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Zwei zermürbende Tage... - Am Set von Toxic Lullaby - Tag 1

Ich am SetZwei zermürbende Tage...
Am Set von Toxic Lullaby - Mein Tag 1

Wenn man einen Film sieht, sieht man immer nur, dass Leute etwas tun. Sie laufen, schießen, kämpfen, lieben sich und tun viele andere Dinge. Je nach Art des Films hat man das Gefühl, der Dreh muss ein atemloses Abenteuer mit unglaublich vielen Leuten sein, die zeitgleich irgendetwas tun und hektisch herum rennen und ganz viel Action machen. Mythen und Vorstellungen von Laien...

In der Tat: Am Set eines Films tun viele Leute zumeist etwas zeitgleich, nämlich: Warten. Oft steht oder sitzt man herum und wartet, trinkt Kaffee und wartet, raucht eine Zigarette und wartet, schwatzt mit anderen und wartet, liest ein Buch und – man dürfte es erraten.

90 Minuten Action auf der Leinwand oder dem Bildschirm werden zumeist mit wohl einem Jahr Warten erzeugt (kumuliert man die Wartezeiten aller Beteiligten für die komplette Dauer der Dreharbeiten). Da können lebenslange Freundschaften entstehen, denn man verbringt viel Zeit miteinander.

In der Tat gibt es auch immer wieder Leute, die was tun. Da werden Dinge gesucht, Scheinwerfer verschoben, Stellproben gemacht. In einer Ecke übt man das Kämpfen. Aber viele Leute warten einfach darauf, dass andere fertig werden. Und wenn die dann dran sind, warten die anderen. – Also kann sich jedermann nun meine Hauptbeschäftigung vorstellen, als ich in Ralf Kempers Film „Toxic Lullaby“ meine beiden Drehtage als „Butcher“ vor mir hatte.

Ralf Kemper Das habe ich nicht geahnt, als ich Ralf Kemper, Gerrit Reinecke und Eva Balkenhol auf dem letzten Marburg-Con kennen lernte und mich für diesen Film casten ließ. Eigentlich wollte ich nur mal als Zombie durchs Bild rennen. Aber irgendwann eröffnete Ralf mir, dass er mich sogar für eine kleine Sprechrolle vorgesehen hatte. Und ich dürfe im Gedärm wühlen. – Das waren faszinierende Aussichten. Ich war der „Butcher“.

Zwei Tage lange gehörte ich zu den – zumeist – Wartenden am Set des No- bis Low-Budget Endzeit-Horror-Trash-Films. Eine Erfahrung, die mir echt noch fehlte, obwohl warten kannte ich schon vom Bahnhof. Immerhin pendelte ich jahrelang von Stade nach Hamburg. Aber im Vergleich zum Film war die Deutsche Bundesbahn eben nur ein besseres Trainingslager.

Dennoch gehören diese beiden Tagen auch zu intensivsten, die ich erleben durfte. Ralf Kemper, den ich als netten Kerl kennen lernen durfte, der die Ruhe weg hat und dessen Stimme völlig gelassen ist, wird am Set zu einem Typen, der weiß was er will. Er ist der Kommandant und führt seine Leute mit einer Autorität, die ich so nicht vermutet hätte. Auch der unverstellte Blick auf die Arbeit von Profischauspielern (Ralf hat einige davon für den Cast versammelt, was auch für seine Überzeugungskraft spricht) war eine Erfahrung. Ich kanns nur jedem empfehlen so was mal zu machen, wenn er die Gelegenheit bekommt.

Toxic Lullaby ist nach Lektüre des Drehbuchs (ebenfalls von Ralf) ein Film, der mehr ist, als nur ein Zombie-Film. Es geht in die Endzeit. Es geht um die letzten Grenzen der Zivilisation. Es geht kurz um das Ende der Endzeit. Die Welt wie wir sie kennen ist Vergangenheit und die letzten Menschen ringen schon mehr ums Überleben als um Menschlichkeit. Dazu kommen noch die Schläfer. Das ist ein Stoff, der mich derart gereizt hat, dass ich zum einen Ralf davon überzeugen konnte, dass es a) ein Buch zum Film geben müsse und b) ich das einfach schreiben will. Und dann gelang es mir erfolgreich, Peter Hopf davon zu überzeugen, dass VPH dieses Buch verlegen muss. Daher wird zeitgleich zum Film auch der Roman dazu erscheinen. Ich hoffe, es wir mit gelingen Ralfs Stoff auch auf Buchseiten, Leben einzuhauchen.

Aber lasst mich der Reihe nach erzählen...

Der 1. Tag

(Freitag, 7. März 2009, ab ca. 14:00 Uhr – ca. 21:20 Uhr)
„Ab 14:00 Uhr ist Maske“, hatte Ralf mich wissen lassen. Also in der Konsequenz hieß das für mich um 14:00 Uhr am Set zu sein. Dank der KVG steht für die Kolonie der letzten Menschen, der Reste der Zivilisation wie wir sie kennen, ein geradezu genialer Drehort zur Verfügung. Der alte Straßenbahntunnel vor dem Kasseler Hauptbahnhof.

