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Fantasy Filmfest 2009 - Kleinod Nürnberg

Kleinod NürnbergFantasy Filmfest 2009
Teil 1:
Kleinod Nürnberg

Der Nürnberger Großraum könnte Filmhauptstadt sein. Von links kommen die Frankfurter, wo die Drehgenehmigungen zu teuer werden. Von oben kommen die Berliner, die keine neuen Locations mehr auftun können. Von unten drängen die Münchner, weil deren Bewohner die Schnauze von Dreharbeiten voll haben. Doch Nürnberg ist nicht bereit.

Nürnberg verödet, weil viele kreative Köpfe arbeiten möchten, aber keinerlei Infrastruktur vorhanden ist. Infrastruktur aufzubauen bedeutet, über finanzielle Mittel zu verfügen. Finanzielle Mittel stecken die Städte der Metropolregion Nürnberg in alles, nur nicht in die Filmkunst.

Nürnberg hat auch interessante Filmfestivals. Da wäre das „Filmfest Türkei / Deutschland“. Viele aufregende Produktionen aus der Türkei, oder  solche, die sich mit der Türkei auseinandersetzen. Ein sehr gut besuchtes Festival, das allerdings nur türkischstämmige Besucher anlockt. Oder auch die „24 Stunden von Nürnberg“. Ein Kurzfilmfestival, das 24 Stunden am Stück Kurzfilme in der Reihenfolge ihrer Einsendung zeigt. Der Nürnberger als solcher hat den Spaß an so einer Veranstaltung noch nicht so richtig verstanden. Über sich hinaus wächst kein Festival, welches sich mit Film beschäftigt. Wenn überhaupt, ist die finanzielle Unterstützung durch die Städte lächerlich. In den Rathäusern heißt es da schon mal, Film gibt’s woanders, wir machen in Kunst. Danke.

Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt, Stuttgart, München. Das riecht fast schon nach faulem Zauber, wenn sich da Nürnberg in die Kette einreiht. Doch das 23. FANTASY FILMFEST macht auch in diesem Jahr wieder Station in Nürnberg. Die Genre-Fans danken es, die Organisatoren freuen sich. Schließlich findet man mit dem CINECITTA in Nürnberg nicht nur das erfolgreichste, sondern auch  das modernste Multiplex Deutschlands. Nein, und für die absonderlichen Filme des Festivals werden nicht etwa die kleinen Spucknäpfe bereitgestellt, sondern mit Kino 2 und 3 eine Platzzahl von fast 800 Sitzen. Digitale Vorführung mit THX-Zertifizierung, und sogar THE FINAL DESTINATION erfährt seine Vorstellung in digitalem 3-D, in Hamburg und Berlin stand er überhaupt nicht auf dem Programm.

Doch, oh weh, was ist nur in Nürnberg los? Die Fans wundern sich über noch viele erhältliche Dauerkarten, mit denen alle 74 Vorstellungen abgedeckt werden dürfen. Da stets zwei Filme gleichzeitig laufen, werden daraus natürlich nur 37 mögliche Vorstellungen, und die Wahl fällt verdammt schwer. In anderen Städten müssen diese Dauerkarten lange vorbestellt werden und sind in kürzester Zeit ausverkauft. In Nürnberg gibt es auch noch drei Tage vor Festivalbeginn ohne Probleme Einzelkarten für den Festivalrenner LARGO WINCH oder den Eröffnungsfilm CARRIERS. Am Abschlusstag gibt es noch eine Sneak-Preview, in den Vorjahren waren das durchaus Filme, deren Titel man nicht nennen durfte, weil die eigentliche Weltpremiere ganz woanders und viel später stattfinden wird. Karten? Kein Problem. Schieben wir es einfach auf die fränkische Gemütlichkeit.

Festivalbegründer und –leiter Rainer Stefan spricht wieder einmal von einem schwerpunktmäßigen Thriller-Festival. Doch das ist auch in Ordnung. Die Abnabelung vom reinen Horrorfest hat schon vor langer Zeit stattgefunden und wird eigentlich nur begrüßt. Eine Annäherung an kommende Blockbuster-Attraktionen soll es auch zukünftig nicht geben. DISTRICT 9 etwa hatte man lange vor den positiven Kassenprognosen ins Programm geholt. Und dabei hat doch alles so gemütlich angefangen. Punkmusik und Horrorfilm, das waren noch ruhige Zeiten in der alten Markthalle in Hamburg. Drei Bands und drei Filme und lediglich 2000 Besucher. Das war eben die gute alte Zeit, vor 23 Jahren.

