst erschienen, also kann es gut sein, dass wir erst einmal etwas Pause brauchen. Überraschenderweise gibt es bisher keinen deutschen Verlag, der sich dazu entschieden hat die Rechte daran zu kaufen, obwohl ich weiß, dass viele deutsche Leser die hard-boiled und noir crime-fiction mögen.

Zauberspiegel: Die Pulps waren für viele herausragende Autoren und Figuren der Krimi-Geschichte der Ausgangspunkt. Wie kam es zu Aufstieg der Pulps – und warum kam es zu dem Niedergang?
Otto Penzler: Kurz nach dem ersten Weltkrieg kam es in den USA zu einer großen Veränderung im Erziehungssystem. Immer mehr Menschen konnten lesen und schreiben, dementsprechend stieg das Bedürfnis der Menschen an Lesestoff. Billiges Papier („pulpwood“ genannt) wurde für eine große Zahl populärer Magazine verwandt und haben den Namen „Pulps“ vom Papier übernommen. Sie waren billig herzustellen, so konnten viele Menschen sie in großer Zahl kaufen, vor allem während der Zeit der Große Depression. Die Ära der Pulps endete kurz nach dem zweiten Weltkrieg als das broschierte Buch des Massenmarktes populär wurde. Auch diese waren billig und viel bequemer zu tragen.

Zauberspiegel: Für uns Deutsche. Welches waren die herausragenden Titel unter den Pulps? Wer waren die Herausgeber hinter den Pulps? Wie groß waren der Unterschiede zwischen den besten und den richtig schlechten Vertretern?
Otto Penzler: Die Großen der Pulps bewegten sich in unterschiedlichen Genren. Bei Science Fiction und Fantasy war „WEIRD TALES“ der Riese. Unter den „Helden“pulps war „THE SHADOW“ und „THE SPIDER“ die Großen, ebenso „THE PHANTOM DETECTIVE“. Unter den Mysterypulps waren der „DIME DETECTIVE“ und der „DETECTIVE FICTION WEEKLY“ die großen Erfolge, aber bei weitem das erfolgreichste war die „BLACK MASK“. Die besten von ihnen haben wunderbare Autoren hervor gebracht, die noch heute gelesen werden; die Schlimmsten waren so unglaublich schlecht, dass man sich kaum vorstellen kann, dass sie überhaupt veröffentlicht wurden. Aber es ist wie mit den meisten Dingen dieser Welt: Es gibt Großartiges, eine breite Masse an Mittelmäßigkeit und einige Dinge sind so grauenvoll, dass man sie am Besten einsperren sollte.

Zauberspiegel: Wie es scheint, werden in letzter Zeit wieder Stoffe im Geist der Pulps neu aufgelegt oder gar neu geschrieben, wie bei Deinen Anthologien oder bei Hard Case Crime. Gibt es eine Renaissance der Pulps bzw. der Stoffe der Pulps?
Otto Penzler: Pulp ist nie wirklich verschwunden. Mickey Spillane, der erfolgreichste Krimi-Autor der jemals gelebt hat, schlug einen Bogen von den Todestagen der Pulps hin zu dem Aufkommen der neuen Welle an Hard-boiled-Schriftstellern. Wie schon die Pulpautoren zuvor verschwendete er nicht viele Worte an Beschreibungen oder Analysen darüber was Menschen dachten oder fühlten; er füllte seine Bücher mit Bewegung und Action.

Zauberspiegel: Gab es Regeln, Normen und Vorgaben für die Autoren? Wie mussten Charaktere gezeichnet sein?
Otto Penzler: Die Regeln waren einfach: „Keep the story moving“ („Halte die Handlung am Laufen“). Alles andere war zweitrangig. Die guten Jungs waren gut, die bösen Jungs waren böse. Leser waren nie ambivalent in ihrer Einschätzung darüber wem sie nun unterstützen sollten. Die Charaktere waren so angelegt den Lesern der Magazine, meistens jungen Männern und Arbeitern zu gefallen. Frauen haben kaum für die Pulps geschrieben und es gab kaum wichtige weibliche Charaktere. Die Frauen waren in der Regel Mädels die gerettet werden mussten oder loyale Sekretärinnen, Ehefrauen oder Freundinnen der Helden. Natürlich gab es auch eine Menge weibliche Schurken. Frauen lasen kaum Mystery-, Helden- oder Science Fiction-Pulps. Für sie gab es die Liebesromanpulps, und sie kauften sie in enormer Zahl.

 

Zauberspiegel: Wie unterscheidet sich der Krimi der Pulps von denen heutiger Tage??
Otto Penzler: Die Krimigeschichten heute haben sehr viel sorgfältiger ausgearbeitete Charaktere, es liegt eine größere Betonung auf dem Schreibstil und weniger im Vorantreiben der Handlung. Die Krimis heute, zumindest die richtig guten, sind ernstzunehmende Geschichten in denen zufällig ein Verbrechen geschieht. Nichts an ihnen entspringt der Pulpära, mit seltener Ausnahme der wenigen Großen die einfach alles konnten wie Hammett und Chandler.