Doch zuerst wurden die Schläfer geschminkt, die als eine Art Zombies in dem Film unterwegs sind und für die blutigen Aspekte sorgen. Ich sollte mit drei von ihnen – später, viel später am Tag – näher und des Öfteren in Kontakt treten.

Denn an diesem Abend sollte ich, bzw. der „Butcher“, im Kampf gegen die Schläfer sterben. Da war Action angesagt. Und wenn man später den fertigen Film sieht, wird man auch die ganze Dynamik dieser Szenen sehen können. Aber für die Schauspieler und uns Klein- und Laiendarsteller war es zunächst ein mühsames Tagwerk aus Warten, Schminken, rumstehen und rauchen.

Also saß ich im Catering-Zelt herum, schwatzte mit diesem oder jenen, sah beim Schminken zu und wartete auf meinen Einsatz. Ich hatte Teile meiner Requisiten selbst mitgebracht. Carsten Neumeier, ein mir bekannter (ausgezeichneter) Schlachter aus Walburg (Nahe Kassel) hatte mich einem antiken Schlachterbeil und einer Schürze ausgestattet. Außerdem lieferte er am Tag danach noch Lebern (frisch) und Gedärm (auch frisch), dass aber nur sporadisch zum Einsatz kam, weil nicht jeder den (noch) dezenten Geruch gut abkann. Das hatte Stil und dank Carsten war ich richtig gut drauf. Leider konnte das antike Beil im Kampf nicht zum Einsatz kommen, da es davon kein harmloses Duplikat gab. - Aber auch mit harmlosen Duplikaten geht nicht immer alles glatt. Dazu später mehr.

Der Schlachter wird geschminkt - links Swantje in der Mitte Kathleen Irgendwann kam dann auch das Kommando, dass der Butcher zu in drei Minuten zu einer Stellprobe zu erscheinen habe. Nun gut, ich warf mich in alte speckige Jeans und die Schürze und trug noch ein T-Shirt (das ich aber ob seiner Farbigkeit nicht würde während der Aufnahmen tragen dürfen). Kurzerhand entschloss ich mich mit freiem Oberkörper (trotz Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt zu agieren). Eine Entscheidung, die ich noch bereuen würde (aber man wirft sich ja gern in Pose...).

Doch dann wurde erst am anderen gestellt und geprobt. Denn es durften nicht alle Schläfer zugleich angreifen. Denn sonst, das gebietet die Logik, würden sich die Menschen der unterirdischen Kolonie, nicht zum Kampfe stellen, sondern ihr Heil in der Flucht suchen. Somit wurde nach Mitteln und Wegen eines wellenartigen kamerawirksamen Angriffs gesucht, der letztlich der Kampf ums Überleben der Kolonie wird.

Meine Aufgabe war einfach. Ich bin der Schlachter der Kolonie. Meine Schlachtkammer ist auf einer höheren Ebene und angelockt durch den Kampflärm stürme ich knapp 50 Stufen einer Treppe hinunter, um dann von weiteren Schläfern gestellt und getötet zu werden. Ob der Wuchtigkeit meiner Erscheinung hat man ein passendes Schläfergegenstück gesucht und gefunden. Nun mein Untergang würde heroisch werden.

Schließlich übten wir unseren Kampf. Ich stürmte mal kurz die letzten Stufen herunter, sah den ersten Schläfer schlug ihm den Schädel ein, aber mein Beil verkantet sich und dann fielen drei weitere (unter anderem eben auch einer in meiner Gewichtsklasse) über mich her und töteten mich...

Hört sich einfach an? Ist es auch. Aber da etwa zwanzig oder gar dreißig Personen miteinander kämpften und rangen und sich an die Gurgel gehen sollten, war das mit einem Take nicht getan. Das ganze Tohuwabohu sollte mehrfach gefilmt werden.

Der Butcher Dann musste an meiner Erscheinung gebastelt werden. Filmblut musste her. Filmblut, das nicht so leicht ablief. Filmblut, das haftete, Filmblut in Mengen, denn schließlich hatte ich an diesem Tag schon geschlachtet („Man muss sie verarbeiten solange sie warm sind“ lasse ich das Publikum wissen – Warme Verarbeitung des Fleisches – das gilt auch für Kassels Spezialität, die Ahle Worscht – fragte Carsten Neumeier) und war daher mit Blut nur so überzogen. Das haftende Blut ist im Übrigen ganz einfach herzustellen. Man nimmt einen Brotaufstrich (Zuckerrübensirup) und mischt das klebende Zeug mit roter Lebensmittelfarbe. Das sieht richtig echt aus. Aber es klebt scheußlich und am Ende des Tages waren meine Arme von blauen Flecken überzogen. Das waren aber keine Kampfspuren, sondern die Folgen des Filmbluts. Zuckerrübensirup klebt nun mal. Doch zugleich verteilte es sich doch und floss von den Schultern und der Brust an die Oberarme und die Achsel und so klebten meine Oberarme am Körper und ich musste sie gewaltsam losreißen. Das verursachte die Hämatome an den Oberarmen... Aber ich sah unglaublich martialisch aus.