Die Schwerpunkte wechseln mit den Jahren, manchmal gibt es mehr Filme aus Skandinavien, manchmal sind die Fantasy-Streifen in der Überzahl, dann wieder dominiert der Splatter. Die Gewichtung ist dabei uninteressant, die Macher wollen zeigen, was ihnen in der Flut von Blockbuster-Wahn und Direct-to-Video entgehen könnte oder entgangen ist. Die Action-Fantasy PUSH hat für Deutschland keinen Kinoverleih gefunden. Drei Wochen vor seiner DVD-Veröffentlichung kann er im Rahmen dieses Festivals dort gesehen werden, wofür er eigentlich gemacht wurde: Auf der großen Leinwand. Allein für das Programm 2008 musste die Festivalleitung von 20 Filmen eigene 35-Millimeter-Kopien erstellen lassen. Da bleibt selbst bei stets ausverkauften Häusern nicht mehr viel übrig. Dafür beweist es die Leidenschaft für die Sache.

Der Erfolg gibt Rainer Stefan und seinen Mitstreitern in allen Punkten Recht. Der Fan von Horror und Fantasy ist sowieso einer der besonderen. Kaum ein Publikum ist offener, aber kaum eines ist auch kritischer. Kommentare gibt es nur im Bezug auf das Gezeigte. Unmutsäußerungen werden sofort erledigt. Szenenapplaus ist allgegenwärtig. Die Stimmung wird beherrscht von Ehrlichkeit und von derselben Leidenschaft, wie sie die Festivalmacher einbringen. Das macht dieses, wie überhaupt ein Festival, zu etwas Besonderem. Das Publikum ist informiert und weiß, worauf es sich einlässt. Das ist ein riesiger Unterschied zu einem normalen Kinobesuch, der in der Regel von einer Mentalität der Ignoranz begleitet wird.

Anders als zum Beispiel beim renommierten SUNDANCE FILM FESTIVAL, welches zum Marktplatz umtriebiger Verleiher und Produzenten mutiert ist, ist ein Horror- und Fantasyfilmfest alles andere als ein Indikator für klingelnde Kassen oder einen leeren Saal. Ein Publikum, das wesentlich bewusster Filme aussucht und ansieht, lässt sich als Trend nicht übertragen. Der von den Fans auf dem FFF 2008 frenetisch gefeierte DIARY OF THE DEAD von George Romero fand gar nicht erst ins Kino, ein Vertrieb auf DVD dauerte immens lange. Selbst auf der silbernen Scheibe war der Erfolg bescheiden, scheinbar nur für eine sehr spezielle Schicht von Zuschauern interessant. Ein trauriger Anlass, der die Absichten der Organisatoren des FFF einmal mehr bestätigt. Der Interessierte soll seine Chance erhalten, im Kino mit Gleichgesinnten zu bejubeln, was man sonst nur in der verstunkenen Bude konsumieren könnte.

Das familiäre Gemeinschaftsgefühl kommt nicht von ungefähr. Schließlich teilt man etwas Besonderes, und dass dabei das zu groß anmutende Kino plötzlich zum kuscheligen Wohlfühlplatz schrumpft, ist nicht unbedingt nur ein feingeistiger Satz. Hier schneidet sich kein intellektuelles Kopfkino zwischen die Zuschauer, wie es bei themenbezogenen Festivals eben gerne passiert. Hier eint die Lust am Trivialen, doch mit hohem Niveau. Filme werden grundsätzlich in der originalen Sprachfassung gezeigt und hilfreiche Untertitel gibt es vielleicht bei asiatischen oder französischen Produktionen. Die Leinwand muss groß sein, das Tonsystem auf dem neuesten Stand. Die Lust am Trivialen wird zum Sinnbild des wahren Kinos. So muss Film gesehen, erlebt und verinnerlicht werden. Dafür werden Filme gemacht. Gute Filme.

In alter Tradition wird schon mal ein Film ins Programm geschoben, der alles andere als aktuell ist. Die knallbunte CinemaScope-Produktion DIE 36 KAMMERN DER SHAOLIN präsentiert sich einem Zuschauerkreis, der im Entstehungsjahr des Films snoch nicht geboren war. Alte Tradition eben, gerettet aus dem Grundgedanken des Festivals, Filme zu zeigen, die man sonst nie auf der Leinwand sieht.

So kann das Spektakulum beginnen, selbst in Nürnberg. Wenngleich der Eröffnungsfilm CARRIERS von David und Alex Pastor in den anderen Festivalsorten mit Befremden aufgenommen wurde und weniger gut ankam. Vielleicht ist es in Nürnberg genauso, vielleicht findet man aber hier auch einen anderen Zugang. Alles Spekulation, alles ist möglich. Außer das Vergnügen, das ist garantiert. Da kann man sich gerne auch mal reiben.

Trotz trägem Vorverkauf und freier Dauerkarten beginnt am 27.09. das 23. Fantasy Filmfest im Nürnberger Cinecitta. Wie die Jahre zuvor, ist der Erfolg auch für dieses Jahr so gut wie in der Tasche. Denn trotz der fränkischen Gemütlichkeit ist es bei weitem besser besucht als alle anderen Filmfestivals, die sich in der Region abmühen. Aber das auch zu Recht.
 
 

 

Teil Vier: Endstation

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