Zauberspiegel: Wie unterscheidet sich der Krimi der Pulps von denen heutiger Tage?
Otto Penzler: Ich weiß nichts über Pulps in Europa, auch nicht davon, dass es überhaupt welche gab. Ehrlich gesagt glaube ich auch gar nicht, dass es sie gab.

Zauberspiegel: Helfen oder schaden die Blockbuster von Autoren wie Grisham oder Cornwell dem Krimi?
Otto Penzler: Die Megabestseller sind wunderbar für das Genre Mystery. Die Verlage haben gesehen wie erfolgreich die Mysteryautoren sein können, also halten sie ständig Ausschau nach dem nächsten den sie herausbringen können. Dies schafft einen großen Markt für neue Mysteryschriftsteller. Sie verkaufen eine Menge Bücher, verdienen eine Menge Geld für die Verlage, ohne welches diese nicht überleben könnten.

Zauberspiegel: Wie siehst Du die Entwicklung der Krimiliteratur in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten?
Otto Penzler: Wie schon oben angemerkt besteht die größte Veränderung zeitgenössischer Mystery in dem stärkeren Versuch realistisch zu sein. Charakter sind vollständig entwickelt, und die bösen Leute verüben Morde. Heute erscheint es dumm, wenn ein Vikar oder eine nette Großmutter Morde begeht. Diese Bücher waren geschaffen worden um zu überraschen. Das ist aus den Detektivgeschichten heute verschwunden.

Zauberspiegel: Die Figuren der heutigen Krimis und Thriller gehen oft als strahlende Sieger aus jeder noch so aussichtslosen Situation hervor. In den Pulps sind sie oft die Überlebenden, jene, die nur mit knapper Not davon kamen. Wo siehst du dafür die Ursachen?
Otto Penzler: Ich stimme nicht mit dieser Unterscheidung überein. Die Detektive des Pulp sind vielleicht verprügelt worden oder wurden beschuldigt Verbrechen begangen zu haben, aber sie waren Helden, die am Ende immer siegreich geblieben sind. Es gibt nur wenig Unterschiede zwischen Sam Spade, Philip Marlowe und Race Williams aus den Pulps und dem heutigen Spenser, Jack Reacher und Matt Scudder.

Zauberspiegel: Du empfiehlst Autoren wie Robert Crais, James Crumley und natürlich Elmore Leonard - alles Autoren, die auf dem Weg sind, moderne Klassiker zu werden, aber die (abgesehen von Leonard) nicht die großen Bestseller sind. Ist das deine Art zum Ausdruck zu bringen wer und was das Genre weiterbringt oder wo es Ansätze gibt, es zu erneuern?
Otto Penzler: Ich unterstütze die besten Schriftsteller wann immer ich kann, denn sie sind meine Helden. Aber ich unterstütze oder empfehle nie jemanden, wenn ich nicht ihre Arbeit wirklich bewundere. Dies ist manchmal schwierig, denn ich habe viele Freunde die schreiben und deren Arbeit ich nicht unterstütze auch wenn sie exzellent schreiben – einfach weil ich ihre Art zu schreiben nicht bewundere. Du solltest wissen, dass Robert Crais in den USA ein großer Bestseller ist. Mir ist rätselhaft warum James Crumley sich nicht besser verkaufte, und ich glaube der amerikanische Krimileser sollte sich schämen ihn nicht mehr zu lieben. Er ist der Beste – punktum.

Zauberspiegel: Welcher Typ Detektiv, welcher Typ Schurke wird in Zukunft Deiner Ansicht nach im Krimi zu finden sein? Inwieweit werden sich Thriller und der klassische Krimi miteinander vermischen?
Otto Penzler: Thriller und die klassische Detektivgeschichte haben sich nie vermischt, und ich kann nicht sehen, dass sie dies jemals können. Das eine ist vor allem eine Spannungsgeschichte, mit Action und physischen Elementen, währen das andere vor allem Gehirntraining ist.

Zauberspiegel: Wie sieht für dich der ideale zeitgenössische Krimi aus?
Otto Penzler: Keiner bekommt das besser hin als Michael Connelly, auch wenn Crais ihm auf der Spur ist. Beide Schriftsteller haben Charaktere geschaffen, die einem im Gedächtnis bleiben, beide schreiben wunderbare Prosa, konstruieren straffe Geschichten mit befriedigender Lösung, basierend auf Vernunft und Unvermeidlichkeit statt diese aus der Luft zu greifen. Einige meiner bevorzugten Schriftsteller wie Robert B. Parker und Elmore Leonar sind stärker an Charakterisierungen und Dialogen interessiert als an der Konstruktion von Handlung. Crumleys Handlungen sind so komplex, dass ich beim ersten Lesen eigentlich nie weiß was eigentlich genau vorgeht. Dennoch ist er einer der wenigen Schriftsteller die ich gerne mehr als einmal lese, da seine Prosa reine Poesie ist. Gleiches gilt für Thomas H. Cook, John Harvey und Charles McCarry.

 

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