Mein Plastikbeil, dass ich am Kopf des ersten Schläfers verlor, klebte ich der Einfachheit halber am der Schürze fest (etwas, dass ich am zweiten Tag auch mit dem deutlich schwereren Original machte – Zuckerübensirup ist biologisches Pattex. Ich konnte nicht mehr im Laufe der Zeit nicht mehr drehen. Jeder Versuch hätte an den kleben Fingern scheitern müssen, so dass ich mir Zigaretten schnorren musste.

Irgendwann ging es dann auch los. Ralf Kemper sagt nicht „Action“. Er kommandiert mit „Und bitte“, nachdem er verkündet, dass die Kamera läuft. Gerrit und ich standen am oberen Ende der Treppe und bekamen ein Zeichen. Dann stürmten wir die Stufen hinab, Kampf, tot und „Cut!“. Nochmal bitte. Der Ablauf wiederholte sich mehr als ein Dutzend Mal. Alles ging gut. Und ich starb jedes Mal den Heldentod im Kampf um das letzte Rest Zivilisation.

Es fiel auf, dass der Dicke die Treppe unermüdlich herunter stürmte und das mit einer deutlichen höheren Geschwindigkeit, als man einer Wanderdüne gemeinhin zutraut. Aber ich bin eben schneller als ich aussehe. Und Teile meines Körpers erinnern sich noch daran, das ich einst Sport trieb.

Dann kam das letzte Mal. Der Kampf war inzwischen Routine geworden. Trepperunter. Zombie geschnappt, Beil auf den Kopf getrümmert, niedergeworfen, gefressen, tot – „Cut!“

„Da ist ja Blut“ hieß es. „Echtes Blut!“ Ich hatte mit meinem Gegner das Plastikbeil im 15. Versuch dann endlich richtig auf den Schädel getrümmert und für eine Risswunde gesorgt, die im Krankenhaus geklebt werden musste. Leider habe ich mir den Namen nicht notiert, aber für dieses Missgeschick gebe ich ihm noch einen aus. Tut mir echt leid.

Danach kam für mich noch die Großaufnahme meines Todes. Ein Schlauch wurde an der Schürze befestigt (dank Zuckerrübensirup war kein weiterer Klebstoff oder Klebeband von Nöten), ein Stück Kunstfleisch wurde auf meine Kehle gelegt. Dann wieder mit nackten Rücken auf den Beton des Bahnsteigs (wo der Kampf stattfand) und der Zombie biss zu. Horst Nowack (eine der vielen guten Seelen am Set) pumpte eifrig Blut (von dem ich auch was den Mund bekam, was mir half effektvoll meinen Tod zu röcheln.

Dann war der erste Tag am Set für mich gelaufen und ich konnte nach Hause, um mich für den zweiten Tag einzustimmen. Der Tag, an dem ich bereute mit freien Oberkörper herumzulaufen...

Dazu morgen mehr...

 

Kommentare  

#1 coma 2009-03-09 05:40
lieber horst,
den bericht hast du sehr schön geschrieben und ihnen werter leser kann ich versichern das sich der author wahrlich heldenhaft schlug!, das kann ich als ehemaliger nager an seiner gurgel bestätigen :lol:

die ganze aktion war trotz des wartens letztendlich ein rießen spass :)

grüße,
chris (dein dicker lieblings zombie 8) )

PS:
wenn ich nen mutigen tag habe mail ich dir evtl.
dochmal ein paar gedichtchen ;o)
#2 Guardian 2009-03-09 15:37
Hey Butcher

Köstliches Tagebuch! Zuckerübensirup erweist sich mit der richtigen Anwendung viel effizienter als so manches Nikotinpflaster... :lol:

Ich freue mich auf Tag 2! ;-)

Viele Grüsse
J.
#3 Harantor 2009-03-10 00:19
@Coma: Schreib Gedichte für uns, mein "Lieblingsschläfer". Wer mir die Kehle durchbeißt, der darf auch was für den Zuaberspiegel tun. ;-) Hat Spaß gemacht.

@Guardian: Ich habe nicht aufgehört zu rauchen, ich habe geschnorrt...
#4 Guardian 2009-03-10 16:22
@Harantor!
Das habe ich schon gecheckt! Versuch das mit dem Sirup doch mal, wenn du alleine bist, dann ist Schluss mit schnorren... und dann merkst du vielleicht was ich gemeint habe... :-x
#5 John 2009-05-03 19:26
Lieber Horst!
Gott, macht das Spass zu lesen was du schreibst, einfach grossartig.
Danke mein grosser!!!
Lg john